Schweiz: Hochgefühle im Berner Oberland

Die schönsten Bergtouren im Herzen der Schweiz
Schweiz: Hochgefühle im Berner Oberland

Zuletzt aktualisiert am 03.08.2011

"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt." Die Bewohner des Berner Oberlandes kennen den Beginn des Psalms 121 im Alten Testament genau. Die drei Ziffern prangen an prominenter Stelle weithin sichtbar über der Gegend zwischen den Nordabbrüchen von Eiger, Mönch und Jungfrau und dem Thuner- und Brienzersee, nämlich in der rechten Flanke der Jungfrau-Nordwand, leicht quergestellt. Wer nach ihnen sucht, wird sie finden, wie in einem Vexierbild bilden sich die Ziffern plötzlich aus Fels und Eis. Einmal erblickt, hüllt die Zahl mit dem heiligen Vers, der sich dahinter verbirgt, die Wandertage rund um Interlaken in Respekt und Ehrfurcht. Selbst den Blick der nicht ganz so Bibelfesten zieht es unweigerlich hinauf zum Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau. Wie ständige Begleiter wachen die drei Berggeschwister über jeden Wanderkilometer.

Wer bei einem mehrtägigen Aufenthalt im Berner Oberland die Landschaftseindrücke steigern will, sollte sich Schritt für Schritt an die berühmte Kulisse herantasten und den spektakulären Nordabbruch des Aletschgebietes für den Schluss aufheben. Ohnehin übersieht man die ganze Pracht der 4000er am besten aus der Distanz. Dazu bietet sich als erste Tagestour der Weg auf das gut 2300 Meter hohe Steinschlaghorn an, etwa 25 Kilometer nordwestlich des Jungfraugipfels gelegen. Das »Steischlaghore« fordert Wanderer zu einer ersten Lektion Schweizerdeutsch heraus: Viele Gipfel im neuen Eidgenössischen Kartenmaterial sind nur noch auf Schwytzerdütsch beschriftet, doch mit der entsprechenden Beschilderung wird es noch ein paar Jahre dauern. Das führt gelegentlich dazu, dass Wanderer beim Anstieg auf den Gipfel auch ein paar sprachliche Stolpersteine überwinden müssen.

Bergtour übers Steinschlaghorn

Dass man sich in der Schweiz befindet, merkt man aber manchmal auch ohne Schwytzerdütsch. Aus dem Tal schwappt die Jodelmusik eines Dorffestes herauf, lockert Stimmung und Beine auf und verleiht einem das schöne Gefühl, auf diesem einsamen Weg nicht ganz alleine zu sein. Tatsächlich ziehen meist nur wenige Wanderer die Tour, da sie keine einzige Einkehrmöglichkeit bietet. Das ist für die geselligen Schweizer ein entscheidendes Kriterium, geht man hier doch kaum oder nur sehr ungern an Berggasthäusern vorüber, ohne nicht wenigstens einen kleinen Plausch mit dem Hüttenwirt gehalten oder eine kühle Rivella getrunken zu haben. Immerhin bietet die Sennerin der Gunggstand-Alm an, die Trinkflaschen mit frischem Bergwasser aufzufüllen. Sie freut sich sichtlich, heute mal fremde Gesichter zu sehen.

OD_0511_Berner Oberland_richter_berner-oberland-(51) (jpg)
Sissi Richter

Obwohl an der Hütte nur ein einziger Weg vorbeiführt, erkundigt sie sich, wohin man denn möchte. »Uf’s Steischlaghore? Jawoll, sehr guat!« beurteilt sie den Entschluss und rät den Wanderern, bald zum Gipfel und von dort auch zügig zum anschließenden Gratweg aufzubrechen, denn auf das Steinschlaghorn (2321 m) geht es steil hinauf, und auch das Stück von dort zum Mäggiserhorn (2241 m) erfordert Kondition und Trittsicherheit. Die 90-minütige Passage ist als Alpiner Bergweg markiert, und wer sich nicht auf den Psalm 121 verlassen will, in dem es auch heißt, dass »der Herr deinen Fuß nicht gleiten lassen« wird, sollte tunlichst auf die gummierten Drahtseile zurückgreifen, bis er das von großen Felsbrocken umlagerte Gipfelkreuz des Mäggiserhorn erreicht. Von der Sonne angewärmt, dienen die Blöcke als passable Liegefläche, während man den Blick auf die weißen Spitzen der 4000er im Süden genießt.

