Der Affric Kintail Way in Schottland

Wandern in Schottland: Loch Ness - Glen Affric Tal
Der Affric Kintail Way

Zuletzt aktualisiert am 12.03.2018

Es gibt verschiedene Arten, sich dem Monster von Loch Ness zu nähern. Doch so beherzt wie der amerikanische Schauspieler Charlie Sheen ist noch niemand vorgegangen. Im Juli 2013 flog der ehemalige Star der Sitcom »Two and a Half Men« nach Schottland, ließ sich einen gigantischen Angelhaken schmieden, kaufte ein altes Ruderboot für 2500 Pfund und fuhr in der Gesellschaft zweier Freunde und einer Whiskyflasche auf den 37 Kilometer langen Loch Ness hinaus – um Mitternacht, im Schein einer Öllampe. Die Idee, dem Vernehmen nach von Spielbergs »Der Weiße Hai« inspiriert: Nessie fangen, von Hand, Mann gegen Monster. Als Köder diente Sheen das Bein eines Lamms. Es ist anzunehmen, dass wir davon erfahren hätten, wenn er Erfolg gehabt hätte.

Doch alles, was Sheen einige Monate später im amerikanischen Fernsehen über sein Abenteuer zu berichten wusste, war, dass er »immerhin im richtigen Land« gejagt habe und »Loch Ness im Lake Nessie lebt«. Allzu traurig dürfte man am Loch Ness über Sheens Fehlschlag nicht gewesen sein, denn jeder hier weiß: Nichts wäre schlimmer als eine tote Nessie.

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Jens Klatt

Geschätzte 25 Millionen Pfund spült das Monster der Tourismuswirtschaft in den Northwest Highlands jährlich in die Kassen, 28,5 Millionen Euro . Wer sich an einem freundlichen Julitag an den Loch Ness begibt, der wird die Zahl kaum bezweifeln. Denn lang ist nicht nur der Hals von Nessie, sondern auch die Schlange für das Boot, das stündlich vor dem Loch Ness Centre ablegt. Der Fotograf Jens Klatt und ich reihen uns ein, in den Rucksäcken eine Batterie von Müsliriegeln. Die Sonne scheint, aber die Schaumkronen auf dem See geben Anlass zu Spekulationen, ob man die Fahrt zum sieben Kilometer südlich gelegenen Urquhart Castle übersteht, ohne sich über die Reling zu beugen.

Loch Ness wäre auch ohne seine mysteriöse Bewohnerin einen Besuch wert. Umgeben von dicht bewaldeten Hügeln zieht er sich zehn Kilometer südwestlich von Inverness in die Länge, das größte Süßwasserreservoir Großbritanniens. Alle Gewässer der Insel fänden in ihm Platz, und irgendjemand will ausgerechnet haben, dass die gesamte Weltbevölkerung in ihn hineinpassen würde. Wir nutzen die Bootsfahrt als Anreise zum Startpunkt des Affric Kintail Way, der in dem Dorf hinter dem Urquhart Castle beginnt: Drumnadrochit. Immer nach Westen wird der Weg uns leiten, genauer gesagt zur Siedlung Morvich an der Küste. Für die 71 Kilometer lange Strecke stehen uns nur drei statt der üblichen vier Tage zur Verfügung. Aber das nehmen wir in Kauf: Glen Affric gilt als das schönste Tal Schottlands, und wer schon ein paar schottische Täler durchwandert hat, der weiß, dass die Latte ziemlich hoch hängt.

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Jens Klatt

Was mir zu denken gibt: Das Deckblatt weist unsere Wanderkarte als »strong durable waterproof« aus. Bilder von vollgelaufenen Wanderstiefeln und Zeitlupenschritten in saugendem Morast marschieren mir durch den Kopf. Vor allem der zweite Tag mit seinen 33 Kilometern wäre unter solchen Umständen ein ziemlicher Brocken. Er wird am Alltbeithe Youth Hostel enden, Schottlands einsamster Jugendherberge, umgeben von einem Dutzend wilder Tausendergipfel. Doch der Affric Kintail Way bleibt im Tal, was die Zahl der Höhenmeter für den gesamten Weg bei vergleichsweise harmlosen 1800 hält. Im Mittelalter haben sie auf der Route, die offiziell erst 2015 eröffnet wurde, Vieh in den Westen getrieben – ohne Funktionskleidung. Da werden wir wohl auch durchkommen. Vielleicht sollte ich mir Jens’ Sorglosigkeit zum Vorbild nehmen, der trägt nur ein paar leichte Multifunktionsschuhe. Und der Himmel sieht nach wie vor freundlich aus.

