Das erste Everesting-Event Europas - wir waren dabei!

(N)ever (R)est
Das erste Wander-Everesting in Europa

Zuletzt aktualisiert am 31.08.2024

Everesting

8848 Meter ragt der Mount Everest auf – klar ist der höchste Berg der Welt nichts für Hobby-Outdoorer. Sein persönliches "Everest-Erlebnis" kann man aber im Brandnertal in Vorarlberg erleben: Auf einer Tag- und Nachttour von 36 Stunden wandert man beim "Everesting" 8848 Höhenmeter vom Dorf Brand bergauf. Das ganze Event wird von ALPIN8 hervorragend organisiert. Die Tour verteilt sich auf 17 Etappen mit jeweils 520 Höhenmetern auf einer Strecke von 3,5 km. Wieder ins Tal geht es jedes Mal mit der Palüdbahn. Unter dem Namen "Everesty" ist auch die Hälfte der Tour in einer Zeit von 20 Stunden machbar. Unsere beiden Redakteure Philip und Tobias wankten nach 30 Stunden ins Ziel.

(N)ever (R)est!

Absolute Dunkelheit umgibt mich. Ich sinke ächzend auf meine Stöcke, bleibe stehen. Der Regen hat zwar aufgehört, aber die Tropfen fallen immer noch von den Blättern ringsum. Ich nehme es am Rande wahr, vor allem spüre aber spüre ich das Pochen meiner Beine. Ich drehe mich um. Ein tanzendes Licht zeigt, dass auch Philip um die Kurve biegt. Wir bringen das gemeinsam zu Ende. So wie wir das auch eingefädelt haben: Die Everesting-Challenge im Brandnertal in Vorarlberg. Die Uhr zeigt halb zwei morgens, wir sind seit 20 Stunden unterwegs und kämpfen uns in Richtung der Marke von 7000 Höhenmetern. Spaß haben wir gerade nicht – aber das ist so spät beim Everesting auch nicht zu erwarten.

Eigentlich kam der Trend im Radfahren auf, eine Herausforderung für Athleten mit Pferdelungen, die am immergleichen Anstieg so lange hochtreten, bis sie die 8848 Höhenmeter eines Aufstiegs zum höchsten Berg der Welt geschafft haben. Doch dieses Jahr fand das erste Wander-Everesting-Event Europas statt – und dem Redakteurskollegen Philip und mir war sofort klar: "Das probieren wir!" Philip ist ambitionierter Amateurbasketballer, ich laufe und fahre begeistert Ski. In den Bergen fühlen wir uns beide wohl, Philip hat auch schon einen 100 Kilometer Megamarsch durchgezogen. Aber knapp 9000 Höhenmeter? Daran dachten wir lieber nicht so genau, entsprechend zwanglos fiel die Vorbereitung aus. "Wir entscheiden das im Kopf", machten wir uns gegenseitig Mut.

Als wir dann mit den anderen Verrückten am Vorabend beim Briefing saßen, war ich irgendwie froh: Das Unbehagen hatte sich die letzten Tage zu Everest-Größe aufgetürmt. Nun wich die Nervosität klarem Fokus.

Morgens scheppert der Wecker kurz vor Vier. Zum ersten Mal im Leben benutzen wir Reibungscreme. Das soll die Oberschenkel vor Wundscheuern bewahren. Kurz vor dem Start um fünf Uhr ist die Stimmung aufgeregt und gelöst zugleich. Das Areal an der Talstation ist gesäumt von tanzenden Stirnlampen. Stöcke werden eingestellt, Kniegelenke mobilisiert, Schuhe gewissenhaft geschnürt. Im Hintergrund surrt die Palüdbahn, die für uns bereits läuft und Verpflegung nach oben schafft. Schnell noch einen Schluck Kaffee, dann beginnen Philip und ich gemeinsam mit gut 160 anderen unser Abenteuer. 17 Aufstiege, gut 60 Kilometern und über 9000 Höhenmeter liegen vor uns – Zeitlimit: 36 Stunden. Immerhin die Abstiege bleiben uns erspart – für sie dürfen wir die durchgehend laufende Bahn nehmen, das schont die Knie. Gestern noch war hier die Welt untergegangen, Platzregen und Gewitter gingen im Brandnertal im österreischischen Vorarlberg nieder.

Doch heute ist es trocken. Obwohl eigentlich überhaupt kein Frühaufsteher, komme ich direkt beim ersten Aufstieg in einen Flow-Zustand. Entlang des Waldsteiges gucke ich nach links und rechts, freue mich über das Plätschern des Baches. Die beiden Initiatorinnen Saskia und Flores haben eine abwechslungsreiche Strecke mit 538 Höhenmetern und etwa 3,5 Kilometern Länge ausgetüftelt: Vom Fuße der Palüdbahn am Bach entlang, auf halber Strecke wartet eine Verpflegungsstation. Dann über eine steile Wiese und eine Forststraße zum »Base Camp«, dem Versorgungsbereich an der Bergstation. Für jeden gemeisterten Aufstieg erhält man hier einen Strich auf dem Startnummernleibchen. Ich fühle mich gut, als wir das Mal ankommen – frage mich aber insgeheim, wie es mir wohl in 24 Stunden gehen wird.

