Profi-Slackliner Lukas Irmler im Interview
outdoor: Dein neustes Slackline-Projekt heißt »7 Summits der Alpen« – was darf man sich darunter vorstellen?Lukas: Angelehnt an die 7 Summits weltweit, die sieben höchsten Berge der Kontinente, zielt das Projekt auf die höchsten Gipfel der sieben Alpenländer. Ich bin vor ein paar Jahren auf sie aufmerksam geworden, als ich die höchste Highline Deutschlands ging: auf der Zugspitze.
Innerhalb eines Jahres – das war der ursprüngliche Wunsch. Am Anfang wollte ich alle Gipfel miteinander verbinden, mit dem Fahrrad, von der Haustür weg.
Die Corona-Reisebestimmungen wechselten irgendwann so oft, dass wir kaum planen konnten. Außerdem war es schwierig, Mitstreiter zu finden, die für sechs, sieben Wochen mit mir aufs Fahrrad steigen.
Ich habe es vor 16 Jahren entdeckt. Bei meinem Nachbarn im Garten unternahm ich die ersten Versuche – und die waren kläglich. Ich habe es noch nicht mal geschafft, im Stehen die Balance zu halten, und dachte konsterniert, dass das nicht mein Ding wird. Damals war das noch kein richtiger Sport, sondern eine Freizeitbeschäftigung von Kletterern.
Ich habe erst richtig Feuer gefangen, als Freunde von mir eine dauerhafte Slackline hinter der Kletterhalle gespannt haben. Jedes Mal, wenn ich daran vorbeigelaufen bin, dachte ich: »Das kannst du immer noch nicht.« Also habe ich mir eine Woche Zeit genommen, um einmal rüberzulaufen, damit ich die Sache hinter mir lassen kann. Nach sechs, sieben Tagen mit je einer Stunde Üben hat es geklappt. Und schon war ich angefixt. Sobald man die ersten kleinen Erfolgserlebnisse hat und merkt, dass Dinge, die sich erst total unmöglich anfühlen, in einer überschaubaren Zeit machbar werden, überlegt man, was da noch alles wartet.
Im Grunde genommen ist das eine hochgespannte Slackline. Um darauf sicher gehen zu können, braucht es eine gewisse Höhe. Wenn man stürzt, sorgen die Sicherung und auch die Elastizität der Slackline dafür, dass man erst ein gutes Stück unterhalb der Slackline gestoppt wird, wenn man stürzt. Ist die Line zu niedrig, schlägt man auf dem Boden auf, bevor sie einen auffängt. Zehn Meter Höhe braucht man mindestens, je höher, desto sicherer.

Am Anfang meiner Slackline-Karriere musste ich erkennen, dass ich Höhenangst habe. Nicht die beste Voraussetzung. Nach einer Panikattacke auf der ersten Highline habe ich mich immer wieder in die Situation gebracht und jedes Mal gelernt, dass ich nicht gestorben bin. Mit jeder neuen Erfahrung schwindet die Angst, und der Körper gewinnt Kontrolle. Aber gesunder Respekt und ein Kribbeln im Bauch bleiben, vor allem bei extrem hohen oder ausgesetzten Lines.
Ich gehe schon seit vielen Jahren in die Berge, bin auch geklettert, bevor ich die Slackline entdeckt habe, aber viele meiner Fähigkeiten habe ich erst durch die Line ausgebaut. Sie ist ein Türöffner zur Welt für mich. Durch sie habe ich angefangen zu reisen. Inzwischen gehe ich wegen ihr mehr Bergsteigen. Auch die 7 Summits sind ein Baustein zum Ansporn, ein besserer Alpinist zu werden.
Das musste ich. Denn für die Slackline braucht man Zeit am Gipfel. Normalerweise steigt man auf einen Viertausender, macht sein Gipfel-Selfie, isst vielleicht noch eine Brotzeit, und dann geht es schnurstracks ins Tal. Bei uns beginnt das eigentliche Abenteuer erst am Gipfel.
Als Erstes bauen wir die Slackline auf, dann kommt der eigentliche Sportteil: das Drüberbalancieren. Dann muss man alles wieder abbauen und auch noch absteigen. Man verbringt einige Stunden am Gipfel, und die muss man erst mal rausschlagen. Eine 4000er-Besteigung füllt ja eigentlich schon einen ganzen Tag.
Nein. Nur Fotograf und Filmemacher Valentin Rapp war immer dabei. Zu den meisten Bergen hat mich meine Freundin Antonia begleitet, dazu immer noch ein, zwei andere Berg- und Slackline-Kumpane. Das macht das Team klein, aber kontrollierbar. Bei so hohen Bergen ist jede Person auch ein Risiko. Wenn einer höhenkrank wird, müssen alle zurück. Im Idealfall sind alle akklimatisiert, denn man läuft nicht einfach auf den Montblanc, ohne sich an die Höhe angepasst zu haben. Oben brauchst du zwei Teams, die die Seiten der Highline einrichten, verankern und die Verbindung erstellen.
Wir benutzen manche Dinge mehrfach: In den Anker bauen wir zum Beispiel das Kletterseil ein, das wir zur Gletscherüberquerung brauchen. Bei 50 Meter Slackline brauchen wir mehr als 100 Meter Band, wir haben immer zwei Bänder. Da kommen Minimum 12, 13 Kilo zusammen. Im Dreier-/ Viererteam rechnet man pro Person mit fünf, eher bis zehn Kilo Extramaterial für die Line. Jeder trägt so 15 bis 20 Kilo.
Zur Sicherheit. Man läuft auf einer gespannten Hauptleine, und eine Back-up-Leine hängt locker darunter. Ein straffes Band kann an einer scharfen Kante durchgeschnitten werden. Im Notfall fängt das Back-up uns auf. Es geht einige Meter runter, rettet uns aber das Leben.
Das war wirklich spannend: Für eine Slackline braucht es eine Doppelgipfelstruktur oder irgendeinen Einschnitt. Wir wollten die Line möglichst nahe am Gipfel spannen, im Idealfall direkt vom Gipfelkreuz weg, so wie an der Zugspitze. Und die Dufourspitze in der Schweiz zum Beispiel besitzt einen Gipfelgrat mit richtig vielen Einschnitten und somit gute Highline- Möglichkeiten.

