Im Jahr 1972 veröffentlichte der Club of Rome, ein internationaler Expertenzusammenschluss, unter dem Titel »Die Grenzen des Wachstums« (Limits to Growth) einen ausführlichen Bericht zur Lage der Menschheit. Und warnt darin: »Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unvermindert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.« Nie stiegen der globale Ressourcenverbrauch und das Wirtschaftswachstum schneller als seither.
outdoor: Wie wurde »Die Grenzen des Wachstums« 1972 wahrgenommen?
Frank Trentmann: Als Riesenerfolg. Es verkauften sich hunderttausende Exemplare von »Grenzen des Wachstums« – ein Bestseller! Vor allem wurde der Bericht bei Weitem nicht nur in sowieso schon konsum- und kapitalismuskritischen Ecken rezipiert. Zu den Teilnehmern des Clubs gehörten neben den Wissenschaftlern auch Großindustrielle, die das Projekt finanziell gefördert haben. Also hat auch die Wirtschaft das Ergebnis reflektiert. Aber unterm Strich muss man leider ganz nüchtern sagen, dass das Ganze sehr schnell verpufft ist und der Club of Rome nichts an der Wachstumsentwicklung verändert hat. Wenn wir uns als Beispiel die Geschichte des autofreien Sonntags im deutschsprachigen Raum angucken: Das ist nach hinten losgegangen. Selbst in den 70er Jahren sind mehr Leute zu den Autoshows gefahren, als sich aufs Fahrrad zu setzen und einfach mal andere Mobilität zu praktizieren.
Wie hat sich unser Konsumverhalten in den letzten 50 Jahren verändert?
Viel getan hat sich natürlich bei der Mobilität. Schon zwischen Mitte der 60er und Ende der 70er Jahre hat sich die Anzahl der Pkw in Deutschland verdoppelt, und wenn wir uns den touristischen Reiseverkehr anschauen, sind die 70er Jahre diejenigen, in denen die billige Charter-Pauschaltour in den sonnigen Süden ihren Durchbruch hat. Und etwas ganz anderes, das viele Leute im Gegensatz zu Schuhkäufen oder Unterhaltungselektronik beim Stichwort Konsum nicht bedenken, ist der immens gestiegene Komfort zu Hause.
Was meinen Sie konkret?
In den letzten 50 Jahren sind Zentralheizungen selbstverständlich geworden. Vorher hatten Schlafzimmer meist keine Heizung, und in Wohnräumen lag die Durchschnittstemperatur hier in England bei 15 Grad. Hinzu kommt Warmwasser: Es setzte sich durch, dank Boilern oder kommunaler Liefersysteme jederzeit warmes Wasser zu haben. In Hamburg beispielsweise ermunterten in den frühen 70ern die städtischen Elektrizitätswerke in einer Riesenkampagne die Leute zum häufigeren Duschen und Baden – am besten täglich, wie es heute in der westlichen Welt verbreitet ist. Zuvor hatte der Großteil der Bevölkerung einmal in der Woche gebadet, und das Badewasser nutzte oft nicht nur eine Person. Auch steht heute in fast jedem Haushalt eine Waschmaschine, die oft mit kaum verdrecktem Inhalt läuft. Solche Veränderungen haben natürlich riesige Auswirkungen auf den Energieverbrauch und Emissionen.
Und was ist mit unserem Kaufverhalten?
Seit 1972 hat sich laut Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Co-Vorsitzender des Club of Rome International, nicht nur die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, sondern zugleich der Konsum mehr als verzehnfacht. Da spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Viele Experten zeigen sofort mit dem Finger auf die Werbung und auf große Firmen, und natürlich ist da auch etwas dran. Aber in Relation zum Bruttosozialprodukt wurde in den 1920er Jahren genauso viel geworben wie heutzutage. Eine entscheidende Sache für das Wachstum in der westlichen Welt ist eine Wertehaltung, die bereits im 17. Jahrhundert aufkam: Neu ist gut. Neue Sachen sind besser als alte Sachen. Die ständige Suche nach neuer Mode, neuen Rezepten, neuen Haarschnitten und so weiter besitzt eine Eigendynamik, die sich seit den 1950er, 60er Jahren extrem beschleunigt hat.

Das Wirtschaftswunder lässt grüßen?
Anfangs ja. Und natürlich spielen neben dem gewachsenen Angebot die Preise eine wichtige Rolle. Der ganz große Wechsel kam dann mit der letzten Generation: Heute werden Hosen, Jacken und Kleider nicht mehr alle fünf oder sechs Jahre erneuert, sondern schon nach ein oder zwei Jahren. Die Globalisierung hat die Kosten von Kleidung extrem heruntergeschraubt. So sehr, dass es sich oft ökonomisch nicht lohnt, Kaputtes auszubessern. Hinzu kommt noch ein zentraler Faktor: Wir wollen uns ständig selbst erneuern. Der Konsum ist zentral für das eigene Selbstbild. Gesellschaftliche Bindung und Identitäten haben sich ein bisschen verflüssigt in der letzten Generation. Menschen bleiben kaum noch ihr ganzes Leben an einem Arbeitsplatz, Ehen halten nicht mehr so lange, und damit geht die ständige Suche nach einem neuen Ich einher. Man sucht nach neuen Kleidungsstücken und Accessoires, um sich neu auszudrücken.
