Der Mietwagen ist so groß, dass man gleich noch ein paar Leute zu einer Party darin anrufen möchte. Doch nur eine halbe Stunde später, hinter Calgary, wo man vom Highway aus die Rocky Mountains am Horizont auftauchen sieht, geht das 4-Liter-Auto neben all den Monster- Pick-ups und Riesen Wohnmobilen schon als Understatement durch. Als dann, noch eine halbe Stunde später, die ersten grauen Zacken an den Seitenfenstern vorbeizischen und im Satellitenradio CCR, Lynyrd Skynyrd und Bob Dylan in Endlosschleife dudeln, ist es so, als wäre das letzte Jahrhundert nie zu Ende gegangen. Der Himmel scheint irgendwie weiter, die Straße breiter, und die Berge wirken wilder, obwohl jedes Alpental es in puncto Steilheit mit ihnen aufnehmen könnte. Zivilisation ist hier nur an dem schmalen Asphaltband zu haben, das sie Highway One nennen, links und rechts davon beginnt die große Wildnis der Rocky Mountains, die hier durch den Banff National Park unter Schutz gestellt wird. 6500 Quadratkilometer umfasst der älteste Nationalpark Kanadas, im Westen, an der Grenze zu British Columbia, stoßen der Yohound Kootenay-Nationalpark an ihn, im Norden der größere Jasper-Nationalpark. Entsprechend tendieren die Möglichkeiten, die sich Wanderern auftun, gegen unendlich.
Vom Spaziergang bis zur Zwei-Wochen Tour, im Banff-Nationalpark ist das alles nur eine Sache von einer halben Stunde Autofahrt. Auch die Parkgebühr entrichten Besucher im Vorbeifahren: An der Mautstation auf Höhe des Ortes Banff kauft man ein Ticket, das man hinter den Rückspiegel hängt. Eine weitere halbe Stunde verstreicht, bis sich der Staub am Ende der Fish Creek Road in der Lake Louise Ski-Area auf die Motorhaube legt.
Über den Boulder Pass zu den »Skokis«

Guide Nathan Dahl wartet schon in einem zerbeulten Honda. Drei Tage lang wird er Fotograf Ben und mich durch das auf über 1900 Metern gelegene Skoki Valley führen. Und so nehmen wir mit voller Trekkingausrüstung die 600 Höhenmeter zum Boulder Pass (2345 m) in Angriff, hinter dem die »Skokis« beginnen. Nathan, Psychologiestudent, leitet im Sommer für verschiedene Anbieter Gruppen durch den Park. Seine Fachrichtung kann der 32-Jährige trotzdem nicht ganz abschütteln. »Je weiter man sich vom Parkplatz entfernt, desto mehr fangen die Leute an zu erzählen«, sagt er. Als drei Stunden später der Pass in Sicht kommt, hat Nathan die Psyche seiner Gäste wohl schon analysiert und sich im Gegenzug mit der Geschichte der Skokis revanchiert.
Die begann, zumindest aus Sicht der europäischen Einwanderer, erst im Jahr 1911, als ein Team um James Foster Porter die Gegend erkundete und dem Hochtal den wenig treffenden Namen »Skoki« gab, was in der Sprache der hier lebenden First Nations so viel wie Sumpf bedeutet. Im Jahr 1933 errichteten Mitglieder des ortsansässigen Skiklubs dann die erste kommerzielle Skihütte Nordamerikas. Zwei Tage brauchte man damals von der Bahnstation in Lake Louise dorthin. Die seit 1936 unveränderte Skoki Lodge ist längst ein Nationalmonument, die ihre Lage selbst erklärende Halfway Hut dient Wanderern heute als Notunterkunft und Pausenstelle.
Wildnis Rocky Mountains: Und dann kommt etwas Graues aus dem Gebüsch gekrochen…
Vom Pass aus fällt der Blick auf Ptarmigan und Baker Lake, eben und angenehm führt der Weg an den Gewässern vorbei, genug Zeit, den Blick schweifen zu lassen. Auf dem See flattern ein paar schwarze-weiße Vögel umher. »Dipper«, wie uns Nathan aufklärt. Diese Wasservögel lernen zu tauchen, bevor sie fliegen können und bleiben bis zu 30 Sekunden unter Wasser. Meine Gedanken aber kreisen um ein ganz anderes Tier. Zum ersten mal bin ich in einer Wildnis unterwegs, in der es Grizzlys gibt. Werden Schwarzbären durchschnittlich nicht schwerer als 120 Kilo und sind scheu wie Rehe, sind die Grizzlys ein deutlich anderes Kaliber. Sie wiegen leicht über 600 Kilo und können aufgerichtet bis zu 2,50 Meter Größe erreichen. Außerdem scheinen sie sich ihrer Position am Ende der Nahrungskette durchaus bewusst zu sein und haben entsprechend wenige Probleme mit Selbstvertrauen.
