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Gute Kletterer nutzen ihre Beine so viel wie möglich, um sich an der Wand zu halten und die Arme zu entlasten. Sei es beim sauberen Stehen mit Hochspannung auf winzigen Tritten, durch Hooken oder beim stark eingedrehten "Ägypter". Im Dach ziehen wir mit unseren Füßen an positiven Tritten. Auch hochtechnische Platten oder Dachkanten fordern die unteren Extremitäten intensiv: Nicht selten besteht der rettende Move aus einem hohen Tritt, über den es die Hüfte zu schieben gilt, um dann aus dem voll angewinkelten Bein aufzustehen. Bei all diesen Bewegungen muss das Knie funktionieren und intensive Belastungen aushalten.
Unser Knie liegt an den zwei längsten Hebelwegen des Körpers (Ober- und Unterschenkel) zwischen der Hüfte, dem stärksten Gelenk unserers Körpers, und den Füßen, die beim Klettern dank der Reibungssohlen an den Kletterschuhen meist fest fixiert sind. Drehen die beiden äußeren Punkte in unterschiedliche Richtungen, bekommt das Knie die Scherkräfte ab. Problematisch wird dies, wenn das Gelenk zu wenig Stabilität durch die umliegende Muskulatur erhält. Die Muskeln können nämlich einiges an Kräften "abfangen" und halten das Kniegelenk stabil. Deshalb ist eine starke Beinmuskulatur mit ausgewogenen Kräfteverhältnissen wichtig, um das Knie zu schützen.
Die Muskulatur der Beinrückseite (Kniebeuger) neigt deutlich stärker zu Verkürzungen als die Kniestrecker, was bei untrainierten Beinen zu muskulären Dysbalancen führen kann. Typischerweise trainieren Kletterer die Beine kaum bis gar nicht. Wenn dann nur an der Beweglichkeit gearbeitet wird, ohne zu kräftigen, leidet die Stabilität. Die meisten Kletterer haben verspannte Beinrückseiten. Das heißt, die Muskeln der Beinrückseite sind verkürzt, verspannt und wenig trainiert und sollen dann auch noch das Knie stabilisieren. Das geht irgendwann nicht mehr gut.
Das beschriebene Ungleichgewicht der Oberschenkelmuskulatur kann das Knie einseitig überlasten. Auch können Verspannungen zu Schmerzen an den Muskelansätzen führen, die sich dann nicht selten direkt im Kniegelenk bemerkbar machen. Was sich dann anfühlt wie ein Problem im Knie, kann beispielsweise von einer überlasteten oder zu festen Wadenmuskulatur ausgelöst werden. Hier lohnt es sich immer, gründlich zu prüfen. Die komplexe Biomechanik des Kniegelenks mit Kreuzbändern, Menisken und über 20 Schleimbeuteln stellt die Diagnostik vor eine schwierige Aufgabe.
Wenn scharfer Schmerz oder Schwellung auftritt oder der Schmerz einem eindeutigen Ereignis zuzuordnen ist, gilt: ab zum Arzt! Was nie schadet und daher ein guter erster Schritt sein kann, ist der Blick auf die das Knie umgebende Muskulatur. Es gilt, die Muskeln gründlich zu lockern, und gegebenenfalls zu stärken und das Kräfteverhältnis anzugleichen. Dafür eignen sich manuelle Therapie vom Physiotherapeuten sowie Dehnen und Arbeit mit der Faszienrolle. Muskuläre Schwächen lassen sich mit gezieltem Training beseitigen. Koordinatives Training, um das Zusammenspiel der Muskeln zu ökonomisieren, ist zusätzlich unerlässlich.
Wenige förderlich für die Kniegesundheit ist, wenn man ständig ebenen und harten Böden läuft. Das sorgt für immer den gleichen Bewegungsablauf mit Belastung im immer gleichen Winkel, was für den Knorpel im Knie die immer gleiche punktuelle Belastung bedeutet. Regelmäßig eine Belastung in andere Richtungen vorzunehmen, hilft daher dabei, das Knie gesund zu halten. Laufen im Sand und auf unebenen Böden ist also gut für die Knorpel, weil dadurch die Versorgung der Knorpel verbessert wird.
Eine Bewegungsform wie das Klettern, bei der die Belastungsrichtungen ständig variieren, ist grundsätzlich ebenfalls gut für die Knie. Generell hält man das Knie fit, indem man auf geschmeidige und starke Muskulatur achtet und – wie bei allem im Leben – es nicht übertreibt.





- Dehne regelmäßig Waden und Oberschenkel, um Verspannungen zu verringern und verkürzte Muskulatur zu vermeiden.
- Nutze eine Faszienrolle, um die Beinmuskulatur zu lockern und auch um verklebtes Bindegewebe (=Faszien) zu mobilisieren und geschmeidig zu machen. Um eine tiefergehende Wirkung zu erzielen, rolle sehr langsam (!) zum Herzen hin. Hast du einen Schmerzpunkt gefunden, dann verweile darauf, bis der Schmerz nachlässt.
- Stärke die Beinbeuger (=Hamstrings). Sie sind bei den meisten Menschen zu schwach. Sind sie stark, kannst du dich auch besser an Tritte heranziehen. Die Muskeln auf der Oberschenkelrückseite sollten kräftig, beweglich und im entspannten Zustand weich sein (so wie eigentlich alle Muskeln).
- Arbeite an der Beweglichkeit des Sprunggelenks (Dorsalflexion) und der Hüfte. Bestehen hier Defizite, können diese das Knie beeinträchtigen.
- Beziehe beim Aufwärmen die Beine mit ein: fahre mit dem Rad zur Kletterhalle, kreise die Knie, nutze ein Springseil, bewege alle Gelenke bis zur Endstellung durch.
- Die Beinmuskeln sollten stark und beweglich sein. Nutze Übungen, bei denen die Muskulatur in gedehnter Stellung arbeiten muss.
- Achte auf gesundes Schuhwerk. Sowohl Absätze als auch Hightech-Sneaker können das Knie auf Dauer schädigen.
Der Autor Martin Schlageter

Seit 1997 betreut der Physiotherapeut mit dem Boulderblock im Garten die deutsche Kletternationalmannschaft. Er ist Sportphysiotherapeut des DOSB, Manualtherapeut, Osteopath in Ausbildung sowie Sportlehrer & Athletiktrainer.