Mit 25 trifft es nicht ganz – es kommt drauf an, was man als Klettern bezeichnet. Als Kind bin ich viel auf Bäume geklettert. Bei meinem ersten Boulder-Erlebnis war ich sieben Jahre alt, es war der Übergang von meinem Balkon auf den Kirschbaum. So mit 17, 18 bin ich dann einfach mal zum Kirchheimer Alpenverein und dort in die Jugendgruppe. Da haben wir so Hochtouren gemacht wie den Biancograt oder auch mal einen Dreier im Gebirge. Aber richtiges Klettern war das noch nicht. Dabei hat mich alles, was mit Fels und Kraxeln zu tun hat, schon immer interessiert.
Während meines Studiums in Stuttgart habe ich viele Sportarten ausprobiert: Kajakfahren, Leicht- athletik, Volleyball, Joggen, alles nett, aber nicht wirklich mein Ding. In meiner Referendarzeit in Marbach hat mich das Klettern dann so richtig gepackt. Ich habe mich erkundigt, wo man in der Nä- he klettern kann, und bin dann re- gelmäßig allein in die Hessighei- mer Felsengärten gefahren und ha- be dort Quergänge gemacht. Ganz am Anfang sogar noch mit Berg- stiefeln, ich glaube, die hießen Su- per Friction (lacht), dann aber bald mit EBs, den ersten richtigen Klet- terschuhen. In Hessigheim habe ich auch Kletterpartner gefunden, mit denen ich für mich grenzwertig schwere Einzelstellen probiert ha- be. Wir haben gebouldert, obwohl ich das Wort "bouldern" damals noch nicht kannte. Da war ich 29.
Bewegungen auszutüfteln fand ich von Anfang an faszinierend. Die Plackerei beim Zustieg mit schwerem Rucksack im Gebirge hat mir keinen Spaß gemacht, ich bin kein Ausdauermensch. Erst am Fels war ich so richtig glücklich (wenn ich mich nicht allzu sehr fürchten musste). Trotzdem war ich viel alpin unterwegs, das war für Kletterer Ende der 70er- und in den frühen 80er-Jahren selbstverständlich. 1979 war ich mit einer Freundin das erste Mal im Gebirge klettern und bin im Oberreintal Sechser vorgestiegen. In den frühen 80ern habe ich zum Beispiel die Solleder in der Civetta-Nordwestwand gemacht und die Nordwand der Droites, bei beiden bin ich die schwierigsten Passagen vorgestiegen (bei einer Frau muss man das wohl dazu sagen). Durch einen Knieschaden waren dann lange Zustiege, die ich eh nicht mochte, nicht mehr möglich, und ich habe mich aufs Klettern im Mittelgebirge konzentriert.
Ich bin bei einem Abstieg in ein Schneeloch eingebrochen und habe das Kreuzband gerissen. Das konnte man damals noch nicht gut flicken und hat es einfach gelassen. Dadurch habe ich im Knie immer mehr Arthrose bekommen. Ich habe das 15 Jahre später richten lassen, aber da war es schon zu spät.
Als es in Deutschland noch keine Kletterhallen gab (in den 80ern), bin ich, wenn irgendwie möglich, an den Fels, entweder Hessigheim oder Schwäbische Alb. Das ging aber im Winter schlecht und mir war klar, dass ich da Fingerkraft verlieren würde, wenn ich nichts dagegen unternehme. Deshalb habe ich an meiner Schlafzimmerwand ein paar schmale Teppichleisten angenagelt, das hatte damals fast niemand. Und daran habe ich Halteübungen gemacht, dazu kam Stretching. Klimmzüge oder sonstige Gymnastik habe ich nicht gemacht.
Grundsätzlich würde ich sagen, ja. Denn schmale Leisten sind auch heute noch meine große Stärke. Was die Finger angeht: Meine Ringbänder haben in den ersten Jahren alle so der Reihe nach etwas abgekriegt, aber nicht an den Leisten, sondern am Fels. Irgendwann haben sich die Hände an die Belastung gewöhnt, und seither hatte ich da keine Probleme mehr. Ich habe auch keine Arthrose, jedenfalls keine, die schmerzt.
Ich liebe Einseillängen-Routen und klettere gern für mich harte Projekte. Das ersetzt mir das Bouldern (beide Knie haben Unfallschäden, das Abspringen täte ihnen nicht gut). Mehrseillängen mit guter Absicherung und kurzen Zustiegen machen mir auch Spaß. Eisklettern ist mir zu kalt.
Klettern begeistert mich, weil es so abwechslungsreich und kreativ ist. Jede Route ist anders und ich muss meine Bewegungen ans Gelände anpassen. Es hat überhaupt nichts Gleichförmiges an sich wie zum Beispiel Schwimmen oder Radfahren. Und ich liebe es, mich festzukrallen. Dazu kommt das ganze Umfeld: Die vielen Freunde, die man gewinnt, das Draußensein und Reisen, das ist einfach toll.
Als ich mit 65 einen Unfall mit einem Mofa in Kalymnos hatte, so dass mein Handgelenk völlig zerlegt war, wollte ich mich nicht damit abfinden, nicht mehr schwer zu klettern. Ich habe auf Facebook verkündet, ich würde nun auf eine 7c hinarbeiten, Titel: "Eine 9 mit 66 – geht das?" Ich habe trainiert, und ein Jahr nach dem Unfall konnte ich zwei Neuner klettern (im Frankenjura und in der Tarnschlucht). Danach habe ich einfach weiter schwere Projekte geklettert, und mit 69 gelang mir eine 7c+.
Nein. Als ich so um die 50 war, habe ich einige geklettert, auch eine 7c+. Und eine Route war sogar 8a damals, wurde aber inzwischen auf 7c+ abgewertet. Das war so meine fitteste Zeit. Dann kam vieles dazwischen und ich habe auch mehr Mehrseillängen als Projekte geklettert. Erst als es auf die 65 zuging, habe ich angefangen, wieder über den achten Grad hinaus zu klettern. Ich war schon knapp vor dem Neuner, als dieser Unfall passierte.
Nicht wirklich. Ich wollte das einfach nicht auf mir sitzen lassen und habe mir vorgenommen, dass mit dem Neuner trotzdem zu probieren. Erst durfte ich aber mehrere Monate die Hand nicht belasten, entsprechend dünn war mein Unterarm danach. Dann habe ich im Winter richtig ernsthaft trainiert mit Hangboard und so, was ich sonst nicht mache. Und jetzt kann ich sagen: Du kannst auch in dem Alter noch Muskeln aufbauen. Und ich freue mich und bin auch stolz, wenn ich anderen Mut machen und sagen kann: Schaut, das geht doch. Und sich manche dafür bei mir bedanken. Das freut mich sehr.
Das sagt jeder, aber ich denke, das ist doch gar nicht so schwer. Wenn man bedenkt, in welchen Graden die Spitzenkletterer heute unterwegs sind, da ist das ja relativ gesehen extrem leicht.
Bei Verletzungen – auch bei langfristigen Sachen wie einer Bizepssehnen- Reizung, die ein Jahr gedauert hat – war ich stets überzeugt, dass ich nach dem Auskurieren wieder voll da bin. Und ich habe mich einfach darauf gefreut, wieder an die Wand zu dürfen.
Bei den Wettkämpfen habe ich nie zu den richtig Guten gehört. Aber die Spannung und die Aufgabe, das Können in stressiger Situation und punktgenau abzurufen, hat mich fasziniert. Wenn es mal geklappt hat, habe ich mich riesig gefreut. Mich mit anderen, Besseren zu vergleichen, hätte mich nur deprimiert. Und das ist auch heute noch so.
Klettern ist ein wichtiger Teil meines Lebens und schenkt mir spannende, erfüllende Momente. Ohne würde etwas fehlen, aber es ist nicht alles. Ich lese und schreibe gerne – ich habe fünf Bergkrimis geschrieben, war Redakteurin bei Alpin und beim Süddeutschen Verlag und verfasse auch heute noch ganz gerne Texte. Außerdem interessiere ich mich sehr für Kunst, was ich ja auch studiert ha- be. Kultur und Kunst sind bei unseren Kletterurlauben immer dabei, vor allem bei miesem Wetter.
Vielleicht mal eine Woche oder so mit jemand auf Kulturtrip. Aber längere Urlaub ohne Klettern gibt es nicht. Klar, das hat schon ein bisschen etwas von einer Sucht. Wobei: Ich könnte schon ohne Klettern leben – aber mit Klettern ist es besser.
Wenn ich nicht im Kletterurlaub bin, mache ich zweimal pro Woche etwa eine Stunde lang Antagonisten- und Coretraining und Stretching. Und ein- bis zweimal pro Woche etwa 40 Minuten Ausdauer auf dem Crosstrainer. Klettern gehe ich etwa dreimal pro Woche, wobei ich an zwei Tagen in harte Routen reingehe und grenzwertig zerre. Spulen ist nicht mein Ding. Früher hatte ich mehr Klettertage, weil meine Regeneration schneller war. Was ich noch anmerken möchte: Leute sagen manchmal zu mir: Du musst ja dein ganzes Leben aufs Klettern ausrichten und hungern und trainieren. Das ist bei mir überhaupt nicht so. Ich hungere nicht, aber ich achte darauf, was ich esse. Und ich trainiere nach meiner Einschätzung maßvoll. Auf jeden Fall lebe ich überhaupt nicht asketisch.
Andi geht auch zum Sportklettern, wir machen viele gemeinsame Kletterurlaube. Wenn er alpin unterwegs ist, vor allem im Sommer oder in der Eiskletter-Saison, gehe ich auch gern mit anderen Leuten.
Ja, sehr begeistert. Als Kind ist sie sehr gern geklettert, dann standen lange die Pferde an erster Stelle. So mit Mitte 20 hat sie das Klettern über das Bouldern wiederentdeckt und ist jetzt vollkommen begeistert. Sie arbeitet immer noch auf dem Reiterhof. Aber am Fels projektieren wir jetzt gemeinsam die gleichen Routen.
31.
Genau. Da wundert sich jeder, aber das funktioniert ganz prächtig. Und macht sehr viel Spaß.
Früher waren sehr viele Frauen Nachstiegs-Häschen. Ich finde es super, dass heute mehr Frauen Ehrgeiz zeigen, trainieren und engagiert vorsteigen. In meinen Donautal- Zeiten in den 80er-Jahren waren das nur wenige. Und mir war es damals ein Anliegen, damit aufzufallen, dass ich relativ stark klettere. Damit man sieht: Frauen können das auch. Ich hatte da manchmal das Gefühl, stellvertretend für alle Frauen zeigen zu müssen, was ich kann.
Ein großes Plus ist für mich persönlich, dass die Kühnheits-Ethik dieser 80er-Jahre so ziemlich verschwunden ist und es sehr viele gut gesicherte Routen gibt. Außerdem gefällt es mir, dass heute so viele Familien am Fels sind. Heute ist fast alles besser – nur schade, dass inzwischen so viele großartige Felsen total poliert sind. Aber generell habe ich an der Entwicklung nichts auszusetzen.
Ohne das Klettern wäre ich ein anderer Mensch. Vielleicht wäre ich in die Kunstszene gegangen oder unter die Schreiberlinge. Und ich wäre bestimmt weniger fit: Sport rein aus Gesundheitsgründen hätte ich sicher nicht durchgehalten.
Noch ein bisschen schwerer klettern. Und Spaß dabei haben.
Erst wenn ich nicht mehr Treppen steigen kann.

Alpiner Hintergrund - Auch in Mehrseillängen-Routen ist Irmgard selbstverständlich gerne als Seilerste unterwegs. Wie hier in Il Perfezionista (7, 11 SL) an der Parete di San Paolo bei Arco.
Zur Person: Irmgard Braun
Geboren am 25. Februar 1952 in München, wuchs Irmgard in Kirchheim/Teck am Fuß der Schwäbischen Alb auf. Sie studierte in Stuttgart Mathematik und Bildende Kunst auf Lehramt und arbeitete als Gymnasiallehrerin. In den 80er-Jahren gelangen ihr im Donautal Erstbegehungen bis zum achten Grad, Anfang der 90er war sie Mitglied der Sportkletter-Nationalmannschaft. Sie zog später nach München um, wo sie mit ihrem Mann Andi Dick, Bergführer und Alpinjournalist, eine Tochter bekam: Ronja klettert heute selbst. Mit 69 Jahren kletterte Irmgard eine 7c+ (Open Box, Tarn), mit 72 eine 7c (Le String à Fredo, ebenfalls Tarn). Irmgard schrieb fünf Kletterkrimis und arbeitete lange für das Magazin "Alpin".
Ihre Tipps für ältere Kletterer gibt‘s auf ihrer Webseite: irmgard-braun.de