Bouldern in England, Schottland und Wales: Die Reise lohnt! Neben dem weltberühmten Peak District mit seinem einzigartigen Gritstone warten in vielen Ecken der britischen Inseln geniale Boulder auf Besucher. Der Autor und Satiriker Niall Grimes erklärt, warum (und wo) das Bouldern in England so großartig ist.
Die zerklüftete Erdmasse, die unerwünscht vor der Küste Europas verharrt, ist ein Wunderland aus Felsen, die trotz Feuchtigkeit und mangelnder Höhe fast alle beklettert werden. Großbritanniens Klettergeschichte reicht 150 Jahre zurück, und in diesem Zeitraum wurde so ziemlich jeder Riss, jede Leiste und jeder Kiesel berührt und diskutiert.
Die meisten Felsen sind recht klein, und die meisten bedeutenden Wände befinden sich nahe der großen Industriestädte. Von unberührter Natur kann also bei bestem Willen nicht gesprochen werden. Nur an ein paar Stellen in Nordwales, im Lake District und in Schottland erhebt sich die Landschaft zu spitzen Bergen. Diese schönen Hochländer sind tolle Reiseziele, speziell für Urlauber, die Regen lieben. Trotz dieser Mankos hat Großbritannien seit jeher einen besonderen Stellenwert im globalen Klettergeschehen. Es scheint, als verwandle der Druck eines kleinen, von vielen nassen und unglücklichen Menschen vollgestopften Landes alles, was felsig ist, in weltbekannte Klettereien – wie Kohle in Diamanten.
Eine der großartigen Erfindungen, für die das Vereinigte Königreich berühmt ist – zumindest wenn man Fontainebleau, Yosemite, John Gill und die 100 anderen früheren Beispiele ignoriert –, ist das Bouldern. Wobei, eigentlich wurde schon immer gebouldert. Alte Schwarz-Weiß-Gestalten taten es 1908 in den Bergen Englands und Wales‘, während sie darauf warteten, dass es aufhört zu regnen. In den 1940ern waren es harte Jungs aus Manchester, die an den Gritstone-Hügeln des Peak Districts ihre Klettertechnik für große Routen verfeinerten. In den 70ern wurde Bouldern dann richtig groß. Die Topkletterer dieser Ära waren besessen von dem ganz speziellen „Move“ und immer auf der Suche nach exquisiten Herausforderungen in Sachen Balance, Technik und Fingerkraft.
Diese Herausforderungen fand man am besten am Gritstone des Peak Districts und in Yorkshire sowie an den Sandsteinfelsen Northumberlands. Es waren jedoch rauere Zeiten als heute, und „Bouldern“ war alles, wofür man kein Seil verwendete. Weite Bodenstürze waren die Regel, und heute hinken die Topboulderer der 70er-Jahre mit künstlichen Hüftgelenken und Knien um die Felsen herum. Trotzdem ging man „nur bouldern“ – es war die mickrige Alternative zum „richtigen“ Klettern. Daraus lässt sich schließen, wie gefährlich „echtes“ Klettern in den 70er-Jahren war.
In Bens und Jerrys Fußstapfen
In den 90ern explodierte das Bouldern in Großbritannien. Ben Moon und Jerry Moffatt waren noch immer die Könige des Kletterns, doch beide hatten verkündet, dass sie es leid waren, sich mühsam Routen hochzuarbeiten. Und was Ben und Jerry taten, taten alle Ahnungslosen auch. Die Zeiten, in denen man „nur bouldern“ ging, waren vorbei, nun konnte man stolz behaupten, ein Boulderer zu sein.
Zu dieser Zeit eröffneten in Sheffields modrigen Kellern eine Reihe von Boulderwänden, wo bleiche Halbwüchsige in niedrigen Räumen herumkauerten, wilde Tanzmusik hörten und in den herumwabernden Chalkschwaden fast den Verstand verloren. Sie warfen mit dem Wort „Power“ um sich, als gäbe es kein morgen, und prahlten damit, dass sie aus „Routen“ nach nur drei Zügen abfielen. Wer Ausdauer besaß, wurde ausgelacht.
