Herbstwanderung auf dem Pfälzer Weinsteig

Genusstour im Pfälzerwald
Herbstwanderung auf dem Pfälzer Weinsteig

Zuletzt aktualisiert am 13.10.2019
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Foto: Maren Krings

»Ah, hier gibt’s Schiefen Sack!«, sagt Susanne und grinst. Bitte was? Wir stehen im Hohe-Loog-Haus und studieren die Tafel über der Theke. Susanne wirft ihre schwarzen Zöpfe über die Schultern und bestellt. Die 42-jährige Psychologin ist nicht nur dauergutdrauf, sondern reist aus dem Murgtal immer wieder in die Pfalz und kennt sich offensichtlich mit den hiesigen Genüssen gut aus.

Und sie betont gerne, dass man nirgends in Deutschland so gut einkehren kann.Warum das so ist, wollen wir auf zwei Touren an einem schönen Herbstwanderwochenende bei Neustadt an der Weinstraße herausfinden. Apropos Weinstraße – eine Weinprobe steht auch auf dem Programm.

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Maren Krings

Dass hier ein Gericht namens »Schiefer Sack« gereicht wird, zeigt die lebensbejahende, humorige Einstellung der Pfälzer. Auf Susannes Teller liegt kurz darauf eine sanft gebogene Bratwurst, an die sich ein Leberknödel schmiegt. Als Beilage: Sauerkraut. Auf der Speisekarte stehen Klassiker wie Saumagen, aber auch Flammkuchen – der Pfälzerwald geht im Süden in die Vogesen über und schließt sich damit ans Elsass an.

Ich habe mich für einen Handkäse mit Musi entschieden, hier »Weißkäse« genannt. Ja, der hat nicht nur im Bembeluniversum um Frankfurt Tradition, sondern auch in der Pfalz. Dazu gibt es natürlich neuen Wein. Er kommt auf die Tische, wenn der Pfälzerwald einem Traum in Goldgelb, Orange und Rot gleicht.

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Maren Krings

Im Herbst verfärben sich die Weinberge des Hügellands rund um Neustadt, das den verheißungsvollen Namen »Weinstraße« trägt. Westlich davon zieht sich der Wald von roten Felsen durchsetzt bis in Höhen von 670 Meter hinauf. Der Ostrand des Höhenzugs wird auch »Haardt« genannt, das bedeutet »Bergwald«. Schon die Römer schätzten das mediterrane Klima der Pfalz und brachten Weinreben hierher.

Die bewaldeten Höhen bremsen heranziehende Tiefdruckgebiete aus und fangen den Regen ab. Richtung Rheinebene erwärmt sich die fallende Luft und verwöhnt Früchte und Gemüse mit milden Temperaturen. Immer am Rand der Haardt entlang zieht der 172 Kilometer lange Pfälzer Weinsteig in elf Tagen von Bockenheim bis Schweigen-Rechtenbach; wir sind heute auf der fünften Etappe von Neustadt nach St. Martin unterwegs. Susanne trainiert gerade für einen Halbmarathon und hat einen entsprechend flotten Schritt vorgelegt.

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Maren Krings

Zügig sind wir am Hambacher Schloss vorbeimarschiert, der Wiege der deutschen Demokratie, und jetzt bin ich ganz froh über die Einkehr. Wir stoßen an. Lecker, das neue Weinchen. Und auch die Teller leeren sich so schnell, dass man sieht: Es schmeckt. Das Hohe-Loog-Haus wird vom Pfälzerwaldverein betrieben, so wie 63 andere dieser gemütlichen Hütten, die Wanderer überall im Pfälzerwald rustikal, aber herzlich bewirten. In 14 weiteren kann man auch übernachten. Wir brechen auf und treten leicht beschwingt vom Wein in den Kieferwald, der die Wirtschaft umgibt. Der Weg gleitet wie von selbst unter den Füßen nach hinten, und nach einer Dreiviertelstunde stehen wir am Kalmithaus.