Ändert sich aber leicht in Schottland, das weiß man doch. Wir füllen uns die Flaschen am Wasserhahn außen an der Touristeninformation in Drumnadrochit, dem offiziellen Start der Tour. Ein paar Meter den Berg hinauf, und der Trubel am Loch Ness liegt hinter uns. Vorbei an zwei gigantischen Redwoods biegen wir in einen Waldpfad ein, der sich zwischen Birken, Kiefern und Fichten hindurchschlängelt. »Riecht gut hier«, sagt Jens. Immer wieder helfen Wegweiser weiter, unüblich in Schottland, wo Puristen sich schon daran stören, wenn Wanderer Steinpyramiden als Markierung errichten. Aber das Terrain erinnert hier auch eher an deutsche Mittelgebirge als an die rauen Highlands, in denen der Blick frei über die Berge schweift und der richtige Pfad der Interpretation des Wanderers überlassen bleibt.

Doch ab und zu lassen sich in der Ferne schon die Gipfel um Glen Affric blicken, und wir ahnen, dass der Weg uns spätestens morgen in wilderes Terrain leiten wird. Stundenlang begegnen wir keinem Menschen. Einmal passieren wir eine bescheidene Farm, dann hören wir wieder nur das Glucksen der Bäche, spüren den Wind um die Nase. Sieben Kilometer vor dem Etappenziel Cannich, einem verträumten Waldweiler, erwischt es uns aber: Der Weg führt ab hier nur noch die Straße entlang. Resümee im Slater’s Arms, dem letzten Pub auf dem Affric Kintail Way: vielleicht lieber das Mountainbike für den ersten Abschnitt nehmen. »Ihr habt Glück«, sagt Alistair Mann vom Westward Bed & Breakfast und legt uns den ausgedruckten Wetterbericht neben die Bacon & Eggs. Und er hat noch etwas Gutes auf Lager – einen Tipp: »Wenn ihr heute den zweiten See erreicht, wechselt lieber auf die rechte Uferseite, da ist die Aussicht besser.« Alistair meint den Loch Affric, den mit vier Kilometern kürzeren der beiden Seen, an denen der Affric Kintail Way entlangführt. Aber bis dahin sind es zwanzig Kilometer, und von dort noch einmal dreizehn bis zur Jugendherberge Alltbeithe.

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Jens Klatt

Das Schöne an langen Etappen ist, dass man auf ihnen beginnt, in anderen Dimensionen zu denken. Die Füße laufen irgendwann von alleine, und Details rücken in den Blick: fette Polster aus Sternenmoos im Birkenwald, eine Insel im See, die steil zum Wasser hin abbricht, mit Glück einer der Adler, die im Glen Affric leben. These: Man muss nicht den Jakobsweg laufen, um abzuschalten. Und obwohl das Programm für heute streng ausfällt, leisten wir uns zwei ausgiebige Pausen – eine an den donnernden Dog Falls, eine am Ufer des friedlich da- liegenden Loch Beinn a’ Mheadhoin. Nach zwanzig Kilometern, am Beginn des Loch Affric, biegen wir wie von Alistair empfohlen auf die rechte Uferseite ab. Der Weg wird schmaler, und dann kommen sie: die Berge.

Die Szenerie hat etwas Japanisches. Schottische Kiefern tupfen die Hügel wie eine filigrane Sorte Brokkoli, darüber wölben sich die Kuppen der Gipfel, unten im Tal glitzert der See. Ungewöhnlich grün wirkt das für schottische Verhältnisse; bis hinauf nach ganz oben reichen Matten aus Gras und Heidekraut. Der Weg führt in Halbhöhenlage entlang, ab und zu gekreuzt von einem Bach, der dazu einlädt, die Trinkflasche zu füllen. Warmes Abendlicht streicht über die Hänge, Hummeln brummen träge. Als der See endet, übernimmt wieder der gewundene River Affric die Führung und geleitet uns sanft abwärts zur Jugendherberge, die sich auf 270 Meter Höhe ins Tal schmiegt. Grünes Wellblech schützt das unscheinbare Gebäude vor Wind und Wetter, außenherum ducken sich ein paar Trekkingzelte ins Gras. In der Küche hält Herbergsvater Steve Scanlain den gusseisernen Holzofen in Gang, darüber hängen Socken zum Trocknen.

Steve unterhält sich mit einem grauhaarigen, ziemlich wetterfest aussehenden Mann – Kapitän zur See a. D. Mark Abbot aus Manchester. Im Fenster hinter ihm geht die Sonne über den Highlands unter, und es hat etwas Eigentümliches, wenn Abbot hier draußen in der Wildnis sein Garn spinnt: Wie er an Deck seines 320 Meter langen Öltankers für den London-Marathon trainierte; der Blick von der Brücke, wenn das Schiff sich in Stürmen in den Wellen bog; das Tönen der Schiffsschraube, wenn sie statt Wasser Luft griff; Geschichten von Tankern, die im Suezkanal der Länge nach aufgeschlitzt wurden, weil sie zu viel geladen hatten – es wird spät an diesem Abend. »Guten Morgen!«

Drei rotwangige Damen betreten die Küche, alle um die fünfzig. Sie gehören dem Glasgow Hillwalkers Club an und haben eine frische Nacht in den Zelten neben der Jugendherberge verbracht – anders als die beiden deutschen Wanderer, die sich Stockbetten geleistet haben. Das Trio macht sich Tee und verzehrt Müsli, dann zieht es für eine Tagestour in die Berge. Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir genau das auch tun. Die Landschaft lädt ein, mindestens drei Tage in der Jugendherberge zu bleiben.Tausender an Tausender rei- hen sich die Gipfel um das Tal, und jeder sieht so wild und unberührt aus, als sei noch kein Mensch auf ihn gestiegen. Aber wir müssen los – wenigstens genießen wir die Kulisse auf dem Weg hinab ans Meer. Das Tal verengt sich bald; schmal, steil und steinig führt der Pfad bergab. Eine Gruppe Mountainbiker schiebt uns entgegen. Schafe blöken weit oben in den Hängen, das Wandern fällt leicht, und man denkt: So könnte das jetzt immer und immer weitergehen. Erst kurz vor der Küste beginnt es ein wenig zu tröpfeln. Aber die Sonne scheint noch. Und drüben am Loch Ness taucht heute sicher Nessie auf. Ganz sicher.

Alle Infos für Wanderungen im Glen Affric Tal

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outdoor Jochen Fischer

Hinkommen
KLM und British Airways fliegen über Amsterdam bzw. Heathrow nach Inverness, bei rechtzeitiger Buchung ab etwa 200 Euro. Die Anreise dauert zwischen viereinhalb und sieben Stunden. Mit dem Auto hat man ab Frankfurt eine Reise von 1700 Kilometern vor sich. Wer statt der Fähre den Eurotunnel nehmen will, zahlt dafür je nach Saison zwischen 100 und 150 Euro (eurotunnel.com)

Herumkommen
Mit dem Bus Nr. 11 vom Inverness Airport zur Inverness Bus Station (Farraline Park), dann einen Bus Richtung Fort Augustus nehmen und in Drumnadrochit aussteigen. Dort beginnt der Affric Kintail Way. Am Ende der Tour von Morvich mit dem Bus zurück nach Drumnadrochit (hält beim Restaurant Jac-o-Bite). travellinescotland.com

Orientieren
Der Weg ist recht gut markiert, für Zweifelsfälle empfiehlt es sich aber, die Wanderkarte »Affric Kintail Way XT 40« von Harvey mitzunehmen, 8,99 Euro bei Amazon.

Informieren
Die beste Quelle zum Weg ist affric kintailway.com. Hier werden alle Etappen ausführlich beschrieben. Wer weitere Wanderungen in den Highlands unternehmen will, schaut auf walkhighlands.co.uk. Allgemeine Informationen zu Schottland auf visitscotland.com

Beste Zeit
Das schottische Wetter ist unberechenbar. Am wenigsten Regen fällt im Mai, das kann aber immer noch eine ganze Menge sein.

