Eigentlich, so suggerieren alte Kletterlehrbücher, funktioniert Klettern ganz einfach. Es ist wie Leiter steigen: Der Kletterer steht schön aufrecht und drückt sich mit den Beinen von einem Tritt auf den anderen, die Hände halten nur das Gleichgewicht. Auch wenn dieses Bild die moderne Kletterei an Fels und Plastik nur noch sehr lückenhaft beschreibt, hat es doch einen wichtigen wahren Kern: Die Beine sollten beim Klettern möglichst immer die Hauptlast tragen. Und noch etwas gilt: So wie man auf der Leiter am besten aufrecht steht, sollte man auch beim Klettern mit dem Oberkörper nicht an der Wand kleben, sondern soviel Abstand halten, dass die Sicht auf Griffe und vor allem Tritte gewahrt bleibt.
Erst sehen und Begreifen
Denn mit dem Sehen geht erst mal alles los: Schaut euch die Griffe und Tritte vor und unter euch immer wieder an und sucht euch die besten davon aus. Zum Schauen solltet ihr in einer Kletterroute immer wieder eine komfortable Grundposition einnehmen, von der aus ihr die nächsten Züge plant. Eine wichtige Grundregel des Kletterns ist: Ihr klettert nicht auf Geschwindigkeit, sondern um oben anzukommen. Zwar hat das eine ab einer gewissen Schwierigkeit direkt mit dem anderen zu tun, doch anfangs ist es sehr wichtig, in das eigene Klettern Bedacht und Übersicht einzuführen, innezuhalten und zu schauen. Das tut nicht nur den Armen und dem Kletterstil gut, sondern auch der Psyche.
Die Kraft aus den Beinen
Der Schlüssel zu einem guten Kletterstil ist zunächst eine saubere Beinarbeit. Auch wenn einem als Klettereinsteiger die Griffe viel wichtiger vorkommen – weil sie direkt vor der Nase liegen, weil man sie manchmal nicht halten kann –, ist es anfangs unbedingt nötig, das richtige Setzen der Füße zu üben. Wie ihr auf Tritten frontal oder leicht seitlich optimal steht, zeigen wir unten. Tritte fährt man übrigens nicht von oben an, indem der Fuß langsam an der Wand herunterrutscht, bis er auf dem Tritt hängenbleibt. Sondern der Fuß wird sauber mit der Fußspitze auf den Tritt gesetzt und dann belastet. Wenn eure Kletterschuhe nach wenigen Wochen Löcher im Zehenbereich haben, wird es Zeit, an der Beinarbeit zu feilen.
Neben dem sauberen Stehen auch auf kleinen Tritten kommt es auch darauf an, die richtigen Tritte zu wählen, um die Griffe optimal belasten zu können und den Körper immer wieder in ein möglichst entspanntes Gleichgewicht zu bringen. Dabei versucht man, stets den Körperschwerpunkt, der sich irgendwo hinter dem Bauchnabel befindet, so über den Tritten zu platzieren, dass man mit einer Hand loslassen kann, ohne seitlich wegzukippen. Diese Kombination aus Trittwahl und optimaler Körperposition ist reine Übungssache, einige Tipps geben wir auf den nächsten Seiten.
Welche Tritte ich mit welchem Fuß benutze, entscheidet übrigens sehr häufig über die Machbarkeit von schweren Stellen. Natürlich muss ich mir zur Auswahl der richtigen Tritte die Tritte erstmal anschauen, wozu es meist nötig ist, sich etwas von der Wand wegzulehnen.
Die Route im Griff
Da die Griffformen sehr vielfältig sind, können wir hier nicht auf alle Möglichkeiten eingehen. Neben der Belastung nach unten lassen sich viele Griffe aber auch seitlich oder sogar auf Zug nach oben (dann sind es Untergriffe) belasten. Wichtig ist beim Greifen zweierlei: Erstens, dass ihr die Griffe nicht zu hoch wählt. Aus der Überstreckung anzuziehen, ist sehr schwierig, außerdem geht in der Überstreckung die saubere Beinarbeit unweigerlich flöten, weil ihr die Tritte nicht mehr sehen könnt. Zweitens, dass ihr den Körper in die richtige Position bringt, um die Griffe belasten zu können. Bei Griffen, die direkt nach unten belastet werden, gehört der Körper mehr oder weniger unter den Griff, bei Seitgriffen aber auf der griffabgewandte Seite neben den Griff beziehungsweise schräg unter den Griff. Hier hilft nur: üben, ausprobieren, mit den Möglichkeiten spielen lernen. Möglichst nicht in der Tour, sondern in Bodennähe oder an der Boulderwand.
Ein banal klingender Hinweis noch für weniger geübte Vertikalisten: Ist ein Griff zu klein, dann ist es wahrscheinlich ein Tritt. Zumindest an der Kunstwand ist es in Routen der unteren Schwierigkeitsgrade extrem unwahrscheinlich, dass ihr euch an winzigen Leisten hochzerren müsst.
Grundstellung für Körper, Arme, Beine

1. Die Beine stehen ungefähr gleichhoch und etwa hüftbreit, die Arme greifen schulter- bis gesichtshoch und sind gering angewinkelt bis gestreckt. Das Gewicht ruht auf den Füßen, der Oberkörper ist aufrecht bis ganz leicht nach hinten gelehnt: So steht ihr erstmal bequem.
2. und 3. Auf den Tritten steht ihr am besten frontal (Bild 2) oder leicht seitlich auf dem Innenrist (Bild 3). Das kann auf kleinen Tritten anfangs anstrengend sein, ist aber die optimale Position, um die Übersicht zu wahren und richtig Druck auf den Tritt zu übertragen. Druck auf die Füße zu bringen ist wichtig, denn wer die Tritte mit der Sohle nur streichelt, rutscht schnell mal ab.
4. Je nach Körperposition kann es auch notwendig werden, mit dem Außenrist anzutreten, zum Beispiel, wenn ihr mit dem Fuß durchkreuzt (siehe [Link auf :hier%7C_blank]).
Falsche Fußstellung

Leider oft zu sehen: Die Füße stehen mit der Schuhmitte quer auf den Tritten. Mit dem Ballen zu stehen ist zwar weniger anstrengend, aber: So funktioniert Klettern nicht, weil euch diese Stellung an die Wand fesselt und die Beweglichkeit der Hüfte und der Beine blockiert.
Außerdem haben Kletterschuhe in der Mitte meist keinen definierten Sohlenrand und rutschen daher leicht ab.
Antreten und Weitergreifen
1. Beim Klettern an der Kunstwand sind die Trittmöglichkeiten natürlich meist vom Routenbauer definiert und die Auswahl der Tritte ist begrenzt. Grundregel ist dennoch: Möglichst mit kleinen Schritten höher steigen.
2. Bei zu hohem Antreten wie hier im Bild steht der untere Fuß nicht mehr sicher, außerdem braucht es unnötig viel Kraft, denn Körper nun auf den hohen Tritt zu wuchten.

Extreme vermeiden

3. Für die Hände gilt das Gleiche: nicht zu hoch! Überstreckt greifen führt dazu, dass man schlecht steht und nicht mehr auf die Tritte sieht. Außerdem ist es verletzungsträchtig.
Trittwechsel
1. bis 3. Auf großen Tritten macht man einen Trittwechsel, indem man kurz beide Fußspitzen auf den Tritt gestellt werden. Wichtig ist dabei: Der Trittwechsel ist immer mit einer Verschiebung der Hüfte und des Körperschwerpunkts verbunden. In unserem Beispiel wandert die Körpermitte nach links, so dass das rechte Bein nach dem Wechsel optimal belastet wird. Aus dieser Position lässt sich relativ gelöst weitergreifen.

Und... hopp!

4. und 5. Bei sehr kleinen Tritten erfolgt der Trittwechsel durch ein kurzes Umspringen. Dazu wird der freie Fuß zunächst seitlich oberhalb des Standfußes platziert. Unter kurzem Anspannen der Armmuskulatur wird dann umgesprungen: Das Standbein geht nach links weg, der im Beispiel freie rechte Fuß landet auf dem Tritt – und steht.
Seitgriffe und Untergriffe
1. Seitgriffe lassen sich am besten nutzen, wenn sich der Körper zur griffabgewandten Seite lehnt. Oft wird dabei mit dem Außenrist gestanden und die Hüfte zur Wand gedreht (eingedrehte Position).
2. Anstrengend, aber manchmal unvermeidlich ist es, einen Seitgriff – im Beispiel der linke Griff – „auf Schulter“ zu nehmen. Weil der Tritt weit rechts ist, muss der linke Arm den Körper nach rechts drücken.
3. Untergriffe sind je nach Körperposition sehr unterschiedlich anstrengend zu halten. Über Kopf geht fast gar nicht, auf Kopf- und Brusthöhe ist anstrengend, auf Bauch- und Hüfthöhe wird‘s dann deutlich besser.

Kreuzen und diagonal stehen
1. Dafür braucht es schon etwas Überblick, aber oft ist es einfach die effektivste Methode und spart Trittwechsel: Ihr dürft mit den Füßen auch durchkreuzen, so dass der rechte Fuß links des linken (und andersrum) zu stehen kommt. Macht vor allem Sinn, wenn die weiteren Tritte ebenfalls auf dieser Seite liegen.
Mittleres Bild: Wie für die Tritte gilt auch bei den Griffen: Kreuzen ist erlaubt. Hier aber eher die Ausnahme. Wenn ihr bei jedem Zug kreuzen müsst, habt ihr die falsche Abfolge erwischt und immer die falsche Hand am Griff. Ein Griffwechsel schafft dann Abhilfe.
Rechtes Bild: Es müssen nicht immer beide Füße auf Tritten stehen. An manchen Stellen ist es komfortabler, ein Bein hängen zu lassen – der Fuß drückt nur leicht gegen die Wand –, um in eine diagonale und stabile Position zum Weitergreifen zu kommen.

Vorausschauend klettern
Auch wenn man meint, sich die Griff-Abfolge niemals komplett merken zu können: Es ist durchaus sinnvoll, vor dem Losklettern die Route einmal durchzugehen und zu schauen. Gibt es versteckte Griffe, eventuell hinter einer Kante, kann man vielleicht Strukturen in der Wand mitbenutzen?
So sollte man auch regelmäßig in der Route, bevor man die nächsten Kletterzüge angeht, diese erst mal anschauen und versuchen, die beste Griffabfolge zu lesen. Dies am besten von einer Stelle aus, an der man bequem steht.

Zum Ausprobieren: Einfache Technikübungen
Alle Griffe: Stellt auch auf zwei etwa gleichhohe Tritte (in Bodennähe) und versucht, alle von dort aus erreichbaren Griffe jeweis mit einer Hand zu halten. Bringt dabei den Körper so in Position, dass ihr immer mit der anderen Hand gelöst loslassen könnt. Gelöst loslassen heißt, dass man sich mit der freien Hand locker durchs Haar streichen kann. Immer eine schöne Geste, um andere Anwesende zu beeindrucken.
Alle Tritte: Im Prinzip das Gleiche in Grün: Versucht, von zwei Griffen aus alle erreichbaren Tritte mit der Fußspitze anzusteuern. Dabei soll die Fußspitze sauber auf dem Tritt landen und vorher nicht an der Wand entlang scheuern. Bringt dann kurz etwas Druck auf den Fuß (ihr müsst nicht draufstehen, nur andrücken). Macht das mit hohen Tritten, kleinen Tritten, weit seitlich gelegenen Tritten. Versucht, eure Präzision und Beweglichkeit dabei zu steigern.

Queren: Quert mit allen verfügbaren Griffen und Tritten in Bodennähe. Queren ist gut für die Übersicht, weil man auf Trittsuche immer weit nach unten und zur Seite schauen muss. Zudem muss der Körper häufig die Position wechseln. Achtet darauf, immer wieder Stellungen zu finden, bei denen ihr gelöst weitergreifen könnt. Kurz durchs Haar streichen!
Verschärftes Queren: Genau wie zuvor, nur mit zwei kleinen Zusatzregeln: Handwechsel am Griff sind nicht erlaubt, und immer der erste Griff, der berührt wird, muss auch gehalten werden. Diese Variante ist koordinativ anspruchsvoller und interessanter. Wer sie nochmal verschärfen will, quert zügig und lässt sich beim Weitergreifen wenig Zeit.
Abklettern: Auch wenn es beim Klettern in erster Linie ums Hinaufkommen geht: Abklettern ist eine gute Koordinationsübung und schult den Blick für die Tritte. Außerdem ist es eine wichtige Erfahrung, dass man auch mal einen Schritt zurück kann, um zum Beispiel vor einer schwierigen Stelle nochmal auszuruhen.
Schönklettern: Ihr habt die verflixte Route endlich geschafft? Steigt noch einmal ein (nach einer Pause oder beim nächsten Mal), und versucht die Route so entspannt, souverän und flüssig wie möglich zu klettern. Dabei auch möglichst entspannt atmen.