Der gleichnamige Berg ist der König des Pfälzerwalds, ragt 672 Meter hoch auf und gewährt Aussichten auf die Rheinebene und sogar bis zum Schwarzwald. Hinter uns steht dunkel die Haardt, in der einzelne Esskastanienbäume bunte Akzente setzen, nach vorne atmet die Pfalz Weite: Wie ein Flickenteppich liegen die sich verfärbenden Weinberge vor uns. Wir nehmen eine Rieslingschorle.

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Maren Krings

Der Wind wispert, der Maronenbaum leuchtet rötlich neben der Terrasse des Kalmithauses – das Leben ist schön. Da die Kalmit der höchste Punkt ist, neigt sich der Pfälzer Weinsteig naturgemäß nun wieder nach unten und der Ebene zu, streift dabei aber noch eine Naturschönheit: das Felsenmeer. Ein Trampelpfad führt um die wie von Riesen aufgestapelten Steinbrocken herum. Prompt entdecken wir die Kinder in uns und klettern übermütig hoch. Dann überrascht mich Susanne: Sie kennt sich gut mit Pilzen aus. Wir folgen einem Pfad, der sich zwischen den knarzenden Säulen der Kieferstämme hinabwindet. »Da, ein Steinpilz!« Susanne zeigt auf ein Prachtexemplar, das geduckt eine braune Kappe auf hellem Stiel trägt. Er gehört zu den Röhrlingen, laut Susanne die besten Pilze für Anfänger.

Denn fast alle sind essbar, wenn auch manche einfach nicht schmecken. »Aber der Satanspilz ist giftig«, nennt sie gleich eine Ausnahme von der Regel. »Den erkennst du sofort: Er hat blutrote Poren unter dem Hut.« Wir plaudern uns nach St. Martin hinab, dem Endpunkt für heute, und spähen unter Bäume und Büsche, um weitere Pilze zu entdecken. Im Weinbau-Örtchen dann suchen wir in den gepflasterten Gassen nach dem Vinotel Schreieck, einem Weingut mit Hotelbetrieb. Frank Schreieck, einer der beiden Söhne des Hauses,wartet quasi schon mit dem Korkenzieher in der Hand auf uns. Feine Weißweine gießt er in kleine Gläser, vom rhabarbigeren Riesling über ananasigen Burgunder bis zum trüffeligen Burgundercuvée.

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Maren Krings

Sein Bruder sei für diese Geschmackseinordnungen zuständig, sagt Frank; für mich sind sie nicht immer nachvollziehbar, aber jedes Tröpfchen schmeckt. Frank erzählt, wie sein Bruder und er vor ein paar Jahren den Betrieb übernommen und 17 Hotelzimmer und einen Verkaufs- und Probierraum eingerichtet haben. »25 Leute arbeiten für uns«, sagt er und schenkt einen nach rosa Pfeffer duftenden Merlot ein. »Und jeder einzelne ist wichtig für die Qualität unserer Weine.« Beim anschließenden Pinot Noir erfahren wir, dass selbst die Oma, stolze 82 Jahre alt, noch »ihren« Kunden den Wein vorbeibringt, wie seit Jahrzehnten schon. Wir sind gewandert und mittags eingekehrt, haben am späten Nachmittag guten Wein probiert – jetzt am Abend ist es Zeit, die ganze Palette der Pfälzer Küche kennen zu lernen.

Das Kirchstübel in St. Martin wird als guter Tipp dafür gehandelt, und wir haben einen Tisch reserviert. Wirtin Sonja Kubinyi erwartet uns schon, ist aber völlig entspannt ob der leichten Verspätung. »Ihr wart beim Schreieck zur Weinprobe«, sagt sie und grinst, die Hände in die Hüften gestemmt. »Da kommt man nie pünktlich heraus.« Und dann fährt sie einen Gaumenkitzel nach dem anderen auf: eine würzige Kürbissuppe zum Niederknien (»die mache ich mit Garam Masala«), danach leckere Spinatknödel in Pfifferlingssauce und Flammkuchen mit ebenfalls pfalztypischer Blutwurst. Im zart gegarten Saumagen verstecken sich »Keschde«, Esskastanien. Zu jedem Gang kredenzt sie einen Wein, den sie akribisch auswählt, wie Stammgäste freimütig vom Nebentisch herüber erklären.

