Was wären wir ohne Herausforderungen? Als Online-Redakteur von outdoor stehe ich zwar im Verdacht, Abenteuer eher im virtuellen als im physischen Raum zu bestehen. Aber ich habe Glück und bin zu einer ungewöhnlichen Geburtstagsfeier eingeladen: Die Firma Mammut begeht ihr 150. Jubiläum mit dem Peak Project, einer groß angelegten Aktion, bei der sie weltweit 150 Seilschaften dabei unterstützt, auf 150 Wunschgipfel zu kommen. Das outdoor-Team möchte zu den Drei Zinnen. Kaum eine Gebirgsformation in den Alpen ist markanter als diese so oft fotografierte Gruppe von Felsnadeln in den Sextener Dolomiten bei Toblach. Die mittlere Nadel ragt am höchsten auf: die Große Zinne, 2999 Meter hoch. Auf ihren Gipfel wollen wir. Selbst wenn es über den leichtesten Weg hinaufgehen soll, bedeutet das Vorhaben mitunter Klettern bis in den dritten alpinen Grad, also mit kräftigem Armeinsatz. Geübte Bergsteiger schaffen die Tour vielleicht auch ohne Sicherung, unsere Gruppen aber werden am Seil der Bergführer aufsteigen. Und für den Rückweg steht Abseilen auf dem Programm, das Ganze mit einer gehörigen Portion Luft unter dem Hintern.
Vier outdoor-Leser schafften es via Online-Bewerbung ins Team: Ulrich Früh, Andre Zingerling, Suzana Ljubisavljevic und Karin Gillhuber, alle mit mehr oder weniger großer Erfahrung aus der Kletterhalle und von verschiedenen Bergtouren her. Dazu ich, der Kletterneuling, der von Knoten, Vorstieg und Abseilen so gut wie nichts versteht. Da beruhigt es, dass drei Bergführer von der Südtiroler Bergführerschule Catores mitkommen. Von Toblach aus starten wir am Samstagmorgen über die mautpflichtige Passstraße durch den Naturpark Drei Zinnen zur Auronzohütte – einer idealen Basis für Touren auf und um die Drei Zinnen. Oder auf den benachbarten Paternkofel, der bei Bergwanderern und Klettersteiggehern als ein ebenso attraktives Ziel gilt wie die Tre Cime di Lavaredo, wie der Gebirgsstock im Italienischen heißt.
Die Dolomitengipfel schimmern golden in der Morgensonne

Die Kulisse überwältigt, die Fernsicht ist gigantisch. In den zwanzig Minuten von der Hütte bis zur Einstiegsstelle an der Südwand der Großen Zinne auf 2560 Meter Höhe bleibt noch Zeit, um zu plaudern und etwas über die Südtiroler Bergwelt zu erfahren. Dabei erzählen uns die drei Bergführer Flavio, Hubert und Lucas, dass sie die Zinnen zwar gut kennen, aber eigentlich aus dem Grödner Tal stammen und daher öfter am noch etwas höheren Langkofel auf Tour gehen.
Doch im Rahmen des Mammut Peak Projects auf die Zinne zu steigen – darauf freuen sich auch die Profis. Wir stellen Fragen, viele Fragen, vielleicht einige mehr als vor einer harmloseren Unternehmung. Wie lange seid ihr schon Bergführer? Wie oft wart ihr schon oben auf der Zinne? Wie lange wird der Aufstieg dauern? Das Wetter sieht doch gut aus, oder? Ob uns unsere Nervosität anzumerken ist? Obwohl Uli, Suzana, Andre und Karin schon Bergerfahrung haben, ist auch für diese vier eine Tour auf die Große Zinne neu und aufregend.

