Profi-Kletterer im Lockdown: Interview mit Jorg Verhoeven

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Kletterer im Lockdown: Interview mit Jorg Verhoeven

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Zuletzt aktualisiert am 01.04.2020

Jorg, was macht man jetzt als Profikletterer? Du bist vom Lockdown betroffen, wie gehst du damit um?

Ja, Tirol ist jetzt schon etwas über zwei Woche im Lockdown, vor allem in Innsbruck wird teils recht streng kontrolliert, was wahrscheinlich nicht schlecht ist. Wir, also meine Frau Katha Saurwein und ich, haben glücklicherweise ein recht großes Apartment mit Balkon, also mangelt es nicht an Frischluft. Wir nehmen die Situation recht ernst und versuchen, wirklich nur beim Einkaufen vor die Tür zu kommen.

Anfänglich waren wir beide nicht sehr begeistert davon, das Hangboard am Balkon zu verwenden um fit zu bleiben, aber das hat sich rasch geändert: Katha (sie gehört zum Trainerteam vom National- und Jugendkader) fing an, Trainings live zu übertragen, um beim Team eine gewisse Grundfitness zu gewährleisten. Jetzt sind das schon sieben Streams der Woche; sie scherzt schon, dass sie noch nie zuvor so viel trainiert hat.

Bei mir lief das ein wenig anders, es dauerte eine Weile, bevor die Trainingsmotivation kam. Voll da ist sie immer noch nicht, aber ich hänge mich jetzt wenigstens regelmäßig an die Holzleisten. Bei Kraftsachen wie einarmige Klimmzüge, Hangwaage und Deadhangs war ich nie sehr stark, vielleicht ändert sich da jetzt was, ich bin ja erst 34 (lacht).

Sonst sind die Tage eigentlich recht schnell voll. Es gibt so viele Sachen, welche man immer nach hinten geschoben hat, wofür jetzt Zeit ist: Steuererklärung, Generalreinigung der Wohnung, Computersanierung und solche Sachen. Die meiste Outdoorfirmen greifen jetzt für Social Media und Marketing stark auf ihren Athleten zurück, also kommt da auch ein wenig zusammen. Daneben haben Katha und ich beide unser Zweitstudium, wieder so eine Sache, die man gerne nach hinten schiebt…

Jorg Verhoeven in Cadarese
Michele Caminati

Was würdest du Kletterern empfehlen, die keine Ausrüstung zu Hause haben, wie sie sich fithalten sollen?

Übungen zur allgemeinen Fitness kann man überall machen; ich glaube das viele eine Yogamatte und ein Theraband zu Hause haben. Die sozialen Netze sind jetzt ja zur Zeit überfüllt mit jeglichem Übungsangebot. Sogar für Kletter-spezifischen Übungen reicht teilweise schon ein einfacher Balken oder Türrahmen, der stabil genug ist. Ich glaube wer sich schinden will, kann mit einem wenig Kreativität – und eventuell einer Online-Bestellung – sehr viel machen. Die Frage lautet natürlich: Wofür trainiert man? Momentan ist es glaube ich nicht absehbar, dass sich die Situation schnell ändert, und schaut es eher nach mehreren Monaten Ausgehverbot aus. Da ist dann die Frage, ob man nur ein paar Übungen für die allgemeine Gesundheit und Fitness machen will, oder wirklich topfit dastehen will, sobald es wieder vertretbar ist, draußen klettern zu gehen.

Was würdest du denen empfehlen, die ein Fingerboard und/ oder eine Klimmzugstange zu Hause haben?

Wahrscheinlich ist die beste Empfehlung, es nicht zu übertreiben. Vor allem Fingerboard-Training oder ein intensives Klimmzugprogramm sind viele wohl kaum gewohnt. Daher sollte man eine Phase einplanen, sich an die neue Belastung zu gewöhnen. Dann sollte man sich, wie erwähnt, wirklich gut überlegen was man von dem Training erhofft und wieso man das eigentlich macht. Der letzte Schritt wäre dann erst, sich Übungen zu überlegen oder abzuschauen.

Die Physis ist ja nicht alles – was kann man außer Klimmzügen noch zu Hause üben?

Vor allem weil man wegen der Isolation zu wenig Bewegung kommt, und die meisten wahrscheinlich am Tag viel sitzen werden, sollte man eher auf die allgemeine Gesundheit achten, als auf die Kletterfitness. Dehnen, Ausgleichsübungen, Yoga, und so etwas sind momentan wahrscheinlich wichtiger als hartes Fingertraining. Leider neigen viele Kletterer – ich inklusive – dazu, das zu ignorieren ... sagen wir so, ich arbeite dran (lacht).

A propos spezielles Training, wie sah eigentlich deine Vorbereitung für die Nose aus – würdest du das zu Hause auch schaffen?

Das könnte schwierig werden. Für mich waren damals ein guter Bouldersprit, ein gutes Gefühl für den Fels, vor allem am glatten Granit in Yosemite, wichtig und eine endlose Portion Geduld das wichtigste. Das letzte trainieren wir ja jetzt alle, der Rest wird zu Hause eher schwierig.

Jorg Verhoeven Cadarese
Michele Caminati

Wie sorgst du dafür, bei guter Laune zu bleiben?

Ich versuche, den Tag strukturiert zu gestalten und genauso die Sachen, worauf man eigentlich keine Lust hat, zu machen, anstatt zu verschieben. Sonst ist viel Kreativität gefragt, um den Alltag interessant zu machen. Geduld ist dann letztendlich am wichtigsten; so wie man überall hört, wäre es wahrscheinlich echt nicht schlecht den Stress-mode zurück zu schrauben und einfach mal den Chill-mode ein zu schalten.

Danke Jorg!

Jorg Verhoeven in Cadarese
Michele Caminati