ALPIN8 Everesting 2024 Mount Everest Challenge im Brandnertal
Sportograf

Der Wind in den Segeln

Das Starterfeld verteilt sich mit den weiteren Anstiegen immer mehr. Auf der dritten Runde treffen wir den Ex-Fußballer André Schürrle, der die Challenge mit Freunden bestreitet. Wir heften uns an ihre Fersen – mit 45 Minuten soll es unser schnellster Aufstieg werden. Bis dahin steigt das Hochgefühl stets an, wohl ahnend, dass das Tempo nicht (unser) Dauerzustand sein wird. Mit dem vierten Anstieg machen wir die 2000 Höhenmeter voll, so weit, so gut. Ein paar Trockenfrüchte und etwas Traubenschorle, dann bringt uns die Bahn für den fünften Aufstieg auch schon wieder nach unten. Wind aus den Segeln nimmt uns die Info unseres Gondel-Gefährten, Andreas: Er sieht echt fit aus und antwortet auf unsere Frage nach dem Stand der Dinge, er sei jetzt vor dem 12. Anstieg. Mehr als das Doppelte. Da müssen wir schlucken. Andreas sollte das Ding in etwas über 14 Stunden gewinnen, total verrückt!

Der Halbzeit-Hammer kommt

Im siebten Aufstieg beginnt mein linkes Knie zu zwicken, in der achten Runde gesellt sich die Hüfte dazu, und auf dem steilen Wiesenstück bei Runde Neun (Halbzeit geschafft!) ertappe ich mich erstmals dabei, wie ich die Zähne fletsche. Im Basecamp warten Faszienrollen, die ich nun in jeder Pause in Beschlag nehme – Philip ist bis dato stabil. Mit langen Schritten stapft der Zweimetermann beständig den Berg hinauf und hat es auch gut verkraftet, dass er für Runde drei seine Stöcke oben stehen ließ.

Doch dann, im zehnten Aufstieg, bekommt er plötzlich Krämpfe im Unterarm. Wir lachen beide, da hatten wir den ersten Krampf wirklich nicht vermutet. Nun, mit knapp 5000 Höhenmetern in den Beinen, bewegen wir uns beide längst in einem Bereich, den wir vorher nie betreten haben. Das Zwicken in der Hüfte ist jetzt echter Schmerz, der mich in Steilstücken zu einem komischen Humpelgang zwickt. In der Gondel pfeife ich mir ein Energie-Gel mit Mojito-Geschmack rein. Es schmeckt furchtbar, bringt mich aber nach vorne. Am Verpflegungsbuffet entdecken wir die Gummibärchen und Ovomaltine-Brote für uns und fragen uns, wie viel ein Mensch eigentlich essen kann. Das alles ändert aber nicht, dass sich ab dem Abend das Tempo verlangsamt und die Pausen verlängern. André Schürrle überrundet uns bei Aufstieg 12, der hat wohl noch mehr Power. Aber soll er doch, der war mal Profi...

In der Nacht werden die Gedanken langsam und reichen zum Tiefpunkt nicht weiter als der Schein der Stirnlampe. In meditativem Stapfen machen wir Meter um Meter. Philip schnauft mittlerweile merklich, während es meiner Hüfte nach einer Schmerztablette besser geht. Als Philip auf Runde 13 und fast 7000 Höhenmetern um die Kurve biegt, keucht er zum ersten Mal "Ich kann nicht mehr!" "Die Runde schaffen wir, Schritt für Schritt!", halte ich dagegen. Dieser Dialog wird sich wiederholen. Viermal müssen wir noch hoch, und das bedeutet jetzt: anderthalb Stunden pro Runde bedeutet. Viermal klingt besser. Die Aufstiege 14 bis 16 sind reine Qual. Unendlich langsam setzen wir bleierne Schritte, Philip kämpft am Limit. "Wir machen das im Kopf", schwirrt mir unser Matchplan durch eben jenen. Zum Glück ist der Kopf so leer, dass wir nicht an aufgeben, sondern nur die nächsten 100 Meter denken können. Und mit der aufgehenden Sonne kehren auch wir mit dem vorletzten Anstieg langsam aus der tiefen Dunkelheit zurück.

ALPIN8 Everesting 2024 Mount Everest Challenge im Brandnertal
Sportograf

Endlich abbiegen dürfen

Als wir für den letzten Aufstieg abgondeln, kehrt tatsächlich so etwas wie Euphorie zurück. Gefühlt fliegen wir über die hundertfach verfluchten Rampen, sogar die sich ewig ziehende Forststraße scheint nur noch halb so lang. Und nachdem wir stundenlang neidisch den Finishern zugeguckt hatten, die rechts zum fähnchengesäumten Ziel abbogen, dürfen wir selbst auf den Zielanstieg (Zielgerade gibt es beim Everest natürlich nicht), abbiegen. Wir fallen einander in die Arme. In die pure Erleichterung mischt sich die Erkenntnis, dass die Gänsehaut auch von Erschöpfung herrührt – aber es kümmert mich nicht, das Finisher-Bier schmeckt herrlich! Und während weitere Everest-Bezwinger ins Ziel torkeln, prosten Philip und ich uns zu: "Wir haben es im Kopf entschieden!", sage ich. "Ja, aber so was machen wir nie wieder!", entgegnet er. Am 04. Juli 2025 steigt die zweite Auflage. Zumindest so bald tun wir uns das nicht nochmal an.

Anmeldung 2025

Nach dem großartigen Ergebnis im Premierenjahr ist die Planung für 2025 schon im vollen Gange – am 14. September 2024 startete die Anmeldung.

Video-Impressionen

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Ähnliche Themen: