Tödlicher Unfall in der Schweiz: Ralf Gantzhorn abgestürzt

Ralf Gantzhorn ist tot
Nachruf auf einen großen Bergliebhaber

Zuletzt aktualisiert am 25.06.2020
Ralf Gantzhorn - Fotograf und Autor
Foto: Ralf Gantzhorn

Beim letzten Mal, als wir telefonierten, bat Ralf mich noch, ihm Eispickel zu schicken. "Deine leichten, die wir am Täschhorn mithatten." Er brauchte sie für einen Kletterpartner. Einen von vielen, denn Ralf verbrachte oft den ganzen Sommer in den Bergen. Die meisten Seilgefährten begleiteten ihn für eine, vielleicht zwei Wochen, danach gaben sie den Staffelstab weiter – Ralfs Tempo, Ausdauer und Nervenstärke hielten nur wenige länger durch.

Denn seine Energie schien grenzenlos: An Ausschlafen war auf Tour mit ihm nie zu denken. Erst recht nicht bei gutem Wetter. Da stahl er sich vor Sonnenaufgang aus den Federn, schüttete fast ritualhaft kaltes Wasser über seinen Kopf, nahm die Kamera und hüpfte, balancierte, kletterte gämsenhaft über Felsen, Blöcke, Schneefelder – immer auf der Suche nach dem richtigen Moment, dem perfekten Licht. Das fand Ralf vor allem in Patagonien, wo er insgesamt über fünf Jahre seines Lebens verbrachte. Er schrieb dort seine Diplomarbeit, unternahm lange Zelttouren und erklomm steile, ausgesetzte Felswände. So stand er als erster Norddeutscher auf dem Gipfel des Fitz Roy, ein 3406 Meter hoher, extrem schwieriger Granitklotz auf der argentinisch-chilenischen Grenze.

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Am meisten schwärmte er aber von Feuerland. Die wetterwilde, nahezu unberührte Region zog ihn magisch an – vor allem aber ein Berg: der Monte Sarmiento, eine 2246 Meter hohe, eisgepanzerte Pyramide, die alle umstehenden Massive überragt, fast ständig sturmumtost und wolkenverhüllt. Ralf verehrte sie geradezu. "Weiße Diva" nannte er sie. Sieben epische Segelboot-Expeditionen unternahm er zu seiner Angebeteten. 2010 erkletterte Ralf über die bis dahin unbestiegene Nordwand den Westgipfel. Der Ostgipfel blieb ihm verwehrt, weshalb er eine achte Expedition plante. Technisch schwierig, verriet er mir, sei der Berg nicht. Darauf kam es Ralf nie an – obwohl er den achten Klettergrad beherrschte.

Vielmehr faszinierten ihn das Ungestüme, Unberechenbare, Wilde. Und die Einsamkeit. Die fand er auch in Schottland sowie in den Alpen. Oft mit Freunden oder Familie, aber immer mit Kamera. Damit gelangen ihm geradezu betörend schöne Bilder. Doch Ralf war mehr als nur leidenschaftlicher Fotograf, Alpinist und Wanderer, er war außerdem Vortragsreisender, Autor, Reporter – ein Multitalent, das mitreißend berichtete: in OUTDOOR und KLETTERN, aber auch in Stern, Geo und Mare sowie in seinen Wander- und Hochtourenführern. Seine Fotos gewannen Preise, schmücken Ausstellungen und füllen Bildbände: »Himmelsleitern«, »Schottland« und »Patagonien«.

Wer sie durchblättert, sieht schnell: Der Mensch steht bei Ralfs Motiven selten im Vordergrund, oft zeigen sie ihn – wenn überhaupt – klein und zerbrechlich. Die Landschaft hingegen wirkt übermächtig, dramatisch, oft auch düster melancholisch, denn Ralf war ein sensibler Mensch. Einer, dem es auffiel und zusetzte, wie der Klimawandel an seinen geliebten Gletschern und Bergen nagte, und der davon häufig – als studierter Geologe fundiert – berichtete und zuletzt mit seinen Flugreisen haderte. Mit Ralf verlieren die Berge einen ihrer größten Verehrer. Die Outdoor-Welt trauert um einen inspirierenden Kollegen und Freund. Er wurde 56 Jahre alt.

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Hintergrund:

Dem Schweizer Polizeibericht zufolge soll Ralf Gantzhorn am Mittwochnachmittag (24.6.) offenbar durch einen Handhabungsfehler beim Abseilen in die Tiefe gestürzt sein. Der Kantonspolizei Obwalden wurde der Absturz des 56-Jährigen an der Cheselenflue, oberhalb der Stöckalp (Kanton Obwalden, Zentralschweiz), gegen 15.15 Uhr gemeldet. Die Schweizer Rettungsflugwacht REGA konnte nur noch den Tod des abgestürzten Kletterers feststellen. Seine Seilpartnerin konnte unverletzt aus der Wand geborgen werden.

Hier einige seiner Artikel, die in unserem Heft und online erschienen: