Südtirol: Von der Zufallhütte auf den Monte Cevedale

Skitour deluxe
Von der Zufallhütte auf den Monte Cevedale

Zuletzt aktualisiert am 10.01.2025

Lage, Anforderungen und Orientierung

Das Martelltal (italienisch Val Martello) ist ein Seitental des oberen Etschtals im Vinschgau in Südtirol. Das Kerbtal zieht sich vom Ort Latsch im Vinschgau in Richtung Süden bis zu den Ortler-Alpen. Die Skitouren im hinteren Martelltal sind technisch nicht besonders fordernd, aber für den zum Teil kilometerlangen Zustieg und die meist über 1000 Höhenmeter Aufstieg in Höhenluft sollte man gute Kondition mitbringen. Für die Steilhänge unter Cevedale und Cima Marmotta ist es notwendig, Spitzkehren zu beherrschen. Bei wenig Schnee muss man zudem angeseilt über die Gletscher gehen.

Die Aufstiegsspuren auf die beliebten Skitourenberge sind meist einen Tag nach einem Schneefall wieder bequem ausgetreten. Sicherer geht man mit Bergführer. Im Martelltal gibt es zwei Bergführer: Markus Oberhofer (Tel. 00 39/3 35 92 71, markus.oberhofer@virgilio.it) und Georg Maschler (Tel. 0039/3 80 42 06 29, info@bergerlebnisse.com). Olaf Reinstadler bucht man über die Alpinschule Ortler in Sulden.

Wann ist die beste Zeit für Skitouren im Martelltal?

Im Frühjahr (März und April) sind die Tage länger, die Schneedecke ist in der Regel stabiler, das Lawinenrisiko geringer als im Hochwinter. Die Zufallhütte ist von Mitte Februar bis Anfang Mai offen.

Wie kommt man in die Südtiroler Region?

Per Zug über Bozen und Meran nach Goldrain. Von dort fahren Busse täglich vom 26. Dezember bis zum 7. Januar und vom 10. bis zum 18. Februar sowie an Samstagen und an Sonn- und Feiertagen vom 8. Januar bis zum 17. März bis zur Haltestelle Enzianhütte (Parkplatz Hintermartell).

Unser Tourenbericht in voller Länge

Kann sein, dass Uli Müller alles nur spielt: das Singen und die Witze, die Geselligkeit, die Freude am Hüttenwirt-Dasein. Dann aber wäre er am Theater oder im Film besser aufgehoben als im hintersten Martelltal, einem Seitental des Südtiroler Vinschgau, auf 2265 Metern. Seit 2002 ist Uli Chef auf der Zufallhütte. Statt dem Schnauzbart wie auf alten Fotos an der Wand trägt der 58-Jährige nun rote Brille zur Halbglatze, seine Laune aber ist unverändert gut. Auch deshalb kommen Stammgäste immer wieder. So wie Anton, 22 Jahre jung, der mir zwischen Schlutzkrapfen und Zwiebelrostbraten erzählt, dass er schon mindestens 20 Mal hier war – das erste Mal im Bauch seiner Mutter, die schwanger die Hütte besuchte.

Ein Grund dafür sei das prima Essen, sagt Anton. Den anderen sieht jeder: Mehr als ein Dutzend 3000er kesseln die Hütte ein, viele davon wunderbare Skitourenberge. Der große Magnet ist natürlich der Cevedale im Südwesten, 3769 Meter hoch, ein Skitour-Klassiker der Ostalpen. Aber auch Cima Marmotta (3330 m), Venezia-spitze (3386 m) und die Madritschspitze (3265 m) gehören zu den begehrten Zielen.

In den folgenden Tagen wollen der Fotograf Jacob und ich ein paar dieser Berge besteigen. Die Zufallhütte dient als ideales Basislager, wie schon für die österreichisch-ungarischen Offiziere der Ortlerfront im Ersten Weltkrieg. Schwarz-Weiß-Fotos in der Stube zeigen ein Dörfchen unter meterhoher Schneedecke, Hohlwege verbinden Pferdestall, Kapelle und Baracken für 240 Mann. Das Badhaus zum Entlausen, liebevoll Lausoleum genannt, restaurierte man im Jahr 2022 zum Museum.

Hinter der Kapelle mit Schindeldach leuchten die Bergspitzen in der Morgensonne, als wir am nächsten Morgen starten. Vorbei am früheren Schlachthaus steigen wir die steile, von hunderten Fellen und Skiern glatt geschliffene Spur zwischen den Schieferriegeln der Zufallplatten hinauf. Mir rutschen die Ski nach hinten weg, Jacob landet im halben Spagat auf dem Bauch. Danach sind wir wach und konzentriert.

Zum Aufwärmen: die Eisseespitze

Zum Glück geht es oberhalb der Platten deutlich entspannter weiter. Durch das Spalier der weißen, wellenförmig gemaserten Bergflanken gleiten wir am Bach entlang in das Hochtal hinein. Wir passieren das alte Wehr, das als Trockenmauer im 19. Jahrhundert Erdrutsche und Sturzfluten stoppen sollte. Die Steine dafür schleppten die Marteller per Hand heran.

Vereinzelte, kahle Lärchen werfen lange Schatten ins glitzernde Weiß, Felsbrocken tragen kecke Schneebarette. Die bläulichen Riesenzapfen des gefrorenen Wasserfalls sehen aus wie die Zotteln eines Mammuts, das sich zum Winterschlaf in die Felswand gelegt hat. Kuenzentschatter nennen ihn die Vinschgauer, für Eiskletterer ist er eine Attraktion.

Hinter dem Holzgatter, das im Sommer Schafe vor Wölfen schützen soll, teilen sich die Spuren zu den beliebtesten Gipfeln. Über den Fürkeleferner im Talschluss steigen schon Kolonnen zum Cevedale auf, links mühen sich Gruppen in Spitzkehren die erste Steilwand in Richtung Cima Marmotta hinauf, rechts spuren andere im Zickzack zur Madritschspitze empor, um von dort den frischen Pulverschnee im Nordhang hinabzuwedeln.

Skitour Winter Schnee Südtirol Italien Alpen Zufallhütte Cevedale
Jacob Balzani Lööv

Wir haben zum Aufwärmen eine sanfte Route gewählt: zur Eisseespitze (3241 m), 1100 Höhenmeter Aufstieg und »null Komma null Lawinenrisiko«, wie Uli am Vorabend sagte. Sie sei der letzte große Gipfel, der bei miesen Bedingungen noch gangbar ist. Wir queren ein weites Schneefeld und rutschen in weiten Kurven den flachen Hang hinauf, trotzdem ziehe ich bald Handschuhe und Stirnband aus. Unter der Frühjahrssonne wird es schnell warm, zumal kaum ein Lüftchen weht.

Bevor es allzu gemütlich wird, steigt die breit ausgetretene Spur endlich steiler zu einer rötlichen Felswand empor. Ein kurzer Aufschwung, dann schieben wir uns wieder gemächlich bergan in ein weites, weißes Amphitheater. Dahinter tauchen zuletzt, überraschend nah und gewaltig wie die Westalpen, die heiligen drei Eisriesen auf: Königsspitze (3851 m), Zebrù (3735 m) und Ortler (3905 m). Die meisten stoppen beim Vorgipfel, aber die 100 Extrameter hinüber zum weißen Marmorgipfelkreuz der Eisseespitze lohnen sich. Dahinter schauen wir hinab auf die Pisten des Skigebiets Sulden, wo Wintersportler wie Ameisen herumwuseln.

Vor Jahrzehnten gab es Pläne, durchs Madritschtal eine Seilbahn zu bauen und es so mit Sulden zu verbinden. Zum Glück scheiterten sie am Protest von Almbauern und Naturschützern, das Martelltal blieb unverbaut. Unsere Abfahrt ist dennoch fast so einfach wie auf einer Piste. Über breite, sanft geneigte Hänge cruisen wir zurück zur Hütte. Als wir die Ski abschnallen, tropft Schmelzwasser von den Dachrinnen. Wir setzen uns mit Bier auf die Terrasse, schauen zum gefrorenen Wasserfall. Nach und nach kommen andere Tourengeher zurück. Manche setzen sich gleich in ihren Skistiefeln an die Bierbänke, ein paar Übermütige ziehen ihre Funktionshemden aus und lassen die Frühjahrssonne auf die nackte Brust scheinen.

Was könnte jetzt noch schöner sein? Eine Sauna, sagten über die Jahre einige Gäste zu Uli. Also baute er eine im früheren Geräteschuppen ein. Wenn mindestens vier Leute Interesse anmelden, feuert er den Holzofen an. Heute schwitzen dort schon fünf Österreicher und ein Norweger. Nach einer Serie von Berserker-Aufgüssen wälzen sich mehrere im Schnee, einer hechtet kopfüber ins Weiß.

Skiträger, Kanonen und Gipfelmeer

Für Olaf Reinstadler wäre das nichts. In der Sauna sei er noch nie gewesen, sagt der Bergführer aus Sulden beim Abendessen. Dabei kommt der 59-Jährige auf Skitour-Runden regelmäßig hierher. Seit 35 Jahren bringt er Gäste auf die Berge der Ortler- Alpen, im Sommer mitunter auch Angela Merkel. Uns wird Olaf auf den Cevedale begleiten, so wie es seine Vorfahren in der Bergführer-Dynastie der Reinstadlers seit mehr als 100 Jahren taten. Manche Wintergäste haben sich früher Seehundfelle unter die Ski gebunden, andere ließen sich die langen Latten von Trägern zum Gipfel schleppen. Ein begehrter, weil lukrativer Job im damals armen Bergbauerndorf.

Unsere Bedingungen Mitte März könnten kaum besser sein: Der Wetterbericht verheißt zehn Stunden Sonne und wenig Wind, der Lawinenlagebericht Gefahrenstufe zwei. »In letzter Zeit ist viel Schnee gefallen, Wärme und Kälte haben sich abgewechselt«, erklärt Olaf. »Die Schneedecke ist gut gesetzt und verbunden.« Vorfreudig laufen wir morgens los. Auf dem Fürkeleferner sehen wir mehrere Gruppen, die zur Zufallspitze aufsteigen und von dort zum Cevedale queren. Wir haben uns für die längere, gleichmäßiger ansteigende Route über die weite Rampe des Langenferners entschieden. Gut fünf Stunden würden wir aufsteigen, so Olaf.

Im ruhigen Takt gleiten wir unter den langgezogenen Fels- und Eisflanken der Zufallspitze bergan, vorbei an Eisbuckeln, die in der Sonne glänzen. Seit sich die Gletscher zurückziehen, erklärt Olaf, weiten sich die Spalten. In den meisten Wintern gehe man zumindest auf dem oberen Plateau angeseilt, nach den Schneefällen der vergangenen Monate seien die Spalten aber geschlossen. Das Seil können wir uns also sparen, dennoch sind wir morgens in Klettergurte geschlüpft, um im Fall des Falles zügig gerettet werden zu können.

Skitour Winter Schnee Südtirol Italien Alpen Zufallhütte Cevedale Gipfelkreuz
Jacob Balzani Lööv

Auf dem Gipfel rechts, dem Eiskofel (3275 m), wachen seit 100 Jahren drei tonnenschwere Kanonen, die russische Kriegsgefangene hinaufziehen mussten. Wir schenken uns den Abstecher, zum Gipfel ist es noch weit. Mit Blick auf die Casati-Hütte steigen wir in einem Bogen immer höher und dann über die zweite Gletscherrampe auf den breiten Doppelgipfel zu, der aussieht wie eine liegende Echse: links die Felszacken der Zufallspitze als Kopf, in der Mitte der weiß geschuppte Rücken und rechts der gerundete Cevedale als Hintern. Vor 60 Jahren zog hier sogar ein Schlepplift Skifahrer von der Casati-Hütte den Gletscher hoch. Er sollte mit einer Seilbahn zur Suldenspitze verbunden werden, die aber nie gebaut wurde. Nach acht Jahren montierte man den Lift wieder ab.

Manch ein Tourengeher könnte ihn nun gebrauchen, die Höhenluft wird dünn. Mein Puls hämmert, als wir den finalen Steilhang angehen. Über uns rutschen schon die Frühaufsteher herab und lassen Schnee auf uns prasseln. Eng wird es dann am Gipfelgrat, wo sich die aus verschiedenen Richtungen kommenden Gruppen drängen. Aber dann stehen wir oben, unter dem von Blitzschlägen ramponierten Holzkreuz. Und natürlich lohnt die grenzenlose Fernsicht über das weiße Gipfel- und Gletschermeer jeden Oberschenkelstich und jedes Herzrasen.

Einen schöneren Tourtag kann ich mir nicht vorstellen. Und noch ein Geschenk hält er parat: frischen Pulverschnee, der das oft abgeblasene, bucklige und hart verkrustete Plateau sehr genießbar überzuckert. In weiten Schwüngen kurven wir durchs fluffige Weiß, zuerst neben der Aufstiegsspur, dann über Pulverhänge, die Olaf immer wieder findet. Dazwischen stoppt er und zeigt uns mögliche Routen für die nächsten Tage. Klingt alles fantastisch – genauso wie die Aussicht auf Terrassenbier und Sauna.

Weitere Übernachtungsmöglichkeiten

Die Zufallhütte (2265 m) bietet heiße Duschen und Sauna. Die Übernachtung im Zwölfer-Lager kostet inklusive Halbpension 58 Euro, im DZ bezahlt man 69 Euro. Auf der Marteller Hütte (2610 m) ist alles einfacher und uriger. Dafür punktet sie mit Traumblick auf den Cevedale und seine flankierenden Gletscher. Matratzenlager für DAV-Mitglieder 15 Euro, Mehrbettzimmer 25 Euro. Für Halbpension bezahlt man zusätzlich 40 Euro.

Im Martellatal findet sich eine breite Auswahl an Hotels, Gasthöfen und Ferienunterkünften, wie zum Beispiel das Hotel zum See am Zufrittsee, der Ortlerhof in Transacqua oder die Alpenblick Lodge Tscholl. Campingplätze gibt es erst am Taleingang in Goldrain und Latsch.

Wo kann ich mich noch informieren?

Einen Überblick über die beliebtesten Touren bietet die Webseite der Zufallhütte. Detailinfos zu Höhenmetern, Länge und aktuellem Lawinenrisiko jeder Route finden sich auf skitourenguru.ch. Bücher: Skitourenatlas Südtirol, Band 3 und Skitourenatlas Südtirol-Dolomiten. Die Tabacco-Karte 45 im Maßstab 1:25 000 deckt das Martelltal ab und zeigt die klassischen Skitouren.