Steigklemmen und Co
Aufstieg am Seil - Knowhow für hohe Wände

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Ob zur Selbsthilfe oder als geplantes Manöver: Der Aufstieg am fixierten Seil ist mit einer Reihe von Techniken möglich. Wir stellen sie vor.

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Foto: Bernd Arnold

Dicke Arme klammern sich verzweifelt an runde Untergriffe, die Bergstiefel scharren auf glattem Kalk. Das Seil verschwindet seitlich über dem großen Dach nach oben. "Aufpassen, Hansjörg, ich komme!", rufe ich noch, dann komme ich und schwinge plötzlich ein paar Meter unter der Dachkante im Freien. Ablassen ist nicht, weil sich das Seil im Riss an der Dachkante verklemmt hat...

Klingt vielleicht nach alpiner Notlage, spielte sich aber an einem heimischen Mittelgebirgsfelsen ab. Zum Glück vor langer Zeit, als ich noch grundsätzlich Prusikschlingen am Gurt hängen hatte. Also hinaufprusiken zur Dachkante – endlich waren die blöden Schlingen und das Üben mal zu was gut –, das Seil aus dem Riss befreien und mit der Trittleiter schnell zum Vorsteiger aufschließen. Die Bergwacht konnte zuhause bleiben.

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Bernd Arnold
Aufstieg am Fixseil in Venezuela: Mit zwei Steigklemmen kein Problem.

Ein Sturz aus einem Quergang oder Überhang im alpinen Gelände, ein Spaltensturz, das Abseilen in eine Sackgasse: Daraus können sich Situationen ergeben, aus denen man sich nur durch Aufstieg am Seil befreien kann. Manchmal will man es aber auch einfach nur, zum Beispiel um ein paar Kletterfotos von oben zu machen. Und beim Expeditions- und Bigwall-Klettern gehört der Aufstieg an fixierten Seilen ohnehin zum Tagesgeschäft.

In diesem Artikel zeigen wir Möglichkeiten, an einem Seil mit Prusikschlingen oder diversen Steighilfen Höhe zu gewinnen. Manche fallen unter die Kategorie Selbstrettung und gehen damit jeden Kletterer an, der Felsen jenseits der Einseillängen-Marke ins Visier nimmt. Die Jümar-Techniken dürften dagegen vor allem für jene interessant sein, die den ersten Trip ins Yosemite oder an andere gewaltige Fels- und Eiswände planen. Gemeinsam ist allen, dass sie nicht so leicht zu beherrschen sind. Hinzu kommt, dass beim Prusiken und Jümarn die Länge der diversen Schlingen auf die eigene Körpergröße und jeweilige Technik abgestimmt sein müssen, sonst arbeitet man sich in kurzer Zeit auf. Und schließlich gilt es, einige Sicherheitsregeln zu beachten.

Und natürlich: Lesen ist Silber, Mitdenken, Ausprobieren und Üben sind Gold.

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Die nötige Ausrüstung

Prusikschlingen- und Knoten

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Ralph Stöhr
Prusikschlinge am Seil.

Die Prusikschlinge ist eine zur Schlinge verknotete Reepschnur. Ihr Durchmesser sollte 5 oder 6 Millimeter betragen. Je größer der Unterschied zwischen Reepschnur- und Seildurchmesser, desto besser klemmt der Prusikknoten. Bei dünnen Seilen also eher die 5-Millimeter-Reepschnur wählen. Der Prusikknoten ist einfach zu erlernen. Im Grunde wickelt man die Schlinge zwei- bis dreimal um das Seil (Abbildung oben). Unter Belastung zieht sich der Knoten zu und klemmt.

Vorteil: Universell einsetzbar, leicht herzustellen, funktioniert auch am Doppelseil!
Nachteil: Knoten anstrengend zu lösen und zu verschieben; wenn der Knoten rutscht, reibt das Schlingenmaterial auf dem Seil, dabei sind Schmelzverbrennung möglich.

Petzl Tibloc

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Ralph Stöhr
Petzl Tibloc. Mehr Sicherheit erreicht man, wenn - anders als hier abgebildet - der Verschlusskarabiner das Seil umschließt.

Das geniale kleine Aluteil stellt einen Prusikknoten-Ersatz dar: Der Karabiner drückt bei Belastung das Seil gegen die Zähne im Innern des Tibloc und klemmt es fest. Der Aufstieg gelingt so einfacher als mit Prusikschlingen.

Vorteil: Leicht, einfache Funktionsweise
Nachteil: Die Zähne sind recht scharf und nicht gerade seilschonend. Der Karabiner muss richtig sitzen, damit es sofort klemmt. Nur fürs Einfachseil.

