Unter dem Titel "Athletes’ performance in different boulder types at international bouldering competitions" erschien im International Journal of Performance Analysis in Sport das Ergebnis einer Studie. Dafür haben die Wissenschaftler PD Dr. Claudia Augste, Paulin Sponar und Marvin Winkler untersucht, welche Anforderungen im Wettkampfbouldern gestellt werden und wie die Athleten und Athletinnen sich sich im Hinblick auf die verschiedenen Anforderungen schlagen. Wir haben Marvin dazu befragt.
Marvin, was genau habt ihr untersucht?
Ziel war es, die Häufigkeit bestimmter Boulderkategorien bei internationalen Wettkämpfen zu ermitteln, also zum Beispiel, wie häufig Dynamos im Vergleich zu anderen Bewegungsanforderungen wie Platten, Mantle, Volumen- oder Leistenbouldern vorkommen. Dabei haben wir nach Geschlecht, Wettkampfrunden und Bouldersequenzen differenziert und diese miteinander verglichen, um besondere Auffälligkeiten zu identifizieren. Darüber hinaus wollten wir herausfinden, ob die Athleten die verschiedenen Boulderkategorien mit unterschiedlichem Erfolg absolvieren und wie sich Top-Athleten von weniger erfolgreichen Athleten unterscheiden.
Wie seid ihr dabei vorgegangen?
Als Datengrundlage dienten uns die IFSC-Videos der Halbfinal- und Finalrunden aller Boulderweltcups von 2017 und 2018 sowie die entsprechenden Wettkampfergebnisse. Jeden Boulder haben wir in zwei Sequenzen unterteilt: Von der Startposition bis zum Zonengriff und vom Zonengriff bis zum Topgriff. Für jede Bouldersequenz haben wir zunächst für alle Athleten analysiert, an welchem Zug diese am häufigsten stürzten, um die Crux der jeweiligen Bouldersequenz zu identifizieren. Aus vielen möglichen Boulderkategorien haben wir fünf Kategorien festgelegt: erstens Dynamos, zweitens Platten, drittens Mantle und Stützboulder sowie viertens kraftzentrierte Boulder an entweder Volumen und Slopern oder an Leisten (fünftens). Den Cruxzug der jeweiligen Bouldersequenz haben wir einer dieser fünf Kategorien zugeordnet. Dazu haben wir erfasst, wie viele Versuche die Athleten zum Erreichen des Zonen- und Topgriffs benötigten.
Was habt ihr herausgefunden?
Wenn man die Top 20 mit den weniger erfolgreichen Athleten vergleicht, zeigte sich, dass bei den Damen die Top 20 quasi in allen Kategorien besser waren. Bei den Herren hingegen zeigte sich ein anderes Bild: Hier waren die Top 20 nur in Dynamos und Platten besser, in den anderen Boulderkategorien gab es keine Unterschiede.
Bestätigt das die Stereotypen, dass Frauen eher Kraft fehlt und Männern eher die Plattenkünste, oder habe ich das falsch verstanden?
Ich würde das eher so sehen, dass im absoluten Spitzenbereich weder den Frauen die Kraft fehlt, noch den Männern die Plattenkünste. Tatsächlich sinken aber außerhalb der Top 20 der Weltrangliste die Erfolgsquoten in diesen Kategorien. Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass die Häufigkeit der Boulderkategorien sich bis zur Zone und bis zum Top von Wettkampf zu Wettkampf unterscheidet.
Zwischen den Runden innerhalb eines Wettkampfes sowie zwischen Damen und Herren gab es jedoch keine signifikanten Unterschiede, sondern lediglich eine Tendenz, dass Platten etwas häufiger bei den Damen als bei den Herren geschraubt wurden. Insgesamt waren über die Hälfte der Cruxzüge Dynamos, etwa ein Viertel kraftzentrierte Volumenboulder, zehn Prozent kraftzentrierte Leistenboulder, gefolgt von Platten und Mantlen oder Stützbouldern.
Die Ergebnisse bestätigen die vorherrschende Meinung und wissenschaftliche Evidenz: Eine Interview-Studie von Claudia Augste und Stefan Künzell mit Nationalkadertrainern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie einer Landestrainerin ergab, dass bei den Herren die Kraft als Eintrittskarte ins internationale Wettkampfklettern angesehen wird, sich die Topathleten darin aber kaum mehr voneinander unterscheiden. Auch die internationale Arbeitsgruppe um Michail Michailov 2009 fand keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Fingerkraft und dem Weltcupergebnis bei männlichen Spitzenathleten.

Welche Schlussfolgerungen zieht ihr aus den Ergebnissen? Welche Konsequenzen kann man daraus fürs Training ableiten?
Im Sinne eines langfristigen Leistungsaufbaus ist es wichtig, bereits im Kindes- und Jugendalter ein breites Fundament an Bewegungserfahrung zu entwickeln, um später in allen Boulderkategorien erfolgreich sein zu können. Dies zeigte sich insbesondere bei den Frauen, wo die Top 20 Athletinnen in allen Kategorien besser abschnitten als die in der Weltrangliste darunter gerankten.
Bei den Frauen sollte das Training der konditionellen Fähigkeiten verstärkt werden – besonders bei den kraftzentrierten Bouldersequenzen wiesen die weniger erfolgreichen Athletinnen ein großes Leistungsdefizit zu den Top 20 auf. Bei den Männern dient das Training der konditionellen Fähigkeiten eher zum Erreichen einer bestimmten Leistungsfähigkeit, als Eintrittskarte für das internationale Wettkampfbouldern – dieses sollte beibehalten werden, jedoch sollte der Trainingsschwerpunkt auf das Lösen von Bewegungsaufgaben insbesondere von Dynamos und Platten gelegt werden.
Grundsätzlich zeigen unsere Ergebnisse, dass ein Trainingsschwerpunkt auf Dynamos gelegt werden sollte. Diese traten nicht nur am häufigsten auf, sondern die Athleten waren darin auch weniger erfolgreich und benötigten mehr Versuche als in den anderen Boulderkategorien. Dynamos erfordern eine hohe zeitlich-räumliche Koordination, die mit einer Vielzahl von unterschiedlichen dynamischen Bewegungen trainiert werden sollte.
Was sollte man als nächstes untersuchen?
Aus trainingspraktischer Sicht sollten derartige Untersuchungen beibehalten werden, um die Athleten optimal auf Boulderwettkämpfe vorzubereiten. Auch könnten Präferenzen der Routenbauer in Abhängigkeit von den Austragungsorten aufschlussreich sein, sowie potenzielle Defizite einzelner Athleten oder eines Teams identifiziert werden, was wertvolle Hinweise für die weitere Trainingsplanung und Trainingssteuerung liefert.
Seitens der Uni Augsburg haben wir zudem weitere Wettkampfanalysen durchgeführt, mit dem Ziel, die quantitative Belastungsstruktur von Wettkämpfen zu analysieren. Beide Erkenntnisse fließen in die Entwicklung von sogenannten Leistungsstrukturmodellen ein, mit dem Ziel, die Relevanz einzelner Komponenten der Wettkampfleistung sowie deren Zusammenhänge zu bestimmen, um daraus spezifische Tests und Trainingsmethoden abzuleiten.
Danke Marvin!

Zum Abstract: Athletes’ performance in different boulder types at international bouldering competitions im International Journal of Performance Analysis von Claudia Augste, Paulin Sponar und Marvin Winkler