Wild, ja das sind sie, die Lechtaler Alpen. Ihre zerklüfteten Kämme und Zacken thronen über Steilflanken und Schotterhängen, die in schluchtenartige Täler abstürzen, dazwischen setzen sattgrüne Grasmatten und leuchtende Seenaugen sanfte Kontraste. Als südlicher Nachbar des vergleichsweise zahmen Allgäus erstreckt sich der markante Lechtaler Hauptkamm auf rund 70 Kilometern Länge und durchschnittlich etwa 20 Kilometern Breite zwischen Flexen- und Arlbergpass im Westen und dem nordöstlichen Zwischentoren-Tal im Tiroler Außerfern. Mit einer Fläche von knapp 1000 Quadratkilometern bildet das Massiv nicht nur die größte Gebirgsgruppe der Nördlichen Kalkalpen, sondern auch ihre höchste: Die Parseierspitze knackt hier als einziger Gipfel die Dreitausendermarke, zudem ragen fast 500 Berge über 2000 Meter weit auf.
Was das Gebiet jedoch zu etwas ganz Besonderem macht, lässt sich in Zahlen nicht ausdrücken: Wohl kaum eine andere aus den Talorten relativ leicht zu erreichende Alpenregion hat sich einen so urwüchsigen Charakter bewahrt. Bis auf wenige Randgebiete kaum erschlossen, beeindrucken die Lechtaler Alpen mit einer Hochgebirgslandschaft im Urzustand, deren oft kompromisslose Steilheit kaum menschliche Nutzung zulässt – von traumhaften Wanderungen abgesehen.
Die intensivste Möglichkeit, tief in diese unberührte Bergwelt einzudringen, bietet der Lechtaler Höhenweg. Er folgt dem Verlauf des Hauptkamms auf der West-Ost-Achse, dabei geht es meist in Lagen zwischen 2000 und 2500 Metern. Zwischen der Stuttgarter Hütte bei Zürs und der Anhalter Hütte nordwestlich von Imst stehen insgesamt 18 Etappen und einige Varianten zur Wahl, die komplette, mindestens 100 Kilometer lange Durchquerung dauert je nach Route zehn bis fünfzehn Tage. Das Schöne: Am Ende jedes Wegstücks warten gemütliche Berghütten mit Verbindungswegen ins Tal, die eine Tourenplanung ganz nach Gusto erlauben. Somit ist der Lechtaler Höhenweg auch ein lohnendes Ziel für ein verlängertes Wochenende.
Reisetipps für den Wanderurlaub in den Lechtaler Alpen
- Hinkommen: Von Stuttgart über die A8 nach Ulm, weiter auf der A7 bis Memmingen. Über die A96 bis zur Grenze bei Bregenz, dann auf der A14, S16 und der Arlbergstraße zum westlichen Eingang ins Lechtal. Alternativ der A7 über Kempten bis zum Grenztunnel Füssen/Vils folgen, dahinter auf der Fernpassstraße an Reutte vorbei und auf der B198 ins Lechtal.
- Herumkommen: Für den Rücktransport vom Wanderziel zum Ausgangspunkt nimmt man am besten den Bus. Fahrpläne: oebb.at und postbus.at
- Orientieren: Die Zustiege, Etappen und Varianten am Lechtaler Höhenweg sind zwar meist gut markiert, als Sicherheit gehört aber eine Wanderkarte ins Gepäck, zum Beispiel die Kompass Wanderkarte 24: Lechtaler Alpen – Hornbachkette, 2015, Maßstab 1:50.000, 7,95 Euro.
- Informieren: Etappenbeschreibungen samt detaillierter Übersichtskarten finden Sie auf lechtaler-hoehenweg.at, allgemeine Infos zur Region bieten z.B. die Internetportale lechtal.at und stantonamarlberg.com
- Beste Zeit: Die günstigsten Bedingungen herrschen von Mitte Juli bis Mitte September. Auch im Sommer muss noch vereinzelt mit Schneefeldern gerechnet werden.
- Anforderungen: Der oft hochalpine Steig führt an vielen Stellen entlang steiler Gras- und Schotterhänge sowie über drahtseilversicherte Passagen. Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Bergerfahrung sind also Voraussetzung, je nach Schneeverhältnissen gehören auf den anspruchsvollsten Etappen Pickel und Steigeisen ins Gepäck.
