Schaffen wir es bis zur Donau?

Paddel Challenge
Packrafting auf der Schmutter

Veröffentlicht am 28.11.2024

Die Schmutter, das muss man sagen, ist nicht der bekannteste aller deutschen Flüsse. Auch in Paddlerkreisen könnten wahrscheinlich nur wenige sagen, wo sie verläuft, geschweige denn auf Erfahrungen zurückblicken. Ich weiß genau genommen nur von zwei Leuten, die ein Stück auf ihr zurückgelegt haben. Der eine ist Biberklaus, ein gemütlicher Typ auf Youtube, und der andere der Fotograf Jens Klatt, bei dem die Schmutter fast vor der Haustür entlangfließt. "Schmutti" nennt er sie.

Manchmal paddelt er ein Stündchen mit dem SUP darauf herum, vorzugsweise am frühen Morgen zu Fotografenuhrzeiten. Aber länger war auch er noch nie auf ihr unterwegs, obwohl die Schmutter von ihrer Quelle bei Sebnitz bis zur Mündung in die Donau bei Donauwörth 96 Kilometer Wasser zur Verfügung stellt. Immer Richtung Norden und westlich an Augsburg vorbei. Und jetzt wollte Jens sich wenigstens mal die zweite Hälfte ansehen und sich auf ihr zur Donau durchschlagen. Von 40 Kilometern und zwei Tagen war die Rede.

Die Herausforderung

Der Plan: von seiner Haustür im Hinterland von Gablingen zu Fuß und mit dem Zug zum "Bach" (echte Paddler nennen alle Flüsse Bach, selbst den Amazonas), und dann los. Und weil ich dieses Jahr noch überhaupt nicht paddeln war, wollte ich unbedingt mit. Einmal im Jahr muss man mit Jens auf Expedition, sonst wird man wahnsinnig.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Ausrüstung für ganz harte Typen

Wir haben Packrafts im Rucksack, aufblasbare, 5,5 Kilo leichte Boote, die für die Wildnis Nordamerikas entwickelt wurden, für richtig harte Typen, die sich auf ihrem Weg durch den Busch nicht durch einen Wildbach oder einen unerwartet auftauchenden See aufhalten lassen wollen. Auch wir machen es uns nicht leicht und wandern vom Klattschen Domizil bei Gablingen über eine Erhebung der Westlichen Wälder gen Süden. Wir halten uns in Richtung der Ebene, die der Lech geschaffen und in die sich, wie Jens es ausdrückt, die Schmutter "irgendwann reingezeckt" hat. Der Expeditionsleiter schreitet voran und erzählt, ich versuche derweil den Umstand zu übersehen, dass die Westlichen Wälder durch die kräftigen Regenfälle in diesem Juli vollkommen zugewuchert sind – Jens beteuert jedenfalls mehrmals, dass hier vor noch einer Woche ein "ganz normaler Weg" gewesen sei.

Und es sei ja auch ganz lustig, umgarnt von Zecken und Mücken immer wieder mit den Paddeln am Rucksack an Bäumen und im Unterholz hängenzubleiben. "Mir sind ja Brennnesseln fast lieber als Brombeeren", sagt er. So ähnlich geht es meistens mit Jens. Dann aber müssen wir die Rafts nur noch ein paar Kilometer durch die Lechebene nach Neusäß buckeln, von wo uns ein brennnesselfreier Zug nach Gessertshausen bringt. Ein Stück vom Bahnhof entfernt beginnt inmitten von Wiesen und Feldern jener Abschnitt der Schmutter, in dem sie sich so oft windet, dass man den Eindruck gewinnt, sie habe nicht die geringste Lust, jemals Donauwörth zu erreichen. So ganz sicher, ob es bis dort wirklich nur vierzig Kilometer sind, bin ich mir beim Blick auf die Karte allerdings nicht. Ich konfrontiere die Expeditionsleitung. "Na ja", sagt Jens. "Vielleicht sind es auch sechzig." Na dann, denke ich und lasse das leidlich gut aufgeblasene Raft im Schatten einer alten Weide steil die Böschung hinab in den Fluss, den sie Schmutter nennen. Es ist eine Frage der Zeit, bis man auf einer solchen Expedition nass wird. Aber dass es gleich beim Reinsetzen passiert, damit habe ich nicht gerechnet.

Das Wasser kommt von unten, nicht viel, aber es reicht für einen nassen Hintern. "Unter dem Sitzpolster sind ein paar Löcher im Boden, war mir auch nicht klar", sagt Jens, der im Gegensatz zu mir schon echte Kanuexpeditionen gemacht hat und wahrscheinlich einen Baumstamm stehpaddeln könnte. An Packraft-Erfahrung hat er mir aber auch nur hundert Meter Versuchsstrecke vom Vortag voraus. Der Leiter behauptet, man brauche die Löcher, damit dort ins Boot schwappendes Wildwasser ablaufen könne. Nur ist die Schmutter nicht wild, allenfalls Null Komma sechs auf der bis sechs reichenden Skala. Und sobald man das Boot beim Einsteigen ungleich belastet, drückt Wasser hoch. Aber meinetwegen auch das. Schwarzerlen säumen das Ufer, sie schirmen die Schmutter gegen die Wiesen und Felder ab. Wir lassen uns bereitwillig verschlucken von dieser Welt, paddeln stetig auf dem fünf, sechs Meter breiten Fluss, lauschen dem Wind in den Bäumen und den Vögeln. Die Rafts, gerade mal 2,30 Meter lang und einen Meter breit, reagieren empfindlich auf jeden Paddelschlag, der Bug tänzelt hin und her. Ein schöner Geradeauslauf sieht anders aus, wir fahren nicht das Tempo, das wir von langen, schlanken Kajaks gewohnt sind. Zumal die Schmutter kaum Strömung hat, aber doch noch genug, um uns in ihren zahlreichen Biegungen nach außen zu tragen, was energische Gegenarbeit mit dem Paddel erfordert.

