Eine Verletzung bedeutet für den Körper Stress. Stress kann jedoch die Heilung behindern. Wie wir dieses Wissen sinnvoll einsetzen und Heilungsvorgänge mitunter beschleunigen, erklärt der Schweizer Physiotherapeut und Mentaltrainer Marc Wetter.
In diesem Artikel:
- Wie Stress die Heilung behindert
- Das passiert im Körper, wenn man Stress ausgesetzt ist
- Diese mentalen Techniken helfen
- Entspannung ist messbar
- Behandlungsbeispiel
- Tipps: Das kannst du bei einer Verletzung tun
Wie Stress die Heilung behindert
Fühlen wir uns bedroht und sind Stress ausgesetzt, passieren interessante Dinge im Körper. Um uns zu schützen, werden hohe Mengen an physischer und psychischer Energie aus den Reserven abgezogen. Früher nutzten wir diese Energie, um unser Leben zu retten (Rettung vor dem Löwen).
Heute gibt es weniger äußere Bedrohungen, jedoch mehr innere Belastungen, wie etwa ein anstehendes Gespräch mit dem Chef. Auch Verletzungen sind Auslöser für Stress. Unser Körper kontert mit einer Stressreaktion. Sie ist kurzzeitig und wichtig, um unser Überleben zu sichern. Für eine schnelle Heilung sind solche Stressreaktionen allerdings längerfristig weniger hilfreich.
- Ausschüttung von Hormonen: Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol zur Aktivierung des Nervensystems (Sympathikus)
- Zucker und Fettfreisetzung zur Energienutzung
- Blutdruck und Pulserhöhung
- Atemfrequenz steigt an
- Muskelspannung nimmt dort zu, wo sie gebraucht wird
- Verminderte Durchblutung der inneren Organe
- Körpertemperatur steigt an, Schwitzen
- Verminderte Schmerzwahrnehmung
- Hirndurchblutung verändert sich, Muster zur schnellen Lösung werden gesucht, Fehlerquote steigt aber an
- Emotionen: Angst, Wut, Ärger, Fight or Flight
Phase 2 – Resistenz: Ist der Stress langanhaltend und keine Lösungen in Sicht, ist unser Körper bemüht eine Gegenreaktion zu starten. Er sucht Balance um den hohen Energieverbrauch zu stabilisieren. Dazu muss das beruhigende Nervensystem angesteuert werden (Parasympathikus). Es erfolgt eine Aktivierung der Magen-Darmtätigkeit. Das Immunsystem wird gedrosselt.
Phase 3 – Erschöpfung: Durch den hohen Energieverbrauch kommt es zu Engpässen in der Anlieferung. Das Immusystem setzt weiter aus, entzündliche Prozesse werden gefördert. Wachstums– und Entwicklungsprozesse sind gestört. Langzeitfolgen können entstehen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Zuckerkrankheit (Diabetes) etc. Physisch sind drei Wundheilungsphasen, die je nach Körpergewebe unterschiedlich lange dauern, wichtig:
1. Entzündungsphase: Blutstillung und Gerinnung setzt ein, Abbau von defektem Gewebe durch das Immunsystem
2. Proliferationsphase: Gefäßneubildung für Transport von Nährstoffen, Sauerstoff; Neubildung von Gewebe in optimalem Milieu; Verstärkung des neu gebildeten Gewebes; Anpassung an Beruf, Alltag, Sport, Gene
3. Remodulationsphase: weitere Verstärkung des Gewebes; Anpassung an Beruf, Alltag, Sport, Gene
Diese mentalen Techniken helfen
Die Heilungszeit von Verletzungen kann durch verschiedene mentale Techniken verkürzt, also optimiert werden. Als besonders effektiv erweist sich eine Kombination aus Visualisierungen, Entspannung und Selbstgesprächen. Zudem fühlen sich die Sportler selbstbestimmter und angstfreier.
Auch bei gesunden Sportlern ist eine Leistungssteigerung oder Angstreduktion möglich. Vor Wettkämpfen kann die Visualisierung zur Motivationssteigerung und dem „Bereit-sein“ verwendet werden.
- Informationen: Auch die Vermittlung von Informationen kann den Heilungsprozess fördern. Je besser der Athlet die physischen Abläufe seines Körpers nach einer Verletzung kennt und je mehr individuelle Strategien er für die Stressbewältigung hat, umso optimaler läuft die Wundheilung im verletzten Gebiet ab.
- Entspannungsübungen:
- Entspannungsübungen helfen dabei, den Parasympathikus (das beruhigende Nervensystem, das unter anderem für die Erholung zuständig ist) zu stimulieren. Die Atmung beruhigt sich, Sauerstoff und Nährstoffe können besser an die verletzte Stelle gelangen. Die verbesserte Durchblutung im verletzten Gebiet hilft die Zellregeneration zu verbessern. So normalisiert sich der Hormonhaushalt und das Immunsystem wird gestärkt. Die Energie kann für die Heilung eingesetzt werden. Auch Yoga und Meditation können gut helfen.
- Schmerzlindernde Visualisierungen:
- Leuchten wir mit einer Taschenlampe in die Dunkelheit, sehen wir nur die angeleuchteten Dinge. Die Größe des Ausschnitts hängt von der Ausleuchtung ab. Stellen wir diesen größer ein, wird jedes Ding weniger hell beleuchtet, dafür werden mehrere Dinge gleichzeitig sichtbar. Wir haben die Fähigkeit, uns auf einzelne Dinge zu konzentrieren und unsere Aufmerksamkeit zu steuern. Der Verletzte lernt demnach, seine Sinne zu schärfen und die Verletzung manchmal auszublenden oder die Heilung zu unterstützen.
Entspannung ist messbar
Messungen der Atemfrequenz, Pulszahl und des Hautleitwiderstandes (Galvanic Skin response) geben Aufschluss über die Entspannungsfähigkeit des Athleten. Der Ruhepuls liegt bei etwa 40-60 Schlägen pro Minute, die Atemfrequenzen eines Erwachsenen bei circa 12-15.
Subjektiv lassen wir den Verletzten auch nach der Sequenz eine Skala von 1 (völlig entspannt) bis 5 (absolut unentspannt) ausfüllen. Bedingt durch die vermehrte Schweißabsonderung der Haut sinkt der Hautleitwiderstand mit steigender emotionaler Aktivität. Dies lässt sich mit Elektroden messen. Nach meiner Erfahrung aus der Arbeit mit Athleten ist das Einbeziehen von mentalen Techniken zur Rehabilitation sehr erfolgsversprechend.
Akutphase (erste Tage nach Verletzung): In dieser Phase ist im mentalen Training das Gespräch über die Verletzung und Informationen über die Verletzung samt dem folgenden Rehaverlauf wichtig. Es können erste Ziele gesteckt werden. Der Athlet lernt Übungen, die zur eigenen Verbesserung seines Zustandes beitragen und lernt Kontrolle über die Verletzung. Die Rehabilitation kann er aktiv mitbestimmen. Kurze Visualisierungs –und Entspannungsübungen lassen sich gut in die Physiotherapie und auch in die Regeneration einbauen.
Mittlere Phase (3 Tag. -6. Woche): Individuelle mentale Techniken sind wichtig. Nicht alles hilft viel. Es werden Kurz-, Mittel –und langfristige Ziele gesteckt und Themenfelder bestimmt z.B. Schmerzreduktion, Motivation, Angst etc. Erste systematisch angewandte Techniken (z.b.Visualisieren, Selbstgespräche und Atmung) können eingeübt und verfeinert werden. Der Athlet kennt die Abläufe der Reha und passt Ziele an, wenn es nötig werden sollte.
Trainingsphase (6.-12.- Woche): Konsequentes Umsetzen der mentalen Techniken auch ins Training, Verfeinern der gelernten Tools und Vorbereitungsphase zu „return to sports“, sind wichtige Themen in dieser Phase.
Wettkampfphase (12.-15. Woche): Mentale Techniken sollten, wie alle Trainingsformen, regelmäßig geübt und eingebaut werden. Weitere spezifische Ziele im Wettkampf können im mentalen Training angegangen werden (z.B. Selbstvertrauen, Umgang mit Druck, Wettkampfcountdown etc.
Wenn wir uns über eine Verletzung und damit Zwangspause im Sport ärgern, kann dieser Ärger zusätzlichen Stress verursachen. Klar, erst einmal ist Frust normal, doch sollten wir möglichst bald die Kurve kriegen und die Situation so, wie sie ist, akzeptieren. Schließlich ändert Ärger und Frust nichts daran. Fokussiere dich auf die Genesung (#comebackstronger).
Auch das Ignorieren einer Verletzung verschlimmert die Situation oft. Daher ist das Akzeptieren der erste Schritt zur Besserung. Abseits von konkreten mentalen Techniken sind daher folgende Punkte wichtig.
- Akzeptiere die Verletzung
Je nach der Schwere der Verletzung hadern wir mehr oder weniger mit der plötzlichen Situation, nun nicht mehr einfach wie sonst weitermachen zu können. Ärger, Wut oder Verzweiflung sind zwar normal, helfen aber nicht. Während wir um des Vergnügens gerne weiterklettern würden, ist gerade zu Anfang meist eine Pause sinnvoll und für die schnelle Heilung förderlicher als mit Tape oder Gips um jeden Preis weiterzumachen. Akzeptiere die Situation und mach das Beste draus.
- Das Beste draus machen
Ein guter Arzt oder Therapeut kann dir sagen, was (und wann) du unterstützend machen kannst. Bei den meisten Kletterverletzungen kann man schon nach einigen Tagen mit vorsichtiger Reha anfangen. Kanalisiere deine Energie auf diese unterstützenden Übungen, um das Gewebe bei der Heilung zu unterstützen. Vermeide Stress jeder Art, um den Körper in die optimale Ausgangslage zur Selbstheilung zu bringen.
- Ziehe Konsequenzen
Hast du den Finger überlastet, weil du zu wenig Pausentage eingelegt hast? War das Ellbogenzwicken anfangs leicht und kaum der Rede wert, bevor es sich zum echt schmerzhaften Golfer-Ellbogen ausgewachsen hat? Hast du schon gemerkt, dass du müde bist, als du noch einen letzten Versuch gemacht hast und dir beim Abrutschen den Knöchel verdreht hast? Sei klug und nutze die Informationen und Erfahrungen, die du gesammelt hast, für die Zukunft.
Autor: Marc Wetter

Marc Wetter ist Sportphysiotherapeut ESP, Mentaltrainer CAS Sport und Diplom Physiotherapeut. Er arbeitete 5 Jahre als Leiter für Therapien im Swiss Olympic Center, Medbase Abtwil. Seit August 2019 ist er Inhaber und Geschäftsführer der Marc Wetter, Physiotherapie & Mental Training in Münchwilen in der Schweiz. www.marcwetter.ch