Eine Etappenübersicht findet ihr hier
Lechtaler Höhenweg: Unterwegs auf der Paradetour

Einer der eindrucksvollsten Abschnitte des Lechtaler Höhenwegs führt zwischen den Talorten Schnann und Grins in drei bis vier Tagen mitten durch das Herz des Gebirges. Schon der Auftakt ist ein echter Leckerbissen: Vom Stanzer Tal geht es zuerst zwischen den eng gewundenen Steilwänden der Schnanner Klamm hindurch, dann an der Seite eines rauschenden Wildbachs und durch schattigen Märchenwald empor. Beim Aufstieg in das Obergeschoss der Lechtaler Alpen lernen Wanderer gleich einen der prägenden Charakterzüge des Gebirges kennen; seine ganze Schönheit offenbart sich nur jenen, die gewillt sind, sich oft steile Höhenmeter hochzukämpfen.
Eine erste Gelegenheit zum Verschnaufen bietet die traumhaft auf einem Plateau gelegene Fritzhütte, die mit ein paar Metern in der Horizontalen und leckerer Hausmannskost verwöhnt. Nach dem Abschied von Gastwirt Herbert und seinen Hennen wird es wieder einsamer, bald lichten sich die Grünerlen und Latschen, weiter oben klettern ein paar Schafe mit beneidenswerter Leichtigkeit durch die steilen Wiesen unterhalb der Ansbacher Hütte, dem Etappenziel.

Die höchstgelegene Berghütte der Lechtaler Alpen thront auf 2376 Metern unterhalb der Samspitze (2624 m), wem die bisherigen gut 1200 Höhenmeter noch nicht reichen, der steigt in zirka 45 Minuten weiter zum Gipfel auf. Heute jedoch begnügen sich die meisten Ankömmlinge mit dem Prachtblick von der Terrasse – es bietet sich eine Rundschau über ein Gipfelmeer, das der Hohe Riffler (3168 m) beherrscht. Die Gletscher des Regenten der Verwallgruppe funkeln in der Abendsonne, dann wird es Zeit, sich einem anderen Berg zu widmen: dem der Kässpätzle, die sich auf dem Teller auftürmen.
Am nächsten Morgen umwehen Nebelschleier die Bergzacken, die Luft ist feucht von leichtem Nieselregen. Es herrscht eine zögerliche Stimmung – einige der Gäste haben den auch bei optimalen Bedingungen sehr anspruchsvollen Augsburger Höhenweg vor, der in acht bis zehn Stunden direkt zur Augsburger Hütte (2298 m) herüberzieht. Weniger schwierig leitet die Hauptstrecke des Lechtaler Höhenwegs zur Memminger Hütte (2242 m) weiter. Die Wetterprognose verspricht Besserung, und auch Hüttenwirt Markus hat keine Bedenken: »Das geht schon. Nur hinter dem Parseiertal werden die Wege etwas ungemütlich, wenn es nass ist. Bei rutschigen Stellen muss man da aufpassen.«
Nach dem steilen Zustieg vom Vortag startet die zweite Etappe entspannter: Der Pfad zieht sich sanft steigend durch Grasflanken und Schotterhänge, jenseits der Kopfscharte öffnet sich der Blick zur Vorderseespitze, Feuerspitze und Fallenbacherspitze, die geheimnisvoll aus den Wolken ragen.

Beim passend benannten Winterjoch müssen Wanderer auch im Sommer oft kurz durch Schnee stapfen und am höchsten Punkt der Etappe auf 2623 Metern erstmals beherzt zugreifen: Die Markierung weist in die Grießlscharte, durch die es am Draht entlang hinabgeht.
Auf dem Abstieg ins tief eingeschnittene Tal geht das Felsengrau allmählich wieder in Grasgrün über, passend zum Szenenwechsel brechen nun auch die Sonnenstrahlen durch die Wolken. Unten glitzert der gurgelnde Parseierbach, die mit rund 1700 Metern tiefste Stelle des Lechtaler Höhenwegs. Dahinter mahnt der Wegweiser: »Nur für Geübte« und schickt den Wanderer in die stark abschüssigen Bärenpleishänge. Hüttenwirt Markus behält recht: Wer seine Tritte auf dem noch feuchten Saumpfad nicht mit Bedacht setzt, riskiert eine Rutschpartie Richtung Tal.
Rund 500 Meter höher ist der Aufstieg vorbei – und die Bergeinsamkeit auch: Die malerisch am Unteren Seewisee gelegene Memminger Hütte bildet den wichtigsten Stützpunkt des Gebirges, auch die Alpenquerung von Oberstdorf nach Meran macht hier Station. Die Nachbarn scheint der Trubel nicht zu stören: Nicht nur Murmeltiere fühlen sich hier wohl, sondern auch eine stattliche Herde Steinböcke. Nur einen Steinwurf entfernt äsen sie gelassen im Licht der tiefstehenden Sonne.
