Zugegeben, die Gebiete sind nicht immer leicht zu finden. Und Zecken gibt es auch. Doch wer sich damit abfindet, den erwarten Granit-Juwelen der besonderen Art im Wald von Petrohrad. Kleine weiße Pfeile markieren die Linien, bei Sitz- oder Hockstarts ist die Höhe der zulässigen Startgriffe durch einen Balken unter den Pfeilen definiert. Schnell schnappen wir uns Kletterschuhe, Chalk und Bürsten und bringen die Crashpads in Position. Eine halbe Stunde zuvor hätten wir uns nicht vorstellen können, dass uns in dieser unscheinbaren Gegend echte Boulderfreuden erwarten sollten.
Von der Psychiatrie zum Friedhof
Die Locals Jiri, Pavlina und Andrew zeigen uns Petrohrad: los ging es mit dem Sektor "Hrbi-tovní Kameny". Erst fahren wir an der psychiatrischen Anstalt des Ortes vorbei, dann parken wir am Friedhof - doch unsere Verwunderung ist schnell verflogen, der Granit der Blöcke ist erstklassig und unwiderstehlich. Die Reibung der Petrohrader Felsen ist sehr hoch, das können wir schon nach den ersten Warm-ups bestätigen. Trotz des schwülen Wetters schmiert der Fels kaum. Kehrseite des harten und sehr rauen Granits ist, dass die Haut an den Fingerkuppen hier kaum mehr als zwei Bouldertage am Stück halten dürfte.
Böhmischer Blockreichtum
Auf dem Weg nach "Pod Hradem", einem der größeren Sektoren, deutet Jiri an einer höheren Wand auf einige Haken und beginnt, von der vertikalen Erschließung der Gegend zu erzählen. Geklettert wird in Petrohrad schon seit den Siebzigern, damals vor allem an den höheren Felsen von "Mal Josemit". Zum Bouldern wurden die Blöcke aber erst Ende der neunziger Jahre entdeckt.
Inzwischen existieren in den Sektoren rund um Petrohrad etwa 3000 Boulder-Probleme: Von vielen leichten, oft plattigen Bouldern bis zum 8b-Highball-Hammer ist alles geboten. Die Knödelform vieler Blöcke bedingt, dass die Kletterei im unteren Teil der Boulder oft stark überhängt und an kleinen Leisten stattfindet. An den Ausstiegen wird‘s dann flacher, aber auch runder – es darf geslopert und gemantelt werden. Das einzige, was fehlt, sind großgriffige Dächer à la Hueco Tanks. Dass den hiesigen Boulderern die Probleme ausgehen könnten, steht nicht zu befürchten: Längs unseres Weges warten unzählige Granit-Eier darauf, entgrünt zu werden.
Auch für Erstbegeher ist das böhmische Gebiet also eine lohnende Adresse, erschließungsfreudige Gäste sind gern gesehen (Neue Boulder bitte an den Haupterschließer Petr Resch schicken. Wer nur Züge konsumieren möchte, ist aber ebenfalls willkommen. Denn: Je mehr Crashpads durchs Gestrüpp getragen werden, desto einfacher sind die Wege zu begehen, und häufigeres Beklettern verhindert, dass das Moos geputzte Probleme zurückerobert. Angesichts des riesigen Potenzials ist zu viel Trubel ohnehin unwahrscheinlich.
Nur einmal im Jahr wird es voll im Wald von Petrohrad: An einem Sommerwochenende steigt alljährlich das tschechische Pendant zum Melloblocco, das PADani. Da wird gebouldert, geputzt und gefeiert. Die ideale Zeit, um Petrohrad einen Besuch abzustatten, ist aber im Spätherbst, Frühjahr oder an schönen Wintertagen. Dann sind die Bäume nicht belaubt, die Wege besser gangbar, die Zecken zurückhaltender und die Orientierung für Ortsunkundige ist leichter. Und der ohnehin schon phantastische Grip des Granits noch besser.
Vom Regen in die Kneipe
Unsere Boulderfreude wird von einem kurzen Gewitter unterbrochen. Schade, die Blöcke sind klatschnass und werden heute nicht mehr trocken werden, auch wenn unser Local meint, dass die Felsen hier sehr schnell abtrocknen. Dafür will unser er uns noch "Brana" zeigen. Nein, mit böhmischem Buddhismus hat das nichts zu tun, mit tschechischer Klettermode ebensowenig. So lautet schlicht der Name eines weiteren Sektors. Nach fünf Minuten Autofahrt schlagen wir uns wieder in die Büsche. Schon nach wenigen Schritten bemerken wir, dass der Boden staubtrocken ist. Das Gewitter ist hier gar nicht vorbeigekommen. Umso besser! Wir schultern die Crashpads, und als wir bei einer Ansammlung von interessanten Blöcken ankommen, greifen wir nochmal zu.
Als es zu dämmern beginnt, fahren wir gemeinsam nach Jesenice, und überzeugen uns von der Güte der tschechischen Küche und des unweit in Pilsen beheimateten Urquells.
Am nächsten Morgen hat sich das Wetter leider verschlechtert. Schade, schade, wir hatten uns richtig darauf gefreut, uns noch einmal an den Petrohrader Blöcken die Finger lang ziehen zu können. Dann wohl beim nächsten Mal - und dickere Haut bringen wir dann auch mit.
Weiterlesen:
Alle Infos zum Bouldern in Petrohrad
Charakter: Petrohrad liegt in einem größtenteils bewaldeten Hügelland. Viele dieser Waldrücken werden im Kern von Granit gebildet, der auf den Rücken und an den Hängen freigelegt ist. Das Gelände ist so von unzähligen Bouldern übersät, ihre oft rundliche Form ist das Ergebnis sogenannter Wollsackverwitterung (falls es jemand nachschlagen will). Die Boulder erreichen Höhen von bis zu sechs Metern. An einigen Stellen sind die Felsen sogar so hoch, dass sie nach einem Seil verlangen. Diese wenigen höheren Felsen waren das erste Kletterziel in der Region, die Erschließung der zahllosen Boulder folgte erst in den letzten Jahren. Die Boulderschwierigkeiten bewegen sich von Fb 2 bis Fb 8c , wobei sich sehr viele Probleme mittlerer Grade im Bereich Fb 5c bis 6c finden, aber auch leichtere Boulder gibt es einige. Der raue Granit zeichnet sich durch eine sehr gute Reibung aus, die sich bei kühleren Temperaturen sogar noch verbessert. Die Kletterei spielt sich häufig an scharfen Leisten ab und endet oft an runden Reibungsausstiegen. Alles in allem kostet der raue Fels ordentlich Haut, weshalb bei intensivem Bouldern öfters mal ein Ruhetag angesagt ist.






Anfahrt: Von der Autobahn E50 kommend mitten durch Pilsen und weiter auf der Bundesstraße 27 etwa 50 Kilometer nach Norden in Richtung Zatec und Most fahren. Nach den kleinen Orten Plasy und Kralovice erreicht man Jesenice, kurz danach geht es links ab Richtung Petrohrad. Von Norden (Dresden) über Teplice, Most und Zatec nach Petrohrad.
Unterkunft: Es finden sich einige günstige Bed & Breakfast-Möglichkeiten, und in Jesenice gibt es einen Campingplatz. Komfortabel lebt es sich im Hotel Jesenice. Es gibt auch Bungalows zu mieten.
Verpflegung: In Petrohrad selbst gibt es nur eine kleine Bar. Eine gute Pizzeria findet sich an der Abzweigung der E48 Karlsbad-Prag nach Petrohrad. Gut essen kann man auch im Hotel Jesenice. Wer richtig ausgehen will, sollte aber nach Pilsen fahren. Generell ist die Gastronomie in Tschechien preislich günstig. Die hiesigen Biere reichen (wie in Deutschland auch) von durchschnittlich bis extrem köstlich. Empfehlenswert ist auch der Mohnkuchen.
