Für den Architekten Le Corbusier waren sie die "schönsten Bauwerke der Erde", für Generationen von Kletterern die besten Kletterberge der Welt. Kühne Zinnen und lotrechte Riesenwände, die direkt aus lieblichen grünen Almen emporragen, machen den besonderen Reiz der Dolomiten aus. Im Vergleich zu anderen alpinen Gebieten sind hier aber immer noch die meisten Klassiker ausschließlich mit Normalhaken abgesichert, die nicht selten das Pensionsalter überschritten haben. Und während man in manchen Wänden Qualitätsfels allererster Güte antrifft, bröselt in anderen das Gestein recht munter vor sich hin. Damit ihr bei eurem ersten Kontakt mit den Dolomiten nicht gleich Bekanntschaft mit deren wilder Seite macht, haben wir euch fünf moderate Routen ausgesucht, die sichere Standplätze und festen – teils sogar sensationellen – Dolomit bereit halten und zudem unproblematische Zu- und Abstiege bieten.
Führerliteratur/Topos: Annette Köhler und Norbert Memmel: Kletterführer Dolomiten, www.rother.de; Nicole Luzar und Volker Roth: Topoguide, Band 1, www.topoguide.de • Stefan Wagenhals: Dolomiten vertikal, 2 Bände, www.loboedition.de
Delagoturm (2790 m) Delagokante (4+, 4 SL, 100 m)
Die bekannteste Kletterei der Rosengarten-Gruppe zählt sicher zu den beliebtesten Genussrouten in den gesamten Alpen. Dementsprechend weist der Fels schon deutliche Gebrauchspuren auf. Aber trotz ihrer Politur bietet diese Südwestkante immer noch begeisternde Kletterei mit viel Luft unter den Sohlen und phantastischer Aussicht.
Absicherung: Alle Standhaken sind einzementiert, Zwischenhaken sind ebenfalls ausreichend und in guter Qualität vorhanden.
Ausrüstung: 8 Expressschlingen, 3 bis 4 Bandschlingen unterschiedlicher Länge, 1 Satz Klemmkeile.
Zustieg: Von Pera im Fassatal (großer Parkplatz) mit dem Bustaxi zum Rifugio Gardeccia. Von hier in 1,5 bis 2 Stunden vorbei an der Vajolethütte hinauf zur Gartlhütte (2621 m). Von der Hütte in 15 Minuten zur Südwand des Delagoturms und auf einem Band zum Einstieg auf einem Absatz direkt an der Kante. Route: Erst knapp rechts der Kante, in der 2. SL links davon, in der 3. SL wechselt man dann wieder auf die rechte Seite der Kante.
Abstieg: Abseilpiste an zementierten Ringen (6 mal 20 m).
Tipp: Gegen den Strom klettern und erst am Nachmittag einsteigen.
Col di Limedes (2169 m) Compay Segundo (6+, 7 SL, 175 m)
Ein berühmter Dolomitengipfel ist der Col di Limedes definitiv nicht, dafür bietet diese Route durch seine Westwand schöne, homogene Kletterei an meist kompaktem Dolomit. Einzig in der 6. SL ist der Fels ziemlich splittrig. Dafür ist die Route sehr gut abgesichert, und der Zu-und Abstieg sind kurz.
Absicherung: Super mit Bohrhaken.
Ausrüstung: 10 bis 12 Expressschlingen, 2 bis 3 Bandschlingen unterschiedlicher Länge.
Zustieg: Über Pfadspuren vom Parkplatz am Pian di Falzarego (etwa 20 Minuten).
Route: Vom Einstieg am Fuß eines Pfeilers den Bohrhaken folgen.
Abstieg: Auf Pfadspuren zum Falzaregopass, von dort auf der Straße zurück zum Parkplatz (eine Stunde).
