Der Klettersteig Piz Trovat eignet sich für Einsteiger und eröffnet atemberaubende Blicke auf die Engadiner Drei- und Viertausender.
Lage: Der Piz Trovat (3145 m) liegt im alpinen Herzen des Schweizer Kantons Graubünden, nahe Italien.
Anreise: Von St. Moritz auf der Bundesstraße südöstlich Richtung Bernina-Pass halten. Nach rechts zum Parkplatz der Diavolezza-Bahn abbiegen.
Beste Zeit: Juni–September
Anspruch: mittelschwer, sehr gut abgesichert (K2–K3)
Höhenmeter: 300 m Höhendifferenz.
Start: Bergstation Diavolezza
Wegbeschreibung: Einer steilen Einstiegsleiter folgt einfache Kletterei in geneigtem Fels. Nach einem erholsamen Band quert man die Schlucht über eine Seilbrücke und gelangt über Felsplatten mit einer Trittleiter bis zum Gipfel. Zurück zur Station über alpinen Weg.
Ausrüstung: Klettersteig-Ausrüstung (Gurt, Sicherung, Helm, Handschuhe), kann auch an der Diavolezza-Talstation gemietet werden. Festes Schuhwerk ist unbedingt erforderlich.
Gehzeit: 1–2 Stunden bis zum Gipfel, etwa 45 min Abstieg über den alpinen Wanderweg zur Diavolezza zurück.
Kontakt: Diavolezza-Bahn AG,
Tel. 0041/81/8393939
Info: Tourismusbüro Engadin St. Moritz, Via San Gian 30, CH-7500 St. Moritz, Tel. 0041/81/8300800, Fax 8300818, www.engadin.stmoritz.ch

Das Postkarten-Panorama von Piz Palü und Piz Bernina ist für viele Bergwanderer nichts Neues – in fast jedem Schweizer Bildband funkeln die Graubündner Schneeriesen um die Wette. Recht unbekannt dagegen ist bisher noch der Felsblock am Rande dieser alpinen Szenerie, nur wenige Gehminuten von der Bergstation und Aussichtsterrasse Diavolezza entfernt: der Piz Trovat (3146 m).
Wo Einsteiger Blicke auf Viertausender genießen
Erst seit wenigen Jahren führen Eisenstifte, Trittleitern und Drahtseile hinauf zum kargen Gipfel – eine ideale Möglichkeit, um als Klettersteig-Anfänger gut gesichert in die Welt der 3000er einzusteigen. Dazu zähle auch ich an diesem frühen Samstagmorgen. Die Sonne versteckt sich noch im Morgengrauen, mein Atem geht schwer auf über 2800 Metern Höhe, die Fingerspitzen sind von der Morgenfrische unterkühlt. Doch das frühe Aufstehen, um die erste Gondel vor 9 Uhr zu erwischen, zahlt sich aus: Absolute Stille empfängt uns an der Bergstation. Nur die faustgroßen Steine knirschen, als mein Klettersteigpartner in großen Schritten über das Geröllfeld zum Einstieg eilt. Er kennt die Tour und will unbedingt der Erste sein: »Wir steigen der Sonne entgegen – dieses Gefühl kannst du nur genießen, wenn von hinten niemand drängelt.«
Begleitet von gleißenden Gletschern

Der vertikale Weg auf den Piz Trovat führt über 475 eingebaute Tritte, an 600 Meter Drahtseil entlang und über einige Meter Hängebrücke hinauf. Das Panorama aus gleißenden Gletschern immer im Rücken, steigt man in etwa zwei Stunden auf den Gipfel. Wer wie ich zum ersten Mal auf den Klettersteig geht, dem flößt die als technisch und konditionell mittelschwer eingestufte Tour zunächst Respekt ein. Doch als ich mich nach den ersten Minuten in der Wand kurz umsehe, nähern sich bereits die nächsten Kleterer von der Bergstation her – eine Familie mit Kindern. Allzu schwer, denke ich, kann es also nicht werden. Doch immer wieder wartet der Steig mit kleinen Kletterzügen auf, der Körper streckt sich um die Ecke, um den nächsten guten Griff zu erhaschen, und die Wade beginnt beim einbeinigen Stand auf schmalen Felsspitzen schnell zu zittern – ich bin froh über die engen Hakenabstände, die mir ein sicheres Gefühl geben.
Mein Partner ist schon längst wieder ums nächste Eck, als ich das kurze flache Stück vor der Hängebrücke erreiche. Ich atme auf. Hier – so denke ich – kann man ja auch mal ungesichert laufen. Plötzlich durchfährt ein Donnern die Stille. Getöse füllt das Tal, hallt grollend zwischen den Gletscherbergen wider. Ich zucke zusammen und schnappe nach dem Drahtseil neben mir, froh, sicheren Stand zu haben. Nicht mehr als einen Kilometer Luftlinie von mir entfernt hat der Piz Palü eine Lawine in die Tiefe gespuckt, die nun wie in Zeitlupe den steilen Hang hinuntertreibt. Meterhohe Wolken aus feinem Schneestaub wirbeln rechts und links der Lawinenbahn herum und sinken nur langsam zu Boden. Während das letzte schwache Poltern auf der anderen Seite der Gletscherzunge abebbt, kehrt meine Aufmerksamkeit zurück zum Klettersteig. Schnell hängen trotz breitem Weg beide Karabiner wieder am sicheren Drahtseil, gegenläufig, wie es sich gehört, und immer einen nach dem anderen umgehängt. Auch wenn die Tour auf den Piz Trovat überdurchschnittlich gut abgesichert und im Sommer durchgängig schneefrei ist, erinnern die eisgekrönten Gipfel in der Umgebung ständig daran, dass man mitten durchs Hochgebirge klettert und die Natur mit all ihren Gewalten Respekt verdient.
Langsam wärmt die Sonne den Fels
Umringt von den großen Brüdern Piz Cambrena (3606 m), Piz Palü (3901 m), Bellavista (3922 m) und dem Piz Bernina (4049 m) ragt der karge Fels des Piz Trovat auf. Zwischen den Gipfeln wälzen sich dick und breit die beiden Zungen von Pers- und Morteratschgletscher hinab in das Engadiner Hochtal Val Bernina, das von St. Moritz über den Bernina-Pass nach Italien führt. Zahlreiche Drei- und Viertausender bestimmen das hochalpine Gesicht der Region.
Langsam kriecht die Sonne um die rötlich schimmernde Felskante, der Wind verliert an bissiger Kühle, ich hole die Sonnenbrille hervor. Weil die reine Gehzeit überschaubar ist, genießen wir auf einem Felsvorsprung die wärmenden Strahlen. Jeder Blick nach hinten hat bisher eine neue Perspektive auf den Gletscherkessel geschenkt; jetzt klaffen uns Spalten aus der Ferne entgegen, eisblaue Flächen blitzen hier und da auf, und die Ostpfeiler der schneebedeckten Berge schimmern glatt im Licht der Morgensonne.
Auf zum Endspurt!

Die ersten Tourengeher kehren schon vom Gipfel zurück, eine geführte Gruppe bricht auf zum Gletschertrekking, über uns schweben lautlos bunte Paraglider. »Wie schön«, rutscht es mir heraus, »dass wir immer festen Boden unter den Füßen haben.« Mein Bergpartner lacht, zieht den Kinngurt des Helms fest und schiebt mit einem munteren »Auf zum Endspurt!« die Ärmel nach oben. Ich wische ein wenig Schweiß von den Händen, denn der Höhepunkt steht bevor: die Hängebrücke. Einzeln nehmen wir die schmalen, knarzenden Bretter, die Beine wippen fühlbar, die Drahtseile schwingen nach links und nach rechts, von unten gähnt eine tiefe Felsschlucht herauf. Kaum hat man sich von der Brückensicherung gelöst, geht die Route direkt in die Senkrechte über. Große Tritte in Bügelform machen das Klettern so einfach, dass ich mich dabei ertappe, die Sicherung nicht einzuhaken. Doch ein kurzer Blick über die Schulter bringt mich zur Vernunft: Weit unter meinen Füßen ergießt sich der lose Geröllabhang um den Fuß des Gipfelmassivs. Und knapp über mir wehen bunte Tibet-Fahnen im Wind – das Ziel.
Nur eine knappe halbe Stunde alpiner Wanderweg auf der Nordseite trennt uns von den Sonnenliegestühlen mit Wolldecken an der Diavolezza. Wohlig eingemummt, den Morteratschgletscher im Blick, fühle ich mich vor Schneelawinen, Hangabgängen und Moränen sicher. Der dumpfe Hall eines Steinschlags dringt herüber. Ich lausche und meine Applaus herauszuhören, für meinen ersten Dreitausender im Klettersteiggurt.
outdoor-Tipp: Wer noch eine alpine Herausforderung sucht, kann bei Pontresina, kurz vor dem Ortseingang, einen weiteren Klettersteig mitnehmen: »La Resgia« (2–3 h). Er ist technisch anspruchsvoller; in der Mitte wartet ein Gitternetz, das man innen oder außen begehen kann.