Mit viereckigen Augen tippe ich am Laptop vor mich hin, der halb geschlossene Rollladen sperrt im Homeoffice die Sonne aus. Immerhin scheppern mich meine Kollegen per Skype-Anruf alle zwei Stunden aus der Eintönigkeit. Es reicht. Ich muss raus! Zum Glück steht das Wochenende vor der Tür und ein Campervan zur Alltagsflucht bereit. Wo es hingeht? Ist noch offen. Nach Frankreich und – wie es vanlifetrunkene Roadsurfer auf Instagram vormachen – die Atlantikküste abklappern? Wohl kaum mal eben übers Wochenende, zählt Fliegen doch zu den (ganz) wenigen Dingen, die mein von »Kompanja« ausgebauter Bus nicht kann. Im Ernst: Die Alpen ins Visier nehmen? Ich mag es eher ruhig, und nach den Corona-Lockerungen bin ich mir nicht sicher, ob sich dort an famosen Mountainbike- und Wanderdestinationen die Scharen tummeln. Wozu sich überhaupt den Kopf zerbrechen? Zum Glück heißt Vanlife: packen, einfach mal losfahren und irgendwo einbremsen – je nachdem, wonach der Sinn steht. Gesagt, getan. Vorab aber noch stolz ein Selfie von mir mit startklarem Van an Ester, eine gute Freundin, versandt. Dass ich am Freitagmittag von Stuttgart zu ihr nach Köln fahren würde, hätte sie bei ihrer scherzhaften Antwort, »Nimm mich mit«, nicht erwartet. Aber genau diese Spontanität macht doch einen Trip im Campervan aus: »Hast vier Stunden Zeit, ich hole dich ab, du überlegst dir solange ein Ziel.« (Den Artikel könnt ihr hier gratis online lesen, oder im Rahmen des PDF-Dossiers Campingbus-Special 2019/2020 für 3,99 Euro herunterladen).
Die wilde Eifel entdecken
Unseren Part der Abmachung haben Ester und ich beide erfüllt: Am späten Nachmittag rollt der Bus über schmale Landstraßen. Links und rechts: nichts außer grüner Idylle. Mal höher, mal tiefer gelegen, schlängeln sie sich durch waldiges Mittelgebirgsrelief und malerische Dörfer. Immer wieder schaffen Fachwerkhäuser mit edel laminierten Balkenskeletten eine urige Atmosphäre. Vereinzelt erinnern mich braunrote Klinkersteinfassaden an meinen letzten Urlaub im hohen Norden. Ganz so weit haben wir es in der kurzen Zeit nicht geschafft. Wollten wir auch nicht. Zum Mountainbiken und Wandern eignet sich der Nationalpark Eifel ohnehin viel besser, und genau dort hat Ester uns hingelotst: Über 110 Quadratkilometer erstreckt er sich zwischen belgischer Grenze und Rurstausee. »Wald, Wasser, Wildnis«, steht auf der Homepage. Und da sowohl unsere Bikes auf dem Fahrradträger als auch die Wanderstiefel im Rucksack ihrem Einsatz entgegenfiebern, verlockt der Slogan ebenso wie die Tatsache, dass der Eifelsteig – ein 313 Kilometer langer, von Aachen bis nach Trier verlaufender Fernwanderweg – direkt hindurch führt.
Bed and Breakfast auf vier Rädern
Eine Stunde lang kreuzen wir noch umher, bis die Devise – der Dämmerung geschuldet – von »Gegend auskundschaften« zu »Schlafplatz finden« wechselt. Etwas unangenehm ist es uns, als wir eine ältere Dame vorsichtig fragen, ob wir heute und morgen auf der an ihrem Häuschen angrenzenden Wiese – die Stelle gefiel uns einfach total – übernachten dürfen. »Na, wenn ich euch nicht auch noch den Kaffee bringen muss«, schallt es mit eiflertypischem Humor vom Balkon. Muss sie nicht: Am Morgen zischt die Caffettierra im mobilen Eigenheim und spielt im Einklang mit Vogelgezwitscher sowie der vor sich hin plätschernden Rur einen fröhlichen Eifel-Walzer. Richtig komfortabel ist es im Bus erst jetzt, denn ein ausgefahrenes Hubdach wäre mir am kühlen Abend zuvor zu kalt gewesen. Dass ich den Timer der Standheizung noch auf drei Uhr programmiert habe: des Guten zu viel! Bereits früh am Morgen wärmt die Sonne das lauschige Plätzchen – und den Van ebenso. Umso besser: So rollen wir die Schlafsäcke früher zusammen, klappen das Bett im Untergeschoss des Vans ein und genießen unser Freiluft-Frühstück – an einem traumhaften Vormittag mitten im Grünen.