Die heutige Boulder-Revolution begann dann im Peak District. In den Fußstapfen von Moon und Moffatt durchkämmten fingerkräftige Sheffielder die Gritstone-Hügel und Kalktäler, spazierten die mittelschweren Klassiker hinauf und fügten neue Highend-Probleme hinzu. Diese Boulder, vor allem in Gebieten wie Stanage, Burbage und Raven Tor, sind heute die klassischen Testpieces für jeden Local und Besucher.
1993 brachte ein einzelnes Problem einen großen Wandel im britischen Bouldern. Jason Meyers hatte sich einer ungekletterten Sloperrampe am Pit Boulder in Stanage verschrieben und diese nach unzähligen Sessions schließlich niedergerungen. Brad Pit wurde schnell zur Berühmtheit, für die jungen Kletterer war es der ultimative Boulder. Busladungen von Pilgern kamen nach Stanage, um die Griffe zu berühren und ehrfürchtig die „unmöglichen“ Züge zu bestaunen. Bis der Fontainebleau-Kletterer Marc LeMenestrel aus dem Flugzeug stieg, nach Stanage fuhr und den Boulder im dritten Versuch kletterte. Plötzlich tat es Großbritannien leid, das Bouldern erfunden zu haben.
Die besten Bouldergebiete Großbritanniens
Der Gritstone – „God‘s own rock“ – ist ein Muss für jeden Großbritannien-Besucher. Ob Klassiker oder Testpieces – die braunen Blöcke am Stadtrand von Sheffield und die weniger bekannten, aber genauso guten Blöcke weiter nördlich in Yorkshire bieten mehr als genug Stoff für einen erstklassigen Bouldertrip.
Von diesem Epizentrum in der Mitte Großbritanniens breitete sich das Bouldern schnell aus. Die Kletterszene von Nordwales, wo das Routenklettern ebenfalls eine Flaute erlebte, durchforstete enthusiastisch ihre Berge und Küsten, nach wenigen Jahren waren die meisten offensichtlichen Linien geklettert. Diese Ecke ist ein tolles, abwechslungsreiches Ziel für den Sommer. Der Lake District folgte, da hier keine große Kletterszene zu finden ist, ging die Entwicklung aber langsamer voran. Heute findet man aber auch hier eine gute Auswahl großartiger Boulderspots, die allerdings etwas weiter verstreut sind.
Die Küsten von Devon und Cornwall sind zwar kein erstklassiges Boulder-, dafür ein prima Urlaubsziel. Und da verzweifelte Boulder-Locals in manch einer zerklüfteten Bucht fündig geworden sind, lassen sich hier Urlaub und Bouldern prima verbinden. Beim Besuch der grandiosen Sandsteinboulder von Northumberland fallen Ruhetage dagegen schwer. Die Gebiete im Nordosten Englands brauchen selbst den Vergleich mit dem Peak District nicht zu scheuen. Ganz im Norden wartet dann noch Schottland.
Zugegeben, Schottland ist weit, weit weg. Dafür warten hier die schönsten Berge und die schönste Wildnis der britischen Insel. Wenig überraschend gibt es Boulderspots in allen Ecken, allerdings nie sehr konzentriert. Großbritannien bietet so viele Boulderziele, dass eine Zusammenfassung schwierig ist. Wer eine Boulderreise auf die Insel plant, für den sind der Peak District, Yorkshire, Nordwales und Northumberland die besten Ziele. Sollte es euch aus einem anderen Grund hierher verschlagen: Seid unbesorgt – egal wo ihr euch befindet, der nächste Sitzstart oder Highball ist nie weit weg.
Bouldern in Devon & Cornwall