Im Norden aber ragt als fast perfekte Pyramide der Niesen auf. Mehrere anspruchsvolle Tagestouren führen auf den 2362 Meter hohen Berg, der Talweg fällt per Seilbahn leicht. Dieser Seilbahn verdankt die Schweiz auch einen Superlativ, der es sogar ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat: die längste Treppe der Welt. Leider dient keine einzige ihrer über 11.674 Stufen dem Wandervergnügen – sie wurde für Wartungsarbeiten eingerichtet. Doch gleich, wie man auf den Gipfel gelangt ist, die Aussicht von oben ist famos. Tief unten, am Fuß des Berges, glitzern Thuner und Brienzersee, dahinter erhebt sich der Bergkamm des Faulhorns in die Höhe und wiederum dahinter einmal mehr das Hochgebirge mit dem Gletschermassiv von Eiger, Mönch und Jungfrau.

Ausblicke auf Eiger, Mönch und Jungfrau

Am schönsten nähert man sich ihm auf der Gratwanderung von der Schynige Platte übers Faulhorn (2680 m) zur Gondelstation First. Der zackige, knapp 2700 Meter hohe Gipfel selbst liegt samt Gasthaus in der Mitte dieser abwechslungsreichen Tour, die mit Faulheit übrigens nichts zu tun hat – selbst wenn man sich die 1400 Höhenmeter auf die Schynige Platte durch die Fahrt mit der nostalgischen Zahnradbahn erspart. Denn spätestens ab dort müssen sich auch Bahnfahrer jeden Meter im steinigen Gelände erkämpfen. Die Entschädigung: der Ausblick auf Eiger, Mönch und Jungfrau, den man nicht nur vom Gipfel des Faulhorns, sondern schon auf dem gesamten Weg genießt.

Spätestens danach wird es Zeit für den Eiger oder vielmehr eine Wanderung auf dem zwölf Kilometer langen Eigertrail, der am Fuß seiner Nordwand entlangführt. Man erreicht ihn über die Passhöhe der kleinen Scheidegg. Unterhalb der berüchtigten Wand gelegen, ist sie ein touristischer Kulminationspunkt der Schweiz. Liebhaber der großen Einsamkeit werden einen weiten Bogen um diese Passhöhe zwischen Eiger und Lauberhorn machen, doch wie das an solchen Orten so ist: Es gibt schließlich einen guten Grund für die Besuchermassen. An keiner anderen Stelle spüren auch Nichtbergsteiger die schiere Wucht der 1600 Meter hohen Eiger-Nordwand so sehr wie hier, nirgendwo sonst lässt sich erahnen, was es bedeutet, in dieses Ungeheuer aus Fels und Eis einzusteigen.

Was spielten sich hier schon Bergdramen ab, beobachtet von der sicheren Warte auf einer Terrasse der beiden Hotels aus! An keinem anderen Berg der Welt liegen Ausgesetztheit und Sicherheit so nahe beieinander wie am Eiger, und vielleicht ist es dieses Spannungsverhältnis, das den Berg so berühmt machte. Auch heute lassen sich bei schönem Wetter durch die fest installierten Fernrohre an der Kleinen Scheidegg die Kletterer in der Wand beobachten. Dass sich ein Unglück wie 1936, bei dem vier Bergsteiger in einer Seilschaft um Andreas Hinterstoißer ums Leben kamen ereignet, ist eher unwahrscheinlich, zu gut funktioniert heute die Wettervorhersage, als dass die Teams von einem Wettersturz überrascht werden könnten.

Zugegeben: Mit einem Fernglas kann man jedem berühmten Berg zu Leibe rücken. Doch mit der Eigerwand kommt man sogar auf Tuchfühlung – per Jungfraubahn. Etwa 45 Minuten tuckert die Zahnradbahn von der Kleinen Scheidegg durch einen Tunnel durch den Eiger hindurch und spuckt die Besucher immer wieder zu kurzen, imposanten Fotopausen aus. An der Station Eigerwand ergibt sich so dieselbe Perspektive, wie sie auch Bergsteiger in der Wand haben. Auf dem Jungfraujoch (3454 m) blendet die Schönheit der weißen Umgebung, die Sonne brennt, die dünne Luft wird zum eisigen Wind. Seit vor über 90 Jahren die Zahnradbahn gebaut wurde, reißt der Besucherstrom auf die höchstgelegene Bahnstation Europas mit Blick auf den Aletschgletscher nicht mehr ab.

Faszination Eiger-Norwand

An der letzten Station vor dem eigentlichen Tunnel, der Haltestelle Eigergletscher, beginnt der Eiger-Trail. Er führt direkt am Fuß der berühmten Nordwand entlang auf die Einstiegsstelle der vielleicht bekanntesten Bergroute der Alpen zu. Eine kleine Infotafel weist den Einstieg in die Normalroute und bereits begangene Aufstiegs-Varianten der Eiger-Norwand. Was schon eine Todeswand für viele war, bleibt für andere noch immer eine teuflische Herausforderung und für den Durchschnittsalpinisten ein Ding der Unmöglichkeit. Für den einheimischen Extrembergsteiger Ueli Steck ist die Eigernordwand dagegen ein Rekordobjekt. Der Schweizer Alpinist hat im Februar 2008 die Besteigung im Alleingang innerhalb von 2 Stunden und 47 Minuten geschafft; die Erstbesteigung des Teams Heckmair, Vörg, Harrer, Kasparek hatte im Juli 1938 vier Tage benötigt. Einige Meter weiter bahnt sich ein Gletscherfluss seinen Weg aus einer Schneedecke in das felsige Flussbett. Zahlreiche kleine Steinmännchen stehen auf der umliegenden Geröllfläche herum. Ein alter, zerzauster Magnesium-Beutel lugt zwischen den Felsbrocken im Gletscherstrom. Wer ihn wohl verloren hat? Unwillkürlich hebt man seine Augen auf zu den Bergen und denkt: Möge der Herr seinen Fuß nicht gleiten lassen.

OD_0511_Berner Oberland_Tourenkarten_richter_berner-oberland-(27)_100pc (jpg)
Sissi Richter

Berner Oberland: Reiseinfos

Charakter
In den Berner Alpen dominiert der Steilabfall des Hauptkammes. Auf wenigen Kilometern geht das Gelände von der 4000er-Region im Aletschgebiet in die knapp 3000 Höhenmeter tiefer gelegenen Vorberge über. Wanderer erwarten in mittlerer Höhenlage einfache bis mittelschwere Bergtouren, die Gletscherwelt bleibt erfahrenen Bergsteigern und geführten Gruppen vorbehalten.

Beste Reisezeit
Juni bis Oktober

Anreise und Transfer
Je nach Ausgangsort auf der Autobahn über Zürich oder Bern nach Interlaken und von dort in die jeweiligen Täler. Der Nahverkehr vor Ort ist sehr gut ausgebaut. Empfehlenswert ist der Kauf des 6-Tage-Passes für die Jungfraubahnen (150 Euro/ 210 CHF). Darin eingeschlossen sind Züge, Zahnradbahnen und Gondeln.

OD_0511_Berner Oberland_Berner-Alpen-UeK-2 (jpg)
outdoor

Touren

Übernachtung
Hotel Restaurant Neuhaus am See, 3800 Interlaken, Tel. 0041/338232991.
Hotel Restaurant Alpenblick, 3812 Wilderswil, Tel. 0041/338283550.
Hotel Restaurant Beau-Site, 3800 Interlaken, Tel. 0041/338267575.

Informationen
Interlaken Tourismus, Höheweg 37, Postfach 369, 3800 Interlaken,
Tel. 0041/338265300,
mail@interlakentourism.ch

Jungfraubahnen, Harderstraße 14, 3800 Interlaken,
Tel. 0041/338287233,
www.jungfraubahn.ch

Niesenbahn AG, Standseilbahn & Berghaus, 3710 Mülenen,
Tel. 0041/336767711,
www.niesen.ch

Allgemeine Informationen zum Ferienland Schweiz: Schweiz Tourismus Tel: 00800/10020030 (gebührenfrei), www.MySwitzerland.com

Karte
Landeskarte der Schweiz,
Jungfrauregion, Blatt 2520,
Maßstab 1:25000, 25 CHF

Literatur
Berner Oberland Ost, Daniel Anker: Rother Wanderführer, 12,90 Euro.
Berner Oberland West, Daniel Anker, Rother Wanderführer. 12,90 Euro

Tipps vor Ort

Die Wilhelm-Tell-Freilichtspiele auf der Naturbühne in Interlaken finden jährlich von Mitte Juni bis Mitte September statt, Infos unter www.tellspiele.ch

Das erste Touristik-Museum der Schweiz stellt auf drei Stockwerken die Entwicklung der Jungfrau-Region dar, geöffnet Mai–Oktober, dienstags–sonntags 14–17 Uhr,