Du warst 9500 Kilometer und 859 Tage lang unterwegs. Ist man danach noch der Mensch, der man vorher war?

Im Kern bin ich natürlich noch der Alte. Aber ich kenne mich jetzt besser. Vorher habe ich mich in meinen Entscheidungen zu sehr von anderen Menschen beeinflussen lassen. Nun habe ich mehr Mut, auf mich selbst zu hören.
Wie ist das gekommen?
Ich vergleiche das immer mit dem Beginn meiner militärischen Ausbildung. Zuerst wurde ich durch den Stress, die Furcht und die Erschöpfung gebrochen, und über weite Strecken war ich sicher auch depressiv. Aber dann habe ich gelernt, mich anzupassen, und mit dem Zuwachs an Erfahrung habe ich neues Vertrauen in mich selbst gefasst. Eines, das auf dem Wissen um meine eigenen Fähigkeiten basiert.
Wenn es eine Lektion gibt, die dir der Dschungel erteilt hat, welche wäre das?
Nicht von seinem Ziel besessen zu sein. Ich habe zweieinhalb Jahre den Moment ersehnt, in dem ich am Ziel über den Strand in den Atlantik rennen würde. Ich bin fast wahnsinnig geworden, so oft habe ich mir das vorgestellt. Doch den Antrieb, es zu schaffen, hatte ich sowieso, und wenn ich entspannter gewesen wäre und jeden Tag bewusster genossen hätte, ohne mir selbst diesen Druck zu machen, hätte ich die Reise als viel angenehmer empfunden.
Du hast das ganze Amazonasgebiet durchquert. Wie gefährdet ist der Regenwald?
Die traurige Tatsache ist, dass ich während der gesamten 859 Tage niemanden getroffen habe, der die Abholzung kontrolliert. Doch solange die Landbesitzer von der Ausbeutung des Regenwaldes profitieren und niemand ihnen auf die Finger schaut, werden die Gesetze missachtet werden. Trotzdem bin ich optimistisch, weil ich denke, dass sich etwas ändert. Die Kinder, die ich unterwegs in den Dörfern traf, kannten alle den Spruch, dass der Amazonas die grüne Lunge der Erde ist. Und sie waren stolz darauf, dass sie ihn direkt im Hinterhof hatten.
Hast du auf der Reise Spuren vom Jaguar gesehen?
Die ganze Zeit. Spuren und Gebrüll in der Nacht. Die Einheimischen dachten, ich sei verrückt, ohne Waffe loszuziehen, aber in einigen Dörfern war der Empfang so eisig, dass ich dachte, eine Waffe dabeizuhaben sei keine gute Idee. Ein Missverständnis hätte schnell eskalieren können. Die Jaguare haben mich zum Glück allein gelassen.
Wie bist du auf die Idee zu der Expedition gekommen?
Ich wollte die längste Expedition machen, die ich mir vorstellen konnte. Ich war noch nie am Amazonas gewesen, also suchte ich auf Google Expeditionen, die ihn schon abgegangen waren. Als ich keine fand, wurde mir klar, dass ich da über eine neue Welt gestolpert war. Ich war sofort Feuer und Flamme.
Du hattest wechselnde Begleiter. Wärst du bei deinem Trip alleine besser dran gewesen?
Nein. Eine Soloexpedition wäre natürlich beeindruckender gewesen, aber es hätte nicht so viel Spaß gemacht. Ich habe meine Unternehmungen immer mit Gleichgesinnten durchgeführt, die Gemeinschaftserfahrung macht mir Spaß. Mein Begleiter Cho wurde einer meiner besten Freunde, und ich bin wirklich glücklich, dass er dabei war.
Durch welche Charaktereigenschaft zeichnet sich für dich ein guter Begleiter aus?
Stetigkeit. Extreme Gefühle kann man bei einem Partner nicht wirklich gebrauchen. Da sind Stabilität und Geduld gefragt. Ein ruhiger Mensch ohne großes Konkurrenzdenken ist viel besser als jemand, der jede Menge Erfahrung mitbringt, aber durch seine Persönlichkeit zu große Wellen schlägt.
Welchen Fehler kannst du am ehesten verzeihen?
Ich kann alles verzeihen. Manchmal wird es eben sehr intensiv, und dann erhitzen sich die Gemüter. Wenn ich etwas schwierig finde, dann sind es Leute, die sich selbst betrügen. Wenn du nicht ehrlich zu dir selbst sein kannst, dann ist es irrelevant, ob du ehrlich zu anderen bist. Selbsterkenntnis ist der Schlüssel dazu.
