Höhlentour in der Schweiz
Abenteuer Hölloch - Eine Reise ins Erdinnere

Update

Auf dem Bauch, am Seil, im Klettergurt – die zweitägige Tour durch das Höhlensystem des Höllochs verlangt Wanderern einiges ab. Und wie gut schläft es sich in einem Berg?

Abenteuer Hölloch - Eine Reise ins Erdinnere
Foto: Monika Neiheisser

Leise blubbert Alpenkäse im Fondue-Topf. Abwechselnd tunken wir Brotstücke in die würzige Masse. Endlich. Nebenan warten schon Feldbetten und Schlafsäcke auf 910 Meter Meereshöhe, aber 325 Meter unter der Erde. Das einfache Biwak liegt im Schweizer Hölloch im Muotathal, nur einen Gamssprung von Luzern entfernt. Mal weiträumig, dann wieder eng – so präsentiert sich Europas zweitlängstes Höhlensystem. Einen Teil des über 200 Kilometer langen Netzwerks aus Gängen und größeren Hohlräumen gilt es, auf dieser Trekkingtour der besonderen Art zu erkunden, bei der wir kein Gipfelpanorama genießen, nicht auf Sonnenschein hoffen und es trotzdem permanent auf und ab geht. Zwei Tage lang lassen wir uns auf Dunkelheit und Stille im Bauch der Erde ein und vertrauen dabei ganz auf unsere Höhlenführer Michael und Martin. Trekking und Biwakieren auf dem Berg liebe ich, aber in einer Höhle?

Ab in die Wildnis!
Monika Neiheisser
Stärkung à la Suisse: Käsefondue auf 910 Metern, aber 325 Meter unter der Oberfläche.

Sechs Stunden sind wir heute gekraxelt, geklettert und mit schwerem Rucksack gewandert, haben Bachläufe überquert, uns mit dem Klettersteigset gesichert und Strickleitern erklommen. Der Körper fühlt sich an wie nach einer anstrengenden Bergtour. Mir steckt außerdem noch das Unbehagen vom "Gang der Wiedergeburt" im Leib, durch den ich bäuchlings wie durch einen engen Kanal gerobbt bin. Auf eigenen Wunsch. Michael und Martin haben uns freigestellt, ob wir uns diese kleine Extraschleife zumuten wollen. Und ich konnte natürlich nicht nein sagen. Am Morgen haben wir uns mit einem letzten Blick auf verschneite Kiefern von Tageslicht und Handys verabschiedet und sind aufgebrochen – hinein in eine geheimnisvolle Welt, mit permanent 6 Grad und fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, vom Wasser geschaffen vor Millionen von Jahren in Finsternis. Hier spielt die Außenwelt keine Rolle mehr.

Acht Teilnehmer sind wir, zwischen 13 und 56 Jahre alt. Als wir unter die Erde kriechen, bildet sich langsam der Teamgeist heraus – dabei hilft vielleicht auch, dass wir alle rote Overalls, schwarze Gummistiefeln und Rucksäcke tragen. "Macht langsam", ermahnt uns Martin, und sein Kollege Michael fügt hinzu: "Jeder darf nur so weit vorausgehen, dass er das Licht des Hintermanns noch sieht."Die beiden wissen, wovon sie reden. Als hauptberuflicher Höhlenführer verbringt der 36-jährige Martin oftmals fünf Tage pro Woche mit Gästen in der Höhle, fixiert Seile und installiert Stufen. An den Wochenenden stößt der ruhige Michael dazu und begleitet zusammen mit Martin die Gruppen ins Erdinnere. Und schon seilen wir uns ab ins Ungewisse, die Gummistiefel fest gegen den Felsen gestemmt.

Monika Neiheisser
Wasser im "Seegang"! Jetzt hilft ein Seil dem Team weiter.

Eine Reise in die Erdgeschichte

Auf dem Hosenboden sausen wir, kreischend wie Kinder, die Sandhalde zum tiefsten Punkt der Höhle auf 650 Meter Höhe hinab und klettern an glitschigen Strickleitern wieder hinauf. Wie im Zeitraffer passieren wir verschiedene Kalksteine, aber auch Tonschiefer und Grünsandstein – alles zwischen 518 und 60 Millionen Jahren alt. Bei der Auffaltung der Alpen vor 135 Millionen Jahren wurden die Schichten neu gemischt. Martin legt die Hand an den Fels und sagt: »Im Vergleich zur Erdgeschichte dauert unser Leben gerade einmal eine Sekunde.« Wir wechseln Blicke, nachdenklich.

Weiter geht es durch Abschnitte mit Namen, die nicht gerade nach einem Spaziergang klingen: "Böse Wand", "Alligatorenschlucht" und "Nirwana". Seitdem der Bergbauer Alois Ulrich die Höhle 1875 zufällig entdeckte, reißen die Expeditionen nicht ab. 203 Kilometer haben die Forscher schon vermessen, und jährlich kommen 700 bis 1000 Meter neue Strecken hinzu. Dann erfüllt ein Tosen den Gang, das mit jedem unserer Schritte lauter wird. Wir folgen den milchigen Strahlen der Stirnlampen durch die Dunkelheit. Und plötzlich stehen wir vor einem Wasserfall wie aus einem Märchen: In silbernen Strahlen ergießt er sich aus elf Metern Höhe herab.

