Klettertraining
Tipps: Wiedereinstieg nach der Kletterpause

Inhalt von

Ob Verletzung oder Corona-Lockdown, der Wiedereinstieg nach der Kletterpause ist hart! Mit diesen Tipps geht es besser – und ihr werdet schneller wieder fit!

Comeback nach Kletterpause
Foto: Ralph Stöhr

Nach einer Pause ist der Anfang schwer. Man fühlt sich insgesamt unfit – und ist es meist auch. Damit der Einstieg ins Training oder auch einfach ins "normale" Klettern gut und schmerzlos funktioniert, gibt es einige sinnvolle Ansätze, die wir hier erklären.

In diesem Artikel:

Unsere Highlights

Für ein gelungenes Comeback

Wenn die Hallen wieder öffnen und die Felsen trocknen, geht die Saison wieder los. Diejenigen unter uns, die sich nicht regelmäßig an der eigenen Kletterwand auf dem Dachboden oder zumindest am Griffbrett festgehalten haben, müssen sich dabei auf einen harten Start einstellen. Die Kraft ist dahin, das Bewegungsgefühl erst recht, und der Kopf? ...mit dem muss man wohl anfangs besonders nachsichtig sein. Doch von vorn.

Logisch, dass nicht direkt alles rund laufen wird und man nach ein paar Monaten Pause auch nicht direkt dort wieder anfängt, wo man aufgehört hat. Doch das heißt nicht automatisch, dass das Comeback verdrießlich wird. Im Gegenteil, mit unseren Tipps kommt ihr gesund und schnell wieder ins Kletter-Business zurück.

Comeback nach Kletterpause
Ralph Stöhr
Wir freuen uns auf den Fels! Hier kämpft Ariel mit den technischen Zügen von 'Patchwork' (6c+) in Jerzu, Sardinien

Warum Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist

Studien haben gezeigt, dass selbst nach mehrmonatigen Pause nicht übermäßig viel Zeit vergeht, bis man sein vorheriges Level wieder erreicht. Damit man dies verletzungsfrei schafft, gilt allerdings zu bedenken, dass ohne Training nicht nur die Muskelkraft nachlässt, sondern auch die Widerstandsfähigkeit von Sehnen, Bändern und Gelenken (siehe Interview mit Kletter-Arzt Andreas Schweizer). Ihre Kraft schrumpft in einer Phase der Nichtbelastung ähnlich wie auch die der Muskeln: Unser Körper ist ja effizient und baut ab, was nicht benötigt wird. Deshalb sollte man am Start lieber zu vorsichtig als zu forsch loslegen und – als Anhaltspunkt – nur rund die Hälfte der Intensität und auch des Umfangs von dem veranschlagen, was man vor der Pause als normal empfunden hat. Ausnahme ist die Frequenz: Zum Start ist es sinnvoll, dem Körper lieber öfter einen Reiz zu verpassen, der allerdings eher zu leicht sein sollte als zu intensiv. Zu deutsch: Gehe anfangs gern öfter, dafür aber nicht so lange und nicht so schwer klettern oder bouldern (das optimale Einstiegsprogramm erläutern unten).

Zentrale an Arm: bitte ziehen!

Unser Zentrales Nervensystem (ZNS) ist für unsere motorischen Fähigkeiten und damit maßgeblich dafür verantwortlich, wie sauber wir bestimmte Moves und Sequenzen ausführen. Deshalb lässt die Koordination auch deutlich nach, wenn wir zum Beispiel müde oder gestresst sind.

Auch wenn man Kletter-Bewegungen nicht so ohne weiteres verlernt, müssen die Abläufe erst wieder aufgefrischt werden, bevor man sich wieder geschmeidig und routiniert in der Senkrechten bewegen kann. Dies gilt übrigens auch für die Daheim-Trainierer: Denn harte Züge an der 40-Grad-Wand im Keller oder das Hängen am Fingerboard bereiten uns kaum auf diffiziles Plattengeschiebe vor, und auch nicht auf viele andere Züge, die wir am Fels oder am Seil üblicherweise abrufen. Dies spricht dafür, am Anfang vor allem auf Vielfalt in den Bewegungen zu achten und viele verschiedene leichte und mittelschwere Sachen zu klettern.

Don‘t worry, be happy!

Die meisten von uns werden voller Freude wieder loslegen und keinen Gedanken daran verschwenden, was gerade noch nicht so gut läuft. Und das ist genau richtig so! Spaß ist das Wichtigste am Klettern, und das gilt auch und gerade im Comeback. Gefährdet sind Kletterer, wenn vermeintlich bescheidene Leistung für schlechte Laune sorgt. Denn erstens ist schlechte Laune ja blöd, und zweitens kann uns eine überzogene Erwartungshaltung und Leistungsdruck dazu bringen, Dinge zu tun oder auszuprobieren, für die wir noch nicht bereit sind. Diese Haltung befördert deshalb Verletzungen und Überlastungsschäden in greifbare Nähe. Noch dazu ist Ärgern kontraproduktiv und Energieverschwendung. Verabschiede dich deshalb lieber von fehlgeleiteten Erwartungen. Eine positive Grundhaltung hilft dem Körper besser, Bewegungsabläufe aufzufrischen und hilft schneller wieder zu Kräften als Unzufriedenheit und Ärger über enttäuschte Erwartungen. Freuen wir uns lieber, endlich wieder klettern zu können!

