Bouldern auf den Kap Verden

Bouldern auf den Kap Verden
Tanz auf dem Vulkan

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Zuletzt aktualisiert am 03.11.2015

Dies ist die Geschichte einer langen Reise. Wovon ich eigentlich erzählen möchte: vom ersten Aufblühen des Klettersports auf dem fernen Inselstaat Kap Verde. Doch der Anfang der Reise liegt schon eine Weile zurück. Denn das Klettern und Bouldern wurde initiiert durch zwei Türken, die die volkstypische Neigung zu Kampfsportarten nicht teilen und stattdessen lieber klettern. Einer davon bin ich. Weil diese Geschichte sehr persönlich ist und auch weil die Kapverden es wert sind, muss ich etwas weiter ausholen.

Kap Verde? Ein kleines Land im Atlantik, etwa 1000 Seemeilen westlich von Senegal, 500000 Seelen verteilt auf neun Inseln, jung, erst seit 1975 unabhängig, sehr eigen, in seiner gerade mal 500-jährigen Geschichte gebeutelt von Sklavenhändlern, Invasoren, Kolonialisten, Piraten, Hungersnöten, Vulkanausbrüchen – und neuerdings von der neuen Form der Ausbeutung mit dem verführerischen Namen Globalisierung.

Die hat hier den bittersüßen Nebeneffekt, dass Kap Verde – in einheimischen Liedern oft Pais Petit genannt – sich noch kleiner und unbedeutender vorkommt als ohnehin schon. Humorvoll wie immer wurde mir das einmal so beschrieben: "Nachdem Gott mühevoll die Welt erschaffen hatte, klopfte er sich zufrieden die Hände ab. Der Staub, der dabei unbemerkt von seinen Händen auf den Globus fiel – das ist Kap Verde!"

Kap Verde – armes reiches Land

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Thomas Schermer

Ein kleiner Inselstaat, der zu Afrika gehört, am liebsten europäisch wäre, den USA am engsten verbunden ist, aber mit seiner Kultur am ehesten noch den Südamerikanern (Brasilien) gleicht. Dabei kommt es ja – wie wir aus 30 Jahren Dr.-Sommer-Terror wissen – auf die Größe gar nicht an. Dieses Land hat der Weltgemeinschaft viel zu geben! Neben schönen Felsen zum Klettern und einer umwerfend eindringlichen Musik vor allem ein Beispiel für eine geradezu unzerstörbar gute Laune und deren Macht, das Leben schöner zu machen – egal was das Schicksal bringen mag.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der schmerzhaften Geschichte und den harten Lebensbedingungen sind die Kapverdianer ein Volk von Lächelnden. Menschen, die Fremdem immer mit einem Lächeln begegnen, das eine erfrischende, freundliche, unvoreingenommene Neugier offenbart.

So auch mir, meinen Freunden und dem Klettern. Diese Begegnung ist das Interessante, das sich zu erzählen lohnt – und wofür das Klettern lediglich einen Vorwand und eine Plattform bietet. Aber eine fantastisch gute, wie immer und wie vielen anderen Pionieren des Sports in der Vergangenheit auch.

Spargeltarzan trifft Zehnkämpfer

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Ibo Güngör

Doch ich möchte meine Geschichte dort beginnen, wo sie für mich persönlich wirklich beginnt. Nämlich viel früher und an einem ganz anderen Ort. Wir schreiben das Jahr 1990. Die schrecklichen 80er haben einen Großteil der Menschheit mit furchteinflößenden Karottenhosen bis unter die Brustwarzen hochgezogen und grässlichen Frisuren in das letzte Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende entlassen.

Der Irak-Iran-Krieg tobt munter weiter, angestachelt vom "friedlichen" Westen. Wolfgang Güllich hat den glatten 11. Grad im Visier, was ihn nicht davon abhält, weiterhin mit Socken in Kletterschuhen zu klettern. Ronald Reagan lässt die gerade erst angebrachte Solaranlage auf dem Weißen Haus wieder abmontieren, um den Öl-Magnaten ein freundliches Zeichen zu geben.

Ich bin weit entfernt von all dem und gehe widerwillig auf eine Schule in Çinçin, dem übelsten Stadtteil von Ankara, der Hauptstadt der Türkei. Mit der lobenswerten Absicht, die Gegend aufzuwerten, hat man mitten in Çinçin, in das sich ab 20 Uhr abends kein Polizeiauto mehr hineinwagt, ein Gymnasium gesetzt – mit dem Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache.

Das Ergebnis ist, dass man in der Schulkantine neben Cola und Toast genauso leicht Drogen kaufen kann und wer nachsitzt, befürchten muss, auf dem Weg zum Bus von bewaffneten 12-Jährigen ausgeraubt zu werden. Unsere Deutschlehrer können etwa so viel Deutsch wie ein Teppichhändler in Antalya. Trotzdem ist die Schule ein Magnet für "Deutschlinge". So nennen wir die wahre Flut von Gastarbeiterkindern, die gerade aus Deutschland zurückkehren. Deren Heimat zwar auf dem Papier die Türkei ist, die sie aber bestenfalls aus Urlauben kennen.

Politiker in Deutschland haben gerade beschlossen, möglichst viele Gastarbeiter, die sie in den 60ern und 70ern per Einladung und mit Blumensträußen bei der Ankunft importiert haben, wieder loszuwerden. Ich bin in der Türkei aufgewachsen, aber trotzdem auf dieser Schule gelandet. Hier treffe ich Ibo, der im gelobten Köln aufgewachsen ist und sich durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auch auf dieser Schule, eine Klasse über mir, wieder findet.

Ibo: 1,85 Meter, Zehnkämpferstatur, ein echter Hüne für türkische Verhältnisse, immer freundlich, friedlich, gut gelaunt, mit Hornbrille und schwarzen Locken. Ich: keine 1,70 Meter, Spargeltarzan, Möchtegerndraufgänger bis hin zur blanken Dummheit, weniger friedlich und ziemlich launisch – was vermutlich gut zu meinen Sommersprossen und Feuermelderhaaren passt. Wir werden sofort die besten Freunde.

Obwohl sehr verschieden, konsumieren wir doch dieselbe Droge: Sport. Und leiden unter der selben seltsamen Krankheit: Fernweh nach der großen weiten Welt. Im blauäugigen Teenageralter und ohne einen Cent in der Tasche sind unsere Träume, was das letztere betrifft, sehr abstrakt und ziellos, aber umso leidenschaftlicher. Für uns ist klar: Das Leben ist anderswo! Zumal wir jetzt eine Zweimann-Show sind.

Es ist auch Ibo, der mich aufs Klettern bringt. Eines Abends zeigt er auf ein Poster in einem Schaufenster, auf dem ein Freeclimber einarmig von irgendeinem Überhang baumelt, und sagt: "Ich glaube, das wär‘ das Richtige für dich!" Es ist Stefan Glowacz free solo in der Route Kachoong in Australien. Und es ist das Richtige für uns beide! Fasziniert von der Lebensart der Großmeister wie Güllich, Albert und Konsorten der alten Schule ist seitdem Klettern der rote Faden, der unserem vorerst diffusen Traum, die Welt zu bereisen, eine angemessen sinnfreie Richtschnur gibt.

Wir beschließen, die Türkei zu verlassen und gleich den ganzen Globus zu bereisen. Abgesehen davon, dass wir Geld nur vom Hörensagen kennen, haben wir eine vielleicht noch größere Hürde zu nehmen: Wir besitzen beide "nur" türkische Pässe. Das bedeutet, dass kein Land der Welt uns einreisen lässt, es sei denn wir können horrende Summen Geldbesitz vorweisen und damit beweisen, dass wir niemandem die Arbeit wegnehmen wollen.

