Gewicht und Klettern
Überprüft: Abnehmen und schwerer klettern

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Dass Kletterer federleicht sein müssen, um schwere Routen zu klettern, ist ein hartnäckiges Gerücht. Der norwegische Forscher und Kletterer Gudmund Groenhaug hat die Frage untersucht.

Gewicht und Klettern
Foto: Sarah Burmester

In diesem Artikel:

Gewicht und Klettern – ein hartnäckiges Gerücht

Im Rahmen meiner Doktorarbeit zu Überlastungsschäden bei Kletterern habe ich unter anderem den Faktor Gewicht untersucht. Anhand der Daten von knapp 700 Kletterern habe ich überprüft, ob der Body-Mass-Index (BMI) Einfluss auf Verletzungsanfälligkeit und Kletterleistung hat. Das Ergebnis mag überraschen, doch entbehren die Zusammenhänge nicht der Logik.

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Viele Kletterer sind sehr dünn. Der Rückschluss, dass man zum Klettern dünn sein muss, ist allerdings nicht ganz korrekt.
Klettern und Gesundheit

Vorab muss erwähnt werden, dass der BMI nur eingeschränkte Aussagekraft über die tatsächliche Körperkonstitution eines Menschen erlaubt, da der BMI zwischen Fett- und Muskelmasse nicht unterscheidet. Für eine einzelne Person ist der BMI eine ziemlich nutzlose Größe, doch als Vergleichsparameter ist der BMI nach wie vor die beste Kennzahl für Studien, die sich mit dem Verhältnis von Größe zu Gewicht beschäftigen.

Obwohl es erst einmal unlogisch klingt, konnte meine Untersuchung keinen Zusammenhang zwischen BMI, Verletzungen und Kletterleistung feststellen. Warum dieses Ergebnis logisch und stimmig ist, wird klar, wenn man die Gründe um das Märchen von geringem Gewicht und hoher Kletterleistung im Detail betrachtet.

BMI und Verletzungen

Sehen wir uns zuerst einmal an, ob der BMI Verletzungen im Klettern sowie anderen Sportarten beeinflusst. Eine systematische Übersichtsarbeit, also eine Arbeit, die Ergebnisse mehrerer Untersuchungen auswertet, förderte widersprüchliche und wenig beweiskräftige Aussagen zutage. Das Ergebnis: Der BMI allein reicht als Indikator für Verletzungen nicht aus. Zwar wurde ein Zusammenhang festgestellt zwischen hohem BMI und akuten Verletzungen an Sprunggelenken und Knien. Eine weitere Studie kam indes zu dem Ergebnis, dass Menschen mit niedrigem BMI verletzungsanfälliger seien, unabhängig vom individuellen Fitnessstand. Des weiteren konnte belegt werden, das ein niedriger BMI im Zusammenhang steht mit mehr Krankentagen und geringerer Schlafqualität.

Im Zusammenhang mit Klettern und Verletzungen waren bereits Studien zum BMI durchgeführt worden. Vier Veröffentlichungen kamen zu dem Schluss, dass es keinen Zusammenhang zwischen BMI und Kletterverletzungen gibt. Eine Publikation konnte jedoch einen Zusammenhang hierzu feststellen. Zwei Studien beschränkten die Untersuchung auf das Körpergewicht allein und konnten wiederum keinen Einfluss auf Verletzungsanfälligkeit bei Kletterern feststellen. Meine eigene Untersuchung konnte ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen BMI und Verletzungen feststellen.

Zusammenfassend scheint die Beweislage darauf hinzuweisen, dass Menschen mit einem niedrigen BMI etwas anfälliger für Verletzungen und Krankheiten sind als jene, die ein paar Kilo mehr auf den Rippen haben.

BMI und Kletterleistung

Gewicht und Klettern
Sarah Burmester
Nie Diät - heißt treffenderweise eine Route im fränkischen Schlaraffenland

Es ist ein weiter Weg von Untersuchungen zu Verletzungsanfälligkeit bis zu Aussagen über Kletterleistungen im gleichen Sport. Üblicherweise nimmt man in der Forschung seine Ergebnisse und vergleicht sie mit ähnlichen Untersuchungen. Da meine Untersuchung die erste ist, die einen möglichen Zusammenhang zwischen BMI und Kletterleistung untersucht, habe ich keine Vergleichsmöglichkeit. Deshalb will ich nun erklären, warum es logisch ist, dass ich keinen Zusammenhang gefunden habe und dass es durchaus sinnvoll sein kann, eine Extraportion oder Schokolade zu essen, um im Klettern besser zu werden.

Die Aussage, dass es einfacher sei, ein paar Prozent leichter zu werden, als ein paar Prozent stärker zu werden, wurde oft genug getätigt. Allerdings ist sie falsch und potenziell schädlich.

Wenn wir Gewicht anziehen und ablegen könnten wie eine Jacke, wäre es sicherlich sinnvoll, ein paar Kilo abzulegen, bevor wir zum Klettern gehen. Doch Abnehmen ist ein Langzeitprojekt, bei dem man über Wochen und Monate zu wenig essen muss. Während dieser Zeit ist der Körper anfällig für Verletzungen und Krankheiten, wir haben weniger Energie zum Trainieren übrig und die Erholung braucht länger. Was dazu noch gern übersehen wird: Ein "Kraftzuwachs" durch Abnehmen steht uns nur für eine extrem kurze Zeit zur Verfügung. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass unser jeweiliges Körpergewicht per Definition zugleich auch unser Trainingswiderstand ist. Wie bei jedem anderen Training auch passen sich unsere Fähigkeiten an die Belastung an, die wir uns auferlegen. Vereinfacht gesagt: Wenn du 100 Kilogramm beim Bankdrücken auflegst, passt sich der Körper daran an, 100 Kilogramm zu stemmen. Ein Kletterer, der 75 Kilogramm wiegt, ist darauf angepasst, diese 75 Kilogramm an der Wand zu bewegen, und ein 80 Kilogramm schwerer Kletterer trainiert mit 80 Kilogramm und ist an dieses höhere Gewicht angepasst. Wenn du beim Bankdrücken nun statt 100 nur 90 Kilogramm auflegst, wird es sich erst einmal leichter anfühlen als die 100 Kilogramm vorher. Aber nach zwei Wochen oder drei Monaten werden sich die 90 Kilogramm genau so schwer anfühlen, wie sich die 100 Kilo vorher angefühlt haben. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Kletterer leichter wird, da sich das Trainingsgewicht verringert.

Obwohl man sich erst einmal stärker fühlt, verringert sich der Effekt binnen weniger Wochen und verschwindet schließlich komplett. Nach einem oder zwei Monaten hat sich der Körper angepasst und die relative Kraft ist wieder da, wo sie vor dem Gewichtsverlust war. Nachdem es aber länger dauert, einige Kilo abzunehmen, als Gewichte von der Bankpresse zu nehmen, riskiert man zusätzlich noch eine Phase mit Energiemangel und erhöhter Wahrscheinlichkeit, sich zu verletzen oder krank zu werden, sowie eine verlängerte Regenerationszeiten und weniger Energie fürs Training.

Wie Abnehmen das Training behindert

Trainingsfortschritte hängen von einigen Schlüsselfaktoren ab: Trainingsumfang, Trainingsintensität, wie oft das Training wiederholt wird sowie Erholung (während dieser nimmt der Körper die Anpassungsarbeiten vor, hier passiert also das "Stärker werden").

Die Trainingsintensität ist davon bestimmt, wie sehr du dich beim Training anstrengst. Ob du die eine letzte Wiederholung schaffst, bei einer Route wirklich alles gibst und wie sehr du dich insgesamt ins Zeug legen kannst, hängt unter anderem davon ab, ob du auf gut gefüllte Energiereserven zurückgreifen kannst. Wenn du zu wenig isst weil du abnehmen willst oder Angst hast, zu schwer zu werden, hast du beim Training weniger Energie zur Verfügung. Das Ergebnis: weniger intensives Training. Entsprechend weniger bringt das Training.

Wie oft und wie viel du trainieren kannst hängt maßgeblich davon ab, wie gut du dich motivieren kannst, aber auch von der allgemeinen Lebensqualität, der Erholungsfähigkeit, der allgemeinen Gesundheit und Schlafqualität. Es ist zweifelsfrei bewiesen, dass Menschen auf Diät oder die zu wenig essen anfälliger für Krankheiten und Verletzungen sind (sowohl akute als auch Überlastungsschäden), länger brauchen, um sich von Verletzungen oder Training zu erholen und insgesamt geringere Lebens- und Schlafqualität aufweisen, wobei letzteres zusätzlich alle anderen Faktoren beeinflusst.

Die Erholungsfähigkeit hängt ebenfalls davon ab, ob genügend Energie vorhanden ist. Ein Körper mit Reserven wird kleine durch Training verursachte Schäden schneller reparieren als ein Körper im Energiedefizit. Sich gut erholen zu können, mag wohl der wichtigste Faktor im Training sein, und genügend Energiereserven für verkürzte Erholungszeiten ermöglichen somit häufigeres und härteres Training.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die zusätzliche Mahlzeit, die Schokolade oder schlichter Genuss beim Essen sowie darauf zu achten, dass man ein zufriedenes Leben führt, wird vermutlich dabei helfen, besser zu klettern und glücklicher zu sein.

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Der Autor

Gudmund Groenhaug
Marius Ilfante Immerstein
Gudmund Groenhaug, Kletterer und Wissenschaftler

Gudmund Groenhaug (47) lebt im Süden Norwegens und klettert seit 26 Jahren. Er hat rund 100 Routen bis 8c eingerichtet und erstbegangen, derzeit putzt er Boulder in Kalnes an der Grenze zu Schweden. Neben seiner Arbeit als Reha-Forscher zu Osteoarthritis und Pflegequalität hat er ausgiebig zum Klettern geforscht. Seine Doktorarbeit zu Überlastungsschäden bei Kletterern versammelt unter anderem sechs eigene Veröffentlichungen zum Thema. Derzeit arbeitet er an einem Buch zur Verletzungsvermeidung für Kletterer.

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04 / 2023

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