Beste Jahreszeit: In Petrohrad kann man das ganze Jahr über bouldern. Auch im Sommer ist die Reibung nicht schlecht, da viele Blöcke von Bäumen beschattet werden. Allerdings kann die Orientierung dann ziemlich schwierig werden. Die beste Zeit für einen Besuch ist der Herbst und das Frühjahr, im Winter ist die Reibung wie so häufig am besten, es kann aber ziemlich kalt werden.
Ausrüstung: Mindestens ein Crashpad, obwohl das Gebiet nicht sehr verblockt ist. Bei einigen am Hang liegenden Blöcken muss beim Spotten aufgepasst werden.
Führer: "Petrohrad" von Petr Resch und Jirka Sika, ISBN 978-80-87241-03-5, erhältlich vor Ort (z.B. auf dem Campingplatz Jesenice)
GPS-Koordinaten:
Parkplatz im Ort: N50.12505 E13.44471; Parkplatz am Friedhof: N50.12341 E13.43919; Parkplatz oberes Gebiet: N50 07 18.7 E13 2732.3; Parkplatz Windstein: N50 07 20.6 E13 27 07.7; Kapelle: N50 07. 14.7 E13 26 23.1
Weiterlesen:
Drei Meinungen zu Petrohrad
Das Team von klettern bestand aus drei erlesenen Kletterern:
FELIX FORSBACH sagt:
"Der Fels in Petrohrad ist sehr rau und daher ein Hautkiller, man kann ihn mit dem Fels von "Glees" in der Eifel vergleichen. Sehr lohnend ist das Gebiet vor allem wenn man Boulder erstbegehen möchte, denn dank des sehr harten Gesteins kann man die Blöcke mit einer Drahtbürste vom Moos befreien, und das geht einfacher und schneller als sonst. Das Potenzial an ungekletterten Bouldern ist groß, und putzen kann man an den hier etwas häufiger nötig werdenden Ruhetagen. Auch die unmittelbare Nähe zu Pilsen ist schon eine „Pilgerreise“ wert. Überaus gut tut es auch zu sehen, wie im Nachbarland ohne die ganzen Reglementierungen geklettert werden kann."
Fazit: Bürsten, Bouldern und Bier; entspannte Situation






"Richtige Boulder"

RALPH STÖHR sagt:
"Das Abendessen im Hotel Jesenice war recht lecker, auch das Frühstück, allerdings habe ich da irgendwie die Spiegeleier verpasst. Und: Finger weg von der tschechischen Imitation einer Saitenwurst, sie ist am frühen Morgen eher unbekömmlich. War noch was? Ach ja, die Boulder. Also: Erstens gibt es um Petrohrad richtig viele davon, zweitens sind es richtige Boulder, also Blöcke in der passenden Größe und nicht irgendwelche Wände, wo man nur am Wandfuß herumkratzt. Insofern haben diese Granit-Eier hohen Aufforderungscharakter, und ich würde mir wünschen, so etwas vor der Haustür zu haben. Aus Deutschlands Westen ist es aber etwas weit nach Petrohrad."
Fazit: schöner Boulderspot mit vielen Möglichkeiten, leider etwas weit weg
"Bewegungsprobleme satt"

STEFFEN KERN sagt:
"Als bekennender Warmwetterboulderer kommt mir der extrem raue Granit entgegen. So hat man auch guten Grip, ohne nach jedem Versuch bibbernd in die Daunenjacke schlüpfen zu müssen. Aufgrund des recht düsteren Ambientes in einigen Gebieten würde ich trotzdem nur einen Besuch während der laubfreien Zeit anraten, außerdem hat‘s dann keine Zecken. Die Blöcke und Probleme fand ich richtig gut, vor allem die vielen steilen, aber nicht zu steilen Probleme an kleinen Leisten. Daneben gibt‘s auch Sloper, Mantles und diffizile Bewegungsprobleme satt. Und an Ruhetagen kann man zwar nicht den Louvre besichtigen, dafür das Bier-Museum in Pilsen."
Fazit: Rau, abwechslungsreich, klasse; der Wald in Bleau ist aber schöner