Verständlicherweise lösen wir bei den wenigen, denen wir unsere Pläne mitteilen, mitleidige Heiterkeit aus. Aber nichts ist förderlicher für Tagträumer als das ungläubige Gelächter von Dritten und "realistische" Gegenargumente. Und, oh Wunder, wir schaffen es! Zwar über Umwege und mit unvorhergesehenen Hindernissen, aber wir reisen. Und was ist die beste bekannte Triebfeder der mittellosen Globetrotter? Klar: Klettern!

Fast Forward to Fogo

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Mustafa Eren

2007 führt uns diese Triebfeder erstmals nach Kap Verde, auf die Insel Fogo. Als wir im Flugzeug auf die Vulkaninsel sitzen, sind wir wieder die beiden Teenager in Ankara – hier passiert es wieder, wir sind unterwegs, wir fühlen uns gut. Da die Insel Fogo nichts anderes ist als ein Berg, der fast 3000 Meter aus dem Ozean ragt, erwarten wir optimistisch, dass es viel Potenzial für vertikale Abenteuer geben sollte. Wir werden fündig, aber die Herzlichkeit, mit der wir aufgenommen werden, hätte uns auch über jede Enttäuschung hinweggetröstet.

Wenn man als Kletterer in ein Land reist, das auf der Kletterlandkarte ein weißer Fleck ist, ist man gut mit einem Schatzsucher zu vergleichen. Dort, wo andere vielleicht gleichgültig an Felsen vorbeifahren, sehen wir wertvolle Schätze, die von ihrem ungeduldigen Warten auf Begehung befreit werden wollen, die gebührende Anerkennung in Form von leidenschaftlicher Hingabe und einem Namen erwarten. Und es ist ein andere Form der Erfahrung, mit Bürsten, Keilen und Bohrmaschine anstatt eines Klettertopos unterwegs zu sein.

Auf der Insel Fogo landet man mit dem Flieger in der größten Stadt, São Filipe. Mit ihren überwiegend nackten, unverputzten Bauten, ihren Stränden mit tiefschwarzem Sand, auf den der Atlantik meistens heftig einpeitscht, durchaus ein Tagesausflug wert. "The place to be" ist aber definitiv die Chã Das Caldeiras, kurz Chã genannt. Eine Stunde Fahrt, praktisch stetig bergauf, bringt einen auf 1700 Meter Höhe, auf diese Krater­ebene mit recht gigantischen Ausmaßen (etwa 10 Kilometer Durchmesser). Eine flache, kreisrunde Ebene, die in verschiedenen Farben leuchtet – je nach Alter der Lavaströme, die sie bedecken.

Die Lava auf der Krater­ebene bildet (nach dem jüngsten Ausbruch 2014) bizarre Formen, und dazwischen ragen 16 kleinere Gipfel von verschiedenen Eruptionen auf. Bei weitem überragt werden diese von dem perfekten Vulkankegel des 2829 Meter hohen Pico de Fogo, dem unbestrittenen Wahrzeichen der Insel und von ganz Kap Verde. Umrahmt wird das unwirkliche Szenario kreisförmig von der über 20 Kilometer langen und bis knapp 1000 Meter hohen Steilwand der Bordeira, dem Kraterrand des Muttervulkans – also der Insel selbst.

Die Dimensionen bleiben bar jeder Beschreibung. Wenn man es gerade geschafft hat, den Mund wieder zuzumachen, da erreicht man mitten in der Mondlandschaft die beiden zusammengewachsenen Dörfer Partela und Bangaeira. Dass hier Menschen nicht an, sondern in einem aktiven Vulkan leben, sagt schon sehr viel über die Mentalität der Kreolen hier aus.

Gut gemeinte Umsiedlungsversuche durch die deutsche Entwicklungshilfe, nach dem Ausbruch 1995 und auch 2014 wurden von den Einheimischen nicht angenommen. Wer einige Zeit auf dieser Ebene verbringt, versteht sie gut. Das Flair dieses Ortes ist mit nichts zu vergleichen. Hier ist der Boden jung und offen und man spürt deutlich den Herzschlag von Mutter Erde. Außerdem bietet der Ort die Chance eines Auskommens durch Touristen – die es freilich ohne Strom und fließend Wasser nicht in Form von "All Inklusive"-Massen gibt. Gott sei Dank!

