In diesem Artikel stellen wir euch einen abenteuerlichen MTB-Alpencross von Garmisch-Partenkirchen nach Riva am Gardasee vor: Die Redakteure Gunnar Homann und Alex Krapp berichten darin von ihrer ersten gemeinsamen Radtour über die Alpen. Viele weitere Alpencross-Routen & Tipps – vor allem auch für Wanderer – findet ihr im kostenpflichtigen PDF zum Download hier:
Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal mit dem Mountainbike über die Alpen zu fahren? Ein Versuch.
Nehmen wir mal Herrn Wiesenfarth. Herr Wiesenfarth ist Downhiller. Auf seinen Reifen steht "Fat Albert", und so sehen sie auch aus. Kaum sitzt er auf dem Bike, reißt er den Lenker hoch und fährt ein Stück auf dem Hinterrad. Ständig schießt er Böschungen hinauf, anstatt den Lenker geradeaus zu halten wie Herr Krapp und ich, lässt sein Hinterrad ausscheren und erzeugt damit kleine Staubwolken. Will er vielleicht die ganzen 360 Kilometer und 5500 Höhenmeter zwischen Garmisch und dem Gardasee auf diese Weise zurücklegen?
5500 Höhenmeter. Ich mag gar nicht dran denken, auch wenn Profis so etwas in zwei Tagen wegkurbeln. Wir haben fünf, obwohl unsere Route, die Via Claudia Augusta, in Fachkreisen als Kinder-Alpencross gilt. Eibseeblick, Fernpass, Reschenpass, Gampenjoch, das ist grob die Linie; höher als 1500 Meter wird es nicht gehen, die Strecke läuft meistens auf Asphalt, Todesschluchten gibt es auch keine. Sogar die Römer haben den Weg teilweise schon genommen, und die sind nie besonders berühmt für ihre Mountainbikes gewesen. Sie zuckelten auf der Via Claudia Augusta von Augsburg an die Adria. Mit Ochsenkarren. Und jetzt wir: Jede Menge Zahnkränze, Krapp und Wiesenfarth vollgefedert und mit Klickpedalen, ich auf dem Hardtail und mit meinen Wanderschuhen.
MTB-Alpencross auf der Via Claudia

Die Zeichen stehen gut: Als wir frühmorgens im grünen Tal am Fuß der Zugspitze entlangrollen, sehen wir zwei gut gelaunte weiße Wolken am Himmel, das goldene Gipfelkreuz leuchtet, es duftet nach frisch gemähten Wiesen. Aber ich weiß, dass der Hammer beim Alpencross auf der Via Claudia am Schluss fällt. Drei Tage wird sie versuchen, uns übermütig zu machen, und dann Bamm – 3000 Höhenmeter an zwei Tagen.
"Am Berg muss jeder sein eigenes Tempo fahren", sagt Wiesenfarth. Wir sind jetzt am Berg, dem ersten auf dieser Tour. Hoch zum Eibseeblick auf 1500 Meter geht es. Der Asphalt ist Schotter gewichen, es knirscht unter den Stollen, der Wald kühlt. Aber wie schnell soll man es angehen? Keiner von uns ist je einen Alpencross gefahren. Herr Wiesenfarth, weil er viel lieber Trails hinabschreddert (und dem ich noch zwei Tage gebe, bis er vor Langeweile vom Rad kippt). Herr Krapp und ich, weil wir vorher nie auf die Idee gekommen sind.
Genau genommen sind wir bis vor ein paar Wochen überhaupt nicht besonders viel Rad gefahren, und schon gar keines, das so aussieht, als könne man auf ihm jeden Moment über den Lenker fliegen. Plus solche Unruhestifter wie mein Knie – beim Wandern hatte es zuletzt verdammt gezogen. Ob es halten wird? Herr Krapp hatte es vor dem Start mit dem Rücken. Herrn Wiesenfarth fehlt meines Wissens nichts außer einem schnellen Singletrail, aber er ist Fotograf und hat von Berufs wegen ein Handicap, sein schweres Kameraequipment. Aber vermutlich macht ja gerade das den Reiz einer Alpenüberquerung aus: zu sehen, ob man es schafft.
