Die Sonne versinkt im Titicacasee, als Karo und ich an einem Märzabend die Grenze von Peru nach Bolivien überqueren. Kurz darauf erreichen wir Copacabana am Ufer des Titicacasees. Bereits für die Inka, deren Schöpfergott Viracocha den Wassern des Titicacasees entstiegen sein soll, war dies ein wichtiger Wallfahrtsort. Selbst Rio de Janeiros Copacabana wurde nach der hiesigen benannt.
Vermuten würde man das nicht: Ramschläden und halbfertige Zweckbauten dominieren das Ortsbild. »Schnell weg hier«, kommentiert Karo. Schon am nächsten Tag nehmen wir ein Boot zu unserem eigentlichen Ziel in dieser Region am "Lago Titicaca" in den Anden: zur Isla del Sol, der Sonneninsel, wo der Urgott nach den Mythen der Inka Sonne und Mond herbeirief.

In der dünnen Luft auf 3800 Metern Höhe scheinen die weißen Andenspitzen am Horizont zum Greifen nahe. Das Wasser ist glasklar, Himmel und See präsentieren sich tiefblau. Unsere Unterkunft liegt am Südende der Insel Isla del Sol in der Ortschaft Yumani. Als wir an Land gehen, erfahren wir jedoch, dass der Kapitän den Inselsüden ausgelassen hat und wir uns bereits auf Höhe der Inselmitte befinden.
Glücklicherweise ist die Isla del Sol nur neun Kilometer lang. So laufen wir einfach zurück nach Yumani, auf uralten Wegen. Die fast baumlose Landschaft am Titicacasee wird von Terrassenfeldern dominiert – auf einigen wachsen Kartoffeln und Saubohnen, aber viele liegen auch einfach brach. Zu steinig ist der Boden, die dünne Erdschicht vielerorts erodiert. In den kleinen Ortschaften am Weg scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: keine Autos, keine Radios, kein Backpacker-Geplapper. Die Stille summt in den Ohren. Maultiere schauen uns neugierig an. In einem weiten Bogen über die Hügel erreichen wir Yumani.

In unserem kleinen weißgetünchten Hotelzimmer mit Fenstern auf drei Seiten können wir morgens die Sonne über den schneebedeckten 5000ern der Anden aufgehen sehen. Auf der Westseite des Ortes befindet sich eine Reihe Restaurants, deren Spezialität die Forellen aus dem Titicacasee sind. Hier genießen wir am Abend frischen Fisch und schauen der Sonne beim Untergehen zu.
Ganz in Ruhe beginnen wir am nächsten Tag, die Gegend zu erkunden. In einem kleinen Eukalyptushain steht ein Lama am Wegesrand, schaut mit gleichgültigem Blick herüber und kaut Gras. Karo, auf Kommunikation mit jeder Kreatur aus, bleibt stehen und richtet freundliche Worte an das Tier. Flutsch! – ein Spucken als Antwort. »Es stinkt«, meint Karo nach einem Moment erstaunter Stille, »aber irgendwie ist es cool, von einem Lama bespuckt worden zu sein.«

Am letzten Tag besteigen wir den höchsten Punkt der Insel Isla del Sol, den Cerro Chequesan. »4075 Meter Höhe«, das klingt beeindruckend, aber de facto liegt dieser Punkt nur 265 Meter oberhalb des Titicacasees. Über Terrassenfelder kraxeln wir empor und finden oben einen kleinen Schrein aus übereinandergeschichteten Feldsteinen. Vielleicht ist dies ja der Ort, an dem Viracocha die Sonne und den Mond heraufbeschworen hat.
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