Laut Unfallstatistik der DAV-Sicherheitsforschung landen immer wieder Kletterer so auf dem Boden, dass ein Notarzt erforderlich war. Erstaunlich ist, dass es zudem viele glimpflich ausgehende Bodenstürze gibt, weil doch noch eine gewisse Bremswirkung durch Seilreibung gegeben ist oder in letzter Sekunde eine Bremsreaktion des Sichernden erfolgt.
Eine Unfallrate von 0,023 pro 1000 Stunden Kletterhallenbesuch ist ja nicht so hoch, sagen die einen. Pro Jahr mehr als ein Schwerverletzter pro Halle ist nicht akzeptabel, sagen die anderen. Nicht einbezogen in diese Zahlenspiele sind die glimpflich ausgegangenen "Bodenleger" und die Unfälle, nach denen sich der Betroffene humpelnd aus der Halle entfernt oder der Sichernde schamvoll mit verbrannten Händen davonschleicht.
Warum ist Klettern in der Kletterhalle gefährlich?

In der Kletterhalle befinden sich die Zwischensicherungen – also Expressen, in die das Seil eingeklippt wird – meist in einer geraden Linie. Somit tritt sehr wenig Seilreibung auf und es kommt mehr Sturzenergie beim Sichernden an. Zudem stehen Sichernde oft dicht gedrängt Schulter an Schulter an den Einstiegen, mit Flipflops bekleidet auf glattem Betonboden direkt unter ihren Vorsteigern.
Warum dies gefährlich sein kann, erklären wir in der Fotostrecke ganz oben im Artikel
Auch wirkt in der Kletterhalle alles so easy – alle Meter ein Haken, überall Griffe. Klar, da ist die Hemmschwelle niedrig. Hochklettern kann jeder, nur leider beherrschen viele das Sichern nicht. Oft wird angenommen, wenn man das Seil vorwärts und rückwärts durch ein Sicherungsgerät schieben kann, könne man sichern. Und schließlich wurden beim Ablegen des Toprope-Scheins ja auch ein paar Fallversuche gehalten. Aber Erfahrung im Halten unerwarteter Stürze ohne Hintersicherung fehlt. Dieses Training ist wichtig, um die nötige Routine aufzubauen und sich die richtigen Reflexe anzugewöhnen.
Gefahren beim Sichern erkennen und entschärfen
Macht man alles richtig beim Sichern und meidet die oben aufgelisteten und in der Fotostrecke gezeigten Fehler, ist das Risiko beim Klettern in der Kletterhalle tatsächlich minimal. Das Problem ist tatsächlich aber, dass die Gefahren nicht gekannt oder erkannt werden. Zum einen aus Unwissenheit, zum anderen, weil die Hallen eine so trügerische Sicherheit suggerieren: warm, trocken, alles genormt. Außer der Mensch, der sich darin vergnügt.
Sicherungsfehler
Fehler: Sicherungsgerät falsch bedient
Meist werden die schweren Unfälle durch Sicherungsfehler verursacht. Beispielsweise verliert der oder die Sichernde beim Sichern mit dynamischen Sicherungsgeräten die Kontrolle über das Bremsseil (Bremshandfehler) oder die Bremshand befindet sich in einer falschen Position (Bremshand-Positionsfehler). Dass bei Tuber-Sicherung bereits bei kleinen Bedienungsfehlern der Partner auf dem Boden landet, wenn er mal unerwartet stürzt, ist vielen nicht bewusst.
Was hilft:
Halbautomaten wie Smart, Ergo, Click Up, Jul2 oder Grigri helfen und bieten einen Sicherheits-Mehrwert. Aber auch diese Geräte müssen unbedingt geschult werden! Richtiges Sichern muss gründlich gelernt, trainiert und geübt werden – wir plädieren für mehr Sicherungstraining.
Weitere riskante Manöver und verbreitete Sicherungsfehler zeigen wir in der obenstehenden Fotostrecke.