MTB-Trail-Action und Time to relax
Auch das schönste Frühstück muss einmal enden. Campingtisch und -stühle verstauen, Schiebetür ins Schloss werfen und ab auf den Trail – das wäre uns, nachdem die letzten Morgentau-Tropfen die Grashalme abgesurft haben, am liebsten. Jedoch kommen wir um eine weitere Erkundungsrunde im Van mangels Handyempfang nicht herum. Dass man auch an eine Karte hätte denken können – geschenkt. Ab ans Steuer, Fenster runter, Musik auf laut und erst mal in der mobilen Zweier-WG über die Straßen cruisen. Nach 20 Minuten biegen wir in einen Parkplatz an der Bushaltestelle Simmerath Rösberg ein. Durch die Schneise der Baumkronen blicken wir beeindruckt ins Tal hinunter nach Einruhr, wo sich die Rur staut und den südlichen Arm des Obersees bildet. Den Bus hier geparkt, die Mountainbikes von ihren Fesseln am Heck befreit, und es kann losgehen! Großräumig führt uns eine 32 Kilometer lange, mittelschwere Route durch die Natur um das Gebiet der Ortschaften Widdau, Hammer und Dedenborn. Immer wieder tun sich an wild-romantischen Waldhängen schöne Talblicke auf, immer wieder bringen Anstiege die Waden und wurzelreiche Singletrails die Federgabeln zum Glühen. Zwischendurch sorgen Forstwege für Erholung. Lässt man es dann bei der Abfahrt nach Einruhr krachen, ist gute Technik gefragt. Und Fokus! Denn wenn das Wasser im Tal glitzert, stiehlt das dem Trail ab und an die Show: »Achtung, Spitzkehre!« Dann: geschafft.
Im Dorf angekommen, laden gemütliche Gaststätten zur Einkehr. Ester und ich halten es schlicht und lassen uns – zugegeben, gesund ist anders – beim Kiosk »An de Brück« in Ufernähe von leckerer Curry-Wurst mit Pommes verführen. Klare Empfehlung – die Portionen sind ordentlich! Mit dem verspäteten Mittagessen im Magen treten wir zum Parkplatz hinauf. Das war es mit den insgesamt 820 Höhenmetern – und mit unserer Power auch.
Den restlichen Nachmittag über lassen wir ein paar Kilometer weiter in Rurberg die Seele auf der Matratze baumeln – mit offener Heckklappe in Richtung Seeufer, versteht sich. Das ist Entschleunigung pur. Und ganz wichtig: Der Kühlschrank unter dem Rücksitz stellt das Bierchen direkt griffbereit – typisch Vanlife. Abends dann, kaum wieder auf unserem »Privatstellplatz« eingerollt, köchelt bereits die Pasta auf dem Gasherd im Van vor sich hin. »Sieht nach einer klaren Nacht aus – lass heute im Obergeschoss pennen«, sagt Ester, während sie die letzte Nudel aus ihrem Teller stupst. Super Idee! Ein paar Handgriffe, und Etage zwei verwandelt sich in ein Schlafzimmer. Der Sternenhimmel sorgt im offenen Dachzelt für Open-Air-Kino mit Logenplatz, zirpende Grillen und sanftes Sprudeln der Rur komponieren den Soundtrack of Nature – perfekt zum Wegdösen.
Der Eifelsteig und ein Finale mit Flair
Tag drei: Nach der heimeligen Nacht sind wir früh auf den Beinen, schnüren schon mal die Wanderstiefel und entern das Cockpit. Bei Widdau stellen wir den Bus ab, marschieren auf gut Glück von hier aus auf den Eifelsteig – in der Hoffnung, einen schönen Abschnitt der Etappe »Monschau bis Einruhr« vorzufinden. Und prompt tauchen wir ein in einen verwunschenen Buchen-Mischwald. Manchmal zieren abgetragene, teils moosige Gesteinsschichten das Landschaftsbild entlang des Pfades. Ab und an gestatten die dichten Baumwipfel gar Blicke auf die Rur dort unten im Tal. Als wir über dem mit Farnen bedeckten Geläuf zu schweben scheinen, wird uns endgültig bewusst: Hier lässt man die Natur Natur sein. Was für ein Wanderrevier! »Wald, Wasser, Wildnis« – wer darauf kam, dem muss dieser Eifelsteig-Abschnitt das Brainstorming für einen Nationalpark-Slogan ganz bestimmt erleichtert haben.

Auf dem Rückweg zum Van beschließen wir, noch bis nach Monschau weiterzufahren, wo eine romantische mittelalterliche Altstadt lockt. Kleiner Fauxpas: Ich habe das »Schiff« ausversehen direkt hinein gesteuert – in die engste Gasse ohne Wendemöglichkeit, bis keiner mehr weiter weiß. Außer der Postbotin: Kurz sieht sie mich mit hochgezogener Augenbraue an, als säße da Francesco Schettino persönlich am Lenkrad. Dann beginnt sie zu lachen und bewahrt mich Gott sei Dank vor dem Rückwärtsgang: »Wenn Se fahrn könn, schaffen Se‘s da vorn ums Eck wieder raus und zum Parkplatz.« Schadenfrei angekommen, tauschen wir Wanderschuhe gegen Sneakers und schlendern auf kleinen Brücken über die Rur, vorbei an feinverzierten Fachwerkhäusern. Am Marktplatz herrscht reges Treiben – ideales Ambiente für den Cappuccino vor der Heimreise! Während ich den Schaum aus der Tasse löffle, muss ich dann schmunzeln: Die Eifel ist nicht der Atlantik. Aber auf ihre Art mindestens so wild, und zum Roadsurfen im Campervan eignet sie sich allemal – nicht nur übers Wochenende!
Hinweis: Auch bei unseren Kollegen der Zeitschrift PROMOBIL gibt es auf der Webseite eine Wohnmobiltour in der Eifel - hier klicken