Ein warmer Oktobertag, die Sonne strahlt vom tintenblauen Himmel und lässt die roten Dächer des Örtchens Husseren-les-Châteaux leuchten. Hinter der 500-Seelen-Gemeinde steigen die bewaldeten Hänge des Hausbergs auf, gekrönt von den drei Egsen. So nennen die Einheimischen die Ruinen dreier Burgen aus dem 12. und 14. Jahrhundert, die wie erhobene Finger auf dem Gipfel thronen. Von hier oben öffnet sich der Blick auf die Weinberge, ein paar verstreute Weiler, die Rheinebene und weit in der Ferne den Schwarzwald. Zwei Wanderer haben es sich auf einem Mauerrest bequem gemacht, baumeln mit den Beinen und schauen einem Bussard zu, der hoch oben seine Kreise zieht. Nichts stört die Ruhe, nur der Wind raschelt leise in den Kronen der Eichen – ein perfekter Auftakt für ein Wochenende im Elsass, einem Traumrevier für Genusswanderer.

Im äußersten Osten Frankreichs gelegen, vereint es die Schönheit der Vogesen mit der Weite der Rheinebene. Sonnige Täler wechseln mit dicht bewaldeten Hängen und Hügeln ab, durchzogen von Dörfern und kleinen Städtchen. Der Weinbau prägt in weiten Teilen die Landschaft. Sieben verschiedene Weinsorten bauen die Elsässer Winzer an, nur eine davon – der Pinot Noir – ist ein Rotwein. Vom fein fruchtigen Riesling bis zum intensiven Gewürztraminer reicht das Spektrum, Weinführer listen über fünfzig Spitzenlagen für die Region. Auch die elsässische Küche genießt einen hervorragenden Ruf. Mit hausgemachten Flammkuchen, deftigen Sauerkraut-Quiches oder süßem Gugelhupf bedient sie die unterschiedlichsten Geschmäcker. Wohin die Wanderung auch geht: An einem der rustikalen Landgasthöfe, den sogenannten Ferme-Auberges, kommt man fast immer vorbei. Und was läge da näher als ein genussreicher Abstecher ins grenznahe Frankreich? Am besten im Herbst, wenn sich das Laub der Weinstöcke bunt färbt. Ein guter Ausgangspunkt, um den Farbenrausch zu genießen, ist das malerische Städtchen Eguisheim. Sieben Kilometer südwestlich von Colmar gelegen, gehört es zum regionalen Naturpark »Ballons des Vosges« und ist Startort einer Rundwanderung, die auch die Augen verwöhnt.
Eine leichte Brise lässt das Weinlaub zittern und erinnert den Wanderer daran, dass trotz der strahlenden Sonne der Herbst Einzug hält. Am Wegesrand recken immer wieder kleine Schirmpilz-Nester ihre Köpfe durch das taufeuchte Gras, ein Schwarm Krähen flattert auf und fliegt dem fernen Kaiserstuhl zu, der über den Rhein herübergrüßt. Langsam windet sich der Weg nach Husseren-les-Châteaux, wo am Dorfbrunnen der Aufstieg zu den drei Ruinen der Dagsburg, Wahlenburg und Weckmund beginnt. Durch lichten Esskastanienwald führt der Weg, kleine, stachelige Kugeln übersäen den Boden. Durch das Laub der Baumkronen fallen ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen auf die bemoosten Felsen. Etwas unterhalb des Gipfels wartet ein Aussichtsfelsen mit Sitzbank und dem klangvollen Namen »Damensessel«, nach dem Abstecher auf den Gipfel geht es hier wieder in Richtung Eguisheim. Durch Laub- und dunklen Nadelwald führt der Pfad ins Tal hinunter, zurück in die Weinberge, die voller roter und weißer Trauben hängen, bis nach rund drei angenehmen Stunden der Ausgangspunkt Eguisheim erreicht ist.