Boulder am Wandfuß

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Mustafa Eren

Wir sind natürlich hin und weg vom Anblick der Bordeirawand, die sich steil über dem Dorf und der Krater­ebene erhebt, und träumen schon von verwegenen alpinen Sportkletterrouten, von unten eingebohrt und so schwierig wie nur möglich. Ziehen aber nach der ersten Inspektion schnell die Schwänze ein. Die Felsqualität ist uns doch zu heikel, und wir beschließen mit überwältigender Mehrheit, die Sache den Engländern zu überlassen.

Aber siehe da, es liegen ein Haufen Boulderblöcke am Wandfuß herum. Größtenteils sind die Blöcke allerdings ziemlich mit Staub überzogen. Arbeit ist angesagt. Aber sehr schnell schließen sich uns viele junge Einheimische an, die schnell gecheckt haben, worum es geht. Gemeinsam geht es an die Erschließung von kleineren Sektoren. Auch einige Dutzend Sportkletterrouten entstehen. Und die Kapverdianer spalten sich in zwei Gruppen. Die Mädels stehen definitiv auf das Klettern mit Seil, die Jungs eher aufs Bouldern. Ist normal, wir Jungs sind von Natur aus etwas fauler und kommen gern schnell zum Ergebnis.

Mir ist es egal. Ich bin glücklich. Klettern, irre nette Menschen und fast jeden Abend Party. Und was für Partys! Man feiert hier außerordentlich gerne, und als Anlass wird alles mögliche an den Haaren herbeigezogen. Und da es mir so gut gefällt, beschließe ich, etwas länger zu bleiben, zu heiraten und einige Kinder zu bekommen. Ibo kommt gelegentlich zu Besuch, und ich fliege regelmäßig nach Deutschland, um meine mühsam erworbenen wenigen guten Eigenschaften wie Pünktlichkeit zu pflegen und bei der Klettergriffeproduktion von der Firma Revolution zu helfen.

Capoeira und klettern

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Mustafa Eren

Das Klettern mit deutlichem Schwerpunkt Bouldern entwickelt sich. Über die Insel verteilt entstehen über 20 Sektoren und kleinere Gebiete mit inzwischen über 1000 Boulderproblemen von superleicht (2) bis mordsschwer (Fb 8B). Hinzu kommen etwa 80 Sportkletterrouten bis 8a+, einige noch schwierigere Projekte – und inzwischen auch ein paar alpine Herausforderungen.

Besonders zu erwähnen ist die Schlucht bei Cabessa Monte, eine Entdeckung der ersten Tage von Ibo unter Anleitung von Betu und João. Hier findet man athletische Kletterei an den Blöcken im Schluchtgrund und außerordentlich technische Probleme an den vom Wasser der Regenzeit glattgeschliffenen Seitenwänden: Fontainebleau pur mit weniger Reibung, also technisch noch anspruchsvoller (ja ich weiß, Blasphemie!). Mimiso, einer der größten Sektoren mit weit über 100 Problemen, bietet sehr schöne Felsqualität und hohe Reibung, ohne basalttypisch hautzerfetzend zu sein.

Generell ist das besondere Merkmal der Felsen auf Fogo die frappierende Vielfalt. An zwei Blöcke nebeneinander oder sogar am selben Block selbst gibt es stark unterschiedliche Felseigenschaften. Die richtig steilen Felsen stellen zwar eine Minderheit dar. Aber wer sucht, der findet auch. Das gilt übrigens auch für viele bereits erschlossene Probleme.

Abgesehen von einigen sehr beliebten Bouldern bleiben bei ein paar Dutzend Boulderern und inzwischen recht vielen Sektoren nicht viele Spuren übrig. Da wird die Bürste zu einem sehr wichtigen Ausrüstungsgegenstand. Außerdem machen wir keine Markierungen auf die Felsen. Andererseits ist die Pflege der Boulder vorbildlich, an mehreren Stellen sind teilweise aufwendig Mauern gebaut worden, um das Absprunggelände vom Todesfaktor zu befreien. Da kennen die einheimischen Jungs nix und zeigen eine hohe Motivation.