Was macht dein peruanischer Begleiter Cho jetzt?
Er lernt Englisch in Lima und will nach Großbritannien. Er war letztes Jahr fünf Monate hier und hat bei meiner Mutter gewohnt.
Was würdest du beim nächsten Mal anders machen?
Ich würde es nicht noch mal machen! Es war eine unglaubliche Erfahrung für mich, aber eine, die ich nicht wiederholen muss. Ich wünschte, ich hätte mich nicht so mit meinem ersten Partner, Luke, verkracht. Aber das ist das Einzige, was ich bedauere. Wenn ich es noch mal machen müsste, würde ich die Strecke paddeln.
Du hattest Laptop und Satellitenmodem dabei. Wie bist du damit klargekommen, dass die Zivilisation nur einen Klick weit entfernt war?
Das war ein zweischneidiges Schwert. Mein Dschungelleben konnte durch dieses kleine Fenster schnell zu Stress zerstört werden. Aber hätte ich meine Online-Community nicht gepflegt, hätten wir keine Sponsoren gehabt, die unsere Reise bis zum Ende unterstützt hätten. Es war ein notwendiges Übel.
Was war die gefährlichste Situation auf dem Trip?
Es gab einige. Wir wurden mit vorgehaltener Waffe von Drogenhändlern gestoppt, von indigenen Stämmen mit Pfeil und Bogen bedroht, einmal wurde ich wegen Mordverdacht verhaftet. Außerdem gab es einige Morddrohungen. Ich musste immer deutlich machen, das wir keine Gefahr darstellen, und deswegen sind wir so bescheiden wie möglich aufgetreten.
Hat sich irgendwann mal Routine eingestellt?
Ja. Es war ziemlich schnell normal, den ganzen Tag zu gehen. Es war unser Leben - fantastisch, eine so konkrete Aufgabe zu haben. Vielen Leuten fehlt das.
Ist es einfacher, so eine Expedition zu machen, wenn man in einer Beziehung steckt oder wenn man gerade Single ist?
Single. Ich hätte das nie gemacht, wenn ich eine Freundin gehabt hätte. Diese Art Unternehmungen sind grundsätzlich egoistisch. Man muss sich während solch einer Reise ganz auf sich selbst konzentrieren. Das ist nicht möglich, wenn man jemanden liebt.
Welche physischen und mentalen Voraussetzungen muss man für so eine Tour erfüllen?
Jeder, der körperlich einigermaßen fit ist, hätte das tun können. Das war zu 95 Prozent Kopfsache. Man muss es eben so sehr wollen, dass man nicht aufhört, bevor man angekommen ist. Wenn du das wirklich willst, kannst du nicht verlieren, ausgenommen, du stirbst.
Wie schwer war es, die ganze Strecke zu Fuß zurückzulegen? Oft wäre es viel einfacher gewesen, die Schlauchboote zu benutzen, die ihr dabeihattet.
Das hat ganz schön genervt! Aber um ins Guinnessbuch zu kommen, war das unerlässlich. Wenn wir nicht solchen strengen Regeln gefolgt wären, hätten wir uns bei Flussüberquerungen kilometerweit treiben lassen können. Doch so mussten wir, am anderen Ufer angekommen, flussaufwärts zu der Stelle zurückgehen, die genau gegenüber der Stelle lag, wo wir in das Boot gestiegen waren. Langweilig, aber notwendig.
Woher hast du die Sturheit genommen, die man braucht?
Ha! Ich hasste den Gedanken, die Reise vorzeitig abzubrechen. Ich wäre zu Hause ins Pub gegangen, die Leute hätten mir auf die Schulter geklopft und gesagt: »Mach dir nichts draus, für uns bist du trotzdem ein toller Kerl.« Totaler Blödsinn. Ich wäre ein Versager gewesen. Das war nie eine Option, ich musste einfach Erfolg haben.
Woher, denkst du, kommt dieses Verlangen, den Komfortbereich zu verlassen?
Wenn man nicht ständig die Grenzen austestet, wird das Leben langweilig. Ein Bungeesprung ist das erste Mal spannend, aber wenn man das den ganzen Tag macht, wird es langweilig. Meine Seele lebt davon, Dinge zu tun, die andere für unmöglich halten.
Welche drei Dinge würdest du mit auf die berühmte einsame Insel nehmen?
Ein Messer, einen Magnesium-Feuerstarter und meine Freundin.
Das Buch zum trip: Walking the Amazon

860 Days - The Impossible task
The Incredible Journey
Ed Stafford - Walking the amazon
Virgin Books
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