outdoor: Klimaaktivisten fordern weniger Fleischkonsum, Tierschützer kritisieren die Massentierhaltung, Konsumenten kaufen verstärkt Produkte auf pflanzlicher Basis. Ist Leder noch ein zeitgemäßes Material?
Thomas Heinen: Leder bleibt so lange zeitgemäß, wie es Haut als Abfallprodukt gibt.Wenn sich die Menschheit durchringen würde, kein Fleisch, keinen Käse und keine Milch mehr zu konsumieren und auch keine Weiden mehr zu bewirtschaften, dann gäbe es auch keine Gerber mehr. Ich halte es für respektlos, einen Teil eines Lebewesens, das für sein Fleisch geschlachtet wurde, ungenutzt wegzuwerfen.
Aus Ihrer Perspektive ist Leder also ein Upcycling von Abfall?
Ja. Und das Ergebnis schlägt alle synthetisch hergestellten Materialien. Haut ist ein hochwertiger, natürlicher und nachwachsender Rohstoff. Das Leder, das daraus entsteht, wärmt, schützt und besitzt hervorragende technische Eigenschaften. Lederprodukte wie Wanderschuhe oder Bergstiefel passen sich im Laufe der Zeit an den Träger an, sie nehmen Fußfeuchtigkeit auf und geben sie nachts wieder ab, halten problemlos über zehn Jahre und können repariert werden.
Sie haben Ihre Fertigung ökologisch, sozial und transparent ausgerichtet und unter das Eigenlabel »terracare« gestellt. Würden Sie Ihre Leder als nachhaltig bezeichnen?
Ehrlich gesagt: nein. Wir produzieren zwar nach den derzeit strengsten Standards, lassen uns durch unabhängige Auditoren prüfen und unter anderem von Ökotex zertifizieren. Aber wir haben unsere selbst gesteckten Nachhaltigkeitsziele, wie eine CO2-neutrale Kreislaufwirtschaft, noch nicht erreicht. Daher sprechen wir bei terracare von Responsible Performance Leather, also verantwortungsvoll produziertem Leder.
Warum stellen Sie eigentlich nicht mehr Bio-Leder her?
Weil es nicht genug Bio-Häute gibt. Die Nachfrage nach Bio-Fleisch steigt zwar, aber die Mengen sind insgesamt noch sehr gering. Nur fünf Prozent der Rinderhäute, die wir verarbeiten, stammen aus ökologischer Tierhaltung.

Was wird die nächste große Innovation im Produktionsprozess?
Wir wollen in Zukunft den Gerbstoff Chrom ersetzen und Leder anbieten, die komplett biologisch abbaubar, also kompostierbar sind. Bei Kinderschuhen gelingt uns das heute schon. Für Modeschuhe in Erwachsenengrößen testen wir derzeit diverse Alternativen.
Und wie stehen die Chancen bei Outdoor-Schuhen, Chromfreiheit und hohe Performance zu verbinden?
Da stellen Sie die Gretchenfrage. Das Metallsalz Chrom zu ersetzen, das die Haut stabil, reißfest, haltbar und wasserabweisend macht, ist sehr schwierig. Das wird unsere große Herausforderung der kommenden Jahre.
Eignen sich pflanzliche Gerbstoffe als Chrom-Alternative?
Nicht für Outdoor-Schuhe. Denn vegetabil gegerbte Leder sind härter, schwerer und nicht wasserabweisend. Ihre Herstellung erfordert zudem mehr Gerbstoffe und mehr Wasser, das wiederum biologisch schwer zu reinigen ist. Natürliche Gerbstoffe sind giftig, da sie Pflanzen vor Infektionen und Fressfeinden schützen. Die Bakterien, die das Abwasser reinigen sollen, werden von diesen Giften abgetötet. Chrom dagegen kann mit einer pH-Wert-Steuerung komplett ausgefällt werden.
Vegane Kunstleder aus Apfeltrester, Ananasresten, Kork oder Pilzmyzel liegen im Trend. Was halten Sie davon?
»Veganes Leder« ist ein Widerspruch in sich. Und ökologisch kann das Material nicht überzeugen: Auf die Pflanzenfasern wird abschließend oft ein erdölbasierter Kunststoff wie Polyurethan aufgetragen. Auch die Haltbarkeit und Optik kann mit echtem Leder nicht mithalten. Völlig okay,wenn man sich vegan oder vegetarisch ernährt – ich esse auch kein Fleisch. Aber ein Plastikprodukt als Leder zu titulieren und als Zeitgeist zu vermarkten, ist nicht korrekt.
Sie essen kein Fleisch? Ist das nicht ungewöhnlich für einen Gerber?
Ich habe schon als Kleinkind jegliches Fleisch wieder ausgespuckt. Auf Fachtagungen ist es mittlerweile ein Running Gag, wenn der Kellner hereinkommt, in die Tischrunde der Gerber schaut und fragt: »Und für wen ist der Salat?«
Tradition und Innovation Lederfabrik – Josef Heinen

In vierter Generation führt Thomas Heinen, 51, die Lederfabrik Josef Heinen im niederrheinischen Wegberg. Rund 200.000 Rinderhäute, ausschließlich aus Deutschland, verarbeitet das Unternehmen jährlich nach strengen ökologischen und sozialen Standards zu Oberledern. Zum Tragen kommen sie unter anderem in Schuhen von Lowa, Meindl, Hanwag und Vaude.