Als ich zum ersten Mal auf einem See in Schweden paddelte, beschlich mich nach einer Weile das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich merkte, was mich irritierte: die Stille hier oben, es war geradezu unheimlich still. In Schweden leben im Schnitt nur 26 Menschen auf einem Quadratkilometer. Außerhalb der Ballungsräume sinkt die Bevölkerungsdichte noch deutlich unter diesen Mittelwert, und so kann es einem auf einem See passieren, dass man eine Zeitlang nichts hört als Stille – für jemanden aus Deutschland, wo 238 Menschen auf einem Quadratkilometer leben und immer irgendein Auto, eine Motorsäge oder ein Laubbläser lärmt, ein ungewohntes Erlebnis. Doch ich lernte schnell, die Ruhe zu genießen, und mittlerweile sehne ich mich an heißen Tagen regelmäßig nach einem Kanu auf einer weiten Wasserfläche, einer milden Brise und dieser Stille. Aber man kann dann ja nicht jedes Mal nach Schweden reisen.
Auf der Suche nach Alternativen stieß ich recht schnell auf den Norden Deutschlands, genauer gesagt auf Mecklenburg-Vorpommern (jede Menge Wasser, Bevölkerungsdichte 70/km2) und Brandenburg (jede Menge Wasser, Bevölkerungsdichte 87/km2).

Die Peene in Mecklenburg-Vorpommern ist der Inbegriff von Entschleunigung.
Auf der Suche nach den Adlern
Vielen anderen Paddlern begegneten wir in diesem September nicht, dafür einer anderen Spezies: Immerhin jeder zehnte See-, Fisch- und Schreiadler in Deutschland soll an den großen Seen zwischen den Orten Feldberg im Norden und Lychen im Süden leben. Die eine Möglichkeit, einen von ihnen zu Gesicht zu bekommen: Man bucht einen Ausflug bei Fred Bollmann alias Ranger Tours, der mit einem lautlosen Elektroboot auf den Breiten Luzin hinausfährt, den See nördlich von Feldberg. Bollmann schmeißt Aale und Plötzen aus, und es dauert nicht lange, bis sich aus den Höhen der Bäume am Westufer Schatten lösen: wilde Seeadler, deren Vertrauen Bollmann über Jahre hinweg angefüttert hat. Doch wild ist sie trotzdem: 40 Säugetierarten leben in dem langgestreckten Moorschutzgebiet südöstlich von Rostock, 160 Vogelarten brüten hier, das Marketinglabel "Amazonas des Nordens" ist da nicht allzu hoch gegriffen.

Wenn man bei Hitze nicht gleich baden will, geht auch Schattenpaddeln.
Unterwegs im Urwald: von Lübbenau nach Burg
Deutlich mehr los ist im berühmten Spreewald 80 Kilometer südöstlich von Berlin – genau genommen der Obere Spreewald, ein Dschungel, der sich zwischen den Orten Lübbenau im Westen und Burg im Osten ausbreitet. Paddler erleben ihn als ein Gewirr von Wasserläufen, viele davon natürlichen Ursprungs, doch auch einige schnurgerade Kanäle. Wer auf die Karte schaut, erkennt den Unterschied sofort – der Obere Spreewald sieht von oben aus wie eine riesige Altstadt mit einem Schuss Manhattan. 350 Wege verbinden sich hier zu einem Netz von 1500 Wasserkilometern – genug Stoff für viele Tage im Boot. Am besten dreht man eine Zweitagerunde von Lübbenau nach Burg und in einem weiten Nordbogen wieder zurück. So verlässt man die Hauptspree recht schnell, und auf den schmalen Fließen im Zentrum des Spreewalds kommen die langen Stocherkähne, mit denen sich andere Touristen hier herumgondeln lassen, nicht mehr um die Kurve.Um wirklich allein zu sein, sind Herbst und Winter aber die besseren Jahreszeiten.

Die Peene wird auch "Amazonas des Nordens" genannt – Tiersichtungen sind an der Tagesordnung.
Top-Touren im Nordosten

Carwitz - Zansen
20 km, 4,5 Stunden
Eine schöne Runde auf den Feldberger Seen, die gleich am Campingplatz "Klein & Fein" beginnt und ohne Tragepassagen auskommt. Vom Campingplatz aus den südöstlichen Seitenarm des Carwitzer Sees ausfahren, dann am Ost- und Nordufer entlang und Richtung Norden in den langen Arm des Zansen wechseln. Diesen bis zum Ende paddeln und zurück zum Campingplatz.

Die Peene hinunter
96 km, 5 Tage
Zwischen Malchin am Kummerower See und Anklam an der Ostsee locken entspannte Tage auf einem zahmen Fluss. Wasserwanderrastplätze gibt es genug, man kann so auch kürzere und dafür mehr Etappen als die üblichen fünf paddeln. Die Standardroute startet am Schwimmsteg des Malchiner Kanuvereins und führt über die Rastplätze Aalbude, Demmin, Alt-Plestlin und Gützkow zum Sportboothafen Anklam.

