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Interview mit Thomas Dauser
Thomas, du hast The Essential (11) im sechsten (!) Versuch des Tages geklettert. Wie kommt man zu einer solchen Substanz? Oder bist du immer ganz unten rausgefallen?
Nee, ich bin vier mal am letzten schweren Zug gefallen. Da habe ich auch gedacht, das gibt‘s nicht! Das kann auf jeden Fall nicht das Limit sein (lacht). Vielleicht hat mir die Route einfach gelegen. Substanz kommt natürlich auch vom vielen Klettern. Ich mag es, viele Züge am Stück zu machen, und klettere mittlerweile ja schon ein paar Jahre.
Du hast schon als Kind das Klettern entdeckt?
Als ich so 10 Jahre alt war, was fürs Klettern ein vernünftiges Alter ist, habe ich richtig angefangen. Und nicht mehr aufgehört. Zunächst bin ich draußen geklettert. Ich komme aus dem Altmühltal, die Felsen waren nur 15 Minuten entfernt. Dort konnte ich schön Platten klettern, da lernt man auch, richtig auf den Füßen zu stehen.

Was war die krasseste Aktion in deinem Kletterleben?
Zum Glück hatte ich noch keine heikle Situation, wo man sagt: puh, nochmal Glück gehabt. Da bin ich auch ganz froh darüber. Denn wenn man in den Bergen unterwegs ist, kann immer mal was Unvorhergesehenes passieren. Am krassesten war für mich sicher der Trip nach Patagonien letzten Februar. Wenn man von einem abgelegenen Ort aus erst einmal zwei Tage zum Berg unterwegs ist, das ist nochmal ganz was anderes.
Wie war der Trip?
Wir hatten grobe Pläne, was wir machen wollten, vom absoluten Wunschtraum bis zu was Realistischerem. Aber am Ende haben wir vor Ort nach den Verhältnissen geschaut. Da ist man im Hostel und wartet darauf, dass irgendwann das Wetter gut wird. Und wenn sich ein Wetterfenster abzeichnet, macht man ganz panisch Pläne und diskutiert mit den anderen Kletterern. Man weiß ja nicht genau, wie der Wind war, wieviel Schnee liegt und welche Ausrichtung am besten ist. In Patagonien ist schnell viel vereist. Und wenn man felsklettern will, dann ist das eine große Diskussion, welche Route man wohl am besten machen könnte. Irgendwann entscheidet man sich für etwas und läuft los. Und das ist anders als in den Alpen. Der Zustieg ist weiter. Da ist man locker mal sechs, sieben Stunden unterwegs, schlägt dann sein Basecamp auf und startet von da am nächsten Tag. Wenn man dann feststellt, dass die Bedingungen doch nicht so gut sind, war‘s das halt für dieses Wetterfenster – das womöglich das einzige ist, das man während der ganzen Reise hat.
Ist dir das passiert?
Nein (lacht).

Was habt ihr gemacht, habt ihr eure Pläne umsetzen können?
Der Fitz Roy war für uns absolut spannend und einfacher erreichbar als der Cerro Torre, deshalb wollten wir definitiv dort klettern. Am Anfang haben wir versucht, den Fitz Roy in einer wahnsinnigen Aktion und ohne Gebietserfahrung gleich mal als allererste Tour zu besteigen. Einfach, weil die Route, die Californiana, nicht so lang ist. Aber der Zustieg dauert zwei Tage, geht über 400 Meter Eisfeld, und dann kommt noch eine schwere Querung, bis man dann viele Stunden später am Einstieg steht – das macht es doch noch einmal anders. Da sind wir nicht auf den Gipfel gekommen, da ganz oben zuviel Schnee lag, und haben gelernt, in Patagonien umzudrehen. Das hieß dann, eigene Stände zu bauen, weil es keine eingerichtete Abseilpiste gibt. Das war eine spannende Unternehmung.
Habt ihr euer Wunschziel erreicht?
Halbwegs. Wir waren nicht auf dem Gipfel des Fitz Roy, da haben wir uns explizit dagegen entschieden bei der letzten Tour. Wir wollten die Mate, Porro y Todo lo Demás klettern, die führt auf den Nordpfeiler, den Pilar Goretta. Von dort zum Gipfel sind es dann nur noch fünf Seillängen, aber da hängt extrem viel Eis, das bei gutem Wetter schmilzt und runterfällt. Daher war uns vorher klar, wenn wir am Nordpfeiler klettern, dass uns der obere Teil zum Gipfel zu gefährlich ist. Das macht vielleicht ein Alex Honnold und Tommy Caldwell, die sind ja da lang, aber wir machen das nicht (lacht). Das war es uns nicht wert. Und wir haben gesehen, wie das Eis da heruntergestürzt ist. Also haben wir uns am Ende für die meiner Meinung nach bessere Kletterei entschieden und dagegen, auf dem Gipfel zu stehen. Am Ende waren wir auf der Schulter des Fitz Roy. Mate, Porro y Todo lo Demás war die beste Tour, die wir machen konnten: eine Zwei-Tages-Tour in Patagonien, die über 900 Meter perfekten Rissen folgt. Das ist für mich mehr wert, als nachher auf dem Gipfel zu stehen über eine leichtere Route mit mehr Eis. Dafür bin ich einfach zu sehr Felskletterer (lacht). Über zwei Tage einen wilden Granitpfeiler klettern, das war supercool und genau das, was wir gesucht hatten.

Du betreibst fast alle Bergsportarten. Welche ist deine liebste?
Im Prinzip mache ich alles gern. Schwere, steile, lange, überhängende Sachen im Fels, das ist mir am liebsten. Da kann mal Eis dazugehören oder mal ein schwieriger Grat auf den Gipfel wie am Mont Blanc, das ist auch genial. Aber ich bin grundsätzlich schon im Felsklettern zu Hause, auch an hohen Bergen, wo dann mit Zustieg, Abstieg und Co. halt noch andere Komponenten dazukommen. Im Winter fahre ich auch gerne Ski. Im Sommer gehe ich gern Alpinklettern und würde das immer dem Bouldern zum Beispiel in Südafrika vorziehen, auch wenn ich gern mal bouldere. Sonst bin ich gern sportklettern hier in Franken oder im Frühjahr oder Herbst auch mal in Spanien oder Italien. Wenn ich mehr Zeit hätte, monatelang in hohen Wänden rumzuhängen, dann wär ich wahrscheinlich öfter so platt, dass ich dann lieber bouldern gehen würde.
Bereust du, einen Vollzeitjob zu haben und kein Profi zu sein?
Nein. Das Klettern professionell zu betreiben und sonst nicht zu arbeiten, diese Frage hat sich mir nie gestellt. Ich bin froh um den Ausgleich. Manchmal würde ich es gern fifty-fifty aufteilen, was nicht so einfach möglich ist. Aber ich habe in meinem aktuellen Job noch genug Zeit, um die Sachen zu machen, die ich machen will. Außerdem macht mir die Wissenschaft auch viel Spaß.

Was genau machst du als Astrophysiker?
Ich versuche, mehr über Schwarze Löcher herauszufinden. Unsere Forschungsgruppe untersucht die Entwicklung des Universums, die Bildung von Galaxien und welche Rolle Schwarze Löcher dabei spielen. Wir können ja nicht in diese Schwarzen Löcher hineinschauen, sondern studieren die Lage indirekt über das heiße Gas, das sich außerhalb befindet. Da gibt es deutlich mehr Unbekanntes als Bekanntes, das macht es spannend. Dazu bin ich verantwortlich für Software, die Simulationen zu zukünftigen Messungen erstellt. Die soll sicherstellen, dass der Satellit, der schon mal eine Milliarde kosten kann, nach 15 Jahren Entwicklung auch wirklich das messen wird, was uns interessiert, und nicht nur als coole Technik durch den Weltraum fliegt. Neben dem Entwickeln der Software bin ich natürlich noch im Austausch mit den Ingenieuren, die den Satelliten bauen.
Bist du für den Job ins Frankenjura gekommen oder war das Zufall?
Ich habe schon in Erlangen studiert. Für Physik ist die Uni Erlangen sehr gut, meiner Meinung nach sogar etwas unterschätzt. Und zum Klettern ist die Fränkische in Deutschland natürlich ungeschlagen. Was Auswahl und Diversität angeht, schlägt das Frankenjura wahrscheinlich sogar weltweit jedes Klettergebiet. Ich will es jetzt nicht "das Beste" nennen, aber die Auswahl zwischen Löchern, Leisten, steilen Wänden und sogar Platten: Da wird es nicht langweilig. Es gibt sogar erstaunlich lange Routen und natürlich die berühmten kurzen – es gibt einfach alles.

Was sind denn die besten Gebiete für dich? Patagonien und Frankenjura hast du ja schon genannt.
Frankreich mit Céüse, wo ich schon viel zu lange nicht mehr war; und Spanien mit Siurana und Margalef mit etwas längeren Routen. Das macht mir richtig Spaß. Und dann gibt es noch Ulassai auf Sardinien, das ist auch richtig spitze. Dort ist mir mit Un gusto della liberta Ende 2018 auch eine 9a-Erstbegehung gelungen. Zum Alpinklettern war ich vor drei Jahren in Marokko in der Taghia-Schlucht, das hat mich auch absolut beeindruckt. Da würde ich gerne noch mal Zeit verbringen. Einfach unglaublich, was es da für Felsen gibt, und eben auch höhere Wände.
Also je länger, desto besser?
Ich mag die Höhe, die Ausgesetztheit und eine richtige Unternehmung. Mit psychischem Anspruch, wo man nicht weiß, was einen erwartet: Das Wetter ist ein Faktor, es ist anstrengend, kalt, unsicher. Man weiß vielleicht vorher nicht, ob man der Tour gewachsen ist, oder man weiß nicht, wie die Absicherung ist. Oder man weiß, dass Umdrehen schwierig wird. Das gibt mir viel. Da bin ich im Herzen Abenteurer. Und das findet man halt beim Bouldern weniger als in hohen Wänden. Wobei ich jetzt nicht der Typ bin, der das Level absichtlich zu hoch ansetzt, da bin ich schon ein bisschen berechnend. Und ich kann auch mit Freude genussklettern oder bouldern.

Wie oft kletterst du pro Woche?
Vier mal ungefähr.
Kletterst du hauptsächlich am Fels oder trainierst du speziell?
Beides. Ich kombiniere das Felsklettern mit Training, phasenweise mal mehr, mal weniger. Ich trainiere vor dem Frühjahr oder Herbst, wenn die Sportklettersaison ansteht und das Wetter vielleicht eh schlechter ist und man nicht so viel rausgehen kann. Im Zweifel entscheide ich mich aber immer eher fürs Draußenklettern als fürs Trainieren indoor.
Wie sieht dein Training aus?
Ich habe meist ein Ziel, auf das ich hinarbeite. Oder etwas, das ich verbessern will: Fingerkraft oder Ausdauer oder bestimmte Griffformen. Darauf richte ich das Training aus. Dann ist es mal leichter, das am Griffbrett zu machen oder in der Boulderhalle oder auch mal am Fels. Das lässt sich beim Klettern zum Glück relativ gut anpassen, wie es sich vom Wetter und vom Spaßfaktor ergibt. Ich finde, wenn man mehr Spaß hat, hat man mehr Motivation, und dann erreicht man auch mehr, als wenn man eisern ein bestimmtes Training durchzieht, an dem man weniger Spaß hat. Da bin ich nicht der Typ für.

Was ist derzeit dein Fokus?
Gerade merke ich beim Projektieren der Action Directe, dass es mir schwerfällt, einen Griff rund zwölf Sekunden halb anblockiert zu halten. Da geht mir nach sechs, sieben Sekunden einfach die Power aus. Das baue ich also öfter ins Training am Griffbrett oder an der Boulderwand ein und versuche, die Belastungszeit auszuweiten. So etwas wie die Gesamt-Belastungszeit einer Route kann man gut auch am Fels trainieren.
Du bist also dabei, wie Güllich speziell für die Action zu trainieren?
Der hat sicher ein bisschen anders trainiert. Aber ja, ein gewisses Training, um mich für die Action zu optimieren, braucht‘s auf jeden Fall. Das ist halt eine Maximalkraft-Ausdauer-Tour, man muss 70 bis 80 Sekunden im 50 Grad überhängenden Gelände an der Wand hängenbleiben und die Spannung dabei halten.
Worauf bist du stolz?
Ach, ich weiß nicht. Zumindest bin ich sehr zufrieden, dass es mir gelungen ist, die Arbeit und das Klettern zu kombinieren. Das war nicht immer ganz einfach, da habe ich auch mal gezweifelt. Als Wissenschaftler ist es förderlich, wenn man ins Ausland geht. Aber die Stellen in der Wissenschaft sind nicht immer da, wo gute Klettergebiete sind, das macht‘s dann natürlich schwer. Das hat sich jetzt mit etwas Glück ganz gut ergeben.
Wo siehst du deine Schwächen?
Manche Sachen verfolge ich definitiv zu lang oder zu fokussiert. Und verliere dabei andere Dinge aus dem Blick. Und kann dann nicht aufhören, bevor das fertig ist. Das ist manchmal gut, aber manchmal auch nicht.
Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen sind doch nicht schlecht?
Vielleicht eher Sturheit (lacht). Hat wie gesagt auch Vorteile, aber eben nicht immer. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte es auch öfter mal entspannter sehen und gut sein lassen.

Was ist deine Lieblingsmusik?
Da bin ich flexibel. Früher hab ich mal in einer Metalband gespielt. Aber ich bin softer geworden. Früher hätte ich nie Elektro oder so etwas angehört. In der Zwischenzeit höre ich aber alles mögliche.
Welches Instrument hast du gespielt?
Gitarre.
Wie heißt die Band?
"Nofar". Ist jetzt nicht so bekannt. Immerhin haben wir ein Album aufgenommen, und es sogar bei der GEMA angemeldet, also richtig offiziell. Ich hab aber noch nie Geld gekriegt.
Dein Lieblingsessen?
Das wechselt ständig, weil ich Abwechslung mag. Gesund. Viel vegetarisch, ohne Vegetarier zu sein.
Dein Lieblingslaster?
(denkt nach) Hm.
Im Fränkischen würde sich ja Biertrinken anbieten?
Ja, klar trinke ich mal ein Bier, aber mittlerweile gerne Alkoholfreies.
Bist du schon so alt?
Ich bin 33, darf man das da? Ich mach das einfach.

Geboren 1987, lebt in Auerbach in der Oberpfalz, arbeitet als promovierter Wissenschaftler an der Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg, dem Astronomischen Institut der Universität Erlangen.
KLETTERHIGHLIGHTS:
- The Elder Statesman (11), Frankenjura
- The Essential (11), Frankenjura
- Un Gusto della Liberta (9a, Erstbegehung), Ulassai
- Phaeton (Fb 8B), Frankenjura
- La Levitation (10+, Onsight), Frankenjura
- Ramadan (8b, Flash), Siurana
- Camilotto Pellisier (8a+, 500 m), Große Zinne Nordwand
- Anthropocene (8a, 17 SL, Onsight), Taghia, Marokko
- The Nose (5.9 C2, 31 SL), Yosemite
- Mate, Porro y Todo lo Demàs (6c, 900 m), Fitz Roy Nordpfeiler
- Americaine Direct (6c, 30 SL), Petit Dru, Chamonix
- Innominata Grat (M3, 5c), Mont Blanc, Chamonix
- Voyage selon Gulliver (ED2 7b, 12 SL, onsight), Grand Capucin
- Ruby Tuesday (M6, 11 SL), Rubihorn Nordwand, Allgäu