Comeback nach Kletterpause
Ralph Stöhr
Bouldern ist genial – nicht nur, um die Maximalkraft aufzufrischen, auch für die Klettertechnik ist das Basteln an schweren Zügen gut. Nach der Pause: in Maßen!

Der optimale Start

So gelingt das Comeback! Diese Tipps sind nicht alle einfach einzuhalten, helfen aber beim optimalen Start und sorgen dafür, dass ihr gesund bleibt!

  1. Nicht nur verlieren die Muskeln an Kraft, sie werden ohne Training auch anfälliger für Schäden und verlernen, sich effizient zu erholen.
  2. Auch Bänder, Sehnen und Gelenke werden ohne Training schwächer. Deshalb sollten die ersten zwei Wochen nach dem Start aus wirklich, wirklich leichten Einheiten bestehen.
  3. In Woche drei und vier darf die Intensität etwas anziehen. Wenn du öfter als zwei Mal pro Woche trainierst oder kletterst, dann sollte die dritte (und eventuelle vierte) Einheit deutlich weniger intensiv sein. Teile deine Einheiten in intensivere versus leichtere Sessions auf.
  4. Ab Woche fünf darf eine der Sessions wieder etwas in Richtung Limit gehen und härter werden. Dosiere präzise und halte die übrigen Sessions in einem moderaten Rahmen.
  5. Wenn du nicht sowieso mit besonderem Schwerpunkt trainierst, wechsle mit den Belastungen ab: Mal viel und leicht bis mittelschwer klettern, mal wenig und dafür schwerer (oder Bouldern). Falls du öfter als zwei mal wöchentlich kletterst, sollte eine Session pro Woche sehr leicht sein: weder lang noch intensiv.
  6. Tapering: Woche sieben oder acht könnte eine Deload- oder Pausenwoche sein, in der du deutlich weniger oft und weniger intensiv und ausdauernd kletterst, sondern deutlich leichter sowie in weniger Einheiten, damit der Körper sich erholen kann, bevor die Belastung danach wieder zunimmt
  7. Gönne dir grundsätzlich ausreichend Ruhetage, damit der Körper sich auf die neuen Anforderungen einstellen kann: Im Zweifel ist ein Ruhetag mehr immer die richtige Entscheidung!

(nach oben)

Interview mit Prof. Dr. med. Andreas Schweizer: "Aufhören, wenn man noch frisch ist"

Wir haben den Handspezialisten und Kletterer Andreas Schweizer befragt, was in der Pause passiert und wie wir danach gesund wieder durchstarten können.

Was passiert in drei Monaten Kletterpause im Körper?

Das hängt davon ab, was man in dieser Zeit für körperliche Aktivitäten ausübt. Ein Handwerker wird nicht so große Veränderungen bemerken, ein Büromensch ohne andere Aktivität allerdings schon. Beim Klettern bemerkbar ist am schnellsten die schwindende Ausdauerkraft (aerobe Kapazität) der Fingerbeuger. Das merkt man nach bereits zwei bis drei Wochen, deutlich länger dauert es bei der Maximalkraft. Aber auch die Bänder (zum Beispiel die Ringbänder oder Seitenbänder der Fingergelenke) bilden sich zurück. Im Extremfall einer kompletten Ruhigstellung, zum Beispiel aufgrund einer Verletzung, verlieren die Bänder nach acht Wochen rund 40 Prozent ihrer maximalen Belastbarkeit. Der Wiederaufbau braucht aber um ein Vielfaches länger, nach einer Rehabilitationszeit von fünf Monaten ist lediglich 80 Prozent und nach zwölf Monaten 90 Prozent der ursprünglichen Stabilität erreicht. Dasselbe passiert auch mit den Knochen, den Sehnen, der Haut. Diesem Prozess kann aber mit wenig Aufwand gegengesteuert werden. Nur schon mit zwei kurzen Trainings pro Woche mit ein paar Klimmzügen und Finger-Deadhangs am Türrahmen oder Griffbrett kann dieser Prozess extrem verlangsamt werden.

Wie gestalte ich den Wieder-Einstieg so, dass meine Sehnen und Gelenke sich optimal wieder aufbauen?

Das erste Training sollte nicht zu lange und intensiv sein, da sich die Erholungszeit sonst bis zu einer Woche hinziehen kann. Also lieber häufigere, kurze Sessions machen. Der vormalige maximale Schwierigkeitsgrad sollte frühestens nach drei bis vier Wochen wieder angestrebt werden. 90 Prozent des Volumens (Bouldern und Lead) sollte deutlich unter dem eigentlichen aktuellen Niveau liegen. Anfangs sollte man keine schwierigen Dynos oder Parkour-Moves machen. Und: Ausgleichstraining und Stretching nicht vergessen.

Die Faustregel ist ja: Muskeln bauen sich in Wochen auf, Bänder und Sehnen verstärken sich über Monate und Knochen über Jahre. Ist das im Comeback nach der Pause ebenso?

Das hängt sehr von der Erfahrung, dem vorherigen Niveau, dem Alter und von dem ab, was man in der Zwischenzeit gemacht hat. Eine verletzungsbedingte komplette Sportpause erfordert unter Umständen mehrere Monate, bis man das alte Niveau wieder erreicht; ab einem gewissen Alter ist das vielleicht auch gar nicht mehr möglich. War jemand aber in der Zwischenzeit anderweitig sportlich aktiv, kann schon in wenigen Wochen die Leistung wieder erbracht werden. Es ist daher enorm wichtig, während einer Zwangspause, aus welchen Gründen auch immer, möglichst aktiv zu bleiben. Das geht mit regelmäßigem Joggen, Griffbrettfingerübungen, Klimmzügen, Liegestützen und ähnlichem, was man mit etwas Fantasie fast immer und überall durchführen kann.

Was ist das Falscheste, was ich nach der Pause machen kann?

Gerade an dem Projekt weitermachen, bei dem man auch vor ein paar Monaten noch weit von einem Durchstieg entfernt war. Ist meistens demotivierend und verletzungsträchtig.

Und was das Beste?

Die ersten paar Trainingssessions locker angehen, nicht am maximalen Niveau klettern, nichts ausreizen, aufhören, wenn man noch frisch ist, um sich nicht in ein Trainingsloch zu bugsieren. Schließlich braucht auch die Haut und das Unterhautgewebe vier bis sechs Wochen Zeit, bis eine optimale Kraftübertragung auf den Knochen wieder möglich ist und kleinere Griffe wieder gehalten werden können.

Was ist der wichtigste Rat bei einer Zwangspause?

Am Ball bleiben und nicht verzagen! Auch bei Verletzungen kann man aktiv sein und alle andere Muskelgruppen und Gelenke nutzen und trainieren. Bei einer Fingerverletzungen können gut Rumpf, Beine und Schulter trainiert werden. Die verletzten Partien profitieren davon mit.

Danke für das Interview!

Prof. Dr. med. Andreas Schweizer, Kletter-Arzt
privat
Prof. Dr. med. Andreas Schweizer

Prof. Dr. med. Andreas Schweizer, Chefarzt der Handchirurgie des Universitätsspitals Balgrist in Zürich, klettert und bouldert seit 33 Jahren und ist Autor des mittlerweile vergriffenen Lehrbuchs "Vertical Secrets". Als Spezialist bearbeitet er das gesamte Spektrum der Handchirurgie, und verfolgt forschend immer wieder auch Kletterprojekte: Gerade hat er eine Studie über Langzeitschäden bei Kletterern durchgeführt. Trotz Boulderwand in der Garage freut sich auch der passionierte alpine Sportkletterer darauf, mit seiner Tochter wieder die neuen Boulder in der Halle um die Ecke auszuchecken.

#comebackstronger: Tipps für den Start nach einer Verletzung

Der Wiedereinstieg nach einer Verletzung erfordert besondere Achtsamkeit: diese Tipps helfen dabei.

  • Hole ärztlichen Rat ein, ob du bereit bist, wieder einzusteigen. Alternativ können gute Physiotherapeuten bei dieser Frage oft ebenso hilfreiche Aussagen treffen wie ein Arzt oder eine Ärztin (hängt auch von der Art der Verletzung ab).
  • Solange du Schmerzen hast und der gesunde Bewegungsumfang nicht vollständig wieder hergestellt ist, solltest du dich auf Reha konzentrieren.
  • Sind Beweglichkeit und Bewegungsumfang wieder "normal" und du bist schmerzfrei, beginne mit superleichten Mini-Belastungen.
  • Arbeite mit sehr geringer Intensität und steigere dich in maßvollen Schritten. Starte deutlich langsamer und softer, als du gern würdest!
  • Füge immer nur eine neue Übung oder Belastungsart pro Woche hinzu und beobachte die Reaktion deines Körpers, bevor du dich steigerst oder weitere Elemente hinzufügst.
  • Achte auf gute Form. Schone deine verletzten Körperteile nicht, sondern versuche jede Bewegung sauber und optimal auszuführen. Vermeide dabei möglichst, in eine Schon-Haltung zu verfallen.
  • Wenn du für die rehabilitative Phase physiotherapeutische Übungen bekommen hast, höre nun nicht damit auf, sondern integriere sie weiterhin in dein Training, eventuell auch zur Förderung der Regeneration an den Erholungstagen.
  • Nutze jede Möglichkeit, deinen Körper bei der Anpassung zu unterstützen. Ernähre dich gesund und vielfältig, achte auf ausreichende Proteinzufuhr und iss Nahrungsmittel mit antioxidativen Eigenschaften.
  • Wärme dich langsam und gründlich auf.
  • Wärme dich auch wieder ab. Das Cooldown sollte leicht und entspannend sein.
  • Achte auf ausreichend Schlaf
  • Freue dich über jeden kleinen Fortschritt!

(nach oben)

Mehr:

Die aktuelle Ausgabe
07 / 2023

Erscheinungsdatum 06.06.2023