Aufwärmen fürs Klettern - warum und wie?

Warm-up Klettern
Aufwärmen fürs Klettern - warum und wie?

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Zuletzt aktualisiert am 21.07.2014
KL Aufwärmen Hopserlauf sw teaser
Foto: Deutsche Fotothek / Rössing (CC-BY-SA-3.0-DE)

Ein Fernseher auf Standby zeigt kein Bild. Wie auch? Im Ruhezustand ist der Apparat nicht auf Leistung ausgelegt.

Mit dem Bewegungsapparat des Menschen ist es ähnlich. Zwar gibt es bei uns nicht nur On/Off, sondern noch Abstufungen dazwischen, doch sind wir erst dann richtig leistungsbereit, wenn wir körperlich und mental "warm" und aktiviert sind. Dies ist beim Sport allgemein richtig und beim Klettern und auch Bergsteigen noch einmal speziell von Bedeutung. Es gibt natürlich Ausnahmen - Menschen, die von Null auf Hundert durchstarten können und für die es kein Problem ist, mit einem "Kaltstart" loszulegen. Doch empfehlenswert oder gesund ist die Kaltstart-Methode nicht.

Das Klettern funktioniert besser, wenn wir den Körper auf die spezielle Belastung von Kletter-Zügen vorbereiten. Dies gilt beim Bouldern genau wie beim Alpinklettern. Denn sowohl Körper als auch Geist sind deutlich leistungsfähiger, wenn sie auf "Betriebstemperatur" sind. Im Gegensatz zum kalten Zustand sind unsere Gelenke dann gut geschmiert, die Muskulatur vollumfänglich aktiviert / ansprechbar und das Herz-Kreislauf-System ist leistungsbereit. Gut aufgewärmt sind unsere Bewegungen flüssig und koordiniert.

Auch Psyche und Geist funktionieren besser, wenn wir warm sind. Mental aufgewärmt zu sein ist gerade beim Bouldern, Klettern und Bergsteigen elementar. Dann sind wir wach, reaktionsschnell, entscheidungsfreudig, auffassungsschnell, nervenstark und voll bei der Sache. Ohne Aufwärmen sind wir unkoordiniert, zögerlich; eventuell auch ängstlich und unfähig, zu entscheiden.

Das größte Risiko allerdings, die das Vernachlässigen des Aufwärmens mit sich bringt, ist zweifellos das Verletzungs-Risiko. Der Kaltstart kann den Bewegungsapparat überfordern. Muskulatur und Gelenkstrukturen sind im kalten Zustand weniger belastbar und deutlich weniger leistungsfähig.

Fehlende Koordination kann zu unerwünschen Belastungsspitzen führen, die sowohl zu akuten Verletzungen als auch - bei gewohnheitsmäßigem Kaltstart - zu chronischen Verschleißerscheinungen führen können. Wenn wir mental und psychisch noch nicht voll am Start sind, stolpern wir schneller, sind unaufmerksam und konzentrationsschwach sowie allgemein wenig belastbar.
Nicht ohne Grund gehen Kaffee und Klettern gern Hand in Hand: Das Koffein hilft der Mental-Abteilung auf die Sprünge.

Der Kaltpump

Vermutlich jeder Kletterer kennt das Gefühl von "dicken Armen", auch Pump genannt. Die Muskulatur der Unterarme ist in dem Fall überfordert. Zu Trainingszwecken ist der gemeine Pump in Maßen durchaus erwünscht; meistens erlebt man "dicke Arme" nach einer Belastung von rund 6 bis 30 Zügen am Stück bei einer Leistungsintensität zwischen 40 bis 90 Prozent der Maximalkraft. Je besser die Muskeln aufgewärmt sind, desto besser ist die Entspannungsfähigkeit und desto eher lässt sich das Gepumpt-Werden vermeiden.

Im schlechtesten Fall kann eine zu intensive Belastung auf kalte, also unvorbereitete Muskulatur zu einem so starken "Kaltpump" führen, dass die Muskeln mehrere Stunden brauchen, um sich wieder zu erholen. Der Kaltpump hat also das Potenzial, den ganzen Klettertag zu vermiesen. Er entsteht beim Einklettern in zu schwerem Gelände oder in Onsight-Versuchen, wenn die Pausen-Wunsch-Signale des Körpers ignoriert werden.

Abwärmen und Ausklettern

Nach einer Belastung, besonders nach intensivem Training, hat die Muskulatur einen erhöhten Tonus und befindet sich teilweise noch unter Spannung. Um die Muskulatur wieder zu lockern, eventuell noch kontrahierte Muskelfasern zu entspannen und die Regeneration nach dem Klettern einzuleiten, ist das Ausklettern und Abwärmen sinnvoll. Idealerweise verringert man die Belastungsreize zum Ende der Klettersession oder des Klettertages schrittweise wieder. Das heißt, zum Ende noch mindestens eine, besser mehrere sehr leichte Routen oder Boulder zu klettern. Dabei sollte die Belastung wirklich leicht sein, also Bewegen ohne Anstrengung und ohne Pump.

Die beanspruchte Muskulatur bei nur einem Bruchteil der Leistungsfähigkeit zu bewegen, sorgt dafür, dass möglicherweise noch kontrahierte Muskelfasern sich entspannen können. Wenn leichtes Klettern nicht möglich sein sollte, ist lockeres Bewegen der beanspruchten Muskelpartien eine Alternative, abschließend auch ein lockeres und vorsichtiges  Dehnen.

Dies sind die wichtigsten Aufwärm-Tipps fürs Klettern:

Allgemeines Aufwärmen von Kreislauf und gesamtem Körper

Wer einen ordentlichen Zustieg absolviert und mit Ausrüstung bergauf geht, bringt den Kreislauf automatisch auf Touren. In der Kletterhalle oder bei kurzem Zustieg ist es ratsam, durch Hüpfen, Laufen, Hampelmänner oder vielleicht etwas Seilspringen den Körper aufzuwärmen und den Kreislauf in Leistungsbereitschaft zu versetzen.

Mobilisation der Gelenke

Vor dem Losklettern bietet sich an, die fürs Klettern und Bouldern wichtigsten Gelenke (Handgelenke, Ellbogen, Schultern, Hüfte, Knie) mit vorsichtigem und lockerem Bewegen innerhalb des normalen Bewegungsradius durchzubewegen. Armkreisen, Handkreisen, das angewinkelte Bein zur Seite klappen...: gemächliches Herantasten an das Ende des Bewegungsradius in alle Richtungen "weckt" die Bänder und Muskulatur und regt die Produktion von Gelenkschmiere an, die für das reibungslose Bewegen wichtig ist.

Dehnen

Stretching oder Dehnen hat das Potenzial, die jeweilige Muskulatur besser zu durchbluten und somit aufzuwärmen. Dabei sollte vor dem Klettern, Bouldern oder allgemein der Belastung nur kurz gedehnt werden, nicht länger als 10 bis 15 Sekunden, eher kürzer. Zu langes Halten der Dehnung entspannt die Muskulatur und ist vor dem Bouldern oder Klettern eher kontraproduktiv.

Spezielles Aufwärmen

Leichtes Einklettern ist vielleicht der wichtigste Teil des Aufwärmprogramms. Hier sollte die Belastungsintensität deutlich unter dem regulären Kletterlevel liegen und nur langsam gesteigert werden. Das heißt, wenn ich einen Siebener anstrengend finde, dann fange ich vielleicht im vierten oder unteren fünften Grad an, den Körper auf die kommende Belastung vorzubereiten. Vorsicht ist geboten bei der Auswahl der Aufwärm-Routen oder -Boulder: Je nach Charakter (Wandneigung, Griffgröße, etc) ist der Schwierigkeitsgrad nur eingeschränkt aussagekräftig.

Aktivierung der Muskulatur

Nach dem vorsichtigen Aufwärmen gilt es, sich auf die konkrete Hauptmuskulatur zu konzentrieren. Eine schrittweise Steigerung der Belastungsreize sorgt dafür, dass die Muskulatur aktiviert wird und in Hochleistungsbereitschaft versetzt wird; und nicht etwa plötzlich überfordert wird. Das heißt, wenn ich eine Route im neunten Grad versuchen will, sollte ich vorher einige Züge - nicht zu viele - im unteren neunten Grad machen, um das Zusammenspiel der Muskeln und auch die Koordination innerhalb der Muskulatur anzuregen.

Pausen

Das Einhalten von angemessenen Pausen zwischen den Aufwärm-Routen ist wichtig. Hierbei ist es schwierig, allgemein gültige Zeitangaben zu machen. Individuell sinnvolle Pausenzeiten können von PErson zu Person stark schwanken. Die Tendenz folgt der Logik: Je schwerer die Belastung, desto länger die Pause. Ab einer Pause von 35, 40 Minuten zwischen Versuchen nahe der Leistungsgrenze ist ein kurzes Wieder-Aufwärmen ratsam.

Aufwärmen bei Kälte

Im Winter, bei kalten Bedingungen ist das Aufwärmen besonders schwierig. Je nach Veranlagung muss man in der Kälte deutlich gründlicher Aufwärmen als unter normalen Umständen. Sind die Finger einmal warm, ist es günstig, sie mit Handschuhen oder in den Taschen der Daunenjacke warmzuhalten. Wobei das Gefühl, nicht an den Fingern zu frieren, nicht automatisch heißt, dass die Finger aufgewärmt sind. Für besonders kalte Tage am Fels hat sich die Taktik der "Warm-up-Go's" bewährt. Es gilt hierbei, einige Meter zu klettern, vielleicht bis zum dritten, vierten Haken; dann wieder herunterzukommen und zu warten, bis das Blut in die Finger strömt. Dann sind die Finger warm und der eigentliche Go kann gestartet werden.

Aufwärmen bei Hitze

Wer dehnt oder Yoga macht, weiß, dass der Körper bei warmen Temperaturen geschmeidiger und flexibler ist. Dennoch heißt die Empfindung von äußerer Hitze nicht, dass der Organismus aufgewärmt ist. Auch bei warmen Temperaturen darf ein - eventuell verkürztes - umfassendes Aufwärmprogramm wie hier beschrieben nicht fehlen.

Zwischen Kaltpump und Erschöpfung?

"Wenn ich mich gründlich aufwärme, bin ich schon platt, bevor ich Versuche machen kann" - manchmal ist der Grat zwischen Aktivierung und zu starker Belastung der Muskulatur äußerst schmal. Da jeder Körper anders tickt, gilt es hier, sich vorsichtig und aufmerksam an das persönliche ideale Aufwärmprogramm heranzutasten. Längere Pausen zwischen den einzelnen Schritten helfen dabei, sich selbst einschätzen zu lernen.

Sinnvolle Tools zum Aufwärmen

Ob Kletterhalle oder Fels, einige Hilfsmittel haben sich zum Auf- und Abwärmen beim Bouldern oder Klettern bewährt. Fürs allgemeine Aufwämren zum Beispiel das Springseil: einfach und effektiv bringt Seilspringen den Kreislauf blitzschnell auf Touren. Ein Knetball wirkt wahre Wunder für die Durchblutung der Finger - wer Fingerprobleme hat, sollte vor und nach dem Klettern mindestens 15 Minuten aufs Kneten verwenden. Der Ball darf sehr weich sein, das Kneten soll kein Training sein! Auch ein Theraband gehört zu den äußerst hilfreichen Trainingstools.