Die Entwicklung des neuen Sports Klettern ist sehr interessant zu beobachten. Die meisten aktiven Kletterer und Boulderer sind Wander- und Trekkingguides, die von klein auf daran gewöhnt sind, die steile Kraterwand hoch und runter zu laufen – auf der Suche nach bestimmten Pflanzen für medizinische Zwecke oder einfach nur auf der Suche nach Nahrung für Tiere.

Besonders zu erwähnen bei den Ladies ist Rosangela, die nach extrem kurzer Zeit bereits 7a/b vorgestiegen ist. Abgesehen von einer großen Portion Talent hat sie auch jahrelange Übung in Capoeira. Diese Tanz-Kanpfsportart ist nicht – wie allgemein angenommen – in Brasilien entstanden, sondern hier auf den Südinseln der Kap Verden, die in der Zeit des Sklavenhandels eine sehr wichtige Rolle als Sammel- und Ausbildungsstätte für die in Afrika geraubten Menschen spielten.

Die Tradition der Capoeira-Musik und des zugehörigen, sehr akrobatischen Tanzes wird immer noch gepflegt. Bei den Jungs tut sich Luciano, genannt "Tarzom", stark hervor – nach kurzem Antesten im Klettern ein reiner Boulderer. Nach nur drei Jahren bewegte er sich bereits im 7C-Bereich.

Bouldern und Schwierigkeiten

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Mustafa Eren

Zwar werde ich immer wieder interessiert gefragt, was denn die Zahlen auf meinen handschriftlichen Topos bedeuten; und die Fragenden verstehen auch, dass verschiedene Schwierigkeiten dazugehörige Zahlen bekommen. Aber dieser Aspekt des Sports kann sich hier absolut nicht etablieren, die Abstufung in Schwierigkeitsgrade passt nicht zur Mentalität der Kreolen.

In unserer westlichen, leistungsorientierten Gesellschaft möchte jeder Anfänger, spätestens sobald er ein Problem gelöst hat, wissen: "Wie schwer ist das?" Hier hatte ich noch nach keiner erfolgreichen Begehung diese Frage – nicht ein einziges Mal bei meinen einheimischen Freunden! Und so stehe ich immer noch sehr einsam da mit meinen Zahlentrophäen und notiere und bewerte weiterhin fleißig.

Dafür habe ich einmal mehr erfahren, dass spielerische Konkurrenz miteinander nicht unbedingt zu einer trennenden Hierarchie im Könnens-Grad führen muss, wenn man die entsprechende Einstellung hat. Es ist den Leuten schlichtweg egal, wie schwierig ein Boulder ist, obwohl ein hartnäckiges Problem wild gefeiert wird, sobald die Begehung gelingt. Seltsam und sehr lehrreich!

Wo die Felsen vor Glück strahlen

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Ibo Güngör

In der Anfangszeit hatten wir lediglich ein kleines Crashpad bei uns. Das hat zu einer außerordentlich guten Spotterkultur geführt. Wie auch nicht, wenn Ibo mit gut 80 Kilogramm einen extrem unsicheren Dyno auf vier Meter Fußhöhe über steinigem Untergrund ausführt? Die jüngeren Boulderer wissen das vielleicht nicht, aber es gab tatsächlich eine Zeit, in der ohne Crashpads gebouldert wurde –auch Highballs (früher haben wir dazu "recht hoch" gesagt). Das könnte einer der Gründe für die extrem gute Fußtechnik der alten Hasen sein. Ich kann jedem nur empfehlen, mal einen Parcour nur mit einer Fußmatte zu machen. Man bewegt sich plötzlich ungemein präzise, weil Fallen keine wirkliche Option ist.