Transalp per Bike: Den Fernpass hinauf

Es läuft gut. Ruckzuck erreichen wir den Eibseeblick, höhenmetermäßig schon die halbe Miete heute. Der See funkelt unter uns aus dem Wald, dann rollen wir ins Tal, nach Ehrwald in Österreich. Wenn das Alpencross ist, dann fällt er leicht. Das Gelände weitet sich, die Zugspitze liegt jetzt als kompakte Mauer in unserem Rücken. Ich sage es nicht gerne, aber sie sieht hier beeindruckender aus als auf der deutschen Seite. Den Fernpass hinauf verschluckt uns wieder der Wald.
Tief und breit kerbt die Via Augusta in die Erde; man kann sich vorstellen, wie die Römerkarren sich hier eingruben. Kein Mensch außer uns ist unterwegs. Herr Wiesenfarth fährt weiter Böschungen hinauf und versucht, uns zu Downhills zu überreden. Ständig weist er in schattige Löcher im Wald. "Das sieht doch gut aus", sagt er und schaut erwartungsvoll. Herr Krapp und ich sagen dann meistens nichts. Als ein Schild "Radfahren verboten" anzeigt, hält Wiesenfarth es nicht länger aus. "So ein Schild ist doch der sicherste Hinweis für einen guten Trail", sagt er und heizt los.
Das erste Bier hinter dem Fernpass erreichen wir über eine Rüttelpiste, die hinab zur Straße und direkt in eine Raststätte führt. Es gibt Schnitzel mit Pommes frites dazu. Und Musik: "Dreaming dreams of Amarillo, schalalalala". Sobald ich sitze, spüre ich, wie sich eine Müdigkeit in meinen Körper senkt, die beim Fahren noch nicht da war. Den anderen geht es anscheinend genauso – ein zweites Bier mag keiner trinken, jedenfalls nicht, bevor im Örtchen Tafferns kurz vor unserem Tagesziel Imst rechter Hand am Berg das sogenannte Starkenberger Biermythos aufragt, rein äußerlich eine Burg. Herrn Krapps Sorge, es könne sich bei ihr um etwas so Trostloses wie ein Museum handeln, räumt ein eilends hinzugezogener Einheimischer sofort aus. »Da kannst du sogar in Bier baden«, sagt er. Was stimmt: Im Gärkeller der Brauerei lädt das laut Eigenwerbung erste Bierschwimmbecken der Welt zum Bad: 12.000 Liter Wasser, versetzt mit 300 Litern Bierhefe, die für geschmeidige Haut sorgen soll. Wir wenden das Bier aber doch lieber von innen an, wir versprechen uns mehr davon. Verluste: ein Portemonnaie (Wiesenfarth).
Andi aus Augsburg treffen wir auf der zweiten Etappe. Er schwitzt, sein Karohemd zähmt den Bauch nur mit Mühe, und er trägt eine Brille wie jemand, der Elektrobaukästen mag. Schwer hängt er über dem Lenker seines Tourenrades, an dem er mit Gummiriemen eine Adidas-Sporttasche verzurrt hat. An Vorderrad- und Hinterrad sinken prallvolle Packtaschen unter ihrer Last fast bis zum Boden. Zwei weiße Wasserkanister auf dem hoch beladenen Gepäckträger krönen das Ensemble. "35 Kilo", sagt der Kollege Alpencrosser. Gegen ihn sind Herr Krapp und ich schon fast Astrobiker. Unser Gepäck wiegt acht Kilo, die wir komplett im Rucksack tragen. Andi will heute genau wie wir den Reschenpass hinauf, später will er nach Rimini an die Adria. Gott weiß, wie er das schaffen will. Noch kann er aber entspannt durchs Inntal rollen, das sich als langer, breiter Schlauch zwischen dicht bewaldeten Bergrücken nach Süden zieht.