Fehler: Falscher Standort des Sichernden
Oft sieht man Sichernde, die zwei bis drei Meter weg von der Wand stehen. Das Ganze auf glattem Betonboden mit Flipflops an den Füßen. Zudem ist der erste Haken in Kletterhallen so niedrig, dass der Sichernde im Sturzfall nicht schräg nach oben, sondern frontal gegen die Wand gezogen wird. Und dann liegt der Gestürzte bereits neben einem.
Was hilft:
Richtige Standposition: etwa einem Meter hinter dem Lot des ersten Hakens und seitlich versetzt vom Fallraum des Kletternden. Manchmal macht es Sinn, den ersten Haken nicht zu klippen oder ihn nach dem Klippen des zweiten Hakens wieder auszuhängen. Dadurch verlängert sich der mögliche Bremsweg, und die Sturzzugrichtung wird günstiger für den Sichernden.

Fehler: zu viel Schlappseil
Unnötig viel Schlappseil ist neben den beiden zuerst genannten Fehlern eine weitere Ursache für Bodenstürze, besonders im Bereich der ersten fünf Haken. Meist ist es eine Häufung kleiner Fehler, die dann zum Super-Gau führen. Etwas Schlappseil, etwas zu weit von der Wand weg gestanden, im Moment des Sturzes kurz unaufmerksam, die Bremshand nicht fest um das Bremsseil unter dem Tuber – schon ist es geschehen. Ein Sturz aus 10 Metern Höhe dauert etwa 1,4 Sekunde bis zum Aufschlag am Boden.
Was hilft:
Bis zum fünften Haken muss eng gesichert werden. Erst oberhalb des sechsten Hakens kann man mit angemessenem Schlappseil von 30 bis 50 cm arbeiten.
Video: Schlappseil vermeiden
Fehler: Falsch Klippen
Ja, es sind die ersten fünf Haken, die besonders gefährlich sind. Beim überstreckten Klippen der ersten drei Haken liegt der Kletternde zwingend auf dem Boden. Das Gleiche gilt, wenn nicht überstreckt geklippt, aber mit Schlappseil gesichert wird.
Beim Einhängen des vierten und fünften Hakens beginnt das Seil zwar vor dem Boden zu bremsen, durch den Bremsweg schlägt der Stürzende dennoch auf – oder er kollidiert mit dem Sichernden. Denn dessen Kopf befindet sich anderthalb bis zwei Meter über dem Boden!
Wer’s nicht glaubt, testet seine Sturzweite mal aus, indem er sich im Toprope und parallel im Vorstieg sichern lässt. Er zieht das Seil zum Klippen aus und setzt sich dann in das Toprope. Der Vorstiegssichernde ändert seine Position nicht mehr, und der Kletterer wird am Toprope abgelassen. Strafft sich das Vorstiegsseil, muss man noch den Bremsweg dazurechnen, also die Strecke, um die der Sichernde angehoben wird und die Menge an Seil, die durch das Sicherungsgerät läuft. Beim Klippen der ersten drei Haken ist man quasi "solo" unterwegs, beim vierten und fünften Haken hat man gute Chancen, mit seinem Sicherungspartner zu kollidieren, um dann leicht gebremst auf dem Boden aufzuschlagen.
Was hilft:
In Bodennähe und vor allem beim Einhängen der ersten fünf Haken sollte man keinen Sturz riskieren. Der Sichernde sollte seitlich versetzt zum Fallraum des Kletternden stehen. Im Zweifel lieber einen guten Griff einer anderen Farbe nutzen oder notfalls die Exe greifen, um das Seil zu klippen.

Fehler: großer Gewichtsunterschied
Ein zu großer Gewichtsunterschied wirkt sich besonders in Kletterhallen gravierend aus. Denn anders als am Fels entsteht bei den exakt gerade übereinander gesetzten Sicherungspunkten nur wenig Seilreibung. Das Ergebnis: Sturzenergie und Gewicht des Kletterers kommen mit fast voller Wucht beim Sicherer an. Entweder es drohen Kollisionsunfälle oder der (oft: die) Sichernde wird bis zur ersten Zwischensicherung hochgerissen. Wehe, man verliert dabei die Kontrolle über das Bremsseil und verwendet ein dynamisches Sicherungsgerät!
Sandsäcke als Ballast sind eher ungünstig, da der Sichernde dadurch an seinem Standort festgepinnt ist und sich nicht aus dem Fallraum bewegen kann. Besonders die Kombination Tube und Sandsack bei geringerem Körpergewicht ist fatal. Denn die Handkraft korreliert mit dem Körpergewicht. Ob ein schwerer Vorsteiger dann ohne die Körperdynamik noch gehalten werden kann, ist fraglich.

Was hilft:
Bei großem Gewichtsunterschied sollte der leichtere Kletterer besser mit einem Halbautomaten sichern. Der erste Haken sollte ausgehängt werden, falls der Sichernde beim Sturz weit nach oben gezogen wird. Bei großen Unterschieden sollte ein Reibungsclip genutzt werden (s. Bild oben), bei dem durch das Klippen eines Punkts der Nachbarroute mehr Reibung erzeugt wird.
Video: Sichern bei großem Gewichtsunterschied
Fehler: Partnercheck fehlt
Der Partnercheck ist wichtig – aber er allein genügt nicht. Notwendig, aber nicht hinreichend nennt das der Statistiker. Elf mal wurde zum Test absichtlich falsch eingebunden (unfertiger Knoten oder nur in Beinschlaufensteg oder Hüftgurtöse eingebunden).
Problem: Nur drei mal wurde der Fehler bemerkt! Also Selbstcheck und Partnercheck vor jedem Start. Ein Mensch macht bei Routinevorgängen durchschnittlich alle 30 Minuten einen Fehler! Und auch beim Partnercheck passieren Fehler. Der tödliche Unfall in München Ende 2014 hätte durch einen aufmerksamen Partner- und Selbstcheck vermieden werden können.
Was hilft:
Bei Verwendung von Halbautomaten den Zugtest vor dem Start durchführen. Gewöhn dir an, deinen Knoten vor dem Einsteigen selbst nochmals genau zu betrachten (Selbstcheck) und vergewissere dich, dass auch dein Partner dich kontrolliert.
Fehler: Sturzbahn nicht beachten
Besonders der Berufsverkehr ist beim Klettern nervend und gefährlich. Abends, im Winter und bei schlechtem Wetter sind die Hallen prall gefüllt. Die Ablenkung ist das eine Problem, die Sturzraum-Problematik durch die Enge aber noch bedrohlicher.
Besonders bitter sind die Unfälle, bei denen ein unbeteiligter Dritter durch einen Stürzenden schwer verletzt wurde – zwei Unfälle mit der Folge einer Querschnittslähmung im Halswirbelbereich sind bekannt. Auf Baustellen darf man sich nicht unter schwebenden Lasten aufhalten.
In der Kletterhalle scheint es dagegen gang und gäbe, sich unter Kletterer zu stellen, die jeden Moment zu schweben beginnen können. Kommt es zudem noch zu einem Sicherungsfehler, kann man selbst an vermeintlich sicheren Orten von stürzenden Kletterern getroffen werden.
Was hilft:
Vermeide es, im Sturzraum eines Kletternden zu stehen, wenn dieser sich noch unter dem fünften Haken befindet. Hat dieser den fünften Haken bereits geklippt, so bist du unter dem Kletterer auch nur dann sicher, wenn korrekt gesichert wird.
Vermeide es am besten also grundsätzlich, dich unnötig im Fallraum aufzuhalten. Denn was hilft es dir, wenn zwar der andere Schuld sein sollte, du aber als Crashpad missbraucht wurdest. Steige nicht gleichzeitig in eine Nachbarroute ein, um Kollisionen im Sturzfall zu vermeiden.

Video: Dynamisch sichern mit diesen Methoden
Video: Richtig Sichern mit dem Tube
Video: Richtig Sichern mit dem Smart
Video: Richtig Sichern mit dem Grigri (Gaswerkmethode)
Mehr zum Thema in der Fotostrecke: