Noch immer gilt Klettern in großen Teilen der Bevölkerung und bei Versicherungen als Risikosportart. Unsinn! Das Unfallrisiko beim Sportklettern oder Bouldern ist um ein Zehnfaches geringer als beim Fußball. Im Gegenteil: Klettern ist gesund, offensichtlich so gesund, dass inzwischen sogar in Physiotherapie-Zentren kleine Kletterwände zu finden sind.
Aber auch wenn an den vielzitierten Fingerspitzen nicht das Leben hängt, so hängt doch oft das gesamte Körpergewicht daran. Sprich, besonders unsere Greifwerkzeuge, aber auch Arme und Schultergelenke müssen einiges aushalten. Und manchmal halten sie es eben nicht mehr aus – rund 80 Prozent der kletterspezifischen Beschwerden treten an den oberen Extremitäten auf, mehr als die Hälfte davon an Hand und Fingern.
Die meisten Verletzungen beim Sportklettern betreffen die Ringbänder an den Fingern. Mehr als zwei Drittel der beim Klettern auftretenden Beschwerden sind jedoch keine akuten Verletzungen, sondern Überlastungsschäden wie Sehnenscheidenentzündungen, Tennis- und Golfer-Ellbogen oder Überlastungen im Schulterbereich.

Die gute Nachricht: Überlastungsschäden sind kein Schicksal. Es liegt in eurer Hand, diese zu vermeiden. Und damit ist nicht gemeint, dass ihr um kleine Griffe und harte Züge einen Bogen machen sollt. Wer unsere allgemeinen Empfehlungen (auf den nächsten Seiten) beherzigt, steigert seine Chancen, frei von größeren Blessuren zu bleiben, schon enorm.
Aber auch für die weniger Glücklichen gibt es gute Nachrichten: Hinsichtlich kletterspezifischer Verletzungen und Überlastungsschäden hat die Medizin in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Behandlung gemacht. Und dank der Publikationsoffensive kletternder Ärzte wie dem deutschen Nationalmannschaftsarzt Dr. Volker Schöffl oder dem Züricher Chirurg Dr. Andreas Schweizer ist der Klettersport inzwischen in der Sportmedizin sehr präsent. Dazu tragen auch kletterspezifische Fortbildungen für Ärzte bei, wie sie Schöffl schon seit Jahren anbietet.
Auch in der Schweiz werden inzwischen solche Kurse für Mediziner abgehalten.
Und natürlich wächst mit der stetig steigenden Zahl der Kletterer auch die Zahl der kletternden Ärzte. "Es ist aber nicht entscheidend, dass der Arzt oder Physiotherapeut selbst klettert. Wichtig ist nur, dass er sich mit der Materie – insbesondere bei Hand- oder Fingerverletzungen – auskennt", beschreibt Schöffl das Anforderungsprofil. Das Hauptproblem sieht er jedoch woanders: "Viele Kletterer pausieren bei Beschwerden lieber ein halbes Jahr als zum Arzt zu gehen. Dabei ist es bei vielen Verletzungen von entscheidender Bedeutung, dass sie möglichst frühzeitig behandelt werden."
Dies gilt auch für Verletzungen der Wachstumsfugen bei jugendlichen Kletterern, deren Zahl in den letzten Jahren analog zur gesteigerten Trainingsintensität in jungen Jahren angestiegen ist. Treten bei Kindern und Teens langsam zunehmende Schmerzen und Schwellungen an den Fingergelenken auf, sollte unbedingt ein Handspezialist aufgesucht werden. Wachstumsfugenverletzungen im Frühstadium lassen sich mittels Kernspintomografie erkennen und sind relativ leicht zu kurieren.
Werden solche Verletzungen nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, drohen dagegen schwere Folgen wie Deformationen der Hand und ein frühzeitiger Verschleiß der Gelenke.
Eine ansteigende Tendenz ist auch bei Schulteroperationen zu verzeichnen. Zum einen liegt dies an den Fortschritten der Chirurgie in diesem Bereich, zum anderen daran, dass immer mehr Kletterer auch jenseits der 50 noch hart klettern. Und da macht die lange Bizepssehne dann eben bei andauernder Überlastung manchmal schlapp. Auch der Umstand, dass beim Klettern und Bouldern vermehrt steiles Gelände, dynamische Züge und Sprünge angesagt sind, dürfte zu dieser Entwicklung beitragen.
Ganz gleichgültig ob alt oder jung – passt auf euch auf und bleibt gesund!
Finger
Wer stellt, der hält! Je kleiner die Leiste, desto beliebter die aufgestellte Fingerposition, weil sich bei dieser mittels Hebelkräften mehr Energie auf wenig Fläche bündeln lässt. Kehrseite: Durch die extremen Winkel und Hebel werden Gelenke, Sehnen und Bänder stark belastet. Und so sind Verletzungen der Ringbänder die häufigsten beim Sportklettern und Bouldern – am stärksten betroffen sind die Ringfinger. Gefahr droht den Greifwerkzeugen auch in Fingerlöchern durch Verkanten oder Überstreckverletzungen. Noch häufiger als akute Verletzungen sind aber Überlastungsschäden der Gelenke und Sehnenscheidenentzündungen.

Verletzungen am Ringband
Ursachen: Belastungsspitzen bei aufgestellten Fingern (z.B. durch Abrutschen von einem Tritt), aber auch als "Ermüdungsriss" bei Sehnenscheidenentzündungen möglich.
Symptome: Schmerzen bei Belastung, Bewegungseinschränkung, lokaler Druckschmerz mit Schwellung im Fingergrundgelenk, eventuell Bluterguss. Bei vollständigem Ringbandriss ist meist ein deutliches "Schnalzen" zu hören, danach tritt die Beugesehne beim Anspannen hervor ("Bowstring").
Diagnose: Ringbandverletzungen sind meist mittels Ultraschall (Sonografie) zu erkennen, nur manchmal ist eine Kernspintomografie (MRT) nötig. Wichtig ist, dass erst eine eindeutige Diagnose erstellt wird, bevor mit der Behandlung begonnen wird.
Behandlung: Bei Zerrung, Teilriss
oder Riss eines Ringbandes ist eine Ruhigstellung (10 bis 14 Tage) nötig, dann Rehabilitation, anschließend tapen. Je nach Verletzung gilt ein Kletterverbot von einem bis vier Monaten. Entscheidend ist eine frühzeitige Behandlung, sonst kann die Heilung langwierig sein!
Eine Operation ist nur bei Mehrfachrissen oder Ringbandrissen in Verbindung mit weiteren Verletzungen nötig.

Sehnenscheidenentzündung in einzelnen Fingern
Ursache: Entsteht meist durch eine mittel- bis langfristige Überlastung, kann aber auch nach einem besonders harten Klettertag auftreten. Am häufigsten sind die Beugesehnenscheiden von Mittel- und Ringfinger betroffen.
Symptome: Druckschmerz auf der Innenseite auf Höhe des A2-Ringbandes oder an der Handwurzel. Der Schmerz kann in den Unterarm ausstrahlen.
Diagnose: Durch Sonografie kann eine Sehnenscheidenentzündung von einer Ringbandverletzung abgegrenzt werden. Wichtig: Da auch Kletterer ohne Beschwerden oft mehr Flüssigkeit in den Sehnenscheiden haben als Nichtkletterer, sollte die Diagnose im Vergleich zum gleichen Finger der anderen Hand erfolgen.
Behandlung: Kurzzeitige Ruhigstellung des Fingers mit einer Schiene, danach Schonung für ein bis zwei Wochen. Entzündungshemmende Medikamente und Eisabreibungen können die Heilung beschleunigen.
Verletzungen des Kapsel-Bandapparates

Ursache: Verletzungen der Kapsel, oft in Verbindung mit Verletzungen der Seitenbänder, können durch Verkanten der Finger in Löchern entstehen. Auch Überstreckverletzungen, bei denen Kapsel und Strecksehne beschädigt werden, sind nicht selten. Am häufigsten sind jedoch Überlastungserscheinungen und Entzündungen des Kapsel-Bandapparates.
Symptome: Instabilität und Schwellung des Fingergelenks sowie Druckschmerzen. Bei Überstreckverletzungen treten Schmerzen beim Beugen und Strecken des Fingers auf.
Diagnose: Genaue Diagnosen bei Kombiverletzungen des Kapsel- und Bandapparates sind schwierig, weshalb hier auf jeden Fall ein Handspezialist aufgesucht werden sollte.
Behandlung: Zusammentapen mit dem benachbarten Finger, bei schwerwiegenden Verletzungen muss der Finger mit einer Schiene ruhiggestellt werden. Eine Operation ist selten nötig.
Ellbogen
Bei Problemen im Ellbogenbereich handelt es sich in aller Regel um Überlastungsschäden. Akute Verletzungen sind die Ausnahme. Besonders belastet werden die Ellbogen bei tief durchblockiertem Arm (hohe Belastungsspitzen durch den extremen Winkel), bei Belastung nach außen an Seitgriffen und beim Rissklettern, wenn beim Klemmen das Ellbogengelenk verdreht wird.

Handicap? Ja, danke.
Ursachen: Meist ist ein Ungleichgewicht zwischen Fingerbeugern und Fingerstreckern und die Verkürzung einzelner Muskelgruppen ursächlich. Auch ein Ungleichgewicht zwischen den Einwärtsdrehern (Pronatoren) und Auswärtsdrehern (Supinatoren) kann zu Überlastungen im Ellbogenbereich führen.
Symptome: Treten die Schmerzen am Knochenvorsprung an der Außenseite des Ellbogengelenks auf, handelt es sich meist um den sogenannten Tennis-Ellbogen. Hier ist fast immer eine Verkürzung der Finger- und Handgelenkstrecker gegeben. Die Streckung der Finger gegen Widerstand ist schmerzhaft, schon das Halten eines Glases oder das Drehen eines Türknaufs kann Schmerzen bereiten.

Seltener sind Schmerzen am Knochenvorsprung an der Innenseite des Ellbogengelenks. Dann handelt es sich in der Regel um einen Golfer-Ellbogen, der durch Überlastung des Ansatzes der Fingerbeugemuskulatur und der Pronatoren entsteht. Das Beugen von Fingern und Handgelenk sowie das Einwärtsdrehen des Handgelenks (Handfläche nach unten) gegen Widerstand bereitet Schmerzen.
Des weiteren können durch Überbelastung Entzündungen oder gar Teilrisse der Bizepssehne (Schmerzen in der Ellenbeuge) oder der Trizepssehne (Schmerzen an der Rückseite des Ellbogens) entstehen.
Behandlung: Schonung bis die Schmerzen vollständig abgeklungen sind. Die Behandlung erfolgt mit entzündungshemmenden Medikamenten und Eis, dazu sollten die betroffenen Muskelgruppen gedehnt werden. Nach Abklingen der Beschwerden ist es wichtig, die überlasteten Muskeln zu trainieren.
Prävention: Gleichformige Übungen vermeiden (Griffarten wechseln, bei Klimmzugsessions die Griffpositionen wechseln), ebenso tiefes Blockieren. Vor allem aber sollten die Antagonisten (Finger- und Handgelenksstrecker) sowie der schwächere Pronatorenanteil des Bizeps trainiert und die gesamte Unterarmmuskulatur regelmäßig gedehnt werden.
Knie
Der sogenannte "Ägypter" (oder: "Dropknee") ist nicht zuletzt durch die vielen steilen Routen in Kletterhallen zu einer häufig eingesetzten Technik geworden. Doch kommt es dabei zu großen Belastungen vor allem des Innenmeniskus, aber auch der Innen- und Kreuzbänder. Je stärker das Knie abgesenkt wird, desto größer ist die Verletzungsgefahr. Ebenso extreme Belastungen, diesmal auf der Knieaußenseite, entstehen bei Heelhooks, wenn das auswärts gedrehte Bein als Hebel zum Höhengewinn eingesetzt wird.
Auf die Knie
Symptome: Bei Einrissen oder Komplettrissen der Bänder ist oft ein deutlicher Knall zu hören. In der Folge treten meist stechende Belastungsschmerzen auf, die sich in der Regel beim Überstrecken oder Überbeugen des Knies noch verstärken.
Diagnose: Verletzungen der Bänder und/oder des Meniskus lassen sich durch eine MRT oder durch Arthroskopie diagnostizieren.

Behandlung: Bei Einrissen der Menisken oder Rissen der Bänder kommt man an einer Operation nicht vorbei. Wichtig ist, dass der Eingriff zeitnah zur Verletzung geschieht, andernfalls kann schon aus einem kleinen Meniskuseinriss ein ernsthafter Knorpelschaden entstehen.
Prävention: Die Kräftigung der vorderen Oberschenkelmuskulatur (z.B. durch Kniebeugen) hilft, das Knie zu stabilisieren. Vor allem aber solltet ihr auf euren Körper hören. Ägyptert oder hebelt nicht mit Gewalt, wenn es sich seltsam anfühlt. Besser eine Route nicht hochkommen als eine lange Kletterpause zu riskieren!
Schulter
Die Schulter ist das beweglichste Gelenk des Körpers, das fast ausschließlich durch Muskeln und den Kapsel-Band-Apparat (die "Rotatorenmanschette") stabilisiert wird. Dies bedeutet aber auch, dass mangelhafte muskuläre Stabilisierung und Verkürzungen von Muskelgruppen zu Überlastungserscheinungen führen können.
Das tragende Element
Schleimbeutelentzündung
Der Schleimbeutel sorgt dafür, dass die Sehnen besser gleiten. Ist das Schultergelenk durch die Muskulatur nicht ausreichend stabilisiert, werden Schleimbeutel und Rotatorenmanschette vor allem bei Belastungen mit erhobenem Arm gequetscht – es entsteht eine Reizung des Schleimbeutels, bei anhaltender Fehlbelastung des Gelenks kann es auch zu Verkalkungen oder Einrissen der Rotatorenmanschette kommen.
Ursachen: Vor allem in stark überhängendem Gelände, bei weiten Griffabständen und "Schulterzügen" kommt es zu extremen Belastungen für die Schultergelenke. Defizite bei der stabilisierenden Muskulatur und ein verkürzter Bizeps können dann schnell zu Überlastungserscheinungen führen.
Symptome: Beim Heben des Armes gegen Widerstand tritt ein dumpfer Schmerz auf, vor allem Bewegungen bei über den Kopf erhobenem Arm schmerzen. Auch im Ruhezustand können Schmerzen auftreten. Bei Überlastungen der langen Bizepssehne strahlt der Schmerz oft in die Ellenbeuge aus.
Diagnose: Oft ist auf Röntgenbildern, Ultraschall oder MRT keine Veränderung zu erkennen. Entstehung und Entwicklung der Schmerzen plus Untersuchung und Funktionstests verraten hier oft mehr über die Ursache der Schmerzen.
Behandlung: Schonung bei akuter Überlastung, bis die vollständige Beweglichkeit ohne Schmerzen wiederhergestellt ist. Behandlung mit Eis, hochfrequentes Ultraschall. Anschließend gezieltes Aufbautraining der stabilisierenden Muskelgruppen sowie intensives Dehnen der Brust-, Bizeps- und Trizepsmuskulatur.

Instabilität im Schultergelenk

Ursache: Häufiges passives Aushängen am komplett gestreckten Arm in Überhängen und Dächern. Da hierbei die stabilisierende Muskulatur nicht eingesetzt wird, werden die Kapsel-Bandstrukturen im Schultergelenk überdehnt. Noch extremer ist die Belastung bei Pendelschwüngen am gestreckten Arm nach Sprüngen. Von einer Instabilität ist die Rede, wenn die Beweglichkeit des Gelenks unnatürlich vergrößert ist. Eine "Hypermobilität" kann allerdings auch angeboren sein.
Symptome: Schmerzen bei Bewegung und Belastung, vor allem das seitliche Anheben des Armes schmerzt.
Behandlung: Aufbau der stabilisierenden Muskelgruppen und Dehnübungen für Brustmuskeln und Bizeps. Eine Operation ist nur in seltenen Fällen nötig.
Gesund bleiben
Langsam steigern: Muskeln werden schneller stärker als Bänder und Sehnen. Steigert die Belastungen deshalb langsam. Einsteiger und Jugendliche sollten nicht am Campusboard trainieren.
Regenerieren: Ob zwischen einzelnen Routen oder Klettertagen – gönnt eurem Körper ausreichend Pause. Achtet auf Signale des Körpers und trainiert nicht "gegen ihn".
Auf- und abwärmen: Bereitet Kreislauf, Muskeln und Gelenke auf die Belastung vor (kurzes Joggen, Armkreisen, Softball-Kneten). Dann zwei leichte Routen klettern oder ausgiebig warmqueren. Leichtes Ausklettern am Ende leitet bereits die Regeneration ein.


Rechtzeitig aufhören: Meidet maximalkräftige Belastungen in ermüdetem Zustand. Harte Boulder oder Campusboardtraining haben am Ende einer Trainingssession nichts zu suchen.
Dehnen: Während Stretchen vor dem Klettern kontraproduktiv ist (Senkung des Muskeltonus und damit Verringerung der Maximalkraft), ist es nach dem Klettern und an Ruhetagen wichtig zur Verletzungspävention. Vor allem die Beugemuskulatur an Armen und Rumpf neigt zu Verkürzungen.
Antagonisten trainieren: Zur Stabilisierung vieler Gelenke und um Fehlhaltungen (z.B. Rundrücken) zu vermeiden, ist eine muskuläre Balance sehr wichtig. Trainiert deshalb auch die Gegenspieler (Antagonisten) der beanspruchten Muskelgruppen (z.B. Finger- und Handgelenkstrecker, Schultermuskulatur).
Schlaumachen: Hier erfahrt ihr mehr über Kletterverletzungen und wie sie behandelt werden: Thomas Hochholzer und Volker Schöffl, "Soweit die Hände greifen"; Peter Keller und Andreas Schweizer, "Vertical Secrets". Beide Bücher findet ihr im klettern-shop.
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