Die Höhle von Flatanger ist Spielplatz der ganz starken Kletterer, mit Silence (9c) findet sich hier die schwerste Route der Welt. Doch an den Wänden neben und um die Höhle in Norwegen herum warten auch weniger steile Wände auf kletternde Besucher. Die Location liegt fußläufig von einem Campingplatz entfernt am Meer und bietet genial strukturierten Granit mit Routen ab 4c – ein formidables Urlaubsziel.

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Anreise Die Wände von Flatanger liegen rund drei Fahrstunden und 200 Kilometer nördlich von Trondheim. In Trondheim befindet sich der drittgrößte Flughafen des Landes. Ein motorisiertes Fahrzeug ist nahezu unerlässlich, um in das norwegische Granitparadies zu kommen.

Felsen, Absicherung und Ausrüstung Das größte erschlossene Klettergebiet ist derzeit die Hanshallaren Cave und die direkt angrenzenden Wände. Dort gibt es rund 100 Sportkletterrouten von 4c bis 9c mit Schwerpunkt in den Graden 7a bis 9a, wobei das Zentrum der Höhle erst ab 8c aufwärts interessant wird. Die dortigen rund 15 leichteren Routen bis 6b+ sind für sich genommen die lange Anreise sicher nicht wert. Mit Sandmælen und Einvikfjellet stehen für Einsteiger und gemäßigte Sportkletterer aber noch zwei weitere Felsen in unmittelbarer Nähe mit rund 100 Routen mit Schwerpunkt im fünften und sechsten Franzosengrad zur Verfügung. Der Granit ist fest und strukturiert, es dominieren Wand- und Überhangkletterei, in den leichteren Sektoren sind auch Platten anzutreffen.

Beste Zeit Flatanger ist ein Sommerziel, das von Juni bis August meist gute Bedingungen bietet. Die Meeresnähe sorgt dafür, dass meist ein Wind geht, der die Moskitos in Schach hält. Bei Regen kann in der großen Höhle geklettert werden.
Übernachtung und Verpflegung Der Farmer Olav Strøm betreibt einen kleinen Campingplatz (von dem aus die Hanshallaren Cave in 20 Minuten zu Fuß zu erreichen ist) mit Dusche und WC. Er vermietet außerdem Zimmer und eine kleine Villa in Lauvsnes. Infos dazu unter climbflatanger.com. In Lauvsnes gibt es auch einen kleinen Supermarkt.

Kletterführer "Climb Norway", herausgegeben vom Norges Boltefond: Der norwegisch-englische Führer von 2018 zum Sportklettern in Norwegen enthält auch die drei Gebiete bei Flatanger. Erhältlich im klettern-shop.de für 34,00 €.
Wie der gigantische Mund eines nordischen Gottes öffnet sich hinter der Küste von Flatanger die Hanshallaren Cave. Dieser gewaltige Granitüberhang beherbergt nicht nur einige der schwierigsten Routen der Welt, sondern regelmäßig auch kletternde Gäste aus aller Herren Länder.

Es ist weit von Arco nach Flatanger. Sehr, sehr weit sogar. So weit, dass sich die Frage aufdrängt: Was bringt einen Bewohner eines der besten europäischen Klettergebiete dazu, seine heimischen Felsen im Trentino zu verlassen und die lange Reise nach Norwegen auf sich zu nehmen?
Für Stefano Ghisolfi, Kletterstar aus Arco, war die Antwort klar. Er hatte im Sommer 2020 viel Zeit. Und Sportkletterer sind wie Zugvögel: Auf der Suche nach erträglichen Temperaturen ziehen sie im Winter gen Süden und im Sommer gen Norden. Und neben dem Klima ist da noch Flatanger selbst: Spätestens seit Adam Ondra sich dort 2012 mit Change, der ersten 9b+ des Planeten, und 2017 mit Silence, der ersten 9c, zwei Denkmäler gesetzt hat, ist die gewaltige Hanshallaren Cave weit über die norwegischen Landesgrenzen hinaus ein Begriff.
Dabei verlief der Aufstieg von Flatanger in der internationalen Kletterszene ähnlich steil wie der Granit in der Hanshallaren Cave. Auch wenn norwegische Kletterer am Rand der Höhle schon Mitte der 90er-Jahre die ersten Routen erschlossen, hatte bis vor rund 15 Jahren außerhalb Norwegens noch niemand von den Wänden nördlich von Trondheim gehört. Um 2010 herum nahm dann der norwegische Spitzenkletterer Magnus Midtboe die Höhle erstmals genauer in Augenschein. Und kam aus dem Staunen kaum noch heraus. 300 Meter breit, 150 Meter hoch und an die 100 Meter überhängend – Midtboes Fazit lautete: "Flatanger lässt sich schwer mit anderen Gebieten vergleichen. Es ist wie die Höhle von Santa Linya (in Nordspanien, Anm. d. Red.), nur eben vier mal so groß."

Adam Ondras Spielplatz
Dass die Wand nicht nur hoch und steil sowie sommer- und regentauglich ist, sondern auch noch festen und gut strukturieren Fels aufweist, macht sie zur perfekten Kletterdestination für die Stärksten der Welt. Die gaben sich auch bald ein Stelldichein. Die von Magnus Midtboe 2011 eingebohrte Route Thor‘s Hammer war mit 9a+ das erste Aushängeschild der Hanshallaren Cave, erstbegangen schließlich 2012 von Adam Ondra und wiederholt von vielen internationalen Spitzenkletterern wie Alexander Megos, Dave Graham, Sachi Amma oder Seb Bouin. Midtboe selbst gelang die Rotpunktbegehung seiner eigenen Route erst 2016.
2012 war überhaupt ein großes Jahr, sowohl für Flatanger als auch für Adam Ondra. Der hatte im Frühjahr gerade das Abi gemacht, war mit 18 richtig mobil und hatte Zeit. Von Flatanger hatte er da schon zwei Jahre geträumt, und als Adam im Sommer 2012 endlich dort ankam, sah er seine Erwartungen mehr als erfüllt: "Es hat mich umgehauen, als ich die Höhle zum ersten Mal gesehen habe." Mit Change bohrte er dann an zwei Tagen eine 55 Meter lange Kingline durch den Überhang. Drei Monate arbeitete er an der Erstbegehung, dann hatte die Welt ihre erste 9b+ und Flatanger wurde quasi über Nacht weltberühmt. Im Jahr darauf eröffnete er Move (9b/b+) und 2017 dann die härteste Route der Welt, Silence (9c). Adams Begeisterung für Flatanger liegt auch an der Vielseitigkeit der Kletterei. Leisten, Sloper, Knieklemmer, Untergriffe, Heelhooks – alles in diesem Überhang ist komplex und dreidimensional, erfordert somit alle Fähigkeiten eines Kletterers. Und kommt dem extem beweglichen und analytischen Ondra entgegen.
Typisch Norwegen
Ohne Zweifel ist die Hanshallaren Cave das große Schaustück von Flatanger. Aber nicht die einzige Attraktion für Kletterer. Zum einen findet sich links und rechts der Höhle eine Reihe großartiger Routen in Schwierigkeiten von 4c aufwärts, so dass auch normalsterbliche Sportkletterer auf ihre Kosten kommen. Wer den siebten Franzosengrad drauf hat, kann sich viele Tage vergnügen. Daneben gibt es rund um die große Höhle noch weitere Wände, die leichtere und einsteigerfreundliche Klettereien aufweisen.
Und natürlich besteht Flatanger nicht nur aus Fels, sondern auch aus Land(schaft) und Leuten. Die Lage direkt an der nordatlantischen Küste, wo sich das Meer und die Hügel aus Granit und Grün verzahnen, sorgt für großartige Ausblicke und vielfältige Möglichkeiten, die wunderschöne Gegend wandernd, im Kanu oder im Faltboot zu erkunden. Als Ausgangspunkt bietet sich die Farm von Olav Strøm und Berit Hestnes an, die auf ihrem Gelände einen Campingplatz betreiben. Von dort sind auch die meisten Klettergebiete fußläufig zu erreichen.
Zeitlos schön
Doch zurück zur weiten Anreise aus Arco. Stefano Ghisolfi hatte sich 2020 die Route Change vorgenommen, die bis dahin noch unwiederholt war. Zwei Monate verbrachte er hoch im Norden, nur einmal unterbrochen von einem kurzen Trip nach Hause, um zwischendurch die italienischen Meisterschaften im Lead zu gewinnen. Wie Ondra war auch Ghisolfi überwältigt von der Größe der Hanshallaren Cave: "Die Höhle ist schon von unten zu sehen, aber erst wenn du an den Einstiegen ankommst, verstehst du, wie riesig sie ist."
Als sich Ghisolfi in dem umgedrehten Amphitheater ans Werk machte, bekam er schnell zu spüren, was Ondras Kletterstil so speziell macht. In der ersten Crux von Change faltete sich der Tscheche 2012 wie ein Gummimännchen unter ein Dach, um irgendwie an die nächsten schlechten Griffe zu kommen. Eine Methode, die Ghisolfi nicht nachvollziehen konnte. Nach einigen Tagen fand er eine andere, weniger gefaltete, dafür brachial-athletische Variante. Irgendwann gelang es ihm dann, die 185 Züge von Change sturzfrei aneinanderzureihen und die zweite Begehung einzuheimsen. Und warum Change und nicht Silence, die immer noch unwiederholte Toproute von Adam? "Weil ich glaubte, dass Change vielleicht in einer Saison möglich ist. Für Silence bräuchte man wahrscheinlich mehr als ein Jahr zum Projektieren". Wer sich an Adams spezielle Dehn- und Kraftübungen für Silence erinnert, kann erahnen, dass Stefanos Respekt vor der ersten 9c der Welt einen realen Hintergrund hat.