"Ein besseres Tiefschneegebiet wie die Sunnmøre-Alpen gibt es nicht!"

Vom Gipfel zum Fjord
Sail und Ski in den Sunnmøre-Alpen

ArtikeldatumVeröffentlicht am 11.11.2025
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Die Aufgabe konnte für Slartibartfast nicht schwieriger sein. In Douglas Adams' Science-Fiction-Trilogie "Per Anhalter durch die Galaxis" hatte der Designer die Herkules-Aufgabe, in einem kleinen Land tausende Kilometer Küstenlinien unterzubringen. Weil die Erde aber nicht im Universum umherschwirrte, sondern von Slartibartfast am Computer entworfen wurde, zeichnete er so lange herum, bis er Norwegen fertig hatte. Das Ergebnis, so Adams, sei eine spektakuläre Landschaft aus Bergen und Fjorden. Er nennt das Paradies "Nordische Magie". Teils schroff, dann wieder sanft, beengt und andernorts erstaunlich weitläufig. Kein Wunder, dass Slartibartfast eine Auszeichnung für Norwegen als das schönste Land der Erde erhielt.

Sunnmøre-Alpen ein Dorado für Outdoor-Abenteuer

Für mich war es daher gar keine Frage, als Tobi Heinle, Chef der Garmischer Bergschule "Moun2", mich anrief, ob ich nach Norwegen zum Skitourengehen mitgehen möchte. Natürlich! Was! Denn! Sonst! Tobi, der auch als Ausbilder für den Deutschen Skilehrerverband arbeitet, sagte mir, dass wir zu den Sunnmøre-Alpen fliegen werden. Hä? Wohin? Lofoten, okay, das hatte ich schon mal gehört. Aber Sunnmøre-Alps? Auch für den 34-Jährigen war es Neuland, begleitet er doch normalerweise gut betuchte Menschen am Arlberg oder in Chamonix sicher die Tiefschneehänge runter. Tobi meinte jedoch, dass das Gebiet im Vergleich zu den Lofoten oder den Lyngenalpen, die sehr lieblich seien, was für gute Skifahrer sei. Wenn man dort aus einem Boot auf die Gipfel schaue, habe man das Gefühl, vor der Ostwand des Watzmanns zu stehen.

Also recherchierte ich erst einmal. Die Sunnmøre-Alpen sind ein Dorado für leicht zugängliche Outdoor-Abenteuer, schreibt Jan Christian Vestrein einer Tourismusbroschüre. Aber erst im Winter, so der heutige norwegische Gesundheitsminister, erwache das Gebiet am Nordmeer zum Leben. Mit zerklüfteten Gipfeln, die sich bis zu 1700 Meter erheben, sei das Potenzial für "atemberaubende Abfahrten von den Gipfeln bis zu den Fjorden einzigartig". Vestre, gerade mal 38 Jahre alt, verspricht Glücksgefühle bei den Tiefschnee-Touren – und das auf dem schönsten (weißen) Spielplatz der Welt. Am Ende stimmt das sogar, denke ich.

Sunnmore Alpen Tourenski
Haavard Myklebust

Organisiert haben unseren Ski-Trip Mikael Forselius und Herbert Horelt. Horelt, ein Allgäuer, ist Deutschland-Chef des norwegischen Outdoor-Herstellers Devold, der feinste Merino-Kleidung anbietet. Forselius Chef des Reiseveranstalters "62 Grad Nord" und ein Mann klarer Worte. Ein Schickimicki-Publikum wie in Kitzbühel wolle er auf den Sunnmøre nicht haben. Norwegen sei schließlich ein Land mit ruhigen, freundlichen Menschen. "Für uns ist Luxus nicht Gold und Glitzer. Unser Luxus ist die Natur", so Forselius. Recht hat er, denke ich.

Expertentipp: Hedvig Wessel"Es gibt kein besseres Tiefschneegebiet als die Sunnmøre". Der dreifachen Freeride-Weltmeisterin aus Oslo gefällt es dort vor allem, weil sie bis in den Juni hinein auf Skitouren gehen kann.

Also Firnfahren vom Feinsten! "Selbst für norwegische Verhältnisse ist dies eine dramatische Gegend, in der Fjorde in die Tiefe stürzen und Bergketten so hoch aufragen, dass sie die Sonne zu verdecken drohen", heißt es in "National Geographic". Das Magazin erklärte die Gegend zum "heißesten Reiseziel" in Skandinavien.

Wie funktioniert eigentlich eine Ultralight-Bindung?

Und so kommen wir, eine Gruppe von acht deutschen Skitourengehern, an einem Sonntag in Ålesund, einer Hafenstadt an der Westküste Norwegens, voller Vorfreude an. Unser erstes Ziel: das Storfjord Hotel, laut unserem Veranstalter ein absolutes "Slow- Life-Refugium". Tobi, unser Allgäuer Guide, der so gesund aussieht wie der kleine Junge auf dem Büble-Bier aus Kempten, erklärt uns Hobby-Fahrern erst einmal, wie so eine Ultralight-Bindung funktioniert. Wie wir schnell die Felle abbekommen, wenn es oben auf dem Gipfel mal so richtig stürmen sollte. "Je besser ihr euer Material kennt", erklärt das 1,91 Meter große Büble, desto schneller könne man seine Tour am nächsten Tag genießen.

Vorher müssen wir uns mit dem einen oder anderen Slogen stärken, einem norwegischen Bier, das uns im Whirlpool mit Blick auf den Storfjord serviert wird. Weiter geht es mit einem köstlichen 5-Gang-Menü. Hin und weg ist auch die renommierte "Times" vom Hotel. "Das Innere des Boutique-Retreats verführt mit Kerzen und Kaminen", schreiben die Briten. Die Atmosphäre in den nouveau-rustikalen Zimmern sei so warm wie eine Umarmung, mit handgefertigten Blockwänden, gedeckten Farben, so Times-Journalistin Kelly Walker, die das Hotel unlängst zu einem der besten in ganz Norwegen kürte.

Tobi widmet den Tweed-Decken hingegen nicht ganz so viel Aufmerksamkeit. Für ihn steht die Sicherheit bei der angespannten Lawinensituation an oberster Stelle. Er erklärt, wie sein Risikomanagement aussieht, erläutert, warum er Apps wie Varson Windy,Yr sowie die 3D-Gelände-App Fatmap und Garmin benutzt. Der Navigationshersteller hat einen Notruf-App entwickelt, bei der man keinen Handy-Empfang braucht. Ein Klick – und Tobi könnte per Satellit Hilfe für uns anfordern.

Suunmore Alpen Skitour
Michael Neumann

Wie junge Pferde: endlich ins Gelände!

Nach dem Frühstück geht es direkt zum Skigebiet Stranda Ski Resort. Bei den ersten Runs machen wir uns mit dem Material vertraut, dann dürfen wir endlich ins Gelände. Es ist, wie Tobi es vorausgesagt hat: Powder pur! Wir fahren unserem Arlberg-Wedler hinterher. Links und rechts johlt und wiehert es wie in einer Gruppe junger Pferde, die zum ersten Mal auf die Koppel darf. Anders gesagt: Die Alt-Herren-Truppe benimmt sich wie kleine Kinder. "Leute", mahnt uns Tobi immer wieder. "Denkt bitte dran, dass wir uns nicht in den Münchner Hausbergen bewegen." Sondern auf offenen Hängen, beladen mit abertausenden Tonnen Schnee. Vor jedem Skitag checkt er deshalb unser Lawinen-Verschütteten-System (LVS). Sollte einer von uns in eine Lawine kommen, könnten die anderen ihn lokalisieren, dann ausbuddeln. Deshalb haben wir alle das LVS-Gerät, eine Sonde und eine Schaufel im Rucksack. Das Fahren ist ein Traum. Einfach mal in einem Stück 1500 Meter die Sunnmøre zum Meer hinunter – und die Oberschenkel brennen den ganzen Tag.

In solchen Fällen ist Trinken wichtig. Das machen wir auch, als wir auf unserem Segelboot Wyvern, mit dem wir in den nächsten Tagen in "Sail & Ski"-Manier von Fjord zu Fjord fahren, ankommen. Wir trinken ein paar Bierchen. Und weil der Kabeljau-Eintopf, dessen Fisch erst in Salz eingelegt wurde, schon sehr salzig ist, trinken wir sicherheitshalber noch ein Bierchen, schließlich ist Sicherheit wichtig. Sagt Tobi.

Am nächsten Tag kommen wir dann doch etwas später aus den Federn. Ohnehin ist das Wetter heute nicht so perfekt. Dennoch machen wir uns auf Richtung Skarasalen. Es ist ein Mix aus Sonnenschein und Schnee, Schnee und Sonnenschein, Sonnenschein und Schnee.

"If you don’t like the weather, wait a minute"

Nach gefühlt drei Millionen Wetterumschwüngen stehen wir auf dem Skarasalen, einem 1540 Meter hohen Berg. Weil eine dunkle Wolkenschicht sich auf den Weg zu uns macht, will Tobi schnell runter. Er möchte rasch nach Skår abfahren, wo schon unser Skipper auf uns wartet. Außerdem haben wir ja noch einen Hot-Tub-Termin. Und zwar in Trandal bei Christian Gaard, einem bezaubernden Restaurant, das an einem Hang zum Hjørundfjord liegt. Bevor wir das Hirschragout genießen, wärmen wir uns im heißen Holzfass auf und erzählen uns die Heldengeschichten des Tages. Natürlich hat jeder einen noch besseren Turn gefahren, die Line noch spektakulärer gewählt.

Am nächsten Morgen sind einige Helden keine mehr. Die ersten beschweren sich über Muskelkrämpfe, andere meinen, dass sie schon lange nicht mehr so viel Sport gemacht hätten. Also lassen wir uns von einer einheimischen Bäuerin, die einen Allgäuer Traktor hat, ein paar hundert Meter nach oben kutschieren. Dann stapfen Tobi, der DAV-Mann Phil und ich Richtung Sylvkallen, einem 1310 Meter hohen Berg über dem Hjørundfjord.

Ich fühle mich nach dreieinhalb Stunden Aufstieg nicht wie auf über 1000 Metern, sondern als stünde ich auf einem Achttausender. Keine Menschen, kein Lärm. Nichts. Nur Berge. Nur Fjorde. Ich fühle mich wie im Himmel. Als wir einen Hang überqueren, der so groß wie zehn Fußballfelder ist, wird es mir doch etwas mulmig. Ich denke an die vielen Lawinenunfälle in dieser Skisaison. "Mach dir keine Sorgen", sagt Tobi. "In der Regel gehen Lawinen erst ab einem Gefälle von rund 30 Grad ab." In den Bereichen, wo es doch ein bisschen heikel wird, sollen Phil und ich in Entlastungsabständen von 20, 25 Metern nachrücken, damit nicht zu viel Druck auf den Hang entsteht. Nach vier Stunden sind wir oben. Unter und neben uns präsentiert sich ein spektakuläres und einzigartiges Winterwonderland.

Der schönste Skitag meines Lebens!

Wie Gott in Frankreich, äh Norwegen, fühlen wir uns, als wir nach dem schönsten Skitag meines Lebens im Hotel Union Øye einchecken. Atemberaubende Berggipfel flankieren das Haus, das am Fuße eines idyllischen Tals liegt, links und rechts ragen sie senkrecht in den Himmel. Nicht nur ich bin von dem Grand Hotel begeistert, sondern auch Kaiser Wilhelm II. und Königin Maud waren es, als sie in dem mehr als 140 Jahre alten Hotel mal eine Auszeit nahmen. Im vergangenen Jahr wurde es komplett renoviert. Kein anderes Hotel "zelebriert den nordischen Lebensstil nun so wie das Hotel Union Øye", schreibt das Magazin Forbes.

Suunmore Alpen Skitour
Michael Neumann

Ein Mix aus den besten Skigebieten der Welt

Während Kaiser Wilhelm in dem Fjorddorf noch hochkulturelle Lesungen abhielt, wollen wir nur wissen, was es zu essen gibt und wo morgen der beste Schnee liegt. Denn das ist der Grundstein, um am nächsten Tag auf den 1336 Meter hohen Heimste Blahornet stapfen zu können. Das Gebiet erinnert an einen Mix aus den besten Skigebieten der Welt. Das erste Drittel hat so offene und weite Flanken wie das Gletschergebiet um das kleine Matterhorn in Zermatt, der Mittelteil erinnert an die Seiser Alm in den Dolomiten, der untere und damit letzte Teil mit den vielen Birken an das japanische Freeride-Gebiet in Hokkaido. Es ist nicht zu fassen. Wieder glucksen wir, wieder jodeln wir, wieder wedeln wir wie die Wikinger die Hänge hinunter.

Normalerweise, eine Unart von mir, checke ich im Lift meine Mails, schaue auf Instagram, wo die anderen gerade mit ihren Skiern unterwegs sind. Hier, mitten im norwegischen Naturwunder, ist alles anders. Auf dem Weg nach oben unterhalten wir uns dann und wann. Ansonsten ist jeder wie bei einem Meditationsseminar bei sich, saugt jeden Moment der faszinierenden Landschaft auf. Beigebracht hat uns das Tobi. In den Wintermonaten ist er stets mit den oberen Zehntausend in den angesagtesten Ski-Hotspots in den Alpen unterwegs, im Sommer auf der Alp Pradaschier, einer Berghütte in Graubünden. Tobi und seine 210 Rinder, die er versorgt. Warum er das macht? Aus drei Gründen. »Ein junger Allgäuer muss auf die Alp«, sagt der Kemptener. Zweitens sei es ein guter Kontrast zwischen dem glamourösen Arlberg und dem bodenständigen Hüttenleben. Last but not least sei man auf sich konzentriert, nichts lenke einen ab.

Das hat auch bei uns geklappt. Völlig zufrieden und beseelt treten wir unseren Rückweg auf unserem Segelschiff an, auf dem wir zwei Tage übernachtet haben. Wir stehen auf dem Deck, schippern in Richtung Ålesund. Sieben Tage waren wir zusammen, sieben Tage fühlten wir uns wie in einer anderen Welt. Über Slartibartfast, den Designer im Roman »Per Anhalter durch die Galaxis«, kann man sagen, was man will. Aber eine galaktischere Gegend als Norwegen – vor allem Sunnmøre – hätte er nicht erfinden können. Und das, obwohl seine Aufgabe nicht schwieriger hätte sein können.