Nach kaum 1,5 km steckt die Expedition in der Krise!

Ein Baum hat sich quer über das Wasser gelegt, das Hochwasser im Juni hat zehn Meter Schwemmholz davor getrieben. Die schwimmenden Gärten der Schmutter. "Außenrum", sage ich und mache mich daran, das Raft die Böschung hinaufzuziehen. Jens will irgendwie über das Schwemmholz. "Wir sehen uns. Und wenn nicht, dann sag meiner Frau, dass ich sie liebe." Meine Böschung steht voller Brennnesseln. Und sie ist steil. Die Chancen, hier auf halbem Weg auszurutschen, stehen hervorragend. Vielleicht gar nicht so dumm, was der Leiter macht. Der hat im Schwemmholz einen parallel zum Ufer liegenden Baumstamm ausgemacht, auf dem balancierend er das Raft hinter sich herzieht. Alles in allem dauert es zwanzig Minuten, bis wir wieder zwischen Schwarzerlen und alten Weiden dem verschlungenen Lauf der Schmutter folgen können. Wir sehen Bussarde und Graureiher, entdecken immer wieder Biberlöcher und angenagte Stämme. Die ganze Zeit über ducken wir uns unter Bäumen weg, die über dem Bach hängen, nehmen Spinnen, Schnecken, Marienkäfer und kleine unbekannte giftgrüne Insekten mit an Bord, lassen uns von Bremsen stechen und vom blauen Schillern der Libellen faszinieren. Und immer wieder müssen wir aus dem Boot, um Baumstämme zu überwinden oder auch mal ein Wehr zu umtragen.

Packraft Schmutter - Donauwörth
Jens Klatt

Mann gegen Bach

Ich rutsche in einer Böschung im Schlamm aus und komplett ins Wasser. Die Expedition ist eine dreckige, nasse Angelegenheit, aber es ist ein warmer Sommertag, und wir folgen einem unbegradigten Stück Fluss, das wir uns den ganzen Tag lang nur mit einem Angler teilen. "Was geht denn so?" – "Olles! Korpfen, Ool, Schleie …" Ab und zu schaut mal die Spitze eines Kirchturms über das Schilf, ansonsten: Fluss, Baum, Vogelgezwitscher. Kurve um Kurve "horsten" (Klatt) wir weiter. Doch je älter der Tag wird und je tiefer die Sonne sinkt und je länger wir in den Rafts vor uns hin rackern, desto mehr sickert bei mir die Einsicht ein: Bis zur Donau werden wir es an diesem Wochenende nicht schaffen. Never ever. Zu träge die Rafts, zu häufig der Baumstamm, zu steil die Böschung. Ich bin nicht wenig erleichtert, als der Expeditionsleiter am nächsten Morgen eine neue Devise ausgibt. Wir seien auf Höhe Gablingen gestartet, also müssten wir da jetzt eben auch wieder hinhorsten. Sagt es, springt bäuchlings auf sein Raft und macht die albernsten Verrenkungen, um seine Paddelschuhe im Wasser säubern zu können. "Schlamm im Raft geht gar nicht", ruft er. Ich aber sage: Da kann er genauso gut im weißen Anzug nach Wacken gehen. Die Sonne entfaltet schon früh ihre Kraft, die Luft in den Booten dehnt sich, das macht sie schön prall. Die Ufer geben sich heute offener, wir sehen jetzt mehr Häuser als gestern, Orte wie Hainhofen und Ottmarshausen liegen friedlich in der Ebene.

Packraft Schmutter - Donauwörth
Jens Klatt

Vor Hammel gilt es ein Sägewerk zu umtragen. Die Schmutter zählt nicht zu den Komfortbächen, auf denen einem zu solchen Gelegenheiten Aus- und Einstiegsstellen helfen. Das Ufer erweist sich einmal mehr als steil, vielleicht vier Meter hoch und dicht bewachsen. Die einzige Chance: einen umgekippten Baum schräg hinaufbalancieren und die Rafts hinterherziehen. Jens, der bis eben noch zur Weltlage referiert hatte ("ungünstig"), unterbricht seine Ausführungen selbst auf dem Stamm nicht und meldet oben angekommen dichten, mannshohen Brennnesselwald, "aber davon hatten wir bisher ja auch viel zu wenig". Wir queren eine Straße und stoßen auf eine Schreinerei, hinter der wir die Fortsetzung der Schmutter vermuten. Neben der Schreinerei weitet sich ein Kornfeld, und darin verläuft eine Traktorspur. Ich wollte schon immer mal bei Hitze ein orangefarbenes Boot, ein Paddel und einen Materialsack durch Roggen schleppen und mich dabei von Bremsen stechen lassen. Nicht weit hinter der Schreinerei weitet sich der Fluss, seine Kurven werden länger, wir hören Motoren brummen, tauchen unter einer Autobahnbrücke hinweg. Vielleicht macht es auch gar nichts, dass wir uns nicht bis zur Donau durchschlagen, das schönste Stück scheint vorbei zu sein. Und während wir auf einer kleinen Schwallstrecke Richtung Gablingen schaukeln und all die Biegungen, Bussarde und Baumstämme vor meinem inneren Auge Revue passieren, denke ich: ganz schön anstrengend. Aber ich würde jederzeit wieder ein Wochenende lang den Schmutters dieser Welt folgen. Und seien es nur dreißig Kilometer.