Aber es gilt doch inzwischen als Trend, mit kaputten Dingen Repair Cafés aufzusuchen. Auch in der Outdoor-Branche wird zunehmend betont, wie wichtig es ist, dass die Sachen lange halten, und zumindest hier in Deutschland bieten immer mehr Hersteller Reparatur-Services an.
Schön und gut, aber das sind momentan winzige Nischen. Reparaturcafés haben sich verdoppelt und verdreifacht, aber von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend. Und vor allem darf man nicht davon ausgehen, dass die Reparaturmaßnahmen eine Bremse für den Konsum sind. Historisch betrachtet geht beides Hand in Hand. So haben etwa DIY und Heimwerkertum dazu geführt, dass mehr Menschen Bohrmaschinen und ständig neue Tapeten kaufen.
Was ist mit der viel propagierten Besinnung auf weniger? »All you need is less« von Niko Paech, die Aufräum-Bücher der Japanerin Marie Kondo: Es gibt zahlreiche Sachbücher und Ratgeber, die uns versprechen, mit weniger Besitz glücklicher zu sein. Und umweltfreundlicher zu leben.
Zunächst ist dieses Genre selber Teil einer Konsumwelle. Zweitens sehe ich den Grundfehler bei diesen Ratgebern darin, dass sie Wandel auf den einzelnen schieben. Nach dem Motto, wenn du erst mal deinen Kleiderschrank organisiert hast, wird die Welt eine bessere. Aber wie die Welt um uns herum tickt, wie der Alltag organisiert ist, wie Städte funktionieren, das ist kein Resultat solcher Abspeckmaßnahmen von dir und mir.
Mir persönlich geht es aber vielleicht besser, wenn ich überflüssiges Zeug aussortiere und weniger Neues kaufe.
Klar, aber die Welt ändert es nicht. Wenn Greta Thunberg lediglich ihren Kleiderschrank ausgemistet hätte, statt zum großen Protest zu animieren, dann gäbe es heute keine Fridays-for-Future-Bewegung.
Was halten Sie grundsätzlich von der sogenannten Sharing Economy?
Viel. Teilen statt kaufen spart Geld und Ressourcen. Das Prinzip ist auch deutlich älter, als viele Zeitgenossen wahrnehmen. Bibliotheken, Schwimmbäder, Sportplätze, öffentlicher Verkehr: All dies und viel mehr bedeutet Teilen, und solche Einrichtungen hat man im späten 19. Jahrhundert stark gefördert. Unser Problem heute ist, dass viele Teile dieser alten Sharing Economy weggekürzt wurden und vieles nun in den Händen kommerzieller Anbieter liegt.
Vor etwa zehn Jahren hat der Nachhaltigkeitsbegriff die Shopping-Welt erreicht. Verstehen das zu viele von uns als Freifahrtsschein für weiterhin ungehemmtes Einkaufen?
Da kommt es auf den individuellen Konsumenten an. Sicher wollen die meisten von uns kein schlechtes Gewissen beim Einkauf, haben aber sehr oft eins. Grüne Produkte verkleinern es. Mit sogenanntem grünem Konsum möchten viele auch zeigen, wie verantwortungsvoll sie handeln. Nichtsdestotrotz bleibt es natürlich für Umwelt und Klima gut, wenn man Ökostrom bezieht, Lebensmittel saisonal und regional kauft oder Kleidung aus fairer Produktion. Mein Tipp: Genau hinschauen und sich weder von Greenwashing blenden noch von ökologisch-sozial korrekten Produkten zum unnötigen Kaufrausch verführen lassen. Interessant für die deutsche Debatte erscheint mir übrigens, dass ausgerechnet die großen Discounter eigene Standards und Kriterien für eine bessere Tierhaltung entwickelt haben. Nicht etwa die Politik.
Ist Ihnen bei Ihrer Forschung auch mal Wanderausstattung untergekommen, sagen wir von vor 50 Jahren?
Nein, ich habe nur als beobachtender Wanderer Berghütten besucht. Neue Kunststoffe sind schon eine gute Idee bei Wind und Wetter. Auf der anderen Seite lassen sich ordentlich vernähte Wanderstiefel alter Qualität nicht durch geklebte Goretex-Modelle ersetzen – aber das ist nur meine persönliche Meinung.
Wie lautet Ihr persönlicher Konsumtipp für Outdoor-Freunde?
Genießen Sie die Natur und die Erinnerung an Ihre Touren! Aber vergessen Sie nicht, dass Ihr Weg zu vielen Wanderzielen auch Teil des Konsumproblems ist.
Und zum Abschluss ganz simpel: Was ist guter Konsum in Ihren Augen?
Die Dinge, die wir haben, bewusst und intensiv genießen.
Frank Trentmann – Konsumhistoriker