Nur sehr sachte führt es aufwärts, für den Downhiller Wiesenfarth "vollkommen spaßfrei", nur etwas für "Flutschenfahrer" (damit meint er Rennradfahrer. Oder Tourenradler? Jedenfalls Leute, die nicht downhillen). Als ein Schild verrät, dass auf unserer Route auch noch ein Jakobsweg entlangführt, erreicht seine Stimmung einen neuen Höhepunkt. »Da ist ja alles beisammen, was ich mag.« Herrn Krapp und mir gefällt es trotzdem, weil das Rollen so ein schönes Radtourenfeeling gibt. Etwas störend: Es herrscht ein ganz schöner Lärm heute. Im Tal rauscht die Autobahn und übertönt den friedlichen Inn, der uns türkisfarben in der Sonne lachend entgegenströmt, jetzt im Juli liegen manche seiner Kiesbänke blank.
Eine Weile bestimmt die Burg Landeck das Bild, die hoch oben auf einem Fels in der Ferne thront. Irgendwoher müssten jetzt aber mal so langsam die tausend Höhenmeter kommen, von denen im Führer die Rede ist, denke ich. Doch dann läuft das Tal spitz zu einer Schlucht zu, die Steigung zieht an, der Inn schäumt den Berg hinunter, wir schäumen hinauf. An der allerengsten Stelle, tief unter bleichen Wänden, überspannt eine Holzbrücke den Inn. Der Angler am Ufer weiß nicht, welche Nationalität die Fische haben, die er fängt. Denn kurz streifen wir die Schweiz, drüben auf der anderen Seite der Brücke fängt schon wieder Österreich an. Es beginnt mit Gestrüpp, das in einen bewaldeten Steilhang übergeht. Ein schmaler Pfad führt ins Gestrüpp, flankiert von einem Schild, das uns in verblichenen Lettern informiert, dass Radfahrer hier nicht durch dürfen. Müssen wir aber, sonst kommen wir nie an den Gardasee. Bald schiebt unsere kleine Sportgemeinschaft die Bikes in Serpentinen den Wald hinauf. Wenn das Alpencross ist, dann geht er ganz schön in die Waden. Die Hitze drückt, ein Gewitter liegt in der Luft. Ich muss an Andi aus Augsburg denken.
Alpencross-Verlustbilanz des Tages
Die Verlustbilanz des Tages, erstellt im Hotel am Reschenpass: Eine EC-Karte (Herr Krapp). Ich bin jetzt der einzige auf unserer kleinen Expedition, der a.) Geld bei sich hat und b.) an weiteres Geld kommen kann. Mit anderen Worten: ohne mich kein Bier. Wie nah doch Macht und Verantwortung beieinanderliegen. Über Nacht fällt ununterbrochen Regen. Am Morgen fällt er immer noch.
Die Berge am Reschenpass versinken in schiefergrauen Schwaden. Wir rollen heute die Südseite des Alpenhauptkammes fast 100 Kilometer bergab bis nach Lana bei Meran, alles auf Asphalt. Nicht ganz der Downhill, wie ihn Wiesenfarth mag: Die einzige Herausforderung an das Reaktionsvermögen sind Heerscharen schwer bepackter Tourenradler auf »Kiesfahrerreifen«, wie der Fotograf sie nennt. »Flutschenfahrer«, grantelt er. Dann verziehen sich die Wolken, und alles glänzt wie taufrisch aus der Waschanlage.
Im Osten, Fahrtrichtung links, ragen die Ötztaler Alpen auf, fast viertausend Meter hoch, und gleich zu unseren Reifen blitzt grün der Reschensee (das ist der mit der versunkenen Kirche). Es wird mediterraner, auch der Fahrstil der Autofahrer. Während sie in den Tiroler Ortschaften oft geduldig warteten, um uns alle nacheinander über die Straße zu lassen, müssen wir jetzt die Lücken abpassen. Vor den Häusern blüht der Oleander, an den Dorfplätzen gibt es Tabacchi, und die Frauen tragen viel Rosa. Verluste für heute: Flüssigkeit.
