




Ein stiller, klarer Bergsee, eingebettet in Grün, dahinter ragen die wuchtigen Klötze des Hospizes St. Bernard auf – willkommen an der Wirkungsstätte eines der bekanntesten Hunde der Welt. Barry, Urvater aller Bernhardiner, soll hier oben, auf 2400 Meter Höhe, Anfang des 19. Jahrhunderts 40 Lawinenopfer gerettet haben. Das hartnäckige Gerücht, dass es für die gerade dem eiskalten Tod Entronnenen erst mal einen Schnaps aus einem Fässchen an Barrys Halsband gegeben habe, darf ruhig ins Reich der Legende verwiesen werden. Da ging 1820 die Fantasie mit einem Künstler durch, der seinem Bernhardiner ein Fässchen um den Hals malte. Andere haben den Marketing-Gag dankbar aufgegriffen. Heute ist das Zubehör kaum mehr wegzudenken. »Es gibt sogar Leute, die einen Bernhardiner ohne Fässchen gar nicht als solchen erkennen«, sagt Augustiner-Prior Jean-Marie Lovey und schmunzelt. Eine warme Suppe, geistlichen Beistand und ein Plätzchen zum Ausruhen aber, das durften die Geretteten wohl erwarten. Noch heute empfangen die Augustiner-Chorherren Wanderer und Radfahrer, die es aus eigener Kraft auf den Pass geschafft haben, bewirten sie mit einer warmen Mahlzeit und beherbergen sie gegen einen Obolus für eine Nacht im 1050 gegründeten Hospiz. Schon seit die Römer die Gegend erkundeten, ist der Große Sankt-Bernhard-Pass einer der Hauptübergänge der Alpen und verbindet die Gegend um die unterwallisische Stadt Martigny mit dem Piemont, genauer: dem italienischen Aosta-Tal. In diesen großen Höhen konnte und kann der Winter extrem unwirtlich werden, weswegen die Augustiner-Chorherren sich der Reisenden annahmen. Später stiegen sie in die Bernhardinerzucht ein und wandten sich intensiv der Rettung von Lawinenverschütteten zu. Heutzutage kommen die Wanderer aber gerne freiwillig, um die Gastfreundschaft der Chorherren zu genießen.
Die Top-Touren im Wallis:
»Einer der schönsten Wege führt von Norden her aus dem hintersten Teil des Ferret-Tals herauf«, verrät Chanoine José Mittaz, der Jüngste der Chorherren und selbst emsiger Berggänger. Zwei Tage braucht der Wanderer für Hin- und Rückweg. Aus der Felsszenerie, die dramatisch um Ferret herum in den blauen Himmel sticht, steigt er in den Talschluss auf. Dort, wo es scheinbar nicht weitergeht, spiegeln die Lacs de Fenêtre die Promis der Region wider: Der mächtige Montblanc erhebt sein weißes Haupt ebenso wie die Gipfelreihe der scharfgratigen Grandes Jorasses. Ganz hinten im Val Ferret sorgten zwischen 1995 und 1996 Wölfe für Wirbel, die wieder auftauchten, nachdem sie 100 Jahre zuvor ausgerottet wurden. Sie rissen Schafe und wurden zum Abschuss freigegeben. Auch der später eingerichtete Lehrpfad auf den Spuren des Wolfes ist inzwischen einem Murmeltier- und Eichhörnchen-Lehrpfad gewichen. Vom Wolf will man hier nichts wissen, seinen Nachfahren, den Bernhardinerhund, behält man hingegen gerne als Aushängeschild.

Der Namenspatron, der Heilige Sankt Bernhard, empfängt Wanderer als eherne Statue kurz vor dem Hospiz auf dem Pass. Noch ein paar Schritte, dann warten Quartier und eine Mahlzeit. Abseits vom Trubel der Reisebustouristen, die am benachbarten Hotel für einen kurzen Stopp halten, spürt man dem Hauch der bald tausendjährigen Geschichte des Hospizes nach. Und ja, der ein oder andere Bernhardiner kommt einem um das Hospiz herum auch entgegengetrabt.
Am nächsten Morgen kann man auf anderen historischen Spuren weiterwandern: auf einem Stück der Via Francigena, einer uralten Pilgerroute von Canterbury nach Rom, der lohnenden Alternative zum stark frequentierten Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Sie hält sich an die Route, die im Jahr 990 Sigerich, der Erzbischof von Canterbury, in seinem Tagebuch notierte. Er pilgerte damals nach Rom, um von Papst Johannes XV. das Pallium zu erhalten, eine Art Band, das um den Hals getragen als Zeichen für die Amtsgewalt als Bischof steht. Im Mittelalter, vor allem seit der Einführung des Heiligen Jahres im 13. Jahrhundert, entwickelte sich der Weg zu einer bekannten Pilgerroute. Heute ist wenig los, und man kann auf ihm in drei Tagen nach Martigny hinabwandern, statt nach Ferret zurückzukehren.
Pays du St-Bernard: Reiseinfos


Lage: Das Pays du Saint Bernard liegt im französischsprachigen Unterwallis, südlich von Martigny zwischen dem Grand Combin und dem Montblanc-Massiv. Nach Süden grenzt es an die italienische Region Aosta.
Beste Zeit: Touren am Mont Chemin wie auch entlang den Bisses (Wasserkanäle) sind zur Orchideen-Blüte Anfang Juni am schönsten. Auch ein Besuch der Schluchten ist dann wegen des hohen Wasserstandes am eindrucksvollsten. Die Tour du Val de Bagnes, das Fenêtre d’Arpette und die Lacs de Fenêtre sind Hochgebirgstouren und erst ab Juli begehbar. Am schönsten sind sie im Herbst.
Bücher: Wanderführer Unterwallis, Waeber/Steinbichler, Bergverlag Rother, 11,90 Euro; Barry – Die Hospizhunde vom Grossen Sankt Bernhard, I. Kürschner, AT-Verlag, 13,90 Euro; Alpinwandern Wallis, Bernhard R. Banzhaf, SAC Verlag, 32 Euro. Die Via Francigena steht in: Wanderland Schweiz, Highlights Kulturwege Schweiz, AT Verlag, 15,90 Euro. Der Führer Tour du Val de Bagnes von François Perraudin über die Tourismusbüros vor Ort, nur auf Französisch, 20 CHF.
Karten: Kümmerly + Frey, 1:60 000, Blatt 22, Grand-St-Bernard, 13 Euro oder MPA-Wanderkarte 1:50 000, Grand Saint-Bernard.
Infos: Wallis Tourismus, Tel. 0041/27/3273570, www.wallis.ch. Martigny Tourismus, Tel. 0041/27/7204949, www.martigny.com, Pays du St-Bernard, Tel. 0041/27/7833248, www.saint-bernard.ch. Verbier-Tourismus, Tel. 0041/27/7753888, www.verbier-st-bernard.ch, www.schweizmobil.ch; außerdem: www.wanderland.ch; www.valrando.ch, www.wandersite.ch; www.tourdescombins.ch; www.alptrekking.com; www.tourdusaintbernard.com
outdoor-Tipp: Besonders schön wandert es sich vom Hospiz auf der alten Rom-Pilgerroute nach Martigny. Infos: www.via-francigena.com





Auf der alten Rom-Pilgerroute nach Martigny






Gleich um die Ecke, zu Füßen der Burg von La Batiaz, befindet sich das ehrwürdige ehemalige Gasthaus »Grand Maison«, in dem von Napoleon bis Goethe ein jeder nächtigte, der Rang und Namen hatte.
Neben dem römischen Amphitheater liegt das »Musée et chiens du Saint-Bernard«. Hier ist ein Großteil der Bernhardiner untergebracht, denn inzwischen haben die Chorherren die Zucht auf die Barry-Stiftung übertragen. Nur der Tradition wegen verbringt ein Teil der Hunde weiterhin den Sommer auf dem Hospiz. Die übrigen Bernhardiner leben in einem Zwinger im Museum von Martigny und in der stadtnahen Bernhardinerzucht.
Die Top-Touren im Wallis:
Einen anderen guten Einstieg in das Land der Bernhardiner erlaubt der Mont Chemin. Der Berg schiebt sich zwischen Martigny und das Tal von Entremont. Oben um den Pass Col des Planches spendet einer der schönsten Lärchenwälder der Region im Sommer Schatten. Die Wiesen unter den bis zu 200 Jahre alten Bäumen werden im Frühjahr von Ästen und Laub befreit, eine mühsame Handarbeit, die sich jedoch lohnt. Denn nur durch die Kultivierung bleibt die Vielfalt erhalten. Im Mai blühen unzählige Orchideen. Wer dem ausgeschilderten Weg zum Col du Tronc folgt, wird mit einem Panorama über das grüne Rhônetal belohnt. Und wer noch höher hinaus will, macht einen Abstecher auf die 1808 Meter aufragende Crevasse. Fast überhängend stürzen die Flanken von ihrem Gipfel ins Bodenlose, und am Horizont blenden die vergletscherten Flanken von Mont Vélan und dem über 4300 Meter hohen Grand Combin.
Auf solche Gipfeltouren nimmt man einen Bernhardiner allerdings besser nicht mit. Die im Laufe der Jahrzehnte schwerer, größer und gemütlicher gewordenen Hunde taugen auch nicht mehr so richtig als Lawinensuchhunde. Den Job mussten sie an agilere Artgenossen wie den Deutschen Schäferhund abgeben. Als Bewegungsanimateure aber bringen sie Menschen nach wie vor in Schwung: Die Barry-Stiftung führt im Ferret-Tal winterliche Schlittentouren mit den »sanften Riesen« durch. Besonders reizvoll ist die Tour um den Lac de Champex.
Alpiner Übergang am Fenêtre d’Arpette






Sie macht mit einer Besonderheit der Gegend vertraut: den Bisses. Mit ihnen zapfen die Landwirte die Gletscherbäche an, um Felder an den Steilhängen zu bewässern. Überall in der Region plätschern sie zu Tal. Das vielleicht romantischste dieser uralten Wasserkanälchen begleitet Wanderer von Champex in das Hochtal von Arpette, um dessen lieblichen Talboden wilde Zinnen, Türme und Felsnadeln aufragen.
Die Top-Touren im Wallis:
Um den alpinen Übergang Fenêtre d’Arpette schneefrei begehen zu können, muss man meist bis Mitte Juli warten. Das Nadelöhr zum Trient-Gletscher bietet im Abstieg Richtung Pass Col de la Forclaz imposante Blicke auf haushoch wachsende Türme aus geborstenem Gletschereis und tiefe Spalten. Zuletzt aber schlendert man an der Bisse du Trient zum Pass und kehrt nach einer Nacht im Hotel dort auf einem Abschnitt der Montblanc-Runde über die Alp Bovine nach Champex zurück. An der Alpage de Bovine kommt man nicht so leicht vorbei, denn die Käsespezialitäten und Kuchen bei Michèle und Gérard Rouiller sind zu verlockend.
So lässt sich’s hier aushalten, wo einem oft ein Rudel Bernhardiner in Begleitung von Wanderern entgegenstromert, die Zungen aus dem Maul, die Nasen neugierig im Wind. Denn Barry hin, Schäferhund her – sie haben auch nach über 200 Jahren nichts von ihrer Anhänglichkeit an den Menschen verloren.