Es ist Mittag, die Sonne brennt. Nur noch wenige hundert Meter trennen uns von unserem Ziel. Der Stolz wächst mit jedem Schritt, als das schlichte Holzschild in Sichtweite rückt. Geschafft! Die letzte Markierung des korsischen Weitwanderwegs Mare e Monti Nord beweist, dass wir 127 Kilometer gemeistert haben. Doch von vorne: Elf Tage früher starten wir in Calenzana im Nordwesten der Insel. Von dort schlängelt sich der Weg mal mehr, mal weniger nah der Küste durch Gebirgsausläufer Richtung Süden nach Cargese. Einige Male führt er auch direkt ans Meer. Die Route steht also fest, das Ziel weniger.
»Mal schauen, wie weit wir kommen« lautet das Motto, unter das mein Mann Hartmut und ich dieses Abenteuer gestellt haben. Kennen wir doch unsere Kids, eine manchmal launische Elfjährige und einen pubertierenden 14-Jährigen. Bezüglich ihrer Fitness haben wir null Bedenken, wohl aber hinsichtlich ihres durchgängigen Wanderwillens. Statt an den Etappenenden in Herbergen zu übernachten, sogenannten »Gîtes«, zelten wir auf den zugehörigen kleinen Campingplätzen.
Mit minimalen Gepäck die Natur Korsikas genießen

Und weil wir auf das gewohnte Komfortzelt und jeglichen Schnickschnack verzichtet haben, tragen die Erwachsenen nur je zehn Kilogramm auf dem Rücken, Tochter Clara viereinhalb und Sohn Paul acht. Wer braucht schon mehr als zwei Unterhosen in einem Wanderurlaub? Der Mare e Monti erweist sich Mitte Mai als Fest für die Sinne. Zu dieser Jahreszeit geht die Natur hier verschwenderisch mit ihren Reizen um: Überall blüht es in bunten Farben, frisches Grün strotzt vor jugendlicher Kraft.
Der niedrige Buschwald, der hier Macchia heißt, duftet betörend, und in den Küstenorten Galéria und Girolata locken schöne Sandstrände zum Baden. Doch bei aller Freude: Immer wieder melden sich meine Waden- und andere Muskeln. Die unterschiedlich schwierigen Etappen des Mare e Monti fordern insgesamt ordentlich Kondition. Trotz der niedrigen Höhen, auf denen der Weg verläuft, wandert man auf oft holprigen Wegen steil bergauf und ebenso steil wieder bergab.
Die Wanderlust hat auch den Nachwuchs gepackt
Nach drei Wandertagen und einem Pausentag befinden wir uns alle auf einem ähnlichen Leistungslevel. Danach geht es bei den Erwachsenen bergab, während die Kinder sich interessanterweise immer fitter zeigen. Nur gelegentlich, wenn ein Wandertag zu lang und der Weg sehr anstrengend ist, werden die Trekkingstöcke mal wütend ins Gebüsch gepfeffert. Meistens sind Clara und Paul am Abend jedoch müde und zufrieden. Und auf Aussichtspunkten und Gipfeln scheinen sie eine ähnliche Ehrfurcht zu empfinden wie mein Mann und ich: Das Geplapper verstummt, weicht minutenlangem andächtigen Schweigen. »Das war nicht der letzte Wanderurlaub mit den beiden«, prophezeit Hartmut. Ich hoffe, er behält recht.

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