Hier befindet sich die eigenartigste Ansammlung von Boulderspots in England. Im Hochmoor von Dartmoor wartet solider Granit in einer wilden, offenen Landschaft. Die Formen der Blöcke erinnern ein wenig an Gritstone, ihr solltet aber eine gute Haut für die scharfen Kristalle mitbringen. Am besten genießt man diese an einem warmen, aber windigen Sommertag. Richtig ab geht es aber an der Küste von Cornwall, wo man in tief eingeschnittenen Buchten an verrückt geformten Felsen steile Platten und irre Überhänge findet. Die Blöcke liegen meist versteckt, der nächste alte Leuchtturm, ein rostiges Schiffswrack oder eine schummrige Taverne ist nie fern. Die Gezeiten sind zu beachten, die Bedingungen sind tricky, die Grade hart. Genießt die sensationelle Szenerie, erwartet aber nicht, dass ihr viele Klettermeter macht! Die besten Spots in Dartmoor sind Combeshead Tor, Smallacombe und Hound Tor, die besten an der Küste Tintagel, Godrevy, Hartland Quay und Northcott Mouth.
Bouldern in North Wales


Die Gegend um Llanberis in Snowdonia ist einer der Hotspots des britischen Kletterns. Die besten Kletterer waren zu Besuch oder sind gleich hierher gezogen. Dies ist die Heimat der Talente und Unerschrockenen, Campusboards findet man dafür weniger als in Sheffield. In den 70er- und 80er-Jahren entstanden hier tausende Todesrouten, in den 90ern richtete sich die Aufmerksamkeit dann mehr aufs Bouldern. Sensationell ist die riesige Vielfalt an Gesteinsarten, Kletterstilen und auch beim Klima auf engstem Raum. Das Llanberis-Ogwen-Gebiet wartet mit vielen tollen „Gebirgszielen“ auf: Wavelength, Cromlech Boulders, Pac Man, The Barrel, Elephantitus, RAC sind ideal für den Sommer. An der Nordküste bietet Parisella’s Cave kraftige Züge bei jedem Wetter. Und wer an den Küstenblöcken von Porth Ysgo auf der Lleyn Peninsula mit einigen Freunden bei Sonnenuntergang gebouldert hat, wird dies sicher nie vergessen.
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Bouldern im Peak District


Das Mekka des britischen Boulderns mit berühmten Problemen von berühmten Kletterern. Die Gritstone-Blöcke von Stanage, Burbage, Curbar und Cratcliffe bieten raue Ringkämpfe, bei denen Technik, Balance und Kraft getestet werden. Geboten ist alles: Klassiker, leichte Probleme, harte Traversen. Aber auch Highballs. Wer genug Matten und Spotter mitbringt, kann einige der berühmtesten Routen des Gritstone seilfrei angehen. Besucher sind oft überrascht, wie niedrig die Gritstone-Wände sind. Das vergisst du aber, wenn du an einer grifflosen, runden Kante sieben Meter über dem Boden piazt. Die Gebiete des Peak Districts eignen sich für die kälteren Monate, da der Fels schnell trocknet und die Kletterei sehr bedingungsabhängig ist. Fingerkraft-Monster finden in den Kalkgebieten des Peak auch gute Sommerziele: Raven Tor, Rubicon and Stoney Middleton warten mit fingermordenden, oft definierten Bouldern berühmter Erstbegeher auf. Wobei - Stoney Middleton ist eher ein Trainingsfels der Locals und aus historischen Gründen einen Besuch wert.
Bouldern in Yorkshire


Die zweite Heimat des heißgeliebten Gritstone liegt in Yorkshire rund um Leeds. Und nicht wenige Leute sind der Meinung, dass die Blöcke dort noch besser sind als die im Peak District. Die Felsen sind weniger bekannt, aber die Linien sind superb. Viele der Boulderspots liegen höher und sind exponierter als die im Peak, von daher eignen sie sich eher für warme Tage. Wie im Peak gibt es genug Linien in allen Graden, die Höhen reichen von Lowballs bis zu klassischen „Routen“. Und auch hier geht es nicht nur um Power, sondern ebenso um Balance und Vertrauen in die Füße. Geht mal nichts voran, dann schaltet euren Kopf ein, statt wie ein wilder Stier gegen den Fels anzurennen! Klassische Gebiete sind Almscliffe, Caley, Earl Crag, Crookrise, Widdop, Slipstones und Lard’s Seat. Egal, welches Gebiet ihr besucht, ihr werdet eine großartige Zeit haben. Am besten, ihr besucht alle!
Bouldern im Lake District