Das Bärenspray, das jeder von uns am Gürtel trägt, scheint hier nicht nur Folklore zu sein. Wie Galgen stehen Metallbäume an den Camps, Drahtseile hängen hinunter, keine Wäscheleinen, sondern zum Hinaufziehen von allem, was nach Nahrung riecht. Doch Nathan ist gelassen. »In der Regel sieht man sie nicht«, sagt er. Nur 65 Exemplare leben im Nationalpark, das sind pro Bär etwa 100 Quadratkilometer. »Wah! Ein Riesentrumm!!« Mein sonst eher abgeklärter Reisegefährte Ben kommt aus der Fichtenschonung ans Camp am Ende des Baker Lake gerannt. Ich ziehe den Sicherungssplint des Bärensprays.
Kaum zu fassen, noch keinen halben Tag unterwegs, schon kommt es zum Äußersten. Aber ein Bär war es wohl nicht. »Irgend so ein Viech, grün-gelb und bestimmt so groß!« Ben hält seine Hand in Bauchnabelhöhe. Nathan zieht eine Augenbraue nach oben. Auch ich bin skeptisch. »Naja, vielleicht eher so.« Bens Hand wandert auf Hüfthöhe. Dann kommt etwas aus dem Gebüsch gekrochen. Grau, ins Gelbgrüne changierend und, naja, etwas kleiner als von Ben gezeigt: ein Stachelschwein, besser gesagt, ein Neuweltstachelschwein, das größte Nagetier Amerikas. Furchteinflößend zwar, aber durchaus friedlich, wie uns Nathan aufklärt. »Nur eure Schuhe müsst ihr ins Zelt nehmen.« Die nachtaktiven Tiere mögen es salzig, und so mancher Wanderer hat schon ein paar zerkaute Stiefel vor seinem Zelt gefunden. Die Nacht bleibt ruhig, und die ersten Sonnenstrahlen erwischen uns mit dampfenden Kaffeetassen in den Händen und die erste Ration des Vorrates verzehrend, den Nathan unter uns aufgeteilt hat. Sogar die Käsescheiben hat er beschriftet: Breakfast, Day 1. Und der wird uns um den Fossil Mountain (2965 Meter) herumführen. Der Weg ist gut in Schuss, wenn auch steinig. Immer wieder wandern die Blicke auf die Gipfel, alle 2500 bis 3000 Meter hoch. Obwohl sie nur ein paar hundert Meter über dem Hochtal herausragen, wirken sie unglaublich schroff. Vielleicht liegt es daran, dass die Sedimentlagen, aus denen sie bestehen, hier so klar zutage treten wie in den Alpen nur in den Dolomiten. Die ursprünglich horizontalen Schichten neigen sich in diesem Teil der Rockies nach Südwesten und fallen oft in steilen Ost- oder Nordwänden ab. Gegen Mittag erreichen wir die Skoki Lodge, ein Blockhaus wie aus dem Bilderbuch.
Königliche Rast und majestätische Ausblicke

Wir fläzen uns auf den Stühlen, die davor stehen. »Good enough for the queen«, kommentiert Nathan. Und ganz so weit hergeholt ist die Redensart in diesem Fall nicht, diente die Skoki Lodge doch dem britischen Thronfolgerpaar Prinz William und seiner frischangetrauten Kate als Unterkunft auf ihrer »Royal Tour«, die sie 2011 durch die Commonwealth-Nation Kanada führte. Zeitungsberichten zufolge wurde nicht nur das Paar hierhin mit dem Hubschrauber eingeflogen, sondern auch eine königliche Badezimmer-Hütte, verfügt die Lodge doch weder über Elektrizität noch fließendes Wasser. Ob William und Kate auch Zeit für den Zwei-Kilometer-Abstecher zum Merlin Lake gehabt haben, ist nicht überliefert, zu wünschen wäre es ihnen. Eingerahmt von der steilen »Wall of Jericho« und dem 3086 Meter hohen, gletschergekrönten Mount Richardson, kann man den strahlend blauen See durchaus als majestätisch bezeichnen. Uns führt der Weg am Abend zurück zur Hauptroute, zum Merlin Meadows Camp, windgeschützt im Wald gelegen. Uns umschwirren Millionen von Mücken, selbst der gleichmütige Nathan macht ein paar hektische Bewegungen, als wir unser Essen kochen. Als Gutenachtgeschichte erzählt er uns von einer Schulklasse, die sich in diesem Camp auf den Bäumen vor einem Grizzly in Sicherheit brachte. Das Tier verschwand erst nach Stunden und verfolgte die Schüler auch am nächsten Tag zum Parkplatz zurück. Doch solche Erlebnisse hält unser Trip in die Skokis nicht mehr bereit.
Meinen ersten Grizzly in freier Wildbahn sehen ich erst am Highway. Neugierig steht er hinter dem großen Zaun, der die Autobahn flankiert. Ich schaue in ein paar braune, wilde Augen, und irgendwie bin ich ganz froh, ein großes Auto zu haben.