Bergführer Hubert beruhigt: »Wir waren schon ein paar Mal oben auf der Zinne. Ist eine schöne Kletterei! Ganz einfach. Ihr packt das schon.« Der Einstieg ist erreicht. Steil geht es los, über Felsen und Rinnen in der Tat nicht allzu schwer, meist nicht viel anspruchsvoller als andere hochalpine Wege. »Die größte Gefahr geht vom Steinschlag aus«, erklärt Hubert. »Wenn viele Seilschaften unterwegs sind hier oben, dann kann sich schon mal der ein oder andere Felsbrocken lösen. Also immer schauen, wo ihr auftretet.« Nicht ganz so einfach, wenn man neben dem Klettern und Festklammern noch die atemberaubende Landschaft aus bleichen Zacken und schroffen Graten genießen will. Immer wieder erweist sich der Fels als brüchig und glatt, das Terrain ist steil. Doch wer wie ich wenigstens schon auf Klettersteigen unterwegs war, kommt auf dem ersten Teil der Strecke gut durch – bis zum senkrechten Kamin. Spätestens hier wäre die Tour für mich wahrscheinlich beendet gewesen.
Mit etwas Mut und Hilfe der erfahrenen Bergsteiger im Team lässt sich jedoch auch diese Stelle meistern. Zwar fühlt sich der kalte, dunkle Fels in der Scharte nicht gerade einladend an, doch mit vollem Körpereinsatz und unter Überwindung des inneren Schweinehundes schiebe ich mich langsam nach oben. Hände und Füße presse ich an die glatten Wände des engen Kamins. Kaum Grip, die Sohlen rutschen immer wieder ab. Ich wage einen Blick nach unten, er reicht weniger tief als befürchtet, aber ein bisschen mulmig ist mir schon. Immer wieder wandert mein Blick von den Felsen zum Seil, das mich mit dem Bergführer verbindet. Der bleibt zwar in diesem Terrain durch das Vorausklettern und Sichern meist außer Sichtweite, aber ein gelegentliches »Ok« oder »könnt weiter« beruhigt ungemein und verleiht neue Kräfte. Nach einigen Minuten ist die dunkle Spalte schließlich bezwungen. Der freie Blick auf die Kleine Zinne rechts von uns entschädigt für die Strapazen des Aufstiegs durch die enge Rinne. Von hier aus ist der Gipfel quasi nur noch einen Katzensprung entfernt. Das Ganze hat jetzt gute drei Stunden gedauert! Und wären wie üblich mehr Seilschaften unterwegs gewesen, hätten wir für den Aufstieg wahrscheinlich länger gebraucht. Nicht so an diesem Samstag Ende September. Gegen halb zwölf erreichen wir den Gipfel und müssen ihn mit niemandem teilen. Ab und zu hüllen uns ein paar Wölkchen ein, aber so schnell sie kommen, so schnell ziehen sie auch wieder weiter. Wir nehmen vom Südtiroler Speck auf dem Vesperbrettchen und genießen den Rundumblick. Wolkenschleier ziehen über den klaren blauen Himmel, Wattewolkenbäusche hängen an den schartigen Gipfeln, die aber auch schon weit unter uns im hellen Sonnenlicht baden. Erster Schnee schimmert auf den Bergen in der Ferne, eine Ahnung von Winter liegt in der Luft.

Ein Wahnsinnsgefühl, hier oben zu stehen!
Wir haben unseren Part erfüllt, jetzt sind die anderen 149 Teams dran. Doch ganz so einfach ist es nicht – runter müssen wir schließlich auch noch. Gerade schiebe ich mir ein weiteres Stück Speck in den Mund, als ich bemerke, wie sich die anderen hinter mir zum gemeinsamen Foto am Gipfelkreuz formieren. Ich stelle mich zu ihnen. Noch ein Sprung in die Luft, dann ist auch die Dreitausender-Marke geknackt. Die Bergführer drängen zum Aufbruch: »Pack mer's an! Wir seilen euch jetzt immer wieder mal ab! So geht es am schnellsten wieder nach unten.« Abseilen. Bei dem Gedanken werde ich ein wenig unruhig. Aber es heißt jetzt wohl »Augen zu und durch« – das Seil wird schon halten. Vertrauen ins Material ist beim Weg hinunter alles.

Hubert seilt Andre und mich an den gefährlichsten Stellen routiniert ab, die anderen folgen mit den beiden übrigen Bergführern wie beim Aufstieg in Dreiergruppen. Für Fotograf Andy allerdings keine leichte Aufgabe; er muss aufpassen, dass seine Kamera nicht gegen das harte Dolomitgestein donnert. Drei Stunden später stehen wir unbeschadet am Ausgangspunkt der Tour, in der Scharte zwischen Großer und Kleiner Zinne. Kein Steinschlag hat uns erwischt, niemand ist gestürzt. Die Wanderer, die vom Gipfel aus nur als kleine Punkte auf den Wegen rund um die Zinnen zu erkennen waren, verwandeln sich von hier an wieder in Menschen aus Fleisch und Blut, mit bunten Rucksäcken auf dem Rücken und Sonnenbrillen im Gesicht. In Scharen schwirren sie jetzt am Nachmittag um die Drei Zinnen. Einige haben ihre Jacken ausgezogen und in den Rucksack gepackt oder einfach hintendrauf geschnallt. Wir halten es genauso an diesem strahlend schönen Spätherbsttag, den wir gemütlich auf der Sonnenterrasse der Lavaredo-Hütte ausklingen lassen.
Das Fazit der Tour bei einem wohlverdienten Abschluss-Bier: Die Cima Grande ist und bleibt ein faszinierender Berg, den auch Nicht-Kletterer unter Anleitung eines erfahrenen Bergführers einmal im Leben in Angriff nehmen sollten. Für die vier glücklichen Teilnehmer des Mammut Peak Projects ist er wohl der schönste Gipfel der Alpen überhaupt. Teammitglied Andre sagt: »Ich liebe es, in den Bergen unterwegs zu sein. Jedes Jahr bin ich in den Alpen und öfter mal im Elbsandstein. Aber so cool wie auf der Großen Zinne war es noch nirgends!« Uli sieht es ähnlich: »Dieser Event war rundum gelungen und definitiv ein Highlight in meinem Leben. Jetzt treibt es mich an, die anderen Zinnengipfel auf dem Normalweg zu absolvieren, damit ich die Trilogie vollende.« Auch für mich war das Mammut Peak Project 2012 trotz »Normalweg« ein Outdoor-Abenteuer der besonderen Art. Und da sage noch einer, wir Onliner würden nur am Laptop hängen. Ab und zu kommen wir eben doch mal raus. Und dann gleich ganz groß.
Video zur Tour:
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