Eines der geschichtsträchtigsten Klettergebiete Großbritanniens mit einer 100-jährigen Tradition. Zuerst waren es Gentlemen in schweren Lederklamotten und juckenden Wollstiefeln, dann taffe Jungs, die sich auch von strömendem Regen nicht abschrecken ließen. Beim Bouldern war der Lake District dagegen ein Spätzünder. Die schönen Wände auf den Bergen – oder „Fells“, wie man hier sagt – haben im Lauf der Zeit riesige Blöcke abgeworfen, die einen Großteil der Bouldermöglichkeiten ausmachen. Im Frühling oder Herbst an diesem scharfkantigen Gebirgsfels anzuziehen, sei es in einem Lakeland-Tal oder auf einem Plateau, ist eine wahre Freude. Für Letztere muss man oft einige Höhenmeter machen, aber es lohnt sich! Die besten Spots sind Langdale Boulders, Bowderstone, Badger Rock und Fisherground. Das andere Boulder-Ass des Lake Districts ist St Bees Head: perfekter Sandstein auf einer Plattform am Meer mit 150 coolen Problemen in allen Graden.
Bouldern in Northumberland


Öffnet eure Herzen und eure Lungen und genießt eines der schönsten Bouldergebiete des Vereinigten Königreichs! Northumberland ist eine ausgedehnte, romantische Grafschaft mit einem ganz eigenen Charakter. Der Fels hier ist golden, genauso wie die Erinnerungen, die er hinterlässt. Gebouldert wird meist an kleinen Felsriegeln, die senkrechte oder überhängende Züge an positiven Griffen bieten. Das Gebiet ist großartig für Highball-Fans, wer‘s nicht so hoch mag, muss aber meist nicht aussteigen. Bouldern kann man in Northumberland das ganze Jahr – besonders gut im Sommer, da der Sandstein weniger schmiert als Gritstone und hier oft ein frisches Lüftchen weht. Alle Hauptgebiete lohnen einen Besuch, fürs erste Mal empfehle ich Bowden Doors, Back Bowden, Kyloe-in-the-Woods, Kyloe Crag, Queen’s Crag und Shaftoe.
Bouldern in Schottland


Schottland in einem Absatz zu beschreiben, ist fast unmöglich. Es ist überwältigend! Stellt euch majestätische Hügel, alte Burgen, prächtige Hirsche und harte Männer in Röcken ohne was darunter vor. In Sachen Bouldern sticht ein Gebiet hervor – die Sandsteinblöcke von Torridon in den Highlands. Geniale Berge, das Meer und die Abgeschiedenheit kommen zu der großartigen Kletterei hinzu. Exzellente Boulder und großartige Szenerie findet man auch etwas weiter westlich auf der Applecross Halbinsel. Ganz und gar nicht romantisch geht‘s dagegen am Dumbarton Rock am Stadtrand von Glasgow zu. Hier findet man die höchste Konzentration an harten Problemen von ganz Schottland sowie einige seiner besten Kletterer. Die Boulder sind sehr athletisch, harte Züge an rutschigen Leisten dominieren. Das Ambiente zwischen Industrieruinen, Glasscherben und Drogensüchtigen ist einzigartig. Wenn ihr in der Gegend seid, solltet ihr euch dieses Erlebnis auf keinen Fall entgehen lassen!
Niall Grimes, a.k.a. Grimer
Niall Grimes ist ein Kletterer, Schreiber und Podcaster, der in Nordirland auf- und im englischen Sheffield weiterwuchs. Er mag alle Aspekte des Kletterns – von Deadhangs mit Zusatzgewichten bis zu Himalaya-Riesen. Seine derzeitige Lieblingsdisziplin ist allerdings, Dienstag abends in der Boulderhalle anderen Menschen unerwünschte Tipps zu geben. Bekannt wurde er als Sprecher des History-Blocks in „Hard Grit“, den vermutlich am öftesten vorgespulten 15 Minuten der Kletterfilmgeschichte. Weniger bekannt ist sein toller Führer „Boulder Britain“ aus dem Jahr 2011, der die besten Boulderspots des Königreichs beschreibt. niallgrimes.com
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