Je mehr Menschen klettern, desto mehr Unfälle gibt es in Kletterhallen - das ist eine statistisch logische Entwicklung. Doch trotz verhältnismäßig wenigen Unfällen sind diese wenigen noch zu viel, wenn man die potenziellen Folgen eines Bodensturzes betrachtet. Nach einem Unfall im April im Kletterzentrum Kassel hat nun die dortige Leitungsebene inklusive Alpenvereins-Sektion, Trainerschaft und Hallenführung beschlossen, das Sichern mit Tubes zu verbieten.
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Im Ringen um mehr Sicherheit und weniger Unfälle gibt es derzeit die Tendenz, das Sichern mit Tube als ursächlich und relevant bei Unfällen einzuordnen; im Rahmen der Diskussion wurde auch eine potenzielle „Sicherheitslücke“ beim Sichern mit Tube thematisiert: Nämlich den Moment, in dem sich die Bremshand (beim Seil-Einnehmen oder -Ausgeben) kurz oberhalb des Geräts befindet und im Sturzfall und im Sturzfall nicht schnell genug unters Gerät zurückgezogen werden kann, so dass während dieser Phase die Bremswirkung durch den in diesem Moment fehlenden Knick nicht gegeben sei.
Im folgenden Text, erschienen in klettern 3-2014, geben wir einen Überblick über den aktuellen Stand der Sicherungsdiskussion
Sichern ist sexy: Neue Geräte, alte Probleme
Klettern ist in. Jeden Tag tummeln sich Zigtausende in den Kletterhallen, und mit der großen Zahl an Aktiven verändert sich auch die Sicherungslandschaft im Klettern. Denn wenn so viele klettern, steigt schon aus rein statistischen Gründen auch die Gesamtzahl der Unfälle.
Besonders gefährdert sind dabei übrigens weder die Einsteiger noch die Profis. Einsteiger haben noch gehörig Respekt vor der Materie, sind sehr lernwillig und stürzen außerdem eher selten. Profis haben genug Erfahrung, um in den meisten Situationen fast instinktiv richtig zu handeln. Richtig kritisch ist dagegen die Gruppe derer, die schon seit einer Weile klettern und jetzt erstmals in den Bereich der Grade 7 und 8 vorstoßen, wo Stürzen quasi dazugehört.
Denn viele Kletterer verbessern sich anfangs stark im Klettern, stagnieren aber im Sichern. Diese Fortgeschrittenen können dann Seil ausgeben, einziehen und auch ablassen. Und zumachen, wenn der Vorsteiger „Zu“ ruft. Sie wissen aber nicht, wie es sich anfühlt, wenn ein 80-Kilo-Kletterer überraschend ins Seil kracht. Mit zunehmender Sicherungserfahrung sinkt dann die Unfall-Wahrscheinlichkeit wieder.
Unfälle in der Kletterhalle vermeiden
Nun will niemand einen Unfall in einer Kletterhalle. Die Kletterer nicht, die Hallenbetreiber und ihre Verbände ebenfalls nicht. Die Alpenvereine sehen sich ohnehin in der Pflicht, bestmöglich für die Sicherheit ihrer Mitglieder zu sorgen. Und schließlich sind auch die Hersteller von Kletterausrüstung intensiv bestrebt, Produkte zu entwickeln, die ein sicheres Klettern ermöglichen. Es geht schließlich um ihre Kunden.
Eine Folge dieser Bestrebungen ist der aktuelle Siegeszug der Autotubes und Halbautomaten. Der deutsche Kletterhallenverband KLEVER sowie der Österreichische Alpenverein empfehlen bereits, in Kursen nur noch solche Geräte fürs Hallen- und Sportklettern zu verwenden und zu schulen. Der Grund dafür: Gegenüber dem HMS und den normalen Tubes bieten die Autotubes und Halbautomaten im Sturzfall eine erhöhte Sicherheitsreserve, weil sie mit stark erhöhter Bremskraft arbeiten und das Seil fast automatisch blockieren. Beim Deutschen Alpenverein wird eine solche Empfehlung noch diskutiert, sie wird aber dem Vernehmen nach demnächst kommen.
Daneben wird in den Alpenvereinen auch über eine neue Risikokultur diskutiert, bei der den Kletterern klarer gemacht werden soll, dass und welche Risiken sie eingehen und wie sie diese beschränken können. Es gibt aber auch den Wunsch nach einer neuen Sicherungskultur. Denn während es voll cool ist, stark zu sein und hart zu klettern, verschwendet kaum jemand große Gedanken an den Sichernden. Das ist halt die Person, die unten das Seil ausgibt und bei Bedarf „zu“ macht. Dass ein Kletterer aber nur gut klettern kann, wenn er sich gut gesichert weiß, wird oft vergessen. Schön wäre es also, wenn Sichern nicht nur eine Pflichtaufgabe wäre, sondern sexy.
Was zum guten Sichern dazugehört
Wer sein Autotube oder seinen Halbautomaten beherrscht, wird mit einem Plus an Sicherheit und Komfort belohnt. Nun aber zu glauben, dass nun mit den neuen Geräten alles immer sicher wäre, wäre ein gefährlicher Trugschluss. Denn erstens muss ihre Bedienung geschult und beherrscht werden. Und wer noch nie von der Gaswerkmethode gehört hat oder das Bremshandprinzip nicht kennt, wird auch mit dem besten Halbautomat oder Autotube nicht besser sichern.
Zur Beherrschung des Geräts gehört neben dem Stürze-halten, dass man sehr schnell zwischen Seil einnehmen und ausgeben umschalten kann. Auf den ersten Metern einer Hallenroute ist das ständig notwendig und braucht mit den neuen Geräten viel Übung, weil die beim schnellen Seil-ausgeben gerne mal blockieren. Schließlich ist das im Sturzfall ihre wichtigste Funktion. Und wenn just beim Klippen des dritten oder vierten Hakens das Gerät das Seil blockiert, kann dies für den Vorsteiger nicht nur lästig, sondern auch gefährlich werden.
Die Bedienphilosophie unterscheidet sich von Gerät zu Gerät. Fest steht, dass jedes Sicherungsgerät eine Eingewöhnungszeit sowie Übung braucht, bis man damit in jeder Situation flüssig Seil ausgeben kann und dennoch immer bereit ist, auch einen überraschenden Sturz zu halten. In dem Zusammenhang übrigens auch Vorsicht vor der Macht der Gewohnheit: Wer nur noch gelegentlich zu einem normalen Tube oder HMS wechselt, muss unbedingt daran denken, dass die Bremshand hier mehr zu tun hat als bei Autotubes und Halbautomaten!
Das Sichern ist das wichtigste beim Klettern
Dass Autotubes und Halbautomaten Stürze relativ hart stoppen und damit die Gefahr eines abrupten Anpralls an der Wand für den Stürzenden erhöhen, gilt zumindest für den Breitensportbereich inzwischen als kleineres Übel. Denn erstens wird hier die Körperdynamik für ausreichend gehalten. Dazu geht der Sichernde, sofern der Vorsteiger nicht in Bodennähe ist, beim Sturz einen Schritt zur Wand oder springt leicht nach oben. Zweitens ist natürlich das Anprallrisiko weniger gravierend als die Gefahr eines Bodensturzes.
Trotz dieser Bedenken ist es mit etwas Übung möglich, mit den Autotubes und Halbautomaten wie mit anderen Geräten gut und flüssig zu sichern. Und dann im Sturzfall eine größere Sicherheitsreserve zu haben. In diesem Sinne unser Appell: Sichert mit Sorgfalt, besucht Sicherungs-Trainings, kurz: Seid sexy!