Beim Stürzen soll man an Seil oder Knoten greifen – falsch! Untersuchungen haben ergeben, dass man in den allermeisten Fällen aufrecht landet, und das ans-Seil-Greifen mehr Verletzungsrisiko bietet. Das Stürzen gehört bei vielen Kletterern zum Alltag, gerade in modernen Kletterhallen gehört das Fallen zum Klettersport dazu. Dr. Volker Schöffl beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Verletzungen und Verletzungsrisiken, wie sie für Sportkletterer üblich sind und hat seine Erkenntnisse in einem Artikel für uns zusammengefasst.// Ein Kletterer, der zum Beispiel drei bis vier mal pro Woche klettert, mag durchaus drei bis fünf Sprünge oder Stürze pro Tag haben, was ihm eine Gesamtzahl von fast 1000 Sprüngen und Stürzen pro Jahr einbringt. Das sind eine Menge Gelegenheiten, sich zu verletzen. Zum Glück kommt es nur selten zu schwereren Verletzungen. Allerdings sind Verletzungen durch Seilumschlingungen mit dem eigenen Sicherungsseil ein bekannter Unfallmechanismus, der auch bei optimaler Absicherung verheerende Folgen haben kann. Drei Fälle treten dabei häufiger auf:
I. Griff ins Hochlaufende Seil
Der Kletterer stürzt kurz oberhalb des letzten Sicherungspunktes. Während des Sturzes greift er im Reflex in das vom Sicherungspartner nach oben laufende Seil. Dieses Hineingreifen ins Seil ist unnötig, da die Aufgabe, den Fall zu halten, ja dem Sicherungspartner zukommt. Zudem birgt der Griff ins Seil einige Verletzungsmöglichkeiten:
- Der Kletterer kann eventuell den Fall direkt bremsen, sich dabei aber schwere Haut- und Weichteilverbrennungen der Handfläche zuziehen.
- Der Kletterer kann sich im Sicherungspunkt selbst verfangen, zum Beispiel im Karabiner (s.Bild unten links). Der Kletterer kann ungewollt den Haken aushängen, was wegbereitend für eine deutlich schwerere Verletzung sein kann. Der Kletterer kann sich das Seil um Hand oder Finger schlingen und sich so verletzen.
Alle diese Unfallmechanismen sind bereits öfters aufgetreten und dokumentiert.
II. Griff ins Seil vor dem Gurt

Ein Kletterer, der einen größeren Sturz absolviert, greift während des Sturzes mit den Händen zum Einbindepunkt, um sich zu stabilisieren. Dabei kann er sich das Seil um Hand oder Finger wickeln. Wenn sich das Seil strafft, weil der Stürzende es belastet, kann es zu komplexen Verletzungen wie schweren Knochenprellungen, Verbrennungen oder gar Amputationen kommen. In der Literatur finden sich bereits mehrere Berichte über solche Fingeramputationen.
III. Hochziehen nach dem Sturz
Ein Kletterer ist in einer steilen Route gestürzt. Nun hängt er unter dem Überhang im Seil. Er benutzt eine häufig angewandte Technik, um wieder an die Wand zu gelangen: Er macht ein oder zwei Klimmzüge am Seil, lässt dann das Seil los, währenddessen belastet der Sichernde das Seil. So zieht er das Seil stückweise ein und der Kletterer kommt nach oben. So kann man sich zwar langsam wieder zur Wand hinarbeiten, dennoch sind hier auch bei erfahrenen Kletterern schon schwere Handverletzungen durch Seilumschlingungen mit der Hand aufgetreten.
Während der erstgenannte Unfallmechanismus, ins hochlaufende Seil zu greifen, vor allen Dingen bei Anfängern gesehen wird, sind alle Fälle mit schweren Verletzungen und einem Unfallmechanismus wie in II. und III. beschrieben bei sehr erfahrenen Kletterern aufgetreten. Im Folgenden werden historisch gewachsene Irrtümer erläutert und wie man nach neuesten Erkenntnissen richtig stürzt.
Dr. Volker Schöffl: Richtig Stürzen – so geht's
Es gibt nur wenige Untersuchungen zum Sturzverhalten der Kletterer. Bislang wurde empfohlen, dass Kletterer während des Sturzes die Hände an den Einbindepunkt am Gurt nehmen sollten. Dies gründet auf die Diskussionen Mitte der 80er Jahre, als das Sportklettern populär wurde und die ersten Sitzgurte auf den Markt kamen. Über diese gab es eine große Diskussion.
Während die älteren und erfahrenen Alpinisten absolut gegen den alleinigen Hüftsitzgurt waren, waren die jungen natürlich voll dafür. Die dabei geführten Diskussionen waren oft recht polemisch. Das hauptsächliche Argument gegen den alleinigen Hüftsitzgurt war das proklamierte Risiko einer Wirbelsäulenüberstreckung oder einer Kopf-nach-unten-Position im Sturz, also ein Nach-Hinten-Überkippen.
Während dieser Unfallablauf in einigen alpinen Textbüchern diskutiert und beschrieben wurde, ist er nur in einer wissenschaftlichen Studie jemals richtig erwähnt worden. Über die weiteren Jahre traten diese proklamierten Unfallverletzungen nie in den Zahlen auf, wie sie erwartet wurden, und nicht in der Form, dass man sie alleine auf den Hüftsitzgurt zurückführen könnte.
2007 konnte eine englische Studie den Vorteil des Hüftsitzgurtes gegenüber dem Komplettgurt wirklich beweisen. In früherer Fachliteratur war daher die Empfehlung an den stürzenden Kletterer, dass er die Hände an den Einbindepunkt nehmen sollte, um zu vermeiden, dass er nach hinten überkippt.

Gefährlicher Fehler

Heute weiß man, dass dies ein historisch gewachsener Irrtum, gar ein gefährlicher Fehler ist. Am besten nimmt der Kletterer beim Sturz die Arme nach seitwärts, um eine stabile Position zu bekommen. Er sollte sich in der Luft im Wesentlichen versuchen zu stabilisieren. Am Ende des Sturzes, wenn der Seilzug den Körper gegen die Wand zieht, sollten die Füße nach vorne genommen werden, um den Aufprall abzumindern.
Gleichermaßen sollten die Hände das Wichtigste beschützen: Sie sollten nach vorne genommen und gegebenenfalls schützend vor den Kopf oder den Brustkorb gehalten werden. Nachdem der Sturz abgefangen ist, können die Hände immer noch an den Einbindepunkt des Seiles genommen werden, um ein Abkippen nach hinten zu vermeiden.
Die Technik, den Einbindepunkt bereits in der Luft zu greifen, kann zur Verletzung durch Seilumschlingung der Hand oder des Fingers führen und ist sehr gefährlich. Das muss unbedingt vermieden werden. In Anbetracht der zunehmenden Anzahl an Kletterern sollte das Sturzverhalten beim Klettern überdacht und ein richtiges Sturzverhalten gelehrt werden. Gleichermaßen gilt, dass auch bei kurzen Stürzen auf gar keinen Fall ins aufsteigende Seil oder gar in die Sicherungskette gegriffen werden sollte, da es hier zu folgenschweren Verletzungen kommen kann.
In Summe gilt: Hände weg vom Seil in der Luft, erst gute Stabilisierung des Körpers und Füße nach vorn! Wenn der Sturz abgefangen ist, können die Hände immernoch ans Seil genommen werden, um ein Überkippen zu vermeiden.
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