Yangshuo - Klettern in China
Yangshuo - die besten Felsen im Reich der Mitte

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70000 gewaltige Karsttürme bilden in der südchinesischen Provinz Guangxi ein einzigartiges Gipfellabyrinth. In dessen Zentrum liegt Yangshuo, das Klettermekka im Reich der Mitte.

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Foto: Gerhard Schaar

Stilgerecht für China beginne ich meine Entdeckungsreise mit dem Fahrrad. "Sky", der eigentlich Chao Mian heißt, begleitet mich. Wir haben uns am Tag meiner Anreise kennen gelernt, weil der Klettershop, in dem er arbeitet, noch offen hatte, als ich gegen 23 Uhr durch die Stadt irrte. Schnurstracks arrangierte mir der sympathische Dauerlächler dann auch gleich ein Zimmer und bestand darauf, mich am nächsten Tag herumzuführen. "Vely nice, you will see!"

Unsere Highlights

So sehe ich gleich an meinem ersten Tag in Yangshuo nicht nur einige Klettergebiete entlang des Yu Long River – was auf deutsch Fluss des Drachens heißt –, sondern auch das ländliche China. Ich bin überrascht, wie arm die Leute hier sind und unter welchen einfachen Verhältnissen sie leben. Die Bauern bestellen meistens noch per Handarbeit mit Schaufeln und Hacken oder maximal mit Büffel und Pflug den Boden. Wer nicht arbeitet, spielt um Geld Karten, denn offensichtlich gibt es hier sonst nichts anderes zu tun.

Die Stadt Yangshuo selbst ist da – bis auf das pathologische Kartenspielen – schon anders. Schlagartig kann ich verstehen, wieso in China derzeit geschätzte 350 Millionen Menschen vom Land in die Städte ziehen. Denn hier gibt es genügend Arbeit, Strom, fließendes Wasser und ärztliche Versorgung. Überall wird gebaut, und die Straßen sind voll mit Geschäften.

Als mein Kumpel Janne einen Tag nach mir eintrifft, beschließen wir, gemeinsam mit Sky und seinen Freunden um die Häuser zu ziehen. In dieser Nacht erleben wir das sogenannte "Kultur-Paradoxon". Was furchtbar kompliziert klingt, ist ein simpler Prozess und in der Kletterwelt vielfach erprobt: Mit steigendem Alkoholkonsum verschwinden die kulturellen Barrieren mit exponentieller Geschwindigkeit.
Die Sonne geht gerade über den Kalksteintürmen Yangshuos auf, als wir in die Busstation einmarschieren. Unser heutiges Ziel ist "Wine bottle", ein Sektor mit rund 30 Routen von 5a bis 7a. Gerade mal zehn Minuten dauert die Fahrt mit dem Minibus, der keine Stoßdämpfer zu besitzen scheint. Dann noch dreimal umfallen, und wir sind auch schon am Einstieg der Routen. Es ist Anfang März, die Sonne scheint frühlingshaft auf uns herunter, und der Kalkfels strahlt in seiner ganzen Bandbreite von grau an den plattigen Stellen bis gelb in den Überhängen.

Genau die richtigen Verhältnisse, um sich an den Fels zu gewöhnen und unsere neuen Freunde auch klettermäßig kennen zu lernen. Sie haben alle ein ordentliches Niveau, einige von ihnen klettern im Bereich 7c. Die Stimmung ist extrem ausgelassen, selten habe ich beim Klettern so viel gescherzt und gelacht. So vergeht der erste Klettertag wie im Flug, und hundemüde fallen wir nach einer großen Portion Reisnudeln in die Federn.

Das absolute Mekka des Sportkletterns

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Gerhard Schaar
Die Tiger aus Fernost kommen! Chinesisch-finni­sche Muskelspiele im Sektor Twin Gate.

In den kommenden Wochen besuchen wir mit unseren chinesischen Freunden viele der etwa 20 Sektoren von Yangshuo. Als Janne und ich dabei von unseren ausgiebigen Klettertrips erzählen, sind unsere Freunde sehr erstaunt, dass wir so viel reisen können. Für chinesische Kletterer sind Aufenthalte in anderen Ländern nur schwer möglich, weil ihnen in erster Linie das Geld fehlt. Die meisten von ihnen verdienen als Kletterinstruktor gerade mal an die 1000 Yuan, das sind umgerechnet 100 Euro, und bekommen freie Unterkunft. Da verwundert es nicht, dass dieser spärliche Lohn höchstens für eine Reise nach Hause reicht, wenn in der Winterpause in Yangshuo weniger los ist. Für Sky, der aus der Provinz Fu Zhan stammt, bedeutet dies eine zweitägige, 2500 Kilometer lange Zugreise.

Kletterer aus den nördlichen Provinzen, in denen es im Winter extrem kalt ist, kommen dagegen genau zu dieser Jahreszeit aufgrund des vergleichsweise milden Klimas für einige Monate nach Yangshuo. Lao Chen, der unglaublichste Kettenraucher, den ich je getroffen habe, und Spaßvogel Fu Faeng kommen aus dem Norden. Sie haben sich für drei Monate oberhalb einer Diskothek ein Zimmer für 400 Yuan pro Monat gemietet. Schlafen können sie erst weit nach Mitternacht, aber dafür ist ihre Bleibe billig. Ihrem Beispiel folgen auch andere Kletterer aus dem ganzen Land. "Wer in China kletterhungrig ist, der kommt früher oder später nach Yangshuo", versichert mir Lao Chen mit Nachdruck. "Und du musst wissen", ergänzt Dian Dian, der aus der Zehn-Millionen-Metropole Hangzhou stammt, "dass bei mir zuhause vielleicht 100 Leute klettern. Es gibt gerade mal 30 Routen in einem einzigen Gebiet. Auch Kunstwände sind relativ selten. Yangshuo ist für uns Chinesen das absolute Mekka des Sportkletterns."

Freundlichkeit und Großzügigkeit der Locals

Die meisten chinesischen Kletterer kommen deshalb immer wieder nach Yangshuo, manche bleiben gleich für immer. So auch A Bon, einer der besten chinesischen Felskletterer und Instruktor bei der Kletter- und Outdoorschule "China Climb". Für ihn die logischste Sache der Welt: "Yangshuo ist der einzige Ort in China, an dem es eine internationale Szene und dadurch eine für unsere Verhältnisse ungewöhnlich offene Geisteshaltung gibt. Wir haben die Möglichkeit, Englisch zu lernen und unser Hobby zum Beruf zu machen. Viele wie ich arbeiten in Klettershops und Kletterschulen. Wir können uns keinen cooleren Ort vorstellen!"

Mich beeindruckt die Freundlichkeit und die Großzügigkeit der Locals. Des Öfteren bezahlen unsere Freunde die gesamte Rechnung, nachdem wir uns alle die Wampe mit Gemüse, Fisch, Ziege, Schweinefleisch und Unmengen von Reis voll geschlagen haben. Das, erklären sie uns, sei Ausdruck ihrer Gastfreundlichkeit, und sie bestünden darauf, uns einzuladen. Auch so mancher Kübel gefüllt mit Eis und köstlichem Tsing Tao Bier findet den Weg in einen der Kletterläden, in denen wir oft zu später Stunde noch gemütlich beisammen sitzen.

Yangshuo - Klettern und Konfuzius

"The White Mountain" ist wahrscheinlich der beste Sektor Yangshuos. Er hängt leicht bis stark über und hat eine Auswahl von etwa 50 Routen zwischen 6b und 8b+. Dazu liegt er wunderschön. Direkt vor ihm breitet sich eine Wiese aus, dahinter überblickt man ein kleines Becken mit Orangenplantagen und Gemüsefeldern. Hier finden vor allem Hardcore-Kletterer und ambitionierte Sonnenanbeter ein reichliches Betätigungsfeld.

Ebenso schwer geklettert wird an "The Banyan Tree", "Lei Pi Shan" und am "Moon Hill". Letzterer ist allerdings sehr bekannt und voll mit Touristen und Getränke-Verkäuferinnen, die einem zum Wahnsinn treiben können. Mit ihrem "Watel, watel, watel!" verfolgen sie einen den ganzen halbstündigen Anmarsch und hören selbst am Einstieg nicht auf. Kleiner Tipp am Rande: Jeglicher Versuch zu erklären, dass man genügend Wasser mit dabei hat und nichts kaufen möchte, ist zum Scheitern verurteilt. Außer den auswendig gelernten Sprüchen verstehen die Frauen kein English. "Cold watel! Flesh watel! You buy!"

Entengeschnatter und Büffelgrunzen

In den anderen Gebieten geht es zum Glück ruhiger zu. So auch am Sektor "The Egg". An dem zweihundert Meter langen Felsband gibt es eine schöne Auswahl an Routen von 6a bis 7a mit unterschiedlichem Charakter. Die einzigen Geräusche hier sind das Entengeschnatter von den Fischteichen und das Grunzen der Wasserbüffel von den Reisfeldern her – sozusagen ein klassisches chinesisches Ambiente. Schwer zu empfehlen sind auch die Sektoren "Twin Gate" und "Banyan Tree". Sie liegen eng beieinander und können leicht mit dem Fahrrad erreicht werden. So bekommt man garantiert einen guten Eindruck von Land und Leuten. Gegenüber der „Wine Bottle“ finden sich einige Mehrseillängenrouten an "The Thumb" und "The Middle Finger" – zwei schöne, freistehende Karsttürme, die jeweils ungefähr 100 Meter hoch sind.
Auch der kitschige Klassiker ohne Namen an der touristischen "Butterfly Cave" – ein Teil der Route verläuft über riesige chinesische Schriftzeichen – ist nur einen Steinwurf entfernt.

Zwischen Klettern und Konfuzius

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Gerhard Schaar
Bester Fels, tolles Ambiente: Rocky Wang klettert "West Streak" (7a+) im Sektor "White Mountain".

Die Felsqualität in den 20 Sektoren, der unterschiedliche Charakter der rund 400 Routen und die einmalige Landschaft machen Yangshuo bereits heute zu einem Klettergebiet von internationalem Format. Doch das Potenzial ist bislang erst angekratzt, und ständig werden neue Linien erschlossen. Einzig die bislang geringe Anzahl an Mehrseillängen-Routen und ihre teils bescheidene Absicherung sind ein Wermutstropfen dieser außergewöhnlichen Destination. Alle Felsen gehören hier dem Staat, und es gibt fast keine Beschränkungen, was das Einbohren betrifft. Kein Wunder, dass vor allem verhältnismäßig wohlhabende Kletterer aus Europa und den USA hier ihre Spuren hinterlassen und zu den Haupterschließern zählen. Ohne Zweifel wird das Gebiet bald seinen verdienten Platz im internationalen Kletterzirkus einnehmen.

Ist es eine gute Idee, in China zu sein?

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Gerhard Schaar
Gerhard Schaar genießt den wasserzerfressenen Fels in der dritten Seillänge (6b) von Happy new year am „Thumb peak“.

Sofern die politische Entwicklung in China dies nicht verhindert. Zum Ende meines Aufenthalts in Yangshuo brechen in Tibet Unruhen aus, und ich werde Zeuge der harten Hand des Regimes über sein Volk. Die staatlich zensierten Medien berichten in teils lächerlich einseitigen Reportagen über die Vorgänge. Durch die Gespräche mit meinen Freunden erfahre ich auch, wie sehr sie geblendet werden. Natürlich wirft das bei mir die Frage auf, ob es überhaupt eine gute Idee ist, in China zu sein. Soll ich tatsächlich einen Beitrag schreiben? Lange weiß ich nicht, wie ich mit dieser Frage umgehen soll. Dann stoße ich in einem Magazin auf einen Beitrag über den Dalai Lama, dessen Aussagen mir helfen, meine eigenen Erfahrungen und Gedanken in eine Botschaft zu formulieren: Die "normalen" Menschen in China und besonders die Kletterer leben ein Dasein fernab der Interessen der Entscheidungsträger in Beijing. Es ist die Regierung des Landes, die anzuprangern ist, nicht die Bevölkerung. Die Menschen in China auszugrenzen, wäre daher der falsche Weg. Ein Besuch in Yangshuo, und so sehe ich das auch für meinen Aufenthalt, bietet zumindest die Möglichkeit, einigen wenigen Menschen eine andere Sichtweise zu geben – einen anderen Blickwinkel, den sie sonst nie einnehmen würden. Und man selbst lernt die Kultur des Landes besser zu verstehen und fällt nicht mehr vorschnell ein Pauschalurteil über die gesamte Bevölkerung.

Vor diesem Hintergrund nimmt sich letztlich die Bedeutung des Kletteranteils meines Besuchs im Reich der Mitte relativ bescheiden aus. Was überwiegt, ist die Freude über die neuen Freundschaften, den gewonnen Respekt füreinander und die Erkenntnis, dass vermeintlich unbedeutendes individuelles Handeln einen Ausschlag geben kann. Aber das wusste ein Chinese namens Konfuzius bereits vor zweitausend Jahren.

Klettern in Yangshuo - Informationen

Beste Jahreszeit
Oktober und November ist die beste Zeit mit angenehmen Temperaturen und stabilem Schönwetter. März und April sind auch o.k., es kann aber öfters regnen. Im Sommer ist es sehr heiß, allerdings findet man laut den Locals immer ein schattiges Plätzchen. Die Monate Dezember, Januar und Februar sind meist kalt und regnerisch.

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Gerhard Schaar
(Klick auf die Karte öffnet die Großansicht.)

Anreise
Von Europa nach Bangkok (Bangkok Airways) oder Hong Kong (Dragon Airlines) fliegen. Von dort gibt es jeweils Direktflüge nach Guilin in Südchina. Vom Flughafen in Guilin nimmt man am besten ein Taxi direkt nach Yangshuo (ca. eine Stunde), das 200 Yuan (rund 20 Euro) kostet.

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Gerhard Schaar
(Klick auf die Karte öffnet die Großansicht.)

Visum
Für China besteht Visum-Pflicht. Am besten besorgt man sich dieses rechtzeitig vor der Abreise zuhause. Der Pass muss bei der Einreise noch mindestens sechs Monate gültig sein. Für Hong Kong ist kein Visum erforderlich.

Unterkunft
In Yangshuo gibt es unzählige Hotels und Guesthouses. Im Normalfall kostet ein Doppelzimmer für 2 Wochen etwa 70 bis 80 Yuan pro Tag. Wer mehrere Angebote vergleicht und gut verhandelt, zahlt sogar weniger. Für Kletterer als erste Anlaufstation und Adresse für Reisedokumente zu empfehlen: Karst Climber. Die Besitzerin "Echo" hilft gerne bei allen Fragen weiter. www.karst-climber.com.

KL Kletterführer Yangshuo China
Gerhard Schaar
Den Kletterführer von Yangshuo kann man bei Gerhard Schaar bestellen.

Essen und trinken
Wer in Bars und Restaurants für "normale Touristen" geht, zahlt für chinesische Verhältnisse viel (etwa die Hälfte unserer Preise). In den einheimischen Straßenläden und kleinen Restaurants zahlt man dagegen nur einen Bruchteil der Preise.

Kletterläden / Infos
Black Rock Climbing (www.blackrockclimbing.com). X-climber (www.x-climber.com, englische Webseite; wer Routen einbohren möchte, kann sich hier auch Haken kaufen und eine Bohrmaschine ausleihen); Rocky‘s Climbing Club
(www.yangshuorockclimbing.com). Hier gibt es eine ordentliche Boulderwand mit Ambiente für Regentage.

Kletterführer
Yangshuo Rock Climbing by Paul Collins, erhältlich in Yangshuo Kletterläden oder unter www.gerhardschaar.com

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Erscheinungsdatum 06.06.2023