Reiseinfos
Hinkommen
An besten per Flugzeug nach Calgary (zum Beispiel mit British Airways ab 1100 Euro). Wer vor Ort flexibel sein möchte, fährt von dort mit dem Mietwagen (14 Tage ab 250 Euro) auf dem Highway 1 nach Banff (130 Kilometer). Der Anbieter banffairporter.com beispielsweise bringt Reisende mit dem Bus nach Banff, hin und zurück p. P. 80 Euro.
Beste Zeit
Der Sommer in den Kanadischen Rockies ist kurz. Wer Touren oberhalb von 2000 Metern unternehmen möchte, kann erst ab Juli relativ sicher sein, dass kein Schnee mehr liegt. Ab Mitte September kann es wieder schlechter werden.
Permits
Für den Banff-Nationalpark ist ein Park-Pass notwendig. Am einfachsten besorgt man ihn im Netz (parkpass.banfflakelouise.com) oder an der Mautstation vor Banff. Der Preis ist von der Personenzahl und dem Wagen abhängig. Für Besucher, die länger als eine Woche bleiben, macht in der Regel ein Jahresticket Sinn, das auch in anderen Parks gültig ist, Discovery Pass 67 $, 46 Euro).
Geführte Touren
Bergsteigen, Trekking und Skitouren - »Yamnuska mountain adventures« in Canmore hat 30 Jahre Erfahrung und verleiht auch die nötige Ausrüstung. Eine Sechs-Tage-Wanderung ist ab 1500 Euro zu haben. yamnuska.com
Sicherheit
Wer ohne Führer in die Berge geht, sollte eine Dose Bärenspray griffbereit haben. Outdoorshops in Banff und Canmore erklären auch den Umgang damit.
Karte und Literatur
Kartenmaterial: »Banff & Mt. Assiniboine«, Gem Trek Publishing,
1:100 000, 13,95 CAN $, »Lake Louise & Yoho«, Gem Trek Publishing, 1:50 000, 13,95 Can $. Über 227 Wanderungen in den Kanadischen Rockies: Canadian Rockies Trail Guide. Brian Patton & Bart Robinson, Summerthought, Preis: 24,95 CAN $.
Unterkunft
Zelten
Im Park gibt es eine Reihe offizieller Campingplätze, die je nach Ausstattung zwischen 19 und 40 Can $ kosten. In der Wildnis, Backcountry, darf in der Regel nur an ausgewiesenen Plätzen übernachtet werden. (9,80 Can $ pro Nacht, ein Jahrespass kostet 68,70 Can $)
Skoki Lodge
Wer eine Nacht in einer waschechten Blockhütte aus den 30er-Jahren verbringen möchte, kann das in der Skoki Lodge tun. Dafür sollte man früh buchen. Trotz der spartanischen Ausstattung eher gehoben, 115 Euro p. P., skoki.com
Lake Louise Inn
Wem nach ein paar Tagen im Zelt der Sinn nach einem großen Bett und Spa steht, ist im Lake Louise Inn richtig (ab 144 Euro pro Doppelzimmer). lakelouiseinn.com
Outdoor-Tipps
Weitere Treks
Noch mehr Tourenmöglichkeiten ergeben sich im nördlich angrenzenden Jasper-Nationalpark
Drei Tage Skyline
Chancen auf Caribousichtungen hat man auf dem über der Baumgrenze verlaufenden Weg ab Maligne Lake.
Kanutour Maligne Lake
In drei Tagen kann man über den größten natürlichen See der kanadischen Rockies paddeln.
Die Brazeau-Schleife
80 Kilometer führt diese Viertagestour durch die südlichen Bergketten des Parks. Der Trail beginnt am Icefields Parkway (Nigel Creek).
Bären erleben
Mit etwas Glück sieht man einen Grizzly aus dem Auto heraus, größere Chancen haben Trekker auf Backcountry-Touren. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, wählt das (eher touristische) Bärenreservat am Kicking Horse Resort, 145 Kilometer von Banff. kickinghorseresort.com
Tipps von Autor Alex Krapp

Icefields Parkway
Als eine der schönsten Fernstraßen der Welt führt der Highway 93 von Banff nach Jasper durch die Rockies – und passiert dabei das gut besuchte Columbia-Eisfeld. Neben Touren mit einem Gletscherbus sind auch geführte Wanderungen möglich. icewalks.com
Nationaldenkmal
Die Ursprünge des Banff-Nationalparks liegen bei den heißen Quellen von Banff, die sich in einer Höhle befinden und besichtigt werden können. banff.ca, cave and basin
Lake Louise
Der Gletschersee Lake Louise ist wohl einer der meistbesuchten Orte in den Rocky Mountains. Den Großteil des Trubels lässt hinter sich, wer vom Parkplatz nicht zum Lake Agnes Teahouse, sondern die wenigen
Kilometer zum »Plain of six Glaciers Teahouse«
geht. banfflakelouise.com
Höhlentour
In die Unterwelt des Grotto Mountain bei Canmore können Interessierte auf einer vierstündigen Höhlentour
vordringen. Am Anfang seilt man 18 Meter ab. Die Tour dauert vier Stunden und kostet 105 Euro. canmorecavetours.com