Inzwischen haben wir, von Revolution unterstützt, ein halbes Dutzend Crashpads, die auch geliehen werden können. Es ist eine lange Reise, und das Gepäck ist recht limitiert. Was auf jeden Fall mitgebracht werden sollte, sind Schuhe (gerne auch ein paar für die hiesigen Sportler, gebraucht kein Problem) und Chalk.

Chalk ist knapp und nicht zu kaufen – wie alle anderen notwendigen Klettermaterialien. Wer gern eine Route erschließen möchte, ist herzlich eingeladen, sollte aber natürlich Bohr- und/oder Klebehaken mitbringen (bitte nur A4 Material, wir sind auf einer Insel und nah am Meer). Hardware wie Bohrmaschinen etcetera ist vorhanden und verfügbar.

Johnzin ist 85 Jahre alt, ein begnadeter Geigenspieler, Vater von 12 Töchtern und 12 Söhnen (kein Scherz!) und einer der hoch angesehenen Älteren hier oben. Ein Mann, der immer mit einem Augenzwinkern den Kern der Dinge trifft, wenn er mal etwas sagt. Und einmal sagte er zu mir: Bevor ihr hergekommen seid, lagen diese Felsen auf der Seite und schliefen, nun sind sie hellwach, stehen aufrecht und strahlen vor Glück. Wo die Felsen vor Glück strahlen, das muss der Ort sein, den die Leute "die große weite Welt" nennen, oder?

Weitere Info zum Reisen, Klettern und Bouldern auf Fogo und den Kapverden

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Thomas Schermer

Unterkünfte in der Caldeiras sind nach dem Vulkanausbruch 2014 stark dezimiert, aber es gibt inzwischen wieder insgesamt etwa 40 Zimmer zu mieten. Tendenz steigend, weil die vertriebene Bevölkerung stetig zurückkehrt und sich wieder etwas aufbaut.

Casa Marisa ist die Anlaufstelle für Kletterer, als Unterkunft und/oder als Verleihstelle für Ausrüstung, Topos, Kontaktstelle zwischen Kletterern etc. Zimmer kosten zwischen 30 € und 50 € (bis zu Drei-Bett-Zimmer). Und es ist das bis dato einzige Haus mit Strom (Solar) und WiFi (limitiert, kein Flat möglich). info@fogo-marisa.com. Ihr könnt auf Deutsch oder Englisch schreiben. Von Sao Filipe fahren Mittags Aluguers (Sammeltaxis) hinauf in die Caldeiras (10 bis 15 € pro Person). Private Transfers und Mietwagen sind relativ teuer (ca. 70 bis 90 € pro Tag).

Warum ist das Klettern so ein toller Sport? Eindeutig wegen der notwendigen Ruhetage! Es wäre jammerschade, hierher zu kommen und nur zu klettern und dann abzureisen. Eine Besteigung des Pico und den Klettersteig auf die Kraterwand solltet ihr unbedingt machen. Die Hauptattraktion hier sind und bleiben aber die Menschen – und der Kontakt ist sehr leicht: einfach zurücklächeln und los geht's.

Und sonst?

Anreise: Am schnellsten kommt man mit TUI nach Kap Verde, die Direktflüge nach Sal anbieten. Von dort gelangt man mit zwei kurzen Inlandsflügen nach Sao Filipe auf Fogo. Oder mit der portugiesischen Fluglinie TAP über Lissabon nach Praia und von hier mit einem Inlandsflug nach Fogo. Von Sao Filipe fahren wochentags "Alugers" (Sammeltaxis) gegen Mittag hinauf in die Caldeiras.

Unterkunft: Casa Marisa 2.0 (beim Vulkanausbruch 2014 zerstört, nach Wiederaufbau seit 1. Oktober 2015 wieder geöffnet). Hier gibt‘s Topos, Crashpads können geliehen werden. Für Kletterer gibt‘s 10 % Rabatt auf die Zimmer. Doppelzimmer mit Frühstück kosten etwa 40 Euro. fogo-marisa.com