Wie schön das klingt: ans Meer fahren. Vor allem, wenn man in Stuttgart wohnt. Frische Luft, weites Land und auf den Lippen Salz statt Feinstaub. Rund 780 Kilometer sind es bis nach Norden, einem kleinen Kaff an der Küste, vor der aus Fähren zur Ostfriesischen Insel Norderney ablegen. Kein Direktkurs, stattdessen will ich die hügelige Pfalz, das trubelige Ruhrgebiet und schöne Münsterland unter die Pneus nehmen. Natürlich mit wenig Gepäck, aber Zelt, Matte, Schlafsack und Kocher sind an Bord – keine Bikepackingtour ohne Biwaknächte!
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An einem der heißesten Junitage verlasse ich den Stuttgarter Kessel, der Blick weitet und das Herz öffnet sich. Der Zauber des Anfangs. Was für eine großartige Landschaft hier im Südwesten: Rapsfelder, Weinhänge, Fachwerkstädtchen, Weiler und Wälder. Sattgrün und von den Unwettern der letzten Tage vom Blütenstaub geputzt, saust die Landschaft vorbei, die geölte Kette schnurrt wie eine dösende Katze und macht Lust auf Speed. Dabei bleibt doch Zeit!
Die Etappen der Radtour

Auf und ab durchs Ländle
Vom Bahnhof in Stuttgart geht es durch Schloss- und Rosensteinpark und kurz entlang der B 27. Hat man erst mal auf der autofreien Solitudeallee den Kessel verlassen, weitet sich der Blick. So richtig Freude kommt hinter Bietigheim auf, da führt die Route ein Stück entlang der Enz und durch historische Fachwerkstädtchen wie Besigheim und Bönnigheim, bevor du die ersten nennenswerten Steigungen im Naturpark Stromberg-Heuchelberg unter die Reifen nimmst. Kurz vor Mannheim wird es wieder flach, hier rollst du entlang des Rheins. Unterkünfte gibt es im nahen Frankenthal.
135 km – 800 Hm bis 950 Hm – 8:00 h – mittel

Durch Wein bis zum Rhein
Zum Warmwerden fährst du am Rhein entlang, bis du in Worms in die Rheinhessische Pfalz abbiegst. Hier warten sanfthügelige Fahrten mit großen Ausblicken und bestem Asphalt, bis es nach 80 Kilometern nach Bingen am Rhein heruntergeht – ideal für eine (Vesper-)Pause. Die nächsten 65 Kilometer bis Koblenz folgst du dem Rheinradweg. Er führt zwar öfter (baulich getrennt) an der B 9 entlang, doch die prächtigen Burgen, Schlösser und Felsen gleichen das mehr als aus. In Koblenz lohnt ein Zimmer, um die Altstadt in Ruhe erkunden zu können. Günstig & gut: die Kornpforte.
142 km – 700 Hm bis 720 Hm – 8:30 h – mittel

Kurbeln bis zur Kohlegrube
Bis kurz vor Köln geht es weiter entlang des Rheins. Hier kommst du flott voran und passierst hinter Bonn einige lauschige Kieselstrandbuchten, die Mutige ins Wasser locken. Ein besonderes Highlight ist der Radweg entlang der Militärringstraße, auf den du südlich von Köln stößt und ihn erst wieder nordwestlich der Stadt verlässt. Sie führt auf Asphalt und Schotter überwiegend durch feine Parks und Wälder. Hinter Bocklemünd lockt der Pulheimer See mit ruhigen, naturnahen Plätzen. Wer noch Körner hat, kurbelt weiter bis zur Garzweiler Kohlegrube kurz vor Jüchen.
111 km – 350 Hm bis 370 Hm – 6:30 h – einfach