Anspruch
Mit einer Länge von 71 Kilometern und insgesamt 1800 Höhenmetern zählt der Affric Kintail Way zu den leichteren Treks, etwas Ausdauer und Trittsicherheit vorausgesetzt. Da es am Ende der zweiten Etappe kein festes Dach über dem Kopf gibt, muss man allerdings das Zeltequipment schleppen – oder die zweite und dritte Etappe zusammenlegen, wodurch am zweiten Tag eine Strecke von
33 Kilometern zu bewältigen ist.

Unterkünfte & Restaurants entlang des Weges

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Jens Klatt

Übernachten
Im Dorf Cannich am Ende der ersten Etappe bietet das Westward klassisch-familiären B&B-Komfort (30 bis 35 Pfund pro Person, 34 bis 39 Euro) – wahlweise aber auch eine Holzlodge mit zwei Betten, WC/Dusche und Küche für Selbstversorger (58 Pfund für zwei Personen, 65 Euro). westwardbb.co.uk

Jugendherberge
Das Alltbeithe Youth Hostel am Ende der dritten Etappe ist Schottlands am einsamsten gelegene Jugendherberge – eigentlich eine kleine Berghütte. Sie bietet Bettenlager (ab 24 Pfund, 27 Euro) und Zimmer mit Stockbetten (ab 58 Pfund, 65 Euro), außerdem eine sehr gemütliche Selbstversorgerküche. syha.org.uk

In Inverness
Das Glen Mhor Hotel liegt zentrumsnah in Inverness – ideal für eine komfortable letzte Nacht vor der Rückreise. DZ ab 99 Pfund, 110 Euro. theinvernesshotel.co.uk

Cannich
Das letzte Restaurant (und gleichzeitig der letzte Pub) auf dem Affric Kintail Way ist das Slater’s Arms im Dorf Cannich. Neben Lamm, Fish & Chips, Haggis und anderen Klassikern schmecken hier auch indische Spezialitäten. Selbstversorger finden in Cannich einen Spar-Laden.

Inverness
Wer nach der Tour Lust auf leicht gehobene Küche hat, nimmt im »The Mustard Seed« Platz, zentral gelegen in der Fraser Street 16 (mus tardseedrestaurant.co.uk). Etwas günstiger ist das »Number 27«, eine gelungene Mischung aus Pub und Restaurant in der Castle Street. Auch wer spät Hunger bekommen sollte, kriegt hier noch etwas. number 27inverness.uk

Insider-Tipps von outdoor Reiseredakteur Gunnar Homann

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Jens Klatt

Für Eilige
Die zweite Hälfte des Affric Kintail Way ist die schönere. Wer wenig Zeit hat, sollte die ersten beiden Etappen mit dem Leihbike fahren und es am Parkplatz am Lake Affric abholen lassen. Ein zuverlässiger Verleiher ist Ticket to Ride in Inverness, tickettoridehighlands.co.uk

Länger bleiben
Der große Ehrgeiz britischer Wanderer ist es, möglichst viele »Munroes« zu wandern – so heißen in Schottland Berge über 3000 Fuß Höhe (914 m). Allein 15 Munroes umgeben die Jugendherberge Alltbeithe am Ende der dritten Etappe des Affric Kintail Way. Es lohnt, hier zusätzliche Wandertage einzuplanen. syha.org.uk

Loch Ness
Es macht Spaß, mit dem Ausflugsboot über den Loch Ness zu fahren. Wer von Clansman Harbor zum berühmten Urquhart Castle fährt, kann von dort in einer Dreiviertelstunde zum Start des Affric Kintail Way wandern. jacobite.co.uk

Dolphin Watching
In der Moray-Bucht vor Inverness kann man mit etwas Glück Delfine beobachten. Bis zu zwei Stunden lange Bootstrips veranstaltet dolphinspirit.co.uk

Eine kleine Nachtmusik
Jeden Abend Live-Musik – der Pub Hootananny in Inverness gibt eine Vorstellung davon, was man in Großbritannien unter einer Night Out versteht. Los geht es um halb zehn, in den Hauptrollen Geigen, Gitarren und »nur noch ein kleines Bier«. hootanannyinverness.co.uk

Video: Die Reise-Highlights 2018