In Lana stecken uns 230 Kilometer in den Muskeln

Ich spüre sie, als wir unter einer erstaunlich kraftvollen Morgensonne die zwanzig Kilometer hin auf zum Gampenjoch angehen, auf 1518 Meter. Eigentlich, habe ich das Gefühl, fängt der Alpencross jetzt erst richtig an. Der erste Lack ist ab, und jetzt stehen an zwei Tagen hintereinander 1500 Höhenmeter an.
Morgen 90 Kilometer durchs Trentino zum Gardasee, heute Gampenjoch. Ungefähr auf tausend Meter Höhe biegen wir von der Straße ab und kämpfen uns auf Geröllpiste bergan. Viel geredet wird nicht mehr, auch nicht, als Herr Wiesenfarth uns in einen Downhill lockt, der in einer zugewucherten Sackgasse endet. Verluste: 200 Höhenmeter, 800 Nerven.
Manchmal verliert man auf einem Alpencross auch den Blick für die Schönheit. Man brütet dann vor sich hin, die Berge sind Feinde. Aber nicht einmal dem verschlafenen Blick eines Alpencrossers auf der letzten Etappe kann die dramatische Schönheit der Brenta-Dolomiten entgehen. Wand über Wand türmt sich hell und hoch über unseren Köpfen auf. Eigentlich sollte man dort oben fahren und nicht hier unten auf der Straße. Am Molveno-See denke ich, dass wir es geschafft haben. Der höchste Punkt, die Ortschaft Andalo auf knapp 1100 Meter, liegt hinter uns, jetzt geht es nur noch waagerecht oder abwärts. Wie man sich täuschen kann. Erstens fahren wir ab dem Molveno-See dreißig Kilometer Piste. Zweitens geht es ständig auf und ab. Und drittens zeigt das Thermometer vierunddreißig Grad. Einen der schönsten Streckenabschnitte unseres Alpencross verbringe ich zu einem beträchtlichen Teil damit, "verdammt, mein Arsch" zu denken.
Unten im Sarca-Tal schlägt uns heißer Wind entgegen. Aber jetzt geht es wirklich nur noch waagerecht weiter oder sanft bergab. Das Glücksgefühl ist bei mir jetzt größer als in dem Moment, als wir tatsächlich ins geschäftige Riva del Garda einrollen und Hunderten von Surfern bei Wenden und Halsen zuschauen – mit jeder Kurbelumdrehung wächst die Gewissheit, dass wir gleich am Ziel sind. Alles zieht wie in einem Film vorbei: Touristen, die auf Liegestühlen mitten im kühlen Sarca-Fluss sitzen, die Steilwände oberhalb der Klettererstadt Arco, endlose Hibiskushecken, die Spalier stehen wie das Publikum für die Heroen der Tour de France. Es ist ein gutes Gefühl. Herrn Krapp, das sehe ich ihm an, geht es genauso. Herrn Wiesenfarths Statement kommt beim Abschlussbier im Hafen. "Jetzt habe ich mich dran gewöhnt", sagt er. "Ich könnte gerade so weitermachen." Der Mann wird doch kein Flutschenfahrer werden?
Packliste für Bike-Alpencrosser
Bekleidung
- 2 Bikehosen mit integriertem Polster
- 2 Biketrikots
- Bikeschuhe
- 1 Paar Überschuhe aus Neopren
- 3 Paar Bikesocken
- Helm & Helmmütze
- Sportsonnenbrille
- Bikehandschuhe
- Fingerhandschuhe
- Arm- & Beinlinge
- Regenjacke & -hose
- Softshelljacke
- Windweste
- Freizeithose
- 2 T-Shirts
- Unterwäsche
Ausrüstung
- Bikerucksack
- Erste-Hilfe-Set
- Biwaksack
- Notfall-Handy
- Hüttenschlafsack
- Waschbeutel
- Sonnencreme
- LED-Stirnlampe
- LED-Blinklicht
- Kamera & Akkus
- EC- & Kreditkarte
- Bargeld
- DAV-Ausweis
- Personalausweis
- Landkarten
- 2 Trinkflaschen
- Satteltasche
- Pumpe, Werkzeug
- Schlauch
- Bremsbeläge
- Tacho
- GPS & Akkus
Beste Zeit für diesen Alpencross: Anfang Juni bis Ende Oktober