Oberspreewald
35 km, 2 Tage
Der Tourenklassiker bietet genau das, was man mit dem Spreewald verbindet: Urwaldfeeling.
Tag 1 (13,5 km) : Vom Bootsverleih Richter in Lübbenau auf der Spree Richtung Südosten nach Lehde. Rechts in die Uska Luke, links in den Südumfluter, links in den Freiheitskanal. Diesem bis kurz vor Leipe folgen, rechts in die Hauptspree und nach gut 2 km links ins Stauenfließ. Nach 1 km rechts ins Krumme Fließ und auf diesem zur Erleninsel. Dort auf Campingplatz.
Tag 2 (20,3 km): Auf dem Krummen Fließ zurück ins Stauenfließ, dann rechts ab in die Große Wildbahn. Links ins Stille Fließ, rechts über die Schleuse Waldschlösschen in den Weidengraben. Links ins Große Fließ, rechts ins Nordfließ und diesem etwa 3 km folgen. Dann links ab in die Zerra, die in den Dittmar- und den Wehrkanal übergeht. Kurz hinter Gasthaus Wotschofska rechts ins Bürgerfließ, links ins Lehder Fließ und zum Bootshaus Richter.

Märkische Umfahrt
181 km, 9 Tage
Für die Mammutrunde lohnt sich der Führer "Märkische Umfahrt" aus dem Kettler Verlag. Ab Beeskow empfiehlt sich die Einteilung Neubrück–Berkenbrück– Hangelsberg–Dämeritzsee– Lankensee–Prieros–Märkisch Buchholz–Werder–Beeskow.
Die Basics fürs Paddeln im Nordosten
Hinkommen: Alle Startpunkte lassen sich auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen: Carwitz an den Feldberger Seen, Malchin an der Peene und Lübbenau im Spreewald. Für die Märkische Umfahrt südlich von Berlin bieten sich mehrere Startpunkte an, da es sich um eine Runde handelt. Wer für sie ein Boot leihen will, sollte entweder Beeskow, Grünheide-Hangelsberg oder Märkisch Buchholz ansteuern.
Zurückkommen: Auf den Feldberger Seen bieten sich Tagestouren ab Carwitz an, hier kehrt man per Boot zum Start zurück. Auch im Oberen Spreewald geht es im Kanu retour. An der Peene vereinbart man die Abholung am Ziel mit dem Verleiher, das gilt auch für die Märkische Umfahrt, so man sie nicht komplett macht.
Orientieren: Meist ist der Weg leicht zu finden, aber hin und wieder kommt es darauf an, den richtigen Abzweig zu nehmen.
Literatur: Bewährt hat sich der Kanu-Kompass Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Kettler Verlag, 22,90 Euro. Enthält detaillierte Karten und genau beschriebene Kanutouren in ganz Mecklenburg-Vorpommern (inklusive Peene und Feldberger Seen). Im gleichen Verlag erscheinen die Kanu-Kompakt-Führer Spreewald (15,90 Euro) und Märkische Umfahrt (14,90 Euro)
Surfen: Allgemeine touristische Informationen gibt die Website von Mecklenburg- Vorpommern: auf-nach-mv.de. Für Brandenburg: reiseland-bran denburg.de. Infos zum Paddeln im Norden auf flussinfo.net
Verleiher: Feldberger Seen: Hochwertige Kanus verleiht Kanatu in Priepert. Die Miete für ein Einer-Kajak beträgt 30 Euro, zwei Tage kosten 50, drei 65 Euro. Kanatu.de Etwas einfachere Modelle verleiht der Campingplatz Klein & Fein in Carwitz. Gebühr für ein Einer- Kajak: pro Tag 15 Euro. Peene: Malchiner Kanuclub, malchiner-kanu-club.de/vermietung/kanuvermietung/Preise für das Einerkajak gestaffelt ab 30 Euro (ein Tag) bis 104 Euro (eine Woche). malchiner-kanu-club.de Spreewald: Bootsverleih Richter in Lübbenau. Ein Einer-Tourenkajak kostet 47 Euro für einen Tag. Wer zwei oder mehr Tage bucht, bekommt Rabatt. Tel. 0 35 42/37 64, bootsverleih-richter.de Märkische Umfahrt: Albatros Outdoor in Beeskow, albatros-outdoor. de. Die Gebühr für ein Einer-Tourenkajak beträgt zwischen 40 Euro (ein Tag) und 155 Euro (acht Tage).
Unterkunft
Feldberger Seen: Auf dem Campingplatz "Klein & Fein" herrscht zur Nebensaison angenehme Ruhe. Preise zur Nebensaison (8.4.–20.5., 2.6.–19.6., 30.8.–25.9.): Erwachsene 6,50 Euro/ Nacht, Zelt von 3 bis 6,50 Euro. Campingplatz-carwitz.de
Peene: Eine Anlandemöglichkeit, eine Wiese zum Zelten, eine Dusche: Die zwölf Wasserwanderrastplätze an der Peene sind einfach, preiswert (Person samt Zelt um die 10 Euro/Nacht), und sie machen das Paddeln wunderbar unkompliziert. Am leichtesten findet man sie auf Google Maps – »Wasserwanderrastplatz Peene« eingeben.
Spreewald: Blitzsauber und praktisch gelegen ist das Kanu-Bike-Hostel am Hafen von Lübbenau. Hier kann man sich auch ein vernünftiges Kanu leihen und gleich morgens am Hostel einsetzen. Preis für das DZ: 85 Euro, bootsverleih-richter.de
Märkische Umfahrt: Eine Übersicht über die Wasserwanderrastplätze gibt flussinfo.net/dahme-spree-rundtourmaerkische-umfahrt/wwr/
Extra Tipp: Schnaps in kleinen, feinen Mengen produziert Arno Ballaschk in der Burger Hofbrennerei im Spreewald: Whisky, Gin, Brände und Liköre. Er verkauft vor Ort, im Café nebenan serviert seine Frau frisch gebackenen Kuchen. sagengeister.de