Bei Kletter-Unfällen ist die Schuldfrage oftmals nicht einfach zu beantworten. In diesem Interview beantwortet Stefan Winter, Ressortleiter Breitensport beim Deutschen Alpenverein (DAV), Haftungsfragen und erklärt weitere juristische Aspekte beim Klettersport.
In welchen Fällen greift die Justiz in den Klettersport ein?
Stefan Winter: Bei einem schweren Kletterunfall erscheint neben dem Rettungsdienst meistens auch die Polizei. Diese erhebt die Unfallumstände und leitet die erhobenen Daten bei Verdacht auf Fremdverschulden an die Staatsanwaltschaft weiter. Diese wiederum wird gegebenenfalls weitere Ermittlungen einleiten und je nach Ergebnis das Verfahren einstellen oder weiter verfolgen. Zu einem zivilrechtlichen Verfahren kommt es nur, wenn der Geschädigte Schadensersatz und Schmerzensgeld fordert.
Gab es in Deutschland schon viele Prozesse nach einem Kletterunfall? Oder sind das die großen Ausnahmen?
Die Fallzahlen sind gering. Hier bei der Bundesgeschäftsstelle des Alpenvereins bekommen wir pro Jahr drei bis fünf Verfahren in Deutschland mit.
Stehen Kletterhallenbetreiber immer mit einem Bein im Gefängnis?
Nein, denn sonst würde es bestimmt nicht so viele Kletterhallen geben. Betreibern von Kletterhallen obliegt wie auch beispielsweise Fitnesscenter-Betreibern unter anderem die Verkehrssicherungspflicht; das heißt, sie sind dafür verantwortlich, dass Vorkehrungen getroffen werden, um Schäden anderer zu verhindern. Bei den Kletterwänden werden die baulichen Anforderungen in entsprechenden DIN-Normen beschrieben.
Auf der nächsten Seite: Bin ich als Sichernder haftbar, wenn sich mein Partner durch einen von mir begangenen Sicherungsfehler verletzt?
Sicher klettern - so geht's:










"Stürzen gehört zum Risiko des Sports dazu"
Ab wann bin ich als Sichernder haftbar, wenn sich mein Partner durch einen von mir begangenen Sicherungsfehler verletzt?
Stefan Winter: Eine Haftung setzt zweierlei voraus. Erstens, dass der entstandene Schaden ursächlich auf das Verhalten des Sichernden zurückzuführen ist. Und zweitens, dass der Sichernde schuldhaft, das heißt vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Vorsatz liegt so gut wie nie vor, denn das hieße ja, dass der Sichernde den Kletterer absichtlich in die Tiefe fallen lässt. Fahrlässig handelt, wer nicht mit der nötigen Sorgfalt sichert. Das bedeutet konkret, dass der Sichernde die entsprechenden Sicherungsregeln – zum Beispiel den Partnercheck – einhalten und den Kletternden aufmerksam im Blick haben muss.
Ich stürze beim Einhängen des zweiten Hakens, weil ich vom Griff rutsche, stürze deshalb auf den Boden und verletze mich. Kann ich den Routenschrauber haftbar machen? Was ist, wenn sich der Griff dreht und daraus eine Verletzung resultiert?
Stefan Winter: Wenn ein Kletterer selbstverschuldet stürzt, zum Beispiel aus Kraftmangel oder weil er abrutscht, kann der Routenschrauber nicht verantwortlich gemacht werden. Stürzen gehört zum Risiko des Sports dazu, und der Kletterer geht diese Selbstgefährdung eigenverantwortlich ein. Auch die Gefahr, dass sich einmal ein Griff dreht, ist Bestandteil dieses Risikos. Schließlich ist es weder leistbar noch zumutbar, dass der Hallenbetreiber nach jeder Routenbegehung alle Griffe überprüft. Gleichwohl hat er einen losen Griff umgehend festzuschrauben, sobald ihm dies gemeldet wird.
Ist es rechtlich notwendig einen DAV-Kletterschein zu haben?
Stefan Winter: Nein, die Kletterscheine des DAV sind Sportabzeichen auf freiwilliger Basis. Sie dokumentieren, dass man einmal einen Kletterkurs mit standardisierten Inhalten erfolgreich abgeschlossen hat. Zum Eintritt in eine Kletterhalle sind sie gesetzlich nicht notwendig, so wenig wie man zum Besuch eines Schwimmbads das Fahrtenschwimmer-Abzeichen als Nachweis benötigt. Der DAV setzt hier auf Freiwilligkeit und appelliert an die Eigenverantwortung der Kletterer sich ausbilden zu lassen. Im Übrigen erfolgreich: So wurden seit Einführung bereits rund 70.000 Kletterscheine ausgegeben.

Auf der nächsten Seite: Muss ich andere Kletterer auf ihre Fehler aufmerksam zu machen?
Sicher klettern - so geht's:










Muss ich andere Kletterer auf ihre Fehler aufmerksam zu machen?
Bin ich rechtlich verpflichtet, mir unbekannte, weniger erfahrene Kletterer auf Fehler aufmerksam zu machen?
Stefan Winter: Wenn man selbst sichert oder klettert, wird man dazu selten Gelegenheit haben, da die volle Aufmerksamkeit dem eigenen Tun gelten sollte. Wer eklatante Fehler bemerkt, sollte die betreffende Person freundlich darauf aufmerksam machen. Wiederholen sich die Fehler, ist es ratsam, das Hallenpersonal zu informieren. Dieses kann dann gegebenenfalls weitere Schritte einleiten. Von einem spontanen, gut gemeinten Crash-Kurs ist eher abzuraten, da sich daraus möglicherweise eine Mitverantwortung ableiten ließe. Anzuraten ist hingegen die dringende Empfehlung, einen Ausbildungskurs zu besuchen.
Ich falle beim Bouldern auf ein unter mir durchlaufendes Kind, das sich dadurch verletzt. Kann ich dafür belangt werden?
Stefan Winter: Kinder erkennen unter Umständen nicht die Gefahr, die davon ausgeht, wenn sie unter einer Boulderwand spielen. Weil sie noch kein ausreichendes Gefahrenbewusstsein besitzen und auch mal zu irrationalem Handeln neigen, bedürfen sie der Aufsicht. Im genannten Beispiel sollten Eltern oder Aufsichtspersonen (z.B. Trainer) dafür Sorge tragen, dass das Kind sich in einem für ihn ungefährlichen Bereich aufhält. In einem Boulderbereich ist es grundsätzlich immer anzuraten, vor einem Absprung den Landebereich im Blick zu haben und nötigenfalls andere zu warnen, da man nicht ausschließen kann, dass sich andere Personen unter einem befinden. Bei spontanen Stürzen ist dies natürlich nicht mehr möglich.
Dürfen Kinder überhaupt im rechtlichen Sinne sichern? Ab welchem Alter?
Stefan Winter: Kinder können nicht dasselbe leisten wie erwachsene Kletterer. Wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen müssen bei Kindern wichtige Sicherheitsaspekte und Aufsichtsformen berücksichtigt werden. Mit zunehmendem Alter entwickeln sich die motorischen, kognitiven und sozialen Kompetenzen von Kindern, so dass sie in der Regel schrittweise mehr Verantwortung beim Sichern übernehmen können. Das Alter kann dabei nur als grobe Orientierungshilfe dienen. So gilt als untere Einstiegsgrenze zum Sichern das Schulkindalter, also das siebte Lebensjahr. Selbständiges Sichern ganz ohne Aufsicht ist in Kletterhallen erst ab 14 Jahren erlaubt. Die entscheidende Frage in Bezug auf das Sichern darf aber nicht lauten: „Wie alt ist das Kind?“, sondern „Was kann das Kind und was nicht?“. Eine Reduktion auf das Alter verkürzt die Problematik und gibt ihm einen nicht gerechtfertigten Stellenwert. Wichtiger ist die individuelle Sicherungskompetenz eines Kindes. Grundsätzlich gilt: je geringer die Sicherungskompetenz, desto direkter, lückenloser und redundanter sollte die Aufsicht sein.

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