Kong Duck

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Ralph Stöhr
Kong Duck.

Das Duck von Kong ist wie der ähnlich aufgebaute Ropeman von Wild Country eine sehr kleine Steigklemme mit einem beweglichen, quergeriffelten Klemmbacken, der unter Belastung das Seil festklemmt. Nach oben lassen sich Duck und Ropeman einfach verschieben.

Vorteil: Klein und leicht, keine scharfen Zähne.
Nachteil: Als reines Notfallequipment etwas schwer. Nur fürs Einfachseil.

Petzl Basic

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Petzl Basic.

Das Basic ist eine echte Steigklemme, nur ohne Handgriff. Es ist dadurch leichter und kleiner, aber für lange Aufstiege am Fixseil weniger geeignet. Häufig wird es von Kletterern verwendet, die alleine mit Selbstsicherung am fixierten Seil klettern wollen: Die untere Öse wird per Schraubkarabiner mit der Anseilschlaufe des Gurts verbunden, in die obere Öse kommt ein Karabiner mit einer Schlinge, die um den Nacken gelegt wird. Beim Höhersteigen wird so die Klemme automatisch mitgezogen. Diese Art des Alleine-Kletterns wird im Volksmund daher auch "petzeln" genannt.

Vorteil: Kompakte Steigklemme, in Kombination mit Steigklemme mit Griff gute Aufstiegstechnik möglich
Nachteil: Als Einzelgerät für lange Aufstiege am Seil weniger geeignet. Nur fürs Einfachseil.

Steigklemmen

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Ralph Stöhr
Steigklemmen - hier: NForce von Black Diamond.

Zwei richtige Steigklemmen sind in Bigwalls das Mittel der Wahl. Klemmen wie die NForce von Black Diamond bieten mit großen Griffen optimalen Komfort beim Aufstieg und lassen sich auch gut über Kanten und Vorsprünge bugsieren.

Vorteil: Relativ bequemer und schneller Aufstieg möglich.
Nachteil: Nur für Expedition und Bigwall geeignet, sonst zu groß und schwer. Nur fürs Einfachseil.

Grigri, Cinch, und andere selbstblockierende Geräte

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Ralph Stöhr
Petzl Reverso.

Sie alle können in Kombination mit einer Steigklemme auch zum Aufstieg am Seil eingesetzt werden. Die Kombination von Steigklemme mit Grigri oder Cinch ist besonders dann interessant, wenn man nicht nur am Seil hinauf, sondern auch schnell wieder hinunter will, zum Beispiel beim Fotografieren oder Einbohren von Routen. Mit dem Grigri oder Cinch lässt es sich bequem abseilen, mit der Steigklemme zusätzlich jederzeit wieder aufsteigen.

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Ralph Stöhr
Petzl Grigri.

Vorteil: Kein zusätzliches Gerät nötig (sofern man eines dieser Geräte sowieso zum Sichern einsetzt); mit Grigri und Cinch Wechsel zwischen Abseilen und Aufsteigen sehr leicht.
Nachteil: Nur in Kombination mit anderen Klemmen zum Aufstieg tauglich. Nur fürs Einfachseil.

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Konkret: Welches Gerät für welchen Zweck

Beim Aufstieg am Seil benötigt man Schlingenmaterial: mindestens eine Trittschlinge ist nötig, je nach Geräte-Kombination auch zwei plus Bandschlingen. Zum Anpassen an die jeweilige Körpergröße eignen sich die sogenannten Daisy Chains. Weitere Tipps gibt es auf der nächsten Seite.

1) Zwei Prusikschlingen

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Ralph Stöhr


Als alpine Standardvariante zur Selbstrettung kommen zwei Prusikschlingen zum Einsatz. Sie wiegen kaum etwas, man kann sie auch als Kurzprusik zum Abseilen verwenden, kurz: Im alpinen Gelände gehören einfach zwei davon an den Gurt. Zum Aufstieg am Seil sollte eine Schlinge gut armlang sein. Diese wird als erste ans Seil geknotet und an der Anseilschlaufe des Gurts mit einem Schraubkarabiner befestigt.

Eine zweite Schlinge kommt darunter ans Seil. Diese sollte so lang sein (oder mit einer Bandschlinge verlängert werden), dass ihr darin stehen könnt. Abwechselnd sitzt ihr nun in der oberen Schlinge oder steht in der unteren und schiebt jeweils den anderen Knoten höher.