All das haben wir schon ausprobiert. Und auch eine Angelrute funktioniert. Das Bleigewicht an der Schnur fliegt recht solide bis gut hundert Meter. Heutzutage bindet man eine Angelschnur an eine Drohne. Oft seilt sich aber auch ein Teil des Teams von der einen Seite ab, nimmt ein dünnes Seil mit und klettert auf der anderen Seite der Scharte wieder hinauf.
Die Line war für jeden von uns offen. Bei schlechtem Wetter bin nur ich gegangen. Oder die anderen haben es kurz versucht.
Am Großglockner zum Beispiel tobte im August ein Schneesturm. Da waren wir schon am Gipfel, mitten im Aufbau. Für mich war es nicht die erste vereiste Line, also habe ich mir gesagt: einfach durchziehen und runter. Markus und Antonia haben es probiert, sind aber nach nur ein paar Schritten gestürzt. Kein Problem – das System ist darauf ausgelegt.
Jede auf ihre Weise. Der Großglockner war mit dem meisten Leiden verbunden. Sonst war der Granparadiso am schwierigsten. 70 Meter Länge, und das bei sehr starkem Wind, eigentlich schon Sturm. Da war ich komplett am Limit und sehe es als kleines Wunder, dass ich es rübergeschafft habe.

Fast. Beim Triglav stimmte die Nationalparkverwaltung einer Highline nicht zu, weil sie nicht etablierte Sportarten nicht zulassen will. Nachvollziehbar, denn zuerst kommt der Slackliner, dann will auch der Mountainbiker hinunterfahren, der Paraglider hinterher ... Also haben wir eine »Human Power Slackline« gemacht.
So wie beim Tauziehen. Zwei Gruppen spannen die Line, indem sie gegeneinanderarbeiten. Am besten läuft sie einem über die Schulter, wegen der Höhe. Drei, vier Leute pro Seite reichen, damit jemand wenigstens einmal rüberlaufen kann.
Nicht oft, aber am Montblanc. Sein Gipfel besteht aus einem Schneehügel. Ich wollte andere Bergsteiger für die Human Power Slackline gewinnen, aber die Leute sind da oben echt fertig. Drei Tschechen hatten zum Glück genug Rest-Power. Sonst wäre ich mit leeren Händen runtergegangen. Alle sechs Gipfel nach der Zugspitze haben wir von August bis Oktober geschafft. Die Zugspitze konnte ich nicht wiederholen – ein Wermutströpfchen.
Alles über Lukas Irmler, inkl. Daten zur Filmtour: lukas-irmler.com
Das komplette Interview als Podcast zum Anhören
Ihr könnt die Podcast-Episoden entweder gleich hier auf dieser Seite anhören, oder auch auf einer der gängigen Plattformen: iTunes, Spotify, Deezer, Audio now, Soundcloud, Acast, The Podcast App, Google Podcast-App auf Android-Smartphones, Lecton sowie Castbox, Podcast Addict und vielen anderen Podcast-Apps und Verzeichnissen.