Angst ist nützlich: Experten-Meinung

Angst ist nützlich: Experten-Meinung

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Zuletzt aktualisiert am 18.10.2016
KL Angst teaser
Foto: Sarah Burmester

Das Magazin GEO hat die Soziologin Margee Kerr von der University of Pittsburgh zu ihrem Haupt-Forschungsthema "Angst" befragt.

Beim Klettern erleben wir verschiedene Arten von Angst. Margee Kerr erklärt, das Angst in vieler Hinsicht nützlich ist. Außerdem hat sie im Interview in Geo 10-2016 darüber aufgeklärt, welche Ängste unbegündet sind und wovor wir uns eigentlich fürchten sollten.

Auszüge aus dem Interview mit Margee Kerr zum Thema Angst:
Mit freundlicher Genehmigung von GEO

Ist Angst ansteckend?
Ja, ansteckend, und auch verbindend. Das Erzählen von Gruselgeschichten rund ums Lagerfeuer hat seit jeher geholfen, Solidarität herzustellen und gemeinsame Feindbilder aufzubauen. Angst schweißt eine Gruppe fest zusammen. Leider wissen das auch die Demagogen.

KL Geo 10-2016 Titel Cover
GEO

Wovor sollten wir uns denn wirklich fürchten?
Beim Autofahren eine SMS zu schreiben. Das ist lebensgefährlich. Leider hat davor kaum jemand Angst.

Gibt es Momente, in denen wir völlig angstfrei existieren?
Nein, unser Warnsystem lässt sich nicht abschalten, und zwar aus gutem Grund. Angst ist unser Schutzengel. Sie bewahrt uns vor Dummheiten und gefährlichen Situationen. Wir vermeiden deswegen große Höhen, Dunkelheit oder Menschen, denen wir misstrauen.

Ein Wingsuit-Springer weiß, dass er bei jedem Sprung sterben könnte. Was ist bei diesen Menschen anders?
Sie sind vor allem jung. Mit steigendem Alter verlieren wir die Sicherheit und kriegen mehr Angst. Es gibt außerdem Untersuchungen, die zeigen, dass diese Menschen hirnphysiologisch anders mit Risiko umgehen. Sie sind mehr auf Risiko programmiert und mit einem gesteigerten Sinn für Abenteuer auf die Welt gekommen. Leider gehört dazu auch viel Selbsttäuschung – ähnlich wie beim Texten im Auto. Je öfter du etwas machst, und es passiert nichts, desto mehr glaubst du, dass auch beim nächsten Mal nichts passiert. Aber das ist natürlich nicht Mut, sondern Fahrlässigkeit.

Reden wir nicht von Angst, sondern vom Gegenteil: Was ist Mut?
Wer keine Angst hat, ist nicht wirklich mutig. Mut ist nicht etwa die Abwesenheit von Angst, sondern die Widerstandsfähigkeit gegen Angst, die Bereitschaft, der Angst entgegenzutreten. Mut ist auch, in Anbetracht großer Angst eben nicht egoistisch zu reagieren. Mut ist, sich nicht ins Rettungsboot vorzudrängeln oder andere von einem Notausgang wegzustoßen.

Kann man an der Lust fürs Erschrecken den Stand einer Gesellschaft messen?
Diese Lust an der Angst ruht in einer großen Sicherheit. In Syrien werden Spukhäuser niemanden anlocken, und in Kolumbien floppen Horrorfilme. An diesen Orten ist das tägliche Leben furchterregend genug.