Ein surrealer Anblick, der sich mir ins Gedächtnis brennt. Doch ein paar Schritte weiter zeigt uns das Wasser seine hässliche Seite: Es steht hüfttief im Hauptgang! "Und wie kommen wir jetzt weiter?", fragt Manfred. Aber Martin deutet auf ein Seil, das am Rand des Gangs entlangführt. "Rucksäcke runter", weist er uns an. Gebückt, ohne Gepäck auf dem Rücken, hangeln wir uns am Seil oberhalb des stehenden Wassers vorwärts und bilden eine Kette. Die etwa zehn Kilo schweren Rucksäcke gehen von Hand zu Hand wie bei den Dachdeckern die Ziegel. Das kostet Kraft.

Wunder unter Tage: die Galeria 800

Unweigerlich wandern meine Gedanken zu dem Höhlenunglück in Thailand, bei dem im Sommer 2018 eine Jugend-Fußballmannschaft für Tage in einer Höhle festsaß. Das Hölloch verfügt jedoch über Noteingänge und ein System, das unter anderem den Wasserstand misst. Außerdem darf man die Höhle nur mit einem Führer betreten. Am frühen Nachmittag erreichen wir endlich den Domplatz. Hier dehnt sich die Höhle aus und lässt Raum für das Biwak mit Sitzgarnituren, kleiner Küche und Ökotoilette. Wir legen die schweren Rucksäcke ab und schälen uns aus der verschwitzten Kleidung, obwohl sie keine Chance hat zu trocknen. Was für eine Wohltat! Plötzlich ruft Martin in die Runde: "Wollt ihr den schönsten Platz der ganzen Höhle sehen?" Klar wollen wir! Dann nichts wie los zum Domgang, zum Glück wieder ohne Gepäck. Kalkstein zwängt uns ein. Wir robben durch einen Tunnel, kaum breiter als unsere Schultern, 800 Meter lang.

Monika Neiheisser
Der Tropfstein "Rübli" wächst nur einen Millimeter in 100 Jahren.

Bald spüre ich jeden Knochen, und die Frage, ob das Millionen Jahre alte Gestein auch noch die nächsten Stunden hält, verbanne ich schnell aus meinem Kopf, zumal Martin gerade ruft: "Macht alle das Licht aus." Mir stockt der Atem. Warum gerade hier? Der Gummistiefel meines Vordermanns ist meine einzige Orientierung in der schwarzen Hölle. Wenn er vorwärts rückt, robbe ich nach. Zum Glück befreit uns Manfred aus der Dunkelheit. Er ruft: "Ich stecke fest." Und knipst sein Licht wieder an.Er hat sich mit Helm und Stirnlampe im Fels verkeilt und wackelt sich im fahlen Lichtschein seiner Stirnlampe frei. Dann weitet sich der Gang, und plötzlich tut sich ein Wunder auf: die ungefähr zwei Meter hohe und fünf Meter tiefe "Galeria 800".

Jetzt wird klar, warum Martin uns in völliger Dunkelheit durch den Gang scheuchen wollte: wegen des dramatischen Effekts. Denn im Licht seiner LED-Lampe schimmern Stalaktiten, die wie filigrane Fäden von der Decke hängen, und die Stalagmiten, die sich wie Pilze aus dem Boden recken und die maximale Größe einer Handflächenlänge erreichen. Welche Pracht! »Gerade mal einen Millimeter wächst ein Tropfstein hier in hundert Jahren«, sagt Martin leise. Schweigend blicken wir auf die kleinen glänzenden Säulen. Später, als wir um den Fondue-Topf sitzen, wirkt die Stille noch fort. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Bald schon strecken sich alle auf den Feldbetten aus. Auch ich kuschele mich in den Schlafsack. Eigentlich ganz bequem, dieses Bett mitten im Berg. Als der Letzte die Stirnlampe ausknipst, das Geraschel im Rucksack ein Ende nimmt, wirkt die Geräuschlosigkeit, gebündelt mit Dunkelheit, fast schon gespenstisch.

Monika Neiheisser
Nach einem Tag Höhlentrekking erscheint einem das Feldbett-Biwak wie ein Luxushotel.

Augen auf, Augen zu – es ist dasselbe Schwarz. Wie viel Uhr wir haben? Keine Ahnung. Nicht die Strahlen der Morgensonne wecken uns, sondern würziger Kaffeeduft und Martins Freund, der uns frische Croissants ins Biwak bringt, einen Gruß von der Oberfläche. Wenn das kein guter Grund ist, sich wieder aus dem warmen Schlafsack zu pellen und in den feucht-dreckigen Höhlen-Overall zu schlüpfen. Als wir am Mittag das erste Mal Tageslicht in den Gang scheinen sehen, fühlt es sich an, als kämen wir von einer langen Reise in einer anderen Welt zurück. Doch gerade mal 30 Stunden sind vergangen, und wir haben nur 15 Kilometer und 1500 Höhenmeter zurückgelegt. Wie schön der Schnee in der Sonne funkelt.

Info zum Höhlentrekking: Touren sind das ganze Jahr über möglich. Die Zweitagestour kostet 455 CHF (454 Euro) pro Person, Anbieter: trekking.ch

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Rund 210 Kilometer der Höhle sind erforscht. Damit ist das Hölloch nicht nur die größte Höhle der Schweiz, sondern eine der größten Höhlen weltweit.

Allgemeine Infos zur Region: luzern.ch, myswitzerland.com

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04 / 2023

Erscheinungsdatum 07.03.2023

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