2) Steigklemme und Miniklemme

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Ralph Stöhr

Im Grunde keine besonders übliche Variante, denn wer eine Steigklemme einsetzt, ist normalerweise entweder im Bigwall oder auf Expedition unterwegs und hat dann auch noch eine zweite. Trotzdem: Die Methode mit einer Steigklemme oben und einer Miniklemme direkt an der Anseilschlaufe des Gurts funktioniert. An der Steigklemme wird eine Trittschlinge befestigt, die so lange ist, dass ihr darin unter Höhengewinn aufstehen könnt. Im Bild zur Methode 5) weiter unten ist das gut zu sehen. Anschließend werden beide Klemmen abwechselnd hochgeschoben.

3) Steigklemme und Grigri oder Cinch

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Ralph Stöhr

Diese Methode eignet sich für alle, die schnell zwischen Aufstieg und Abseilen wechseln wollen. Grigri oder Cinch kommen wie zum Abseilen an die Anseilschlaufe des Gurts, oben kommt wieder eine Steigklemme mit Trittschlinge zum Einsatz. Die schiebt ihr hoch, steht auf und zieht dann das entstehende Schlappseil durch das Sicherungsgerät. Das geht besonders bequem, wenn ihr das unten aus dem Grigri oder Cinch laufende Seil durch einen Karabiner an der Steigklemme umlenkt (wie rechts im Bild), es klappt aber auch ohne die Umlenkung. Zum Abseilen wird die Steigklemme entlastet und dann einfach vom Seil genommen.

4) Steigklemme und Basic

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Ralph Stöhr

Das selbst mitlaufende Basic an der Anseilschlaufe des Gurts erlaubt in Kombination mit einer Steigklemme mit Trittschlinge einen besonders schnellen Aufstieg. Damit das Basic beim Aufstehen in der Trittschlinge automatisch hochgezogen wird, müsst ihr eine relativ kurze Schlinge über den Nacken legen und mit einem Karabiner in die obere Öse des Basics einhängen. Richtig gut funktioniert das nur, wenn das Seil entweder unten fixiert ist oder durch sein Eigengewicht gut durch das Basic läuft. Wenn ihr euch mit beiden Füßen in der Trittschlinge hochdrückt, wird diese Methode noch komfortabler.

5) Zwei Steigklemmen

KL Aufstieg amd Seil 6-10 mit Steigklemmen
Archiv Stöhr

Für lange Aufsteige an Fixseilen oder beim sogenannten "Cleanen" (Entfernen der Sicherungen oder Fortbewegungsmittel aus einer Seillänge) im Bigwall empfiehlt sich die Methode mit zwei Steigklemmen, die jeweils mit einer Trittschlinge verbunden sind und in denen abwechselnd höher gestiegen wird. Das geht mit etwas Übung sehr schnell.

Aus Sicherheitsgründen werden die Steigklemmen über gesonderte, kürzere Schlingen auch mit der Anseilschlaufe des Gurtes verbunden (das gilt auch für die Methoden 2 bis 4), außerdem kann in diesen Schlingen auch bequem geruht oder gearbeitet werden (wenn man zum Beispiel Keile entfertn). Knackpunkt für Kraft- und Zeitaufwand sind die Längen der diversen Schlingen. Ausführliches Testen und Einstellen lohnt sich.

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Vorsicht Falle!

Einbeinig oder mit beiden? So geht's besser.

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Ralph Stöhr

Wer mit nur einer richtigen Steigklemme aufsteigt, kann die Trittschlinge so einrichten, dass unten beide Füße nebeneinander in die (abgeknotete) Trittschlaufe passen. Das Hochdrücken mit beiden Beinen spart Kraft und geht schnell. Will man die gleiche Schlingen- und Schlaufenlänge mit einem Bein verwenden, empfiehlt es sich, das Band mit einem Ankerstich am Fuß zu befestigen. Dadurch wird es kürzer und rutscht nicht vom Schuh.

Auf Nummer Sicher

KL Steigklemme mit Schlinge an Gurt
Archiv Stöhr

- Die untere Öse der Steigklemmen immer mit einer Schlinge mit der Anseilschlaufe des Gurtes verbinden. Günstig zum Einstellen der Länge sind sogenannte Daisy Chains. Zur Verbindung Schraubkarabiner verwenden!

- Steigklemmen können versagen, wenn von oben kleine Gegenstände (z.B. Steine) hineinfallen und den Klemm-Mechanismus blockieren. Deshalb immer auf Redundanz achten (also zweite Klemme oder Prusikschlinge benutzen).

- Auch an vereisten Seilen können die Klemmen rutschen. Zum Aufstieg muss das Seil so gut es geht vom Eis befreit werden.

- Bei fixierten Seilen immer darauf achten, dass sie nicht über scharfe Kanten laufen! Falls unvermeidlich, muss das Seil unbedingt geschützt werden.

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07 / 2023

Erscheinungsdatum 06.06.2023