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Maren Krings

Dann kommt der Nachtisch: Crème Brulée und Maronenmascarpone – wie alles andere ein Gedicht. Die Maronen verdanken die Pfälzer übrigens auch den Römern. Sie pflanzten sie in vielen eroberten Gebieten an und verpflegten ihre Soldaten mit den Keschde. Passenderweise führt unsere zweite Tour am nächsten Tag über den Pälzer Keschdeweg. Es nieselt, als wir von Burrweiler durch die Weinberge emporwandern. An den Enden der Rebenreihen lassen sich Pfirsichbäume die orange-roten Blätter vom Wind zerzausen.

Nach der Schlemmerei gestern tut es unendlich gut, sich zu bewegen. Unter den mächtigen Kronen der Kastanienbäume steigen wir zur St.-Anna-Kapelle auf, Keschden knacken unter den Sohlen, die hin und wieder auf den feuchten Steinen wegrutschen. Oben schnaufen wir durch und lassen unsere Blicke über die Weinberge schweifen. »Sollen wir in der St.-Anna-Hütte einkehren?«, fragt Susanne. Ich schüttele den Kopf, es ist zu früh nach dem Start. Am Weg liegt später noch das Schweizer Haus, das 2017 frisch renoviert wurde, und am Ende, schon wieder am Fuß der Haardt,die Rietania-Hütte.

Wir werden garantiert nicht verhungern. Und vielleicht wandern wir hier nochmal im Frühjahr, wenn die Mandelbäume die Pfälzer Weinberge in einen Traum in Rosa verwandeln. Die Mandeln reisten auch mit den Römern hierher. Die antiken Eroberer wussten einfach, wo der Genuss leicht eine Heimat findet – das gleiche gilt für die im Herbst sehr beliebten Speisepilze ...

Herbstzeit ist Pilzzeit – Wissenswertes:

Pilze sind bizarre Mischwesen zwischen Pflanze und Tier: Sie atmen, können aber nicht ihren Standort wechseln. Und sie sind viel größer, als es den Augenschein hat. Tatsächlich nehmen Wanderer nur die Fruchtkörper wahr; der weitaus gewaltigere Teil des Pilzes erstreckt sich unterirdisch als Myzel, als eine Art Wurzelgeflecht, und das oft kilometerweit. Man nimmt 100000 bekannte Pilzarten an – ihre Zahl könnte aber in die Millionen gehen. Bei uns sind rund 11000 heimisch. Um die essbaren sicher zu bestimmen, muss man sich also etwas auskennen. Wer aber die Einstiegshürden überwindet, wird nicht nur mit leckeren Gerichten belohnt, sondern tut auch etwas für die Gesundheit, denn Pilze stecken voller Mineralstoffe und Vitamine.

Röhrenpilz

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Patrick Rosche

Röhrlinge zählen zu den sichersten Pilzen für Einsteiger. Dicht stehen die runden Poren unter dem Hut, aber: Finger weg von Exemplaren mit roten Poren! Auch Steinpilze sind Röhrlinge.

Pilze mit Stacheln im Hut

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Patrick Rosche

Zapfenartige Stacheln ragen unter dem Hut herab, und diese Pilze tragen oft »Stacheling« im Namen. Der Semmelstoppelpilz zählt zu ihnen; er gilt als sehr schmackhafter Speisepilz.

Labyrinthische Poren

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Patrick Rosche

Leisten in unregelmäßigen Mustern überziehen die Hutunterseite. Viele Vertreter dieser Klasse heißen »Porling«. Sie wachsen oft als Terrassen auf Totholz, wie der Eichenwirrling.

Pilze mit Lamellen

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Patrick Rosche

Schirmpilze und Champignons tragen Lamellen vom Stiel zum Hutrand. Es gibt unter ihnen sehr giftige wie den Fleischbräunlichen Schirmpilz, aber auch gute Speisepilze wie den Parasol.

Schritt für Schritt zum Pilzkenner:

Björn Wergen, Leiter der Schwarzwälder Pilzlehrschau, rät absoluten Neulingen unbedingt zu einem Seminarbesuch. »Und man sollte sich einen guten Pilzführer besorgen, das »1x1 des Pilzsammelns« von Pätzold und Laux etwa.« Röhrenpilze gelten als anfängerfreundlich. Statt Lamellen wie die Champignons tragen sie dicht an dicht feine Röhren unterm Hut. Zu ihnen gehören die begehrten Steinpilze.

