Erderwärmung auf 1,5 Grad Anstieg begrenzen - machbar?

Erderwärmung begrenzen
Schaffen wir das?

Zuletzt aktualisiert am 02.04.2025
Green Issue - Erderwärmung
Foto: Wikimedia: NASA/Apollo 17 crew, Harrison Schmitt or Ron Evans
outdoor: Deutschland hat 2024 zum dritten Mal in Folge seine Klimaziele erreicht und liegt mit 656 Millionen Tonnen ausgestoßenen Klimagasen angeblich auf einem ähnlichen Niveau wie in den 1950er Jahren. Dürfen wir uns darüber freuen?

Dr. Niklas Höhne: Ein bisschen. Die Emissionen gehen runter, aber pro Kopf sind sie bei uns immer noch viel höher als der Weltdurchschnitt. Wir sind in Deutschland an vierter Stelle der emissionsintensivsten Länder, wenn man sich die historischen Daten anguckt. Und wir sind noch längst nicht bei null Tonnen, da wollen wir hin bis 2045.

Sind wir auf einem guten Weg dahin?

Ich würde sagen, auf einem besseren Weg als noch vor drei Jahren. Aber mit den jetzigen Maßnahmen werden wir weder das Ziel für 2030 – eine Reduktion aller Treibhausgase um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 – noch Klimaneutralität bis 2045 erreichen. Und man muss aus klimawissenschaftlicher Sicht auch sagen: Selbst wenn wir das erreichen, haben wir noch nicht unseren fairen Anteil am 1,5-Grad-Ziel beigetragen. Dafür müssten wir eigentlich noch mehr und noch schneller reduzieren.

Sinken die Emissionen in allen Sektoren – Energie, Verkehr und Wohnen beziehungsweise Gebäude – halbwegs gleichmäßig?

Nein. Nur im Strombereich läuft es derzeit extrem gut. Das liegt daran, dass die erneuerbaren Energien boomen. Besonders jetzt, seit die letzten Maßnahmen der jetzigen Regierung greifen. Windund Sonnenenergie werden sehr schnell ausgebaut. Schlusslicht bei der Emissionsreduzierung ist der Transportsektor, da passiert viel zu wenig.

Haben Sie konkrete Zahlen dazu?

Die trägt der Expertenrat für Klimafragen regelmäßig zusammen: Jeder Sektor hat eigene Ziele. Der Stromsektor erreicht sie locker, aber der Verkehrssektor nicht. Und auch der Gebäudesektor nicht.

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Quelle: Umweltbundesamt
Wie steht Deutschland in puncto Klimaziele im Vergleich zu anderen europäischen Staaten da?

Im Mittelfeld. Manchmal wird ja suggeriert, Deutschland wäre Vorreiter, aber das stimmt inzwischen nicht mehr.

Selbst wenn Deutschland 2024 die nationalen Klimaziele erreichen konnte, hat es die europäischen Klimaziele verfehlt. Warum gibt es da Unterschiede?

Es gibt verschiedene Ebenen, die verschiedene politische Ziele setzen. In Deutschland haben wir ein Gesamtziel über alle Sektoren hinweg. Das wird erreicht, die sektoralen Ziele für Verkehr und Gebäude werden es aber eben nicht. Nach EU-Recht verhält es sich etwas anders. Hier werden die Emissionen aufgeteilt in einmal alles, was Strom und Industrie umfasst, und dann in alles, was Gebäude und Verkehr und noch einige andere Sachen umfasst. Anders gesagt: Laut EU-Recht muss man alle Ziele erreichen, nicht nur das Gesamtziel.

Was sind die Konsequenzen?

Wenn ein Land die Ziele der Europäischen Union nicht erreicht, drohen Strafzahlungen. Und das kann teuer werden – abhängig davon, was die Emissionsrechte zu dem Zeitpunkt kosten, an dem man das zahlen muss. Das kann schnell in die Milliarden gehen, die Deutschland zahlen muss, wenn es dieses Ziel für Transport und Gebäude zusammen nicht einhält.

Ab wann sind diese Strafzahlungen zu leisten – ab 2030?

Nein, schon vorher. Noch liegt Deutschland kurz unter der Grenze dahin, aber mit den jetzigen Vorhersagen zu unseren Emissionen wird es diese Strafzahlungen bald tätigen müssen.

Gibt es ein Vorreiterland in der EU, das die Klimaziele erreicht?

Es gibt sehr wenige. In Summe werden aber alle Länder zusammen ihr Ziel nicht erfüllen. Und das ist die wichtige Information, denn wenn wir in Summe die Ziele erfüllen würden – nur Deutschland nicht –, dann müsste es ja irgendwo Zertifikate geben, die Deutschland kaufen könnte. Aber das ist nicht der Fall.

Trotzdem: Wo kann sich Deutschland bei den Nachbarn etwas abgucken in Sachen Klimaschutz, wenn es insgesamt nur im Mittelfeld liegt?

In der Schweiz zum Beispiel geht gerade der Absatz der Wärmepumpen sehr schnell hoch. In den ganzen skandinavischen Ländern werden Wärmepumpen sowieso schon standardmäßig eingesetzt. Das wären Länder, die besser sind im Gebäudesektor. Und im Transportsektor ist es ähnlich. Da gibt es Länder, wo eben insbesondere der öffentliche Nahverkehr besser ausgebaut ist: neben der Schweiz auch Österreich. Die Schweiz investiert pro Einwohner zehnmal so viel in Bahninfrastruktur wie Deutschland. Und bei der Elektromobilität geht es zum Beispiel in den Niederlanden viel schneller voran als bei uns.

Nun betrifft die Erderwärmung ja die ganze Welt. Auf der letzten UNKlimakonferenz, in Baku im November 2024, kam es immerhin zu einem Beschluss. Wie bewerten Sie den?

Diese internationalen Klimaverhandlungen sind sehr wichtig, weil sie sich eben um ein globales Problem drehen. Aber sie operieren nach dem System, dass alle Länder sich dort einigen müssen. Wenn ein Land gegen etwas ist, wird nichts beschlossen. Deshalb ist es grundsätzlich schon mal schwierig, da überhaupt etwas zu beschließen. Dass man sich da überhaupt einigen kann, auch in dieser schwierigen diplomatischen Weltlage mit verschiedenen Kriegen und gewalttätigen Auseinandersetzungen, ist gut. Inhaltlich passiert natürlich zu wenig. Wir alle müssten sehr viel mehr tun.

Inwiefern?

Die Länder des globalen Nordens müssen die Länder des globalen Südens mehr unterstützen. Und wir müssten sehr viel schneller sein mit der Emissionsreduktion. Aber immerhin gibt es diesen Prozess. Viele Länder haben sich auf den Weg gemacht, klimaneutral zu werden.

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Redaktion
Eine wichtige Frage ist immer: Was macht China?

China hat genau verstanden, worum es gerade geht: eine Transformation. Es geht um neue Technologien, neue Innovationen, neue Märkte, die man erschließen kann. Man hat in China schon vor 15 Jahren eine Strategie entworfen, wie man Elektroautos in den Markt bringen kann. Um den Markt von dieser Seite her aufzurollen. Und auch bei den erneuerbaren Energien ist es der Weltmarktführer. 80 Prozent der Solarpanels kommen aus China. 60 Prozent der Windkraftanlagen und 60 Prozent der Elektroautos. Quasi alles, was man für die Energiewende braucht, kommt aus China.

Das hört sich gut und zukunftsorientiert an, aber geht es China nicht vor allem um Geld und Macht – Stichwort Neue Seidenstraße?

Ohne Frage, China hat sehr viele Probleme mit Menschenrechten und strebt maximalen globalen Einfluss an. Insbesondere eben mit der Neuen Seidenstraße in Afrika, wo es sich mit viel Investition einkauft. Interessant ist: Auch hier handelt es sich um eine langfristige Strategie, um eine zukunftsfähige Wirtschaft aufzubauen. Wie bei der Elektromobilität. Bei allen Schwierigkeiten, die man bei China sehen kann, wäre das eine Strategie, die man in Europa auch kopieren könnte oder sollte sogar: sich langfristig Gedanken machen. Als Beispiel: Europa hat Industrie für Windkraft aufgebaut. 400.000 Arbeitsplätze stecken derzeit in erneuerbaren Energien hier in Deutschland. Das sind halb so viele wie in der Autoindustrie, also wirklich eine Menge. Aber jetzt muss man darauf achten, dass diese Industrie auch hierbleibt und langfristig eine Perspektive hat: eine dringende Aufgabe der neuen Bundesregierung.

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Getty/Paul Campbell
China ist trotz seiner Spitzentechnologien immer noch für rund ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Und die scheinen bisher nicht zu sinken. Wird sich das bald ändern?

Die Hoffnung ist, dass die Emissionen im Jahr 2024 ein Maximum erreicht haben und 2025 schon wieder niedriger sind. Ob das nun wirklich 2025 oder 2026 passiert, weiß ich nicht. Aber dass dann die Emissionen runtergehen, davon gehen eigentlich alle Experten aus.

Wie zu erwarten war, hat Donald Trump gleich nach seinem Wahlerfolg den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen erklärt. Sehen Sie da ebenso wie das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung große Herausforderungen bei der Bewältigung der Klimakrise auf uns zukommen?

Die Wahl von Trump ist natürlich keine gute Nachricht für den Klimaschutz. Aber am Ende kommt es vielleicht gar nicht so schlimm, wie man erst mal denkt. Denn Trump kann die Uhr nicht zurückdrehen. Er kann die Revolution der erneuerbaren Energien nicht aufhalten. Auch in den USA sind erneuerbare Energien günstiger als fossile. Somit werden die Emissionen dort runtergehen. Langsamer als wünschenswert, aber sie werden runtergehen. Tröstlich auch: Weltweit findet Trump bislang keine Nachahmer. Kein anderes Land will aus dem Pariser Klimaschutzabkommen austreten.

Aber Trump lehnt im Prinzip jeglichen Klimaschutz ab. Trotz heftiger Waldbrände in Kalifornien.

Trump ist ein Klimaleugner, streitet ab, dass es den menschgemachten Klimawandel überhaupt gibt. Aber: Die USA sind die Vereinigten Staaten von Amerika, und rund die Hälfte der Bundesstaaten ist für Klimaschutz. Das lässt hoffen.

Droht die Gefahr, dass Europa oder sogar die ganze Welt bei der Klimawende von China abhängig wird?

Das sind wir jetzt schon. Fast alle Solarmodule kommen von da. Bei der Windkraft ist wie gesagt die Industrie, die Deutschland aufgebaut hat, in Gefahr. Und wenn sich die europäische Autoindustrie bei Elektroautos weiter sträubt, wird China den deutschen Markt mit sehr, sehr günstigen Elektroautos fluten.

Warum wird in Deutschland zu wenig investiert in einen Transformationsprozess? Und warum wird Kerosin immer noch so niedrig besteuert?

Wir haben in der Tat zu viele klimaschädliche Subventionen. Kerosin ist ein Beispiel, ebenso die Pendlerpauschale oder das Dienstwagenprivileg, das eigentlich nur vorteilhaft für die großen Spritfresser ist. Das sind erhebliche Summen, mindestens 35 Milliarden gibt der Staat pro Jahr für klimaschädliche Subventionen aus.

Aber was ist mit klimafreundlichen Investitionen?

Eine Investition ist anfangs immer mit hohem Aufwand verbunden. Und derjenige, der investiert, profitiert nicht unbedingt direkt davon. Das ist bei Transportinfrastruktur ganz deutlich: Weil wir heute sparen müssen, werden Schienen nicht gebaut, von denen die nächste Generation profitieren würde. Oder Dämmungen von Gebäuden werden nicht vorgenommen, weil die Vermietenden die Investitionen und dann die Mietenden die Vorteile haben. Hier muss die Politik dringend aktiver nachhelfen, damit solche Dinge trotzdem passieren.

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Redaktion
Man hat oft den Eindruck, langfristiges Denken widerspreche der menschlichen Natur – ist das Bequemlichkeit?

Klimaschutz ist nicht das einzige Feld, wo wir Schwierigkeiten haben mit Langfristigkeit. Bei den Renten zum Beispiel fahren wir gegen die Wand, aber tun nichts. Die Zukunft hat leider ziemlich wenig Lobby.

Es gibt mit Blick aufs Klima viele Ansichten, auch Postwachstumsökonomie ist vertreten, zum Beispiel durch den Volkswissenschaftler Niko Paech. Er spricht sich für eine massive Konsumverringerung aus, einhergehend mit weniger Erwerbsarbeit, mehr Zeit für eigenhändige Reparaturen und so weiter. Demgegenüber die schottische Wissenschaftlerin Hannah Ritchie, die Optimismus sät, Entwicklungen wie gesunkene Kindersterblichkeit betont und neben einer Begrenzung des Klimawandels auch auf Klimaanpassung setzt. Wem stimmen Sie zu?

Beiden. Es hat sich viel getan, wie Hannah Ritchie sagt. Wir schauen uns hier im New Climate Institute auch die Treibhausgasentwicklungen an und geben Temperaturschätzungen bis zum Jahrhundertende ab. Vor zehn Jahren sagten wir, mit den damaligen Maßnahmen wäre man bei 3,5 Grad Anstieg. Mittlerweile wären es 2,7 Grad, und wenn alle Länder ihre Pläne umsetzen, sind wir bei 1,9 Grad. Eine riesige Verbesserung.

Aber?

Paechs Ansatz, dass wir unser Wirtschaftsmodell und Konsumverhalten überdenken müssen, ist nicht in der politischen Debatte angekommen. Mit Blick auf die Wirtschaft geht es dort stets um mehr, nicht um weniger.

Was sind Ihre top Tipps für mehr Klimafreundlichkeit im Alltagsleben?

Öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad nutzen, wann immer es geht, und vor allem Fliegen vermeiden. Mit Blick auf Konsum: langlebige Produkte kaufen und sich grundsätzlich überlegen, was man überhaupt braucht. Und dann weniger Fleisch und tierische Produkte essen, saisonale Produkte bevorzugen, möglichst wenig wegwerfen.

Wie sehen Sie die Nachhaltigkeitsbemühungen in der Outdoor-Branche?

Wir schauen uns viele Unternehmen an, und im Vergleich zu anderen Bereichen tut sich in der Outdoor-Branche viel. Vielleicht, weil die Kundschaft so naturverbunden ist und viele Chefs und Mitarbeitende der Firmen ähnlich ticken.

Wandern Sie oder betreiben irgendeinen anderen Outdoor-Sport?

Ich gehe sehr gerne wandern. Tagestouren an Wochenenden, im Urlaub auch mal von Hütte zu Hütte in den Alpen.

Was empfehlen Sie Menschen, die ihren Outdoor-Hobbys nachgehen wollen, ohne der Umwelt zu schaden?

Wie gesagt, Mobilität ist die größte Stellschraube. Gerade bei Bergzielen ist das nicht immer leicht, aber wenn möglich, lasst das Auto stehen. Und nutzt euer Equipment so lange wie möglich.

Was lässt Sie optimistisch auf das globale Klima blicken?

Dass es möglich ist, die Erderwärmung in Grenzen zu halten – wenn die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Und dass die Menschheit ziemlich viel erreichen kann, wenn sie will. In der Corona-Krise konnten plötzlich auch die meisten von uns zu Hause arbeiten.

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