Durch den Pott ins Paradies
Du startest auf guten Radwegen und fährst durch viel Grün an Mönchengladbach vorbei: fast 50 km auf der NiederRheinRoute V60 – bis kurz vor Krefeld. Hier wird es trubelig (aufmerksam fahren). Danach geht es über den Rhein nach Duisburg (top Falafeln in der Fußgängerzone!), weiter über die Ruhr und auf meist guten Radwegen zum Landschaftspark Duisburg-Nord (Pflichtstopp mit Café- & Foodtruck). Jetzt noch 26 km und du bist in Dorsten, überquerst die Lippe und verschwindest im Grünen (Naturpark Westmünsterland). Ideal für die Nacht: der Zeltplatz in Reken.
139 km – 620 Hm bis 590 Hm – 8:15 h – mittel

Rasend durchs Grüne
Diese Etappe beginnt großartig, bleibt großartig und endet auch so. Über ruhige Land-, breite Fahrradstraßen und feinkörnige Feldwege rollst du 35 km bis nach Coesfeld. Dahinter startet mit der RadBahn Münsterland ein grüner Paraderadweg, den du bei Steinfurt verlässt, um über viel weites Land die Ems zu erreichen (68 km). Du folgst dem Flusslauf bis nach Lingen mit seinem sehenswerten Marktplatz. Von hier aus nimmst du den Uferweg an dem schnurgeraden, mit alten Bäumen bestandenen Dortmund-Ems-Kanal bis in die schöne Stadt Meppen (Knaus Campingpark – oder Hotel).
115 km – 260 Hm bis 330 Hm – 6:30 h – einfach

Mit der Fähre bis ans Meer
Der Schlussspurt führt weiter entlang des Dortmund-Ems-Kanals, durch duftende Kiefernwälder, alte Alleen und vorbei an Weideland. Hinter Papenburg kannst du bei Leer die Emsbrücke nehmen und der Ems rechtsseitig bis nach Emden folgen – oder links weiterfahren, um in Ditzum die Fähre zu nehmen. Dann kommt Emden: kleine Grachten, tolles Rathaus, feiner Hafen, guter Matjes! Jetzt noch 40 km über stilles, weites Land an Greetsiel und Norden vorbei ans Meer. Ideal für Rad-Fans: Hotel Agli in Norden; richtig gut essen gehen: Speicher 77.
143 km – 200 Hm bis 220 Hm – 8:00 h – einfach
Boris' Bikepacking-Liste
- Schlafen Nemo-Tensor-Matte (300 g) und Nordisk-Oscar-+10-Synthetikschlafsack
- Wohnen Tatonka-Kyrkja-LT-Solozelt (1340 g) bietet Wetterschutz, Sitzhöhe und viel Komfort.
- Kochen Mini-Spiritusbrenner, Gestell, Topftasse, alles aus Titan (trekking-lite-store.com)
- Essen Müsli, Kaffee, mittags Falafelburger, abends Trekkingfood (lecker: Trail Vegan Daal)
- Trinken 2 Fidlock-Flaschen (620 ml) reichen bis zum nächsten Friedhofwasserhahn locker.
- Waschen Zahnbürste & -pasta, Travel-Towel
- Ausgehen Lange Hose, Socken, T-Shirt, Outdoor-Hemd, Kappe (gegen die Helm-"Frisur")
- Abstellen Ein leichtes Schloss klemmt immer griffbereit unter der Arschrakete.
- Fotografieren Perfekt: die Sony RX100 VI. Sie wiegt nur 310 g, passt in die Oberrohrtasche, hat ein scharfes Zeiss-Zoom (24–200 mm) an Bord und einen ausdauernden Akku. Immer mit dabei: das Joby Gorilla Ministativ.

BMC ROADMACHINE 03 (BJ 2018): Größe: 48 cm, Ausstattung: Shimano Tiagra 2 x 10, Rahmen: Alu, Felgen: DTSwiss Spline 1800, Reifen: Continental All Season 32 mm, Sattel: PRO Stealth, Lenker: Ritchey WCS