Tödlich giftig ist von den Röhrlingen keiner, aber wer zum Beispiel einen Satanspilz erwischt, muss zumindest mit heftigem Magengrummeln rechnen. Auf der Suche nach Röhrlingen steuern Kenner Bäume und Sträucher an. Baum und Pilz leben meist in einer Symbiose zusammen. Gibt es dann noch feuchtes Moos, fühlen sich Maronenröhrling, Kiefernsteinpilz & Co. richtig wohl. Auch bei anderen Arten verrät der Standort, um welchen Pilz es sich handeln könnte. Wiesen- und Schafchampignons zum Beispiel stehen meist auf Weiden, der ungenießbare Birkenmilchling hingegen – wen wundert’s – unter Birken.

Tödlich giftig sind laut Björn Wergen übrigens hierzulande zehn bis zwölf Pilze, darunter der berühmt-berüchtigte Grüne Knollenblätterpilz. »Bei diesen kritischen Vertretern ist es zwingend, den Pilz und seinen Doppelgänger ganz genau zu kennen.« Und wenn man nicht sicher ist, ob es der leckere Parasol oder ein anderer Schirmling ist: im Zweifel stehen lassen!

Fünf goldene Regeln fürs Pilzesammeln

Hat man die ersten Pilze sicher gelernt, kann man auf eigene Faust losziehen. Björn Wergen nennt fünf Basics für Sammler: Pilze gehören in einen Korb und in keinen luftdichten Behälter. Mengenbegrenzungen beachten: »Vom Steinpilz oder dem Pfifferling darf man pro Tag und Person ein bis zwei Kilo sammeln.« Außerdem soll man die Natur respektieren, also keine Wildtiere aufscheuchen und Pilze nicht aus einer Laune heraus zerstören. Als Viertes rät der Experte – ganz klar – ausschließlich bekannte Arten mitzunehmen.

Seine letzte Regel spricht den gesunden Menschenverstand an: Nur so viele Pilze mitnehmen, wie man auch verwerten kann. »Ob man die Pilze herausdreht oder abschneidet, spielt übrigens keine Rolle.« Wer seine Sammlerstücke nicht gleich aufisst, macht sie haltbar, zum Beispiel durch Dörren. So verlängert man die Pilzzeit, bis hier und da wieder die ersten Fruchtkörper aus dem Waldboden lugen.

Weitere Pilz-Tipps:

Rezept: Pastete mit ganzen Steinpilzen

Geht einfach, knuspert herrlich: Steinpilze im Blätterteigmantel:

  • 450 g Blätterteig (Tiefkühlware)
  • 2 Schalotten, 100 g Waldpilze
  • 1 EL Butter
  • Salz, Pfeffer aus der Mühle
  • 200 g Spinat
  • 200 g Ricotta, 100 ml Sahne
  • 2 Eier, 1 Eigelb
  • 2 EL Petersilie, 1 TL Thymian
  • 5–6 mittelgroße Steinpilze (6 cm hoch)

Blätterteig auftauen lassen, Ofen auf 180 Grad Ober- und Unterhitze vorheizen. Schalotten hacken, die Waldpilze klein schneiden. Jetzt die Schalotten in Butter glasig schwitzen, die Waldpilze kurz mit andünsten, mit Salz und Pfeffer würzen. Spinat im Topf zusammenfallen lassen, abgießen, fein hacken. In einer Schüssel vermengt man dann Spinat, Schalotten, Pilze, Ricotta, Eier, Sahne, Petersilie und Thymian, pfeffert und salzt nach und putzt die Steinpilze. Dann den Teig zu einem Rechteck ausrollen. Kastenform fetten, mit Teig auskleiden, etwas Spinat-Ricotta-Masse einfüllen, die Steinpilze nebeneinander hineinstellen, mit dem Rest der Masse auffüllen und mit überstehendem Teig abdecken; Ränder und Deckel mit Eigelb bestreichen. Zum Schluss kommt die Pastete für 50 bis 60 Minuten auf die unterste Schiene des Ofens.