Dass auch Wanderer hier oben eine Mahlzeit und ein Nachtlager finden, ist der Initiative Anton Spiehlers zu verdanken. Dem Sektionsvorsitzenden des Memminger Alpenvereins standen zwar nur neun Pfennige statt der veranschlagten 4000 Mark Baukosten zur Verfügung, doch dank seiner guten Beziehungen zur bergbegeisterten Königin Marie von Bayern gelang die Finanzierung, 1886 wurde die Hütte eröffnet.
Zu Ehren Spiehlers, der als maßgeblicher Erschließer der Lechtaler Alpen gilt, trägt der Übergang zur Augsburger Hütte seinen Namen. Eine würdige Hommage, denn der Spiehlerweg glänzt mit großem Landschaftskino und spannender Streckenführung.

Die abenteuerlichste Passage wartet gegen Ende: der luftige Aufstieg zur Patrolscharte (2846 m). »Das sieht sicher wilder aus, als es ist«, meinte der unerschrockene Mitwanderer, und seine Einschätzung stimmt: Je näher man der rauen Schrofenwand kommt, desto weniger bedrohlich wirkt sie. Nach einer guten Stunde kann man sich oben über die vollbrachte Leistung freuen und den Blick auf der anderen Seite ins Stanzer Tal schweifen lassen. Dorthin geht es an der urigen Augsburger Hütte vorbei hinab. Steil und wild natürlich, denn auch beim Abstieg zurück in die Zivilisation bleiben die Lechtaler Alpen ihrem Charakter treu.
Unterkünfte in den Lechtaler Alpen
Am Weg: Alle Etappen des Lechtaler Höhenwegs enden an einer von insgesamt dreizehn bewirtschafteten Hütten. Eine Übersicht samt Kontaktadressen, Öffnungszeiten und Zustiegswegen: lechtaler-hoehenweg.at
Fritzhütte: Wer dem hier vorgestellten Abschnitt von der Ansbacher Hütte aus folgt, muss zum Auftakt rund 1200 Höhenmeter hinauf. Gemütlichere Alternative: Schon am Anreisetag in rund anderthalb Stunden zur Fritzhütte auf halbem Weg aufsteigen. Übernachtungen kosten ab 18 Euro/Person. fritzhuette.at
Himmlhof: Sie möchten vor oder nach dem Trekking richtig entspannen? Der Himmlhof in St. Anton wird seinem Namen gerecht: Die gemütlichen Zimmer verfügen teils über einen eigenen Kachelofen oder eine offene Feuerstelle, im Relax- und Spa- Bereich locken u. a. eine finnische Sauna und ein Aroma-Dampfbad. Doppelzimmer gibt es ab 61 Euro/Person. himmlhof.com
Gastronomie in den Lechtaler Alpen
Genuss auf der Alm: Mit über 40 urigen Holzhütten bildet Fallerschein bei Stanzach das größte Almdorf Tirols. Der Ausflug lohnt nicht nur der Idylle wegen: Hervorragende Hausmannskost gibt es in Michls Fallerscheiner Stube. alpe-fallerschein.com
Spanische Häppchen: Wem der Sinn mal nach etwas anderem als Tiroler Regionalkost steht, der findet in der St. Antoner Dorfstraße eine leckere südländische Alternative: die Bodega Bar, die mit authentischen Tapas, einer gut sortierten Weinkarte und geselliger Atmosphäre lockt.
Tipps von Reiseautor Niko Dohmen
Sicher: Den legendären Augsburger Höhenweg sollten nur sehr erfahrene Alpinisten ohne Guide gehen. Professionelle Begleitung bietet z. B. die Bergschule Hinterstein in Gramais an (hinterstein.at). Tagestouren ab 198 Euro.
Historisch: Der Arlberg gilt als Wiege des alpinen Skilaufs. Das St.Antoner Heimatmuseum in der Villa Trier informiert über die Entwicklung des Sports und die Geschichte des Ortes. Rudi-Matt-Weg 10.
Luftig: Die 110 Meter hohe Hängebrücke über der Höhenbachschlucht zählt mit 200 Metern Spannweite zu den längsten Österreichs. Von Holzgau aus erreicht man sie auf leichtem Weg in zirka 30 Minuten.