Averau (2647 m) Alvera (4+, 7 SL, 150 m)
Groß und mächtig ist er nicht, der Averau, dafür in prominenter Lage zwischen Falzaregopass und Passo Giau. Durch seine Südwestwand führt eine teils beeindruckend steile Genusskletterei mit einem extraluftigen Quergang. Doch dank des supergriffigen Dolomits lösen sich auch die wild aussehenden Passagen in Wohlgefallen auf.
Absicherung: Die Stände sind eingerichtet (zum Teil mit Bohrhaken, ansonsten Sanduhren), auch dazwischen stecken ausreichend Haken.
Ausrüstung: 8 Expressschlingen, 2 bis 3 Bandschlingen unterschiedlicher Länge, einige mittlere Camalots, ein kleiner Satz Keile.
Zustieg: Mit dem Lift zum Rifugio Averau. Von dort auf dem Weg 452 etwa 200 Meter nach Westen, dann auf Trittspuren zum Einstieg (eine Stelle 2+, 15 Minuten). Bei Bedarf schon ab dem Wandfuß sichern.
Route: Zunächst folgt man einem ausgeprägtem Kaminsystem bis zu einem Band in Wandmitte. Es folgt ein ausgesetzter Quergang, anschließend geht es gerade hoch und schließlich schräg rechtshaltend zum Ausstieg.
Abstieg: Über den Klettersteig auf der Nordseite des Berges zurück zur Seilbahnstation (45 Minuten).
Scalet delle Mass enade (2300 m) Colatoio Nero (5+, 10 SL, 300 m)
Diese auch als Decima bekannte Route in der südöstlich der Civetta gelegenen Moiazzagruppe verläuft entlang eines ausgeprägten Wasserstreifens, weshalb trockene Verhältnisse nötig sind. Dann bietet die südexponierte Route einen traumhaften Klettertag an erlesenstem, stark strukturiertem Fels, teils mit Sanduhren, deren Umfang den Oberschenkeln eines Gewichthebers zur Ehre gereichen würde. Absicherung: Die Standplätze sind eingerichtet, an den schwierigen Stellen stecken Zwischenhaken. Zusätzliche eigene Absicherung ist nötig, aber problemlos möglich.
Ausrüstung: 10 Expressschlingen, 6 Bandschlingen sowie ein paar Reepschnüre oder Kevlarschlingen zum Fädeln von Sanduhren, dazu 1 Satz Klemmkeile und ein paar mittlere Camalots.
Zustieg: Vom Rifugio Tomè am Passo Duran auf dem Dolomiten Höhenweg 1 zum Rifugio Carestiato und weiter, bis man über Pfadspuren den Einstieg erreicht (ca. 1,5 Std.)
Route: In der ersten Seillänge links ansteigend zu einer Verschneidung, dann immer entlang des schwarzen Wasserstreifens.
Abstieg: An einem vom Wasser ausgespülten Becken nach links und über Pfadspuren zurück zum Höhenweg 1 (eine Stunde).
Pala della Mass enade (2413 m) Colatoio Bonetti (6-, 8 SL, 270 m)
Die etwas schwierigere Alternative zum Colatoio Nero bietet genauso sensationelle Kletterei, ebenfalls entlang eines vor Henkel nur so strotzenden Wasserstreifens. Absicherung: Die Standplätze sind eingerichtet, an den schwierigen Stellen finden sich Zwischenhaken. Trotzdem ist Eigeninitiative sowohl nötig als auch gut möglich.
Ausrüstung: 10 Expressschlingen, 8 Bandschlingen (6 kurze, 2 lange), je 1 Satz Keile und Camalots.
Zustieg: Vom Rifugio Carestiato über die Via Ferrata Constantini bis zur dritten Unterbrechung des Drahtseils. Von dort luftig über ein Band zum Fuß einer seichten Verschneidung (45 Minuten).
Route: Nach der Einstiegsverschneidung (1. SL, 3+) am Ende der 2. SL linkshaltend unter den Wasserstreifen und nun immer entlang diesem. Abstieg: Nach rechts zum Beginn der Via Ferrata Constantini und über diese zurück (eine Stunde).