Das steht ganz im Zeichen des Weinbaus, 34 Winzer leben und arbeiten hier. In den schmalen, ringförmig um den Marktplatz angelegten Gassen mit den fachwerkbeladenen Häusern lädt alle paar Schritte ein anderes Weingut zu einer Verkostung ein. Ein besonders schönes ist das Gut von Joseph Freudenreich, wo sich die Wirtschafts- und Wohngebäude um einen hellen Innenhof drängen. »Kommen Sie nur herein, was möchten Sie probieren?« Frau Freudenreich reicht hier neben verschiedenen Weißweinsorten wie Gewürztraminer und Sylvaner auch den roten Pinot Noir, Sekt, Liköre und Hochprozentigen wie Erdbeer- oder Birnenschnaps. »Wir gehören zu den rund 90 Familien Eguisheims, die vom Weinbau leben. In unseren Weinbergen bauen wir alle sieben für das Elsass typischen Rebsorten an«, erläutert die Chefin und füllt die Weingläser nach.

Ein paar Straßen weiter bietet Chez Thierry selbstgemachte Trockenwurst in allen Variationen an – nicht in einem Laden, sondern direkt von der kopfsteingepflasterten Gasse an einem kleinen Straßenstand. Die Besitzerin Marina Bandini hält nicht nur Kostproben von feiner Wildschwein- und Fasanenwurst bereit, sondern lässt sich auch ein elsässisches Rezept entlocken: »Probieren Sie unbedingt einmal Gänseleberpastete mit Lebkuchen. Klingt zwar ungewöhnlich, schmeckt aber vorzüglich.« Die Zutaten hat sie selbstverständlich am Stand. Wie eine Puppenstube wirkt Eguisheim, der alte Stadtkern entführt den Besucher in eine fachwerkgeschmückte Vergangenheit. Auf dem Marktplatz schleicht eine Katze um den Brunnen, während eine Bäckerin zwei Wanderern kleine, süß duftende Makronen mit Pistazien- und Kokosgeschmack in die Hände drückt. Üppig bestückte Blumenkästen zaubern farbenfrohe Akzente an die Hauswände, über hölzernen Türstürzen knarren die Schilder der Gaststätten und Weinstuben. Bei bodenständiger elsässischer Kost wie Flammkuchen oder »Gratin de Spätzle« mit würzigem Münsterkäse kann man hier bei einem guten Glas Wein den Abend einläuten und sich auf den nächsten Tag freuen.
Herbstmorgen im Elsass haben ihre ganz eigene Magie
Oft wabert der Nebel aus dem Rheintal zum Elsass herüber und taucht alles in ein diffuses Licht. Die ersten Sonnenstrahlen lassen das Nebelmeer aufleuchten – dann verblasst es allmählich. Die klare Sicht und die gute Luft verlocken zum Wandern.

Etwas südlich von Eguisheim, im Vallée Noble, lockt Soultzmatt als Ausgangspunkt für eine schöne, etwa 16 Kilometer lange Rundtour. Anders als bei Eguisheim leitet der Weg hauptsächlich durch Wälder und nicht durch Weinberge. Und was für Wälder das sind: bunt leuchtende, kräftige Buchen, duftende Kiefern, und den Boden bedecken frischgrüne Adlerfarne. Auf dem »Chemin du Heidenberg« wandert man bis zur Kuppe des benachbarten Hügels, unterwegs laden bemooste Felsen zu einer Rast ein: Eine zum Tischtuch umfunktionierte Serviette, saftige Trauben, Baguette und Frischkäse zaubern eine einfache, aber köstliche Zwischenmahlzeit.
Bald rücken die ersten Häuser von Osenbach in Sicht. Das Örtchen hat bemerkenswert viele Brunnen, nicht wenige von ihnen geschmückt mit Heiligenfiguren. Dahinter steigt der Weg an, der Blick schweift über die roten Dächer, die sich um die Kirche mit ihrem romanischen Glockenturm ausbreiten. An klaren Tagen gibt sich am Horizont sogar der Grand Ballon die Ehre, der mit 1424 Metern höchste Berg der Vogesen. Eine Weile säumen Pferde- und Kuhweiden den Pfad, dann schlängelt er sich unter mächtigen Eichen entlang, Fliegenpilze leuchten im Laub, es riecht nach frischer Erde. Im weichen Boden haben Wildschweine ihre Spuren hinterlassen, blicken lässt sich aber keines von ihnen.
In Osenbuhr, in der »Auberge au bon Chasseur«, nimmt der Wanderer neben dem grünen Kachelofen Platz, der Wirt bringt Kaffee und den typischen elsässischen Gugelhupf, garniert mit Mandelplättchen und mit Puderzucker bestreut. So gestärkt fällt der Rückweg leicht. Nach etwa fünf Kilometern auf schattigen Waldwegen treten die Bäume zurück. Im Abendlicht liegt eine große Wiese, hinter der die Weinberge nach Soultzmatt abfallen. Von einem nahen Bänkchen hat man einen fantastischen Blick hinab ins Vallée Noble. Dessen Name geht übrigens auf das Mittelalter zurück, als viele adelige Familien das Tal bewohnten. Sieben Burgen zeugen von dieser Epoche, eine wird heute noch bewohnt und als Weingut genutzt. Der Blick schweift über das Tal, in den Dörfern blinken die ersten Lampen, weit im Osten hinter der Rheinebene liegt schweigend der Schwarzwald. Leise geht der goldene Herbsttag zu Ende.
Reise-Infos zum Weinland Elsass:

Lage: Im Osten Frankreichs, an der Grenze zu Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und der Schweiz. Hauptstadt des Elsass ist Straßburg.
Charakter: Den Westen des Elsass prägen die Berge der Vogesen. Der höchste von ihnen ist der Grand Ballon (1424 m), mit seinem Rundgipfel ein typischer Vertreter der Region. Im Osten grenzt die Rheinebene an die Vogesen. Dort, wo die Berge in die Ebene übergehen, liegt das Reich der Geniesser.
Anreise: Als Ausgangspunkt für Touren eignet sich das schmucke Örtchen Eguisheim. Von Karlsruhe kommend auf der A 5 Richtung Süden bis Offenburg fahren, bei Ausfahrt 55 ab und über Colmar nach Eguisheim.
Beste Zeit: Am schönsten ist es zur Zeit der Weinlese im Oktober, wenn sich das Laub der Reben golden verfärbt. Das gute Wetter hält oft bis in den November hinein an.
Unterkunft: Ein gemütliches Drei-Sterne-Hotel für Genusswochenenden in Eguisheim ist zum Beispiel das »La Ferme du Pape« (hostellerie-pape.com, Tel. 00 33/3 89 41 41 21). Wer ein Chalet sucht, ein rustikales Holzhäuschen, sollte sich das Feriendorf »Auberge et Chalets de la Wormsa« sieben Kilometer entfernt von der Ortschaft Munster anschauen. Preis für zwei Personen je nach Saison zwischen 60 und 140 Euro von Samstag auf Sonntag (alsace-chalets.fr, Tel.
0033/389777290).
Einkehr: In Eguisheim bietet das »Papilles sur Canapes« Elsässer Spezia- litäten zu guten Preisen. In Gunsbach das Restaurant Saint-Hubert, 6 rue de Wihr-au-Val. Tel. 0033/389774734, in Munster das Restaurant au Petit Munster, 30 Rue de la République, Tel. 0033/389775193.
Literatur: Elsass, Antje und Gunther Schwab, Michael Müller Verlag, 2009, 14,90 Euro.
Barbara und Jörg-Thomas Titz: Elsass, Rother Wanderführer, 2009, 12,90 Euro, Neuauflage im Oktober 2012.
Info: tourisme-alsace.com. Touristeninformation in Eguisheim: Grand Rue 22, Tel. 0033/389234033
outdoor-Tipp: Anfang Oktober findet das traditionelle Weinfest in der Ortschaft Barr statt.