Interview: Alex Megos ist hungrig auf mehr

Interview mit Alex Megos
Alex Megos ist hungrig auf mehr

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Zuletzt aktualisiert am 30.01.2025
Alex Megos im Interview
Foto: Stefan Riedl
Was ging dir durch den Kopf, als dir im Lead- Halbfinale von Olympia ein Fuß wegrutschte?

Erstmal nur: Reiß dich zusammen, so lange du auf der Bühne bist! (Lacht) Nach dem Bouldern war mir klar, dass ich im Lead weit kommen muss, um noch ins Finale einzuziehen. Wobei ich letztlich gar nicht so viel weiter hätte klettern müssen, weil viele früh gefallen sind. Klar haben noch einige Griffe gefehlt, zehn oder 15, aber ich habe mich zu diesem Zeitpunkt noch so unglaublich gut gefühlt. Mit meinem Fitnessstand wäre es in dieser Route wirklich easy gewesen, ins Finale zu klettern. Deshalb war es umso frustrierender – all die harte Arbeit, all das harte Training umsonst.

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Und zuvor beim Bouldern: War es da nicht dein Tag oder waren es nicht deine Boulder?

Sowohl als auch. Bei den ersten zwei Bouldern habe ich nicht richtig reingefunden – die wären für mich am ehesten möglich gewesen. Als ich dann langsam im Wettkampfmodus war, kamen Boulder 3 und 4. Boulder 3 hat ja gar keine Begehung bekommen und bei Boulder 4 hat mir die Platte nicht gelegen. Ja, es ist schlecht gelaufen. Als ich später das Ranking angeschaut habe, ist mir aber aufgefallen, dass 70 Prozent der Starter es verkackt haben. Viele Boulderspezialisten waren ähnlich schlecht wie ich, und es war klar, dass die im Lead nichts mehr rausholen können. Die Boulderrunde war richtig mies, zum Klettern hat das keinen Spaß gemacht, zum Zuschauen vermutlich auch nicht. Aber für uns Leadspezialisten war sie nicht schlecht, weil die meisten Boulderspezialisten danach keine Chance mehr hatten.

Ja, das Frauen-Halbfinale im Bouldern hat mehr Spaß gemacht.

Kann ich mir vorstellen! Ich finde durchweg die Frauen-Wettkämpfe schöner und spannender zum Zuschauen, vor allem beim Bouldern. Bei den Herren verschrauben sie sich oft. Manchmal gibt es viel zu viele Begehungen, öfter aber sind die Boulder viel zu schwer, und es gibt gar keine Begehungen.

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Wie lange bist du anschließend noch in Paris geblieben?

Ich habe nur noch das Damen- Halbfinale angeschaut, weil Lucia dort dabei war. Es war auch nicht leicht, als Athlet zuzuschauen. Du konntest zwar kommen, aber es waren nur die billigsten Plätze ganz hinten in der prallen Sonne für uns vorgesehen. Ehrlich gesagt hatte ich keinen Bock mehr auf Paris, wollte nur meine Ruhe haben und bin zwei Tage später abgereist.

Und jetzt, hast du noch respektive wieder Bock auf Wettkämpfe?

Ich habe das Gefühl, dass ich in den letzten zwei Jahren im Lead Worldcup immer konstanter geworden bin, deshalb sehe ich nicht, warum ich meine Lead-Karriere jetzt abrupt beenden sollte. Ich habe Lust, noch ein paar Jahre weiterzumachen und zu schauen, wie‘s läuft. Im Bouldern werde ich die Karriere aber ziemlich sicher an den Nagel hängen.

Was bedeutet das für dich bezüglich Olympia 2028 in Los Angeles?

Warten wir es ab. Ich kann mir gut vorstellen, dass es drei Sätze Medaillen im Klettern geben wird und auch dass Lead Einzeldisziplin wird. Es könnte aber auch Speed- Einzel, Speed-Team und dazu Boulder-Lead-Combined geben. Speed kommt als olympische Sportart natürlich gut an – weil es schnell ist, weil es Weltrekorde gibt und weil jeder Depp versteht, wer gewonnen hat. Wobei das beim Lead ja auch so ist. Ich habe echt keine Ahnung, was die dort oben sich ausdenken werden.

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Ken Etzel
Was bedeuten dir Wettkämpfe?

Der Hauptreiz liegt – vor allem im Lead – darin, alles am Tag X in einem Versuch auf den Punkt zu bringen. Klar, es ist physisch anstrengend, aber noch mehr ist es ein mentales Spiel. Ganz viele superstarke Athleten werden von ihrem Kopf limitiert, und viele Athleten sind deshalb erfolgreich, weil sie es beim Wettkampf super auf die Reihe bekommen. Die Physis ist die Eintrittskarte, wer gewinnt, entscheidet sich aber eher in den Köpfen. Darin liegt der Reiz für mich: dass ich mich mental voll unter Kontrolle habe und den einen Go voll fokussiert an die Wand bringe. Und ich habe das Gefühl, dass mir das in den letzten Jahren immer besser gelungen ist.

Themenwechsel: Was ging dir durch den Kopf, als du zwei Wochen nach Olympia im ersten Rotpunktversuch den Umlenker von Change (9b/+) geklippt hast?

Ich wusste, dass es klappen könnte, wenn alles perfekt läuft. Dass es gleich im ersten Go klappt, hatte ich natürlich nicht erwartet. Wieder unten angekommen, dachte ich als erstes: Ich brauche unbedingt was zu trinken! Das wird total unterschätzt. Wenn du so lange kletterst – ich war bestimmt eine Dreiviertelstunde unterwegs –, ist dein Mund extrem trocken. Das geht vielen so. Ein Australier hatte an einem Ruhepunkt eine Flasche aufgehängt, damit er bei Durchstiegsversuchen dort trinken kann.

Sind durch diese Begehung auch nach Olympia aufgekommene Selbstzweifel abgefallen?

Nein, Selbstzweifel hatte ich keine nach Olympia. Ich wusste trotz Ausscheiden, dass ich gerade krass fit bin. In gewissem Sinne hatte es sogar etwas Gutes. Normalerweise fällst du nach dem Saison-Höhepunkt in ein Loch. Aber dadurch, dass ich diesen nicht richtig erlebt habe, war ich noch voll hungrig.

2017 meintest du, dass Flatanger nicht so dein Kletterstil sei. Ich zitiere: "wo man 50 Meter durch ein Höhlendach eumelt". Hast du nun Spaß am "Eumeln" gefunden?

Sagen wir so: Zwei der drei 9c-Routen, die es derzeit gibt, sind in Flatanger, also macht es Sinn, sich auf diesen Stil einzulassen. Wenn ich dort 9b+ oder schwerer klettern möchte, muss ich mich für das Thema Kneepads öffnen. Mir ist jetzt aufgefallen, dass Silence gar nicht so krass lang ist, das sind vielleicht 30 Meter. B.I.G. ist zwar lang, 45 oder 50 Meter, aber davon sind nur 20 Meter richtig schwer. Diesmal hatte ich leider keine Zeit, in eine der zwei Routen reinzuschauen, weil ich bis zum Schluss mit Move (9b/+) beschäftigt war – und die am letzten Tag noch hingehauen hat, was megacool war. Aber ich bin hochmotiviert, mir Silence und B.I.G. nächstes Jahr anzuschauen.

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Jan Virt
Warum hast du nach Change nicht eine der beiden probiert?

Ich habe mich sowohl für Change als auch für Move entschieden, weil dort Exen drin hingen (lacht). Man darf das nicht unterschätzen! Wenn du eine 55 Meter lange Route hast, die zwischen 55 und 70 Grad steil ist, dann musst du erstmal 30 Exen in die Hand nehmen und die einhängen. Dazu gab‘s dort Chalk und Tickmarks, und für beide Routen Beta-Tipps. Da dachte ich mir, dass es vielleicht nicht dumm ist, die beiden als "Einstiegsticket" für die ganz schweren Routen in Flatanger zu probieren – dass ich es mir erstmal verdiene, eine 9c zu probieren.

Der Spaß am Eumeln hat also mit dem Einsatz von Kneepads zu tun?

Auf jeden Fall! Für Move und Change wären die nichtmal unbedingt nötig, weil Adam beide ohne Kneepads erstbegangen hat. Aber ich habe sie trotzdem als Training hergenommen, weil ich vorher ja quasi noch keine Route mit Kneepads geklettert bin. Es ist nicht nur schwierig, Knieklemmer gut zu legen, schon das Anziehen der Pads ist eine Kunst für sich. Am Anfang rutschen die nur runter, erst nach zwei Wochen hatte ich es einigermaßen drauf, dass sie eine Weile hielten. Das ist fast eine Wissenschaft: wie du sie anlegst und ob du sie noch mit Duct Tape oder einem Sprühkleber fixierst. Und die Klemmtechnik wird natürlich auch besser, je öfter du sie probierst. Ich muss auf den Kneepad-Zug aufspringen, bevor es zu spät ist! Jetzt klappt es schon besser, aber trotzdem ist noch viel Luft nach oben. Ich habe Leute gesehen, die an Ruhepunkten entspannt beide Arme ausgeschüttelt haben, wo ich es nicht für möglich gehalten hätte.

Eumel-Experte bist du also noch immer nicht. Wie sieht die für dich maßgeschneiderte Route aus?

Ich würde sagen 20 bis 25 Meter, mit Löchern, Leisten und Zangen. Auf Zangen bin ich ziemlich fit, auf Löchern und Leisten normalerweise auch. Bei kompletter 3D-Kletterei fehlt mir noch etwas die Übung, Sloper liegen mir auch weniger. Ansonsten kommt mir der Style in Flatanger weitgehend schon entgegen, ebenso der in Margalef. Dort habe ich nur das Problem, dass meine Finger zu dick sind. Ich habe eine 9b+ von Jorge Díaz-Rullo probiert, wo er einen Mono benutzt, in den ich meinen Finger nicht reinbekomme. Das kann einen Riesenunterschied machen!

Was ist deine liebste Neigung?

45 Grad oder steiler (lacht).

Gibt es in Franken Projekte, die deinen Präferenzen entsprechen?

An der Magdalenenwand gibt es eins, nur sind richtig schwere Projekte in Franken immer undankbar, weil du nicht wie in Flatanger sukzessive einzelne Teile aneinanderhängst, sondern tagelang an einer Stelle rumtüftelst, und dann geht sie immer noch nicht …

Deine Supernova von 2015 ist nach wie vor die schwierigste Route in Franken und in Deutschland. Anfangs hast du sie mit 9a+/b bewertet. Wie siehst du das heute?

Ich denke, das ist glatt 9b, das ist richtig schwer! Das haben seither einige Leute probiert. Ich war damals richtig fit und hatte das Glück, dass es geklappt hat. Da hatte ich den einen perfekten Go.

Spielt der Frankenjura in der internationalen Highend-Szene noch eine Rolle oder ist er heute eher eine Art Fels-Kletter-Museum?

In den zehn Jahren bis Corona war‘s ein bisschen so, da kam fast keiner vorbei außer Adam. Aber ich denke, jetzt ist Franken wieder mehr aufs Radar der Kletterer gerutscht und erlebt in den letzten Jahren einen Aufwärtstrend.

Bist du noch Teil der Frankenszene oder eher gelegentlicher Gast?

Ich würde mich schon noch zur Frankenszene zählen. Wenn man als Franke geboren wird, bleibt man wahrscheinlich immer Franke.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs in Franken und Deutschland aus?

Wie sage ich das, ohne mich komplett ins Aus zu schießen? (Lacht) Wirft man Fels und Wettkampf in einen Topf, ist der Nachwuchs in Deutschland eher dünn bestückt. Zwischen 15 und 20 gibt es derzeit wenige, bei denen man sagt, sie könnten international mal was reißen. Wir haben nicht die Dichte der Österreicher oder Franzosen. Bei den Franzosen klettert jede Saison mindestens ein neuer Teenager in die Weltcup-Finals. Von den Japanern ganz zu schweigen.

Alex Megos im Interview
Ken Etzel
Was machen die besser?

Es gibt in Deutschland zu wenig Leistungszentren. Die meisten Hallen sind auf Kommerz ausgelegt, was man ihnen nicht zum Vorwurf machen kann. Mit Profisport verdienst du nichts! Auch für die DAVHallen rechnet es sich nicht, für die Kader-Athleten zu schrauben, nur weil die vielleicht mal vorbeikommen könnten. Die Franzosen haben einen Leistungsstützpunkt nur fürs Team. Dort werden ständig neue Wettkampfboulder und -Leadrouten geschraubt, und es gibt eine Speedwand. In Österreich haben sie Innsbruck als Leistungszentrum, wo die geilsten Wandund Boulderbereiche zeitweise für das Nationalteam gesperrt werden.

Hast du dir deshalb deine eigene Halle zugelegt – damit du ein perfektes Trainingsumfeld hast?

(Lacht) Nicht nur deshalb! Die Halle soll auch ein Standbein für die Zukunft sein. Aber ja, es hat sich angeboten, auch jetzt während meiner Profikarriere einen Trainingsbereich so gestalten zu können, wie ich ihn haben möchte. Was genau ist euer Plan für die "Frankenjura Academy"? So viel Lehrbetrieb, Workshops und Schulungen wie möglich. Unsere Idee ist, dass es irgendwann wie eine Volkshochschule mit regulärem Kursprogramm läuft. Das Programm werden wir Schritt für Schritt ausbauen – von Anfängerkursen bis zu wettkampfspezifischen Kursen für Jugendliche durch Chris Hanke und mich. Routenbauerkurse wollen wir auch breit anbieten. Vereine und Firmen können die Halle ebenfalls mieten. Oder der DAV-Nationalkader für Trainingslehrgänge oder Nominierungs-Wettkämpfe, natürlich auch die Kader anderer Nationen. Wir haben ja Platz, und normalerweise wird keine Partei die komplette Halle benötigen, sodass parallel regulärer Kursbetrieb möglich sein sollte. Wir sind eine Halle für alle Grade von leicht bis schwer. An unseren Public Days – das sind fast alle Freitage und Sonntage – heißen wir zudem alle Kletterer und Boulderer herzlich willkommen. An diesen Tagen gilt das Motto: gemeinsam trainieren oder entspannt mit der Familie bouldern und klettern.

Ist dies der erste Schritt zu einem Sharmaesken Hallen-Imperium?

(Lacht) Schauen wir mal, aber eine Halle reicht mir wahrscheinlich.

Wo siehst du dich mit 50?

Immer noch schwer kletternd und mit Chris eine coole Frankenjura Academy führend, wo wir unser Wissen an die Jugend weitergeben und eine gute Zeit haben. Wechseln wir die Blickrichtung. Mit 31 darf man Zwischenbilanz ziehen.

Welche deiner Begehungen ragen für dich heraus?

Meine Erstbegehungen Bibliographie und Perfecto Mundo (beide 9b+) werden immer herausragen, weil ich viel Arbeit hineingesteckt habe. Supernova, weil sie noch immer unwiederholt und die härteste Route in Deutschland ist. Von den neuen Sachen ragen sicher Change und Move heraus, weil die mir vom Style nicht so liegen, ich sie aber relativ schnell wiederholen konnte. Dann Ratstaman Vibrations (9b) in Céüse. Die ist zwar nicht highendschwer, aber schwer genug und in einem der bekanntesten Gebiete. Viele kennen das Sharma-Video, wie er die Route einbohrt und dann probiert. Das ist etwas Besonderes, wenn du eine Linie mit einem gewissen Mythos erstbegehst.

Welche offenen Rechnungen willst du noch begleichen? Jumbo Love?

Vielleicht, aber das steht derzeit nicht wirklich auf der Agenda. In den nächsten Jahren möchte ich Zeit in die bestehenden 9c-Routen investieren, um zu schauen, wie‘s da für mich aussieht. DNA möchte ich mir auch unbedingt mal anschauen, das sieht megagut aus.

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Stefan Riedl
Wo siehst du noch Verbesserungspotenzial bei dir?

Verbesserungspotenzial gibt es immer! Bei Slopern sowieso, bei der Fußtechnik auch. Dann Kneepads, da stehe ich derzeit bei der Note 5-. Das sind meine Hauptbaustellen, an denen ich arbeiten möchte.

Was denkst du, ist schwierigkeitsmäßig noch möglich für dich?

Beim Bouldern hoffe ich 9A, bei Routen 9c. Beim Bouldern muss ich schauen, ob ich mich nochmal motivieren kann, richtig anzugreifen. Wäre cool! Aber erstmal will ich meinen Fokus auf Lead richten und probieren, ob eine 9c geht. Und wenn ja, ob vielleicht sogar etwas schwereres möglich ist …

Welcher 9A-Boulder würde dich am ehesten anmachen?

Auf jeden Fall Burden of Dreams, weil es der erste war und weil er der Inbegriff schweren Boulderns ist: eine Wand mit kleinen Griffen, fünf Züge, einfacher Mantle, fertig. Wohin geht die Reise beim Klettern in den nächsten zehn Jahren? Vermutlich sind zehn Jahre zu kurz gefasst, um eine wirkliche Steigerung im Seilklettern zu sehen. Auch wegen dem Wettkampf-Hype. Viele der fittesten Jüngeren konzentrieren sich derzeit aufs Indoorklettern. Es wird sicher die eine oder andere neue 9c geben, aber das sind vermutlich Projekte, die schon heute bekannt sind. Beim Bouldern könnte es die erste 9A+ geben, aber das kann ich nicht wirklich einschätzen.

Was hast du beim Klettern über dich selbst gelernt?

Dass sich aufzuregen meist nur eine Verschlechterung bewirkt – wie im normalen Leben auch. Eine gewisse Aggressivität ist manchmal nötig, aber bei zu viel Aggressivität schlägt es meist um ins Negative. Dass man sich nur auf den nächsten Zug und nicht auf das Ergebnis konzentrieren sollte. Und dass Leute, die das können, auch ausgeglichener sind im Leben. Das klingt